Dokument-Nr. 17447
Gier SVD, Wilhelm an Pacelli, Eugenio
Rom, 12. April 1929

Exzellenz!
Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius!
Ew. Exzellenz danke ich von Herzen für die werten Zeilen vom 6. cr. und beehre mich, im folgenden mitzuteilen, was ich in Ausführung des früher gegebenen Versprechens habe tun können. Ich beauftragte einen unserer Patres, die religiöse Notlage der chinesischen Studenten in Deutschland näher zu studieren und ebenso die Mittel, die man anderswo, besonders in Belgien, anwendet, um Hülfe zu schaffen. Zugleich korrespondierte ich darüber mit unseren Missionsbischöfen in China. Das Resultat von allem, was ich bisher erfahren konnte, lege ich in folgenden Punkten vor:
1) Wenn man diese Studenten sammeln und religiös beeinflussen will, dann ist an erster Stelle ein geräumiges und guteingerichtetes Haus notwendig, das ihnen ein billiges und behagliches Heim bietet, und zwar in einer Universitätsstadt, wo katholische Luft weht und das katholische Leben in Blüte ist, z. B. in Münster oder Würzburg, allenfalls auch noch in Bonn, Cöln oder München. In Städten von der Art Berlin's, wo der größte Teil der Bevölkerung protestantisch oder dem modernen Heidentum verfallen ist, wo man in der Oeffentlichkeit von katholischem Leben kaum etwas merkt, wo namentlich die Universität ganz ungläubig ist, da ist nicht das rechte Milieu, um Studenten aus heidnischem Lande die rechte Idee von den Herrlichkeiten der katholischen Kirche beizubringen und sie dafür zu gewinnen.
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2) Es dürfte sehr schwer, wenn nicht unmöglich sein, in Deutschland aus Privatmitteln ein solches Studentenheim einzurichten und zu unterhalten. Von sehr zuverlässiger Seite wurde mir hier in Rom versichert, in dem von P. Lebbe eingerichteten Heim für chinesische Studenten in Louvain befänden sich gewöhnlich zwanzig bis dreißig katholische Chinesen, für den Unterhalt des Werkes aber wären wöchentlich 5.000 Frcs. erforderlich. Ich konnte nicht erfahren, woher man diese Gelder nimmt; P. Lebbe ist ja inzwischen nach China zurückgekehrt. Jedenfalls darf ich nicht daran denken, eine ähnliche Summe aus den zur Verfügung stehenden Misstonsgeldern unseren Apostolischen Vikaren in China zu entziehen, um sie für eine kleine Anzahl chinesischer Studenten in Deutschland auszugeben. In China selbst lassen sich ja mit diesen Geldern leicht Tausende von Seelen retten, während es immer nur wenige sind, denen man in Europa damit beikommen kann.
3) Man könnte also in Deutschland nur unter der Voraussetzung einer bedeutenden und fortlaufenden Subvention von hoher staatlicher oder auch kirchlicher Seite an die Einrichtung eines solchen Studentenheimes denken. Zum Glück ist ein Anfang dieser Art gemacht worden durch den Bau einer großen Studenten–Burse durch Msgr. Schreiber in Münster. Wie ich höre, ist das geräumige und guteingerichtete Haus nahezu fertig und bietet Raum für weit über hundert Studenten. Münster ist nahezu einee ganz katholische Stadt und der Name des Msgr. Schreiber garantiert dafür, daß die seelsorgliche Betreuung der Studenten in gute Hände gelegt und mit Eifer betrieben werden wird.
4) Die Anwesenheit eines chinesischen Missionars würde vielleicht
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einzelne Vorteile bieten, ist aber durchaus nicht notwendig; denn da die Studenten die Universität besuchen, sind sie auf Erlernung der Landessprache angewiesen. Auch kann ich mich, nachdem ich der Sache länger nachgegangen bin, der Ueberzeugung nicht erwehren, daß es eine Illusion ist, von einem Wandermissionar etwas Bedeutendes zugunsten der chinesichen Studenten in Deutschland zu erwarten. Aus der Ferne mag die Idee verlockend aussehen, aber sobald man ihrer Ausführung nähertritt, sieht man