Dokument-Nr. 16534

Rosenberg, Joseph Arnold: Denkschrift
über die wichtigsten Fragen der Polenpastoration im Bistum Paderborn im besonderen [sic] und in Preussen allgemein.. Paderborn, 11. Januar 1926

Die im östlichen Anteil der Diözese Paderborn (Provinz Sachsen nebst Freistaat Anhalt und Teilen von Gross-Thüringen) zahlreich vertretenen Landwirtschaftsbetriebe auf Rittergütern und Gütern mittleren Umfanges haben es seit langer Zeit mit sich gebracht, dass die dortigen Gutsherren die dazu benötigten landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus dem Osten, besonders aus den polnischen Gebieten heranzogen. Solange die Verhältnisse normal waren, konnte die katholische Geistlichkeit die Seelsorge dieser meist katholischen Saisonarbeiter mit befriedigendem Erfolge unter Mitarbeit sprachkundiger Diözesanpriester und Zuhilfenahme polnischer Ordensleute ausüben. Dadurch, dass die Ausländer gesetzlich verpflichtet waren, in den Spätherbstmonaten bis zum 1. Februar des folgenden Jahres wieder in der Heimat zu verweilen (sogen. Karenzzeit), wurden die infolge des Zusammenlebens in den Gutskasernen verursachten moralischen Schäden durch nachfolgende Eheschliessung in der Heimat und Sakramentenempfang, wie auch durch den religiösen Einfluss der Umgebung meist gehoben. So bildeten vor dem Kriege die katholischen polnischen Landarbeiter einen wichtigen Faktor in unseren Diasporagemeinden.
Durch den Krieg mit Russland, welches auch weite polnische Gebiete umfasste, wurden die bisher geordneten Verhältnisse verwirrt. Die Polen mussten unter strenger behördlicher Aufsicht die ganzen Kriegsjahre im Bereiche des Deutschen Reiches bleiben. Die Beschaffung der Ehepapiere aus dem okkupierten Polen machte erhebliche Schwierigkeiten, die auch durch die Erleichterungen seitens der preussischen Ministerien, 1.1128 Justizminist. 1. e533 Minist. d. Inn. vom 8. März 1916 nicht behoben wurden.
22v
Nach der Errichtung des polnischen Staatswesens wurden die Heiratsmöglichkeiten der polnischen Landarbeiter noch mehr verringert, teils durch Saumseligkeit der polnischen weltlichen wie auch kirchlichen Behörden, teils durch rigorose, kleinliche Bedingungen seitens derselben. Die Beschaffung solcher Papiere dauerte oft monatelang, die Gebühren waren oft sehr hoch.
In Deutschland selbst begegnete die von den polnischen Brautleuten erstrebte kirchliche Trauung den grössten Schwierigkeiten durch § 67 des Personenstandsgesetzes, welches die kirchliche Trauung erst nach standesamtlicher Trauung aufgrund der vollzählig vorhandenen Ehepapiere gestattet, den Geistlichen aber, der das Gesetz, sei es auch aus Gewissensnot übertritt, mit Strafe belegt. So leiden unter diesem Hindernis nicht nur die Brautleute, sondern auch die Seelsorger, die in zahlreichen Fällen in Konflikt mit den Staatsgesetzen kamen, weil sie in ihrer Gewissensnot getraut haben ohne Papiere, um sündhafte Verhältnisse zu beseitigen. Dazu kommen die schlechten Wohnungsverhältnisse in zahlreichen Gutskasernen, wodurch der sittliche Stand der polnischen Landarbeiter beklagenswert gesunken ist.
Alles zusammengenommen hat bewirkt, dass das religiöse Leben unter den Polen in der mitteldeutschen Diaspora ganz verwildert ist. Selbst der eifrigste Seelsorger, der etwa der polnischen Sprache kundig ist, kann nichts mehr ausrichten. Die Beteiligung am kirchlichen Leben ist auf etwa ein Drittel gesunken. Das bedeutet für den Diasporakatholizismus und für das Ansehen der katholischen Kirche bei Andersgläubigen einen harten Schlag.
An Vorstellungen bei den Staatsbehörden seitens einzelner Bischöfe hat es nicht gefehlt. Auch die letzten amtlichen Erleichterungen (Runderlass d. pr. Min. d. Inn. 1.e.402 vom 17/7. 1925) als Folge dieser Bemühungen haben keine wesentliche Abhilfe geschaffen. Die angeregte Widereinführung der Karenzzeit würde für viele Polen, die sich der Militärpflicht durch
23r
Aufenthalt in Deutschland entzogen haben (es sind auch Familienväter darunter) beim Eintritt in die Heimat die unangenehmsten Folgen haben. Vielleicht würde sie auch, falsch ausgelegt, Gegenmassregeln seitens Polens bewirken. Tatsächlich ist sie auch nicht von den staatlichen Behörden angeordnet, vielmehr nur die freiwillige Rückkehr erleichtert, wovon aber nicht in dem Masse Gebrauch gemacht wird, dass von einer Abhilfe gesprochen werden kann. Diese kann erst gründlich erfolgen durch einheitliche Regelung der ganzen Frage, wozu folgende Vorschläge gemacht werden.
