Dokument-Nr. 14078

Russische Kaiserproklamation. Großfürst Kyrill erklärt sich zum Zaren, in: [Unbekannt], 22. September 1924
Der russische Großfürst Kyrill Wladimirowitsch, der bis jetzt den Titel eines Hüters des kaiserlichen Thrones führte, hat soeben ein Manifest erlassen, in dem er sich zum Kaiser erklärt.
Das Manifest ist an das russische Volk gerichtet und wird aus folgenden hauptsächlichen Erwägungen motiviert:
Angesichts der Tatsache der Ermordung des Zaren Nikolaus II. und seiner ganzen Familie, sowie seines einzigen Bruders, des Großfürsten Michail Alexandrowitsch, ist es nach dem russischen Grundgesetz der Thronfolge unerläßlich, einen neuen Kaiser auszurufen. Dieser ist dem Gesetz zufolge unzweifelhaft der Großfürst Kyrill Wladimirowitsch.
Die in Rußland einsetzende ungeheure Hungersnot und das aufs neue bevorstehende große Sterben im russischen Volk zwingen zum Handeln. Insbesondere weil diesesmal die große Hilfe vom Auslande zu versagen droht. Ueberall in Europa und Amerika erwacht die Erkenntnis, daß dem russischen Volke nicht geholfen werden kann, weil die zu Hilfszwecken aufgetriebenen Summen den Massen des hungernden Volkes nicht zugute kommen, sondern von der Sowjetgewalt für Propaganda der Weltrevolution und Zwecke der 3. Internationale verwendet werden.
Zum Großfürsten-Thronfolger ernennt der neue Zar seinen (jetzt siebenjährigen) Sohn, den Prinzen Wladimir Kyrillowitsch.
Das Manifest:
Die Leiden des russischen Volkes sind grenzenlos.
Versklavt, zugrunde gerichtet, erschöpft, beleidigt in seinem Glauben, so stirbt unser Volk an den ungeheuer sich vermehrenden Krankheiten und Epidemien. Jetzt hat ein noch größeres Unglück Rußland betroffen – eine noch nie dagewesenen Hungersnot. Worte sind zu arm, um die Qualen der Mütter zu schildern – der ohnmächtigen Zeugen des Hungertodes ihrer Kinder.
Vor drei Jahren starben Millionen unserer Landsleute Hungers in demselben Rußland, das früher Ueberfluß an Brot hatte und die Kornkammer Europas war. Doch damals kamen das hochherzige, reiche und freigebige Amerika und verschiedene Organisationen der sterbenden Bevölkerung zu Hilfe und viele wurden gerettet.
Heute sind die Hoffnungen auf Hilfe aus dem Auslande vergeblich, weil die sittenlose kommunistische Macht, nachdem sie Rußland zugrunde gerichtet, seine Staatskasse und seine Reichtümer geraubt hat, sich durch die Ausfuhr von Getreide aus unserem hungernden Lande wieder neues Gold verschaffte. Das Gold brauchen die Kommunisten, um sich selbst zu bereichern, um in allen Ländern der Erde Wirren hervorzurufen und endlich die Weltrevolution zu erreichen.
Auch in diesem Jahre führen die Kommunisten noch Getreide aus, trotz der vollkommenen Mißernte in dem großen fruchtbaren, an Getreide reichsten Gebiet Rußlands.
Es ist vollkommen klar, daß Amerika sich weigern wird, neue Opfer zu bringen, in der Einsicht, daß sie nur zur Stärkung der zerstörenden Kraft der III. Internationale dienen werden.
Auf alle Meine Bitten um Hilfe für Rußland wird Mir stets die gleiche Antwort zu teil, daß bei der heutigen politischen Lage und während in Rußland die III. Internationale, der Feind der christlichen Zivilisation herrscht, dort keine Hilfe geleistet werden kann. Erst dann, wenn in Rußland die rechtmäßige Gewalt wieder ersteht, und wenn die gesetzliche Ordnungwie der hergestellt ist, können die bereits ausgearbeiteten Maßnahmen weitgehendster Hilfe in die Tat umgesetzt werden.
Möge die russische Armee, wenn sie auch die Rote genannt wird, in deren Reihen aber die gewaltsam hineingezwungenen ehrlichen Söhne Rußlands die Mehrzahl bilden, das entscheidende Wort sprechen, sich zum Schutze der zu Boden getretenen Rechte des russischen Volkes erheben und in Rußland Gesetz und Ordnung, so wie sie einst waren, wieder herstellen, indem sie das historische Vermächtnis wieder zum Leben erweckt: "für Glauben, Zar und Vaterland!"
