Syllabus errorum Pius' IX. vom 8. Dezember 1864
Der Syllabus wurde von einer Kardinalskommission 1860 auf der Grundlage einer Pastoralinstruktion Bischof Gerberts von Perpignan ausgearbeitet. Die dort enthaltenen 85 Sätze tauchen zusammengefasst im Syllabus wieder auf. Der Syllabus entstand zu einer Zeit, in der sich die katholische Kirche mit liberalen und laizistischen Strömungen auseinandersetzen musste, gegen die sich die Kurie zu verteidigen suchte. Er war gleichsam ein Protestverzeichnis gegen neuzeitlich-moderne Auffassungen, die seit der Aufklärung stark an Anhängern gewonnen und eine zentrale Rolle bei den Revolutionen des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts eingenommen hatten, und fasste den katholischen Antimodernismus erstmals umfassend zusammen. Theologisch wurde der Syllabus damit begründet, dass die Kirche, die Trägerin der von Gott geoffenbarten Wahrheit ist, sich für diese einsetzen und deshalb den Irrtum, den man durch liberal-pluralistische Vorstellungen befördert sah, bekämpfen muss. Durch die Annahme des modernen Denkens sah man das Seelenheil der Menschen bedroht.
In einigen Ländern kam es wegen des Syllabus zu Spannungen zwischen Kirche und Staat, da verfassungsmäßig garantierte Rechte wie Glaubens- und Gewissensfreiheit verurteilt wurden. Die Interpretation des Bischofs von Orléans, Felix-Antoine-Philibert Dupanloup, dass die Verdammung eines Satzes nicht automatisch die Bestätigung der Gegenposition sei, und man zwischen der These als Ideal und der Hypothese als praktischer Umsetzung unter Zeitbedingungen unterscheiden müsse, somit also Religionsfreiheit als solche, nicht aber die Regierungen, die diese in die Verfassung geschrieben hatten, im Syllabus verurteilt würden, führte zur politischen Entspannung. Dupanloups Deutung wurde von Pius IX., auch um weitere politische Spannungen zu verhindern, gleichsam als offizielle Interpretation anerkannt. Der Syllabus errorum wurde nie zur unfehlbaren Lehrentscheidung des Papstes erklärt, wenngleich diese Option im Vorfeld des I. Vatikanischen Konzils diskutiert wurde.
Quellen
DENZINGER, Heinrich / HÜNERMANN, Peter (Hg.), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und
kirchlichen Lehrentscheidungen. Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de
rebus fidei et morum, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 402005, S. 2901-2980.
Literatur
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LAMBERIGTS, Mathijs, Syllabus, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 9 (2000),
Sp. 1153 f.
REINHARD, Wilhelm, Syllabus, in: Lexikon für Theologie und Kirche 9 (1937),
Sp. 920-925.
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Deutschland von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil
(1789-1965) (Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der
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WOLF, Hubert, Katholische Kirchengeschichte im "langen" 19. Jahrhundert von 1789 bis 1918,
in: DERS. (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 3: Von der Französischen Revolution
bis 1989, Darmstadt 2007, S. 91-177, hier
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WOLF, Hubert, Der "Syllabus Errorum" (1864). Oder: Sind katholische Kirche und Moderne
unvereinbar?, in: WEITLAUFF, Manfred, Kirche im 19. Jahrhundert, Regensburg 1998,
S. 115-139.
WOLF, Hubert, Syllabus, in: Religion in Geschichte und Gegenwart 7 (2004), Sp. 1918.