Kulturkampf
Der Kulturkampf war eine "Modernisierungskrise" und eine der "Kulminationsphasen im langen Prozess der Säkularisierung" (LILL (Hg.), Kulturkampf, S. 10 f.). Er entwickelte sich zu einem weltanschaulichen und politisch-rechtlichen Grundsatzkonflikt. Die Katholiken insistierten auf der Vereinbarkeit von Loyalität gegenüber dem Vaterland und einer katholisch-kirchlichen Gesinnung. Prinzipielle Klärungen des Verhältnisses von Kirche und Staat wurden angestrengt, so z.B. vom Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst, der für eine reziprok zugestandene Autonomie beider Seiten eintrat. Die Kulturkampfgesetzgebung führte zu einem stärkeren Zusammenhalt unter dem katholischen Kirchenvolk, das vorwiegend passiven Widerstand leistete, Hilfsbedürftige in den eigenen Reihen unterstützte und durch ein intensiviertes Pressewesen sowie die Gründung von Vereinen (beispielsweise des Augustinus-Verein oder der Görres-Gesellschaft) die eigene Identität stärkte.
Ende der 70er Jahre nahm Bismarck Verhandlungen mit Leo XIII. auf, als er eine aufkommende vereinigte Opposition von Zentrumspartei, Fortschrittspartei, Polen und Welfen neben der sozialistischen Gefahr vorhersah und zudem Bündnisverhandlungen mit den mehrheitlich katholischen Mächten Österreich und Italien anstrebte. Nach den Milderungsgesetzen zu Beginn der 80er Jahre wurde durch Verhandlungen bis zu den Friedensgesetzen von 1886/87 eine Beilegung des Kulturkampfes erreicht. Die Anzeigepflicht von Kirchenaustritten vor den Gerichten, die Zivilehe, die staatliche Schulaufsicht, die Beseitigung der kirchlichen Freiheitsrechte aus der preußischen Verfassung und das Jesuitengesetz blieben bis 1917 in Kraft. Der Kanzelparagraph noch darüber hinaus.
Quellen
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