Mit der Armee zusammen, möge die ungeheure Masse des Volkes aufstehen und ihren gesetzmäßigen Zaren berufen, der dann ein liebender, allverzeihender, sorgender Vater sein wird, der mächtige Herr des gewaltigen Russischen Landes. Ein Schrecken nur den Feinden und den bewußten Verderbern und Schändern des Volkes.
Der Zar wird die Kirchen wiederaufrichten, wird den Verirrten verzeihen und das Land als gesetzliches Eigentum den Bauern übergeben. Dann wird Rußland die Hilfe der Welt wider den Hunger zuteil werden, es wird errettet werden vom Untergang, wird in der Folge seine Wirtschaft aufbauen und Friede und Wohlstand werden wieder einkehren.
Schwer wird der Dienst des Zaren in dem verwüsteten und in seinen Grundfesten erschütterten Rußland sein. Nicht zum eigenen Ruhm, nicht für vergängliche Ehren oder aus Herrschsucht wird der russische Zar auf den Thron seiner Vorfahren zurückkehren, - sondern, um seine Pflicht vor Gott, seinem Gewissen und seinem Vaterlande zu erfüllen.
Indem ich zum heiligen Kampf, zur Befreiung unseres Vaterlandes von schmachvollem und Verderben bringenden Joche aufrufe, bin Ich
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als Erster verpflichtet, in vollem Umfange das Gesetz und meine Pflicht zu erfüllen, nicht zu schwanken und nicht darauf zu achten, daß ich gezwungen bin, gegenwärtig jenseits der Grenzen meines Vaterlandes zu leben.
Indem Ich den Segen des Höchsten auf Mich herabflehe, verkünde Ich dem russischen Volke:
Unsere Hoffnung, daß das teure Leben des Zaren Nikolaj Alexandrowitsch oder des Thronfolgers Alexei Nikolaiewitsch oder des Großfürsten Michail Alexandrowitsch uns erhalten geblieben sei, hat sich nicht erfüllt:
Die Zeit ist gekommen, es aller Welt bekannt zu geben: Am 4./17. Juli des Jahres 1918 sind in der Stadt Jekaterinburg auf Befehl einer internationalen Gruppe, die in Russland die Gewalt an sich gerissen hatte, der Zar Nikolai Alexandrowitsch, die Zarin Alexandra Feodorowna, deren Sohn, der Thronfolger und Zarewitsch Alexej Nikolajewitsch und deren Töchter, die Großfürstinnen Olga, Tatjana, Maria und Anastasia Nikolajewna auf bestialische Weise getötet worden.
In demselben Jahre 1918 wurde auch der Großfürst Michail Alexandrowitsch, der Bruder des Zaren, nicht weit von der Stadt Perm ermordet.
Die hellleuchtende Erinnerung an diese gekrönten Märtyrer wird unser wegweisender Stern zum Wiederaufbau des einstigen Wohlstandes unserer Heimat sein, der 4./17. Juli jedoch soll für alle Zeiten in Rußland ein Tag der Trauer, der Buße und des Gebetes sein.
Die russischen Thronfolgegesetze gestatten es nicht, daß nach der Feststellung des Todes eines Zaren und seiner nächsten Thronfolger der Zarenthron unbesetzt bliebe.
Der Nachfolger wird nach den gleichen russischen Gesetzen Zar, allein kraft der Gesetze der Thronfolge.
Der in Rußland neu auftretende Hunger und die verzweifelten Bitten um Hilfe, die aus der Heimat ertönen, fordern gebieterisch, daß das Rettungswerk an Rußland durch eine hohe, gesetzliche, außerhalb der Klassen und Parteien stehende Persönlichkeit geleitet werde.
Daher nehme ich, als der Aelteste der Zarendynastie und der einzige legitime Erbe des russischen Thrones, den mir unwiderruflich zustehenden Titel des russischen Imperators (Kaisers) an.
Meinen Sohn, den Fürsten Wladimir Kyrillowitsch, erkläre ich zum Thronfolger mit dem Titel: Großfürst und Thronfolger Zesarewitsch.
Ich schwöre und verspreche den orthodoxen Glauben und die russischen Thronfolgegesetze heilig zu halten und die unerschütterlichen Rechte aller Konfessionen zu schützen.
Das russische Volk ist groß und besitzt reiche Geistes- und Herzensgaben, großes Leid und Unglück sind jedoch sein Teil geworden. Die großen Prüfungen, die Gott ihm gesandt hat, werden es läutern und einer lichten Zukunft entgegenführen, und vor Gott aufs neue den heiligen Bund zwischen dem Zaren und seinem Volk festigen.
Gegeben am 31. August alten Stils 1924.
Kyrill
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 22. September 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 14078, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/14078. Letzter Zugriff am: 30.04.2024.
Online seit 18.09.2015.