Dokument-Nr. 11615

Zum Kulturkampf in Rußland, in: Tremonia, Nr. 208, 30. Juli 1928
Aus Rußland kommen Meldungen, die ge[eig]net1 sind, das gesamte christliche Volk aufhorchen zu lasse[n.] Die kommunistische Regierung in Moskau hat es schon [unlä]ngst mit größtem Mißehagen empfunden, daß die breite Masse des Volkes, insbesondere die Bauernschaft, sich nicht so ohne weiteres den Glauben an Gott aus der Brust reißen läßt, wie es dem bolschewistischen Prinzip entspräche. Man fühlt sich in der Zentralregierung beunruhigt und sinnt auf geeignete Mittel, um diesem, vom kommunistischen Standpunkt aus gesehen, Uebel möglichst bald und gründlich abzuhelfen.
Die Agitationsabteilung des Zentralkomitees der russischen kommunistischen Partei mußte in Funktion treten. Die erhielt den Auftrag, die Propaganda zur Vernichtung des Gottesglaubens wirkungsvoller als bisher zu gestalten. Der "religiösen Gefahr" wird nun schärfste Fehde angesagt. Man hält es für unerläßlich, dem Volk die materialistische, gottlose Weltanschauung beizubringen. In den Hochschulen werden sogar Professuren für kritische Behandlung der Religion errichtet. Das beste Mittel zur Entchristlichung sieht man in religionsfeindlichen Filmen, mit denen die Masse jetzt gefüttert werden soll. Da man wohl kaum allzugroße Hoffnungen hat, die Erwachsenen zu Atheisten bekehren zu können, soll auf die Jugend ein ganz besonderes Augenmerk gerichtet werden. Stirbt die jetzige Generation aus, so soll der Nachwuchs als vollkommen ausgebildetes "gottloses Geschlecht" dastehen.
Bei den Gewaltmaßnahmen, die in Rußland auch in geistigen, religiösen Angelegenheiten angewandt zu werden pflegen, dürfte es den christlichen Organisationen nicht leicht fallen, den Kampf gegen die Gottesfeinde mit großem Erfolg aufzunehmen. Die Abwehr hat zwar eingesetzt, aber die Position ist nicht stark. Nicht zuletzt dürfte es auch der Mangel an Geldmitteln sein, wodurch die gläubigen Volksteile behindert werden. Will man Kurse abhalten, Bibliotheken einrichten, günstige Gelegenheiten schaffen, um dem bolschewistischen Treiben entgegenzuwirken, so braucht man ansehnliche Summen, die bei dem Wirtschaftssystem in Rußland nicht ohne weiteres zu beschaffen sind.
Hilfe von außen ist erst recht nicht zu erwarten, da bekanntlich die russischen Machthaber jede Bewegung beobachten und sofort unbarmherzig eingreifen, wenn sie sich in der Durchführung ihrer bolschewistischen Maximen beeinträchtigt glauben. Auch noch so gewaltige Protestkundgebungen im Ausland vermögen keinen Einfluß auszuüben, da sich die Sowjetleute im Gefühl ihrer unumschränkten Herrschaftsgewalt um nichts kümmern. Genau wie sie sich in politischer und wirtschaftlicher Beziehung abkapseln, wollen sie sich auch bei ihren kirchenfeindlichen Plänen nicht in die Karten schauen lassen. Daher kommt es auch, daß nur selten ungeschminkte Wahrheiten über die Grenze dringen können. Die christliche Welt außerhalb des russischen Reiches muß untätig zusehen, wie fanatische Gottesleugner am Werk sind, das Heiligste, was Menschen besitzen können, zu vernichten. Doch auch in Rußland wird der Tag kommen, an dem es ein böses Erwachen geben wird.
Dieses Dokument wird nicht ediert.
1Oben rechts hds. mit rotem Stift Eintrag "24a II"; zu Beginn ist das Papier an einer Stelle eingerissen, daher sind einige Zeichen nicht lesbar.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 30. Juli 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 11615, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/11615. Letzter Zugriff am: 28.04.2024.
Online seit 20.01.2020.