Abtreibung

Nach moraltheologischem Verständnis der 1920er Jahre waren Abtreibungen ein Verbrechen und das Leben des Kindes war auch im Falle der Lebensgefahr für die Mutter zu schützen. Eine Abtreibung führte folglich aus kirchenrechtlicher Perspektive für denjenigen, der sie durchgeführt hatte, sowie für die Mutter zur sofortigen Exkommunikation im Sinne einer Tatstrafe (cann. 2350 § 1 und 985 n. 4 CIC/1917). Im Hintergrund standen hierbei das fünfte Gebot ("Du sollst nicht töten", Ex 20,13 und Dtn 5,17) und die Überzeugung, dass das Kind vom Moment der Zeugung an eine ganz beseelte Person sei (Simultanbeseelung), dem durch die Tötung die Taufe verweigert würde. Zudem galt das Leben als Geschenk Gottes, worüber die Eltern keinerlei Verfügung hätten.
Staatlicherseits wurden Abtreibungen im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 als Verbrechen mit bis zu 5 Jahren Zuchthaus bestraft (§ 218 RStGB). In den 1920er Jahren kam es zu Veränderungen, nachdem verschiedene Gruppen (insbesondere Sozialdemokraten, Kommunisten und Frauenrechtler) aufgrund der sozialen Not Reformen eingefordert hatten: Am 7. Mai 1926 wurde die Abtreibung nicht mehr als Verbrechen, sondern als Vergehen eingestuft und die Strafe zur Gefängnis- bzw. einer Geldstrafe gemildert. Am 11. März 1927 entschied das Reichsgericht zudem die Straffreiheit einer Abtreibung, wenn diese durchgeführt wurde, um das Leben der Mutter zu retten. Hier wurde das Prinzip der Güterabwägung angewandt und das Leben der Mutter als schützenswerter angesehen als das des ungeborenen Kindes.
Quellen
Ex 20,13, in: Die Bibel [Einheitsübersetzung 2016], in: www.bibleserver.com (Letzter Zugriff am: 07.11.2018).
Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des von den Abgeordneten Müller (Franken) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des Strafgesetzbuchs, in: Verhandlungen des Reichstages, III. Wahlperiode, Bd.: 390, Berlin 1926, 196. Sitzung, Freitag den 7. Mai 1926, S. 7052-7066, in: www.reichstagsprotokolle.de (Letzter Zugriff am: 24.04.2018).
GASPARRI, Pietro (Hg.), Codex Iuris Canonici Pii X Pontificis Maximi iussu digestus, Benedicti Papae XV auctoritate promulgatus, Rom 1917, S. 281 f., 642, in: www.archive.org (Letzter Zugriff am: 03.07.2018).
I 105/26 (11.03.1927), Enthält § 218 Abs. 1--3 StGB. n. F. gegenüber § 218 Abs. 1 und 3 StGB. a. F. eine tatbestandliche Änderung?, in: Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen 1880 bis 1945 61 (1928), S. 242-259, in: www.rgst.staatsbibliothek-berlin.de (Letzter Zugriff am: 24.04.2018).
Literatur
HÜRTH, Franz, Zum Eingriffsrecht in das keimende Leben, in: Stimmen der Zeit 116 (1929), S. 33-47.
SCHILLING, Otto, Abtreibung, in: Lexikon für Theologie und Kirche 1 (1930), Sp. 54 f.
SPIEKER, Manfred, Kirche und Abtreibung in Deutschland. Ursachen und Verlauf eines Konflikts, Paderborn 22008, S. 15-20.
Empfohlene Zitierweise
Abtreibung, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1821, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1821. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 29.01.2018, letzte Änderung am 25.02.2019.
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