Preußisches Kirchengesetz, betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen, vom 16. März 1910

Das preußische Kirchengesetz, betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen, vom 16. März 1910, das sogenannte Irrlehregesetz, entstand im Zuge des Konfliktes zwischen positiver und liberaler Theologie innerhalb der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union. Besonders das überkommene Entscheidungsverfahren bei Irrlehreverfahren stand in der Kritik. Einerseits widersprachen disziplinarrechtliche Urteile über Lehrfragen in den Augen beider Parteien dem rechten Verständnis der evangelischen Lehre. Andererseits kritisierten die Liberalen das Übergewicht der Positiven in den bisherigen Entscheidungsverfahren, bei dem das Evangelische Oberkonsitorium (EOK) federführend war.
Das Irrlehregesetz führte ein Feststellungsverfahren durch ein Spruchkollegium ein, das auf Antrag des EOK tätig wurde. Dieses bestand aus vier Vertretern des EOK, zwei Professoren der evangelischen Theologie, drei Vertretern der Generalsynode, dem zuständigen Generalsuperintendenten sowie drei Mitgliedern der jeweiligen Provinzialsynode. Wenn das Spruchkollegium eine Irrlehre feststellte, hatte dies die Erledigung des vom beklagten Geistlichen bekleideten Kirchenamts sowie den Wegfall der Rechte des geistlichen Standes zur Folge. Der betreffende Geistliche hatte die Möglichkeit, auf sein Amt zu verzichten. Erworbene Ruhegehaltsansprüche blieben jedoch bestehen. Gegen die Feststellung gab es keine Berufungsinstanz. Das EOK konnte aber gegebenfalls die verlorenen Rechte später zurückgeben. Darüber hinaus regelte das Gesetz das Beschlussverfahren in den Fällen, in denen gegen die Lehre eines anzustellenden Geistlichen Einsprüche erhoben wurden, sowie für solche Fälle, in denen einem Geistlichen die Berufung in ein geistliches Amt versagt wurde. Als Norm für die Beschlüsse zog das Gesetz die "maßgebende Bedeutung des in der heiligen Schrift verfaßten und in den Bekenntnissen bezeugten Wortes Gottes" (§ 1) heran.
Die Generalsynode beschloss das Gesetz am 11. November 1909 einstimmig, am 16. März 1910 wurde es vom König sanktioniert. Es galt bis zur "Ordnung des Verfahrens bei der Beanstandung der Lehre ordinierter Diener am Wort (Lehrbeanstandungs-Ordnung)" der Evangelischen Kirche der Union von 1963.
Quellen
Kirchengesetz, betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen, vom 16. März 1910, in: Kirchliches Gesetz- und Verordnungs-Blatt 34 (1910), Berlin 1910, S. 7-20.
Literatur
LESSING, Eckhard, Das Lehrbeanstandungsgesetz von 1910 (sog. Irrlehregesetz), in: ROGGE, Joachim / RUHBACH, Gerhard (Hg.), Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union, Bd. 2: Die Verselbständigung der Kirche unter dem königlichen Summepiskopat (1850-1918), Leipzig 1994, S. 401-408.
VIAF: 194759531
Empfohlene Zitierweise
Preußisches Kirchengesetz, betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen, vom 16. März 1910, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 3485, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/3485. Letzter Zugriff am: 23.04.2024.
Online seit 25.02.2019.
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