1.  Diözesan-Zentrale.
Die Aufgabe der Diözesanzentrale ist hauptsächlich eine seelsorgerische. An der Spitze derselben steht ein die polnische Sprache beherrschender, vom Bischof zu ernennender Leiter, dem die Gesamtleitung der Polenseelsorge im östlichen Anteil zu übertragen ist. Die Tätigkeit der Diözesanzentrale umfasst folgende Gebiete:
a) Einheitliche Regelung der Pastoration an solchen Orten, wo der Geistliche nicht genügend des Polnischen mächtig ist, nach einem jährlich aufzustellenden Plan unter Berücksichtigung der einzelnen Bedürfnisse, wie schon länger bei uns üblich. Sie hat auch die Missionare zu bestellen und zu verteilen. Für Not- und Sonderfälle besorgt sie auch Vertretung für etwa zur Polenseelsorge heranzuziehende Diözesangeistliche.
b) Uebernahme von beglaubigten Uebersetzungen von Urkunden, um unnötigen Zeitverlust und hohe Taxen zu vermeiden.
c) Auskunftsstelle über polnisch-religiöse Literatur, Zeitungen, Zeitschriften. Angabe von Buchhandlungen, Devotionalienhandlungen etc.
d) Unterbringung von Priestern und Theologiestudierenden im polnischen Osten zwecks Erlernung oder Vervollkommnung in der polnischen Sprache.
e) Sie führt eine möglichst genaue Statistik über ihren Bezirk, tun-
23v
lichst auch eine Kartothek.
An diese Diözesanzentrale werden alle Diasporapriester emtlich [sic] verwiesen, damit in der Pastoration keine Lücke entsteht.
Der vom Bischof in Paderborn angestellte Lektor an der Akademie und Priesterseminar, der die Theologen mit der polnischen Sprache bekanntzumachen bezw. geeignete Herren weiterzubilden hat, muss von den wichtigsten Arbeiten der Zentrale unterrichtet und zu der Leitung der Zentrale als beruflich interessiert in amtliche Beziehungen gestellt werden.
2.  Gemeinsame Zentrale.
Die Behandlung der polnischen Nupturienten wird, da die Schwierigkeiten in allen Diözesen die gleichen sind, einer gemeinsamen Zentrale zugewiesen. Auf die trostlosen Zustände in der Eheschliessungsfrage ist bereits eingangs hingewiesen worden.
a) Ihre erste Aufgabe wird es daher sein, die Beschaffung der Ehepapiere zu übernehmen. Sie bedient sich bei den Gesuchen an die zuständigen Stellen einheitlicher Formulare, zu deren ausschliesslicher Verwendung alle Seelsorger zu verpflichten sind. Die beglaubigte Uebersetzung übernimmt am besten die Diözesanzentrale. Sollte es zur Vereinfachung des Geschäftsverkehrs praktischer erscheinen, die Uebersetzung der gemeinsamen Zentrale zuzuweisen, dann muss Punkt 1 b) bei der Diözesanzentrale gestrichen werden.
Um andererseits der Tätigkeit dieser gemeinsamen Zentrale den nötigen Nachdruck zu verleihen, ist sie einem deutschen Bischof zu unterstellen, der die Leitung auf Vereinbarung mit den interessierten Diözesen übernimmt. Wir würden es begrüssen, wenn Eminenz Kardinal Bertram, der bereits für sein Fürstbistum eine vorzüglich arbeitende Zentrale geschaffen hat, für die Leitung der gemeinsamen Zentrale gewonnen werden könnte. Dadurch wird es auch möglich sein, mit dem polnischen Episkopat Fühlung zu nehmen, dass
24r
dieser gleichfalls gemeinsame Anordnungen an die unterstellten Pfarrämter erlässt.
b) Sie hat auch dafür Sorge zu tragen, dass die Wohnungsverhältnisse in den Gutskasernen endlich gebessert werden. Soweit wir unterrichtet sind, obliegt den Kreisärzten die Beaufsichtigung dieser Wohnungen. Gute Dienste wird hier die Verbindung mit katholischen Parlamentariern leisten, denen die gesammelten Berichte über die Zustände in den Kasernen unterbreitet werden müssten.
Andere Anregungen schlagen die Einstellung von Inspektoren vor, die als öffentliche Beamte, ähnlich den Fabrikaufsichtsinspektoren, die Kontrolle ausüben. Die in Berlin SW 11, Hafenplatz 4 befindliche "Deutsche Arbeiterzentrale" bezw. deren Inspektoren müssten als solche Kontrollinstanz anerkannt werden. Die gemeinsame Zentrale hat den Geschäftsverkehr mit dieser Instanz zu führen...
Unseres Erachtens können auf dem angegebenen Wege die Schwierigkeiten bei der Polenseelsorge beseitigt werden.
Empfohlene Zitierweise
Rosenberg, Joseph Arnold, Denkschriftüber die wichtigsten Fragen der Polenpastoration im Bistum Paderborn im besonderen[sic] und in Preussen allgemein., Paderborn vom 11. Januar 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16534, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16534. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 29.01.2018.