Ernennung Gustav Ritter von Kahrs zum Generalstaatskommissar in Bayern am 26. September 1923

Seit der Niederschlagung der Münchener Räterepublik im Mai 1919 und spätestens nach der Verdrängung der Mehrheitssozialdemokraten aus der Staatsregierung im März 1920 entwickelte sich Bayern unter der Protektion der folgenden Landesregierungen zu einem Tummelplatz rechtsgerichteter vaterländischer Verbände, darunter der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP).
Dieses Milieu geriet insbesondere nach dem Beginn der französisch-belgischen Besetzung der Ruhrgebietes im Januar 1923 in nationale Erregung. Auch politische Erfolge der Linken wie der Eintritt der Sozialdemokraten (SPD) in die Reichsregierung unter Kanzler Gustav Stresemann am 13. August riefen auf Seiten der bayerischen Rechten die Angst vor einer Bolschewisierung des Reichs hervor. In diesen rechten Kreisen wurden nun vielfach Überlegungen angestellt, die Staatsregierung mithilfe der Notstandsvorschrift der bayerischen Verfassung (Art. 64) durch ein mit diktatorischen Vollmachten ausgestattetes Generalstaatskommissariat zu ersetzen. Als Vorsitzender wurde der ehemalige Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr genannt.
Der Moment, diese Überlegungen in die Tat umzusetzen, kam, als im September 1923 abzusehen war, dass der passive Widerstand gegen die Ruhrbesetzung bald erfolglos würde aufgegeben werden müssen. Man erwartete, dass diese nationale Niederlage einen Putsch der Rechten und entsprechende Gegenmaßnahmen der Linken auslösen würde. Als Vorbereitung eines solchen Staatsstreichs wurde die Unterstellung des einflussreichen "Deutschen Kampfbundes" unter die "politische Leitung" Adolf Hitlers am 25. September gedeutet. Als Reaktion beschloss die bayerische Staatsregierung am 26. September die Übertragung der Exekutive auf ein dem Gesamtministerium unterstehendes Generalstaatskommissariat unter von Kahr. Dieser nutzte seine Vollmachten, um das nach der Ermordung Walther Rathenaus erlassene Republikschutzgesetz, durch das republikfeindliche Organisationen verboten werden konnten, in Bayern außer Vollzug zu setzen. Die meisten vaterländischen Verbände stellten sich hinter von Kahr, nicht jedoch die Nationalsozialisten.
Zweideutige Äußerungen einflussreicher bayerischer Politiker wie des Ministerpräsidenten Eugen Ritter von Knilling schürten wiederum im Reich die Angst, Bayern könne sich von diesem losreißen oder einen rechtsgerichteten Putsch in Berlin unterstützen. Zudem war von Kahr als notorischer Unterstützer der republikfeindlichen Verbände bekannt. So übertrug Reichspräsident Friedrich Ebert noch am 26. September die Exekutive im gesamten Reich auf Reichswehrminister Otto Geßler, der diese wiederum an die Militärbefehlshaber delegieren konnte. Dieser erneute schwere Konflikt zwischen Bayern und dem Reich, in dessen Rahmen auch der Hitlerputsch am 9. November fiel, wurde erst am 14. Februar 1924 durch die Homburger Vereinbarung über die Rechtsstellung des bayerischen Landeskommandanten der Reichswehr beendet. Von Kahr trat daraufhin am 18. Februar zurück und wurde Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.
Literatur
BÜTTNER, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik. 1918-1933, in: BENZ, Wolfgang (Hg.), Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 18: 20. Jahrhundert (1918-2000), Stuttgart 2010, S. 171-767, hier 421.
HÜRTEN, Heinz, Revolution und Zeit der Weimarer Republik, in: SCHMID, Alois (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 4: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart, Teilbd. 1: Staat und Politik, München 22003, S. 439-498, hier 479-488.
Empfohlene Zitierweise
Ernennung Gustav Ritter von Kahrs zum Generalstaatskommissar in Bayern am 26. September 1923, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 17087, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/17087. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 24.10.2013, letzte Änderung am 10.03.2014.
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