Konferenz von Locarno vom 5. bis 16. Oktober 1925

Nach der Niederlage des Deutschen Reichs im "Ruhrkampf" 1923 und der Entschärfung des Dauerkonfliktes um die Reparationen im Dawes-Plan von 1924 setzte sich in der deutschen Außenpolitik, insbesondere bei Außenminister Gustav Stresemann, die Einsicht durch, dass ein Wiederaufstieg Deutschlands nicht durch Konfrontationspolitik, sondern nur durch Kooperation mit den Westmächten möglich sein würde. Die Normalisierung des Verhältnisses zu Frankreich spielte dabei eine zentrale Rolle.
Im Januar 1925 ergriff Stresemann die Initiative und schlug seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand einen Sicherheitspakt vor, in dem das Deutsche Reich seine im Vertrag von Versailles vorgeschriebene neue Westgrenze anerkennen und sich beide Staaten zu gegenseitigem Gewaltverzicht verpflichteten sollten.
Frankreich verlangte jedoch aus Rücksicht auf seine ostmitteleuropäischen Verbündeten auch für die deutsche Ostgrenze eine entsprechende Garantie, was für den deutschen Außenminister aus innenpolitischen Gründen nicht in Frage kam.
Auf der Konferenz von Locarno vom 5. bis 16. Oktober 1925 konnte eine Lösung gefunden werden. Das komplexe Vertragswerk enthielt als wichtigste Bestimmungen die "Unverletzlichkeit" der im Versailler Vertrag festgelegten deutsch-französischen und deutsch-belgischen Grenzen, also den endgültigen Verzicht auf Elsass-Lothringen und Eupen-Malmedy, den gegenseitigen Gewaltverzicht dieser drei Staaten sowie die Entmilitarisierung des Rheinlandes. Für diesen Teil des Vertragswerkes übernahmen Großbritannien und Italien die Garantie. Hinzu kamen Schiedsverträge des Deutschen Reichs mit Polen und der Tschechoslowakei. Schließlich wurde vereinbart, dass das Reich dem Völkerbund beitreten und einen ständigen Sitz im Völkerbundsrat erhalten sollte.
Mit den Verträgen bestand zwar nach wie vor ein Konfliktpotential im Osten des Reichs, aber Veränderungen des Staus quo sollten fortan auf friedlichem Wege erreicht werden. In Europa wurde die außenpolitische Wende Deutschlands sehr positiv aufgenommen. Im Reich selbst gab es darum große Konflikte. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) verließ aus Protest die rechtsbürgerliche Koalition Hans Luthers. Die Annahme der Verträge im Reichstag am 27. November 1925 war nur mit Stimmen der oppositionellen SPD möglich. Sie wurden schließlich am 1. Dezember 1925 feierlich in London unterzeichnet.
Das Deutsche Reich befreite sich mit den Verträgen von Locarno aus der außenpolitischen Isolation und wurde wieder gleichberechtigt unter die führenden Mächte aufgenommen. Die Gegner der Verträge sahen dagegen nur, dass die territorialen Verluste des Versailler Vertrags akzeptiert wurden.
Literatur
BREUER, Marten / WEISS, Norman (Hg.), Das Vertragswerk von Locarno und seine Bedeutung für die internationale Gemeinschaft nach 80 Jahren. Ergebnisse eines interdisziplinären Rundtischgesprächs (Studien zum Öffentlichen Recht, Völker- und Europarecht 13), Frankfurt/M. u. a. 2007.
BÜTTNER, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, in: BENZ, Wolfgang (Hg.), Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 18: 20. Jahrhundert (1918-2000), Stuttgart 102010, S. 171-767, hier S. 574-576.
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Empfohlene Zitierweise
Konferenz von Locarno vom 5. bis 16. Oktober 1925, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 3077, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/3077. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 25.03.2013.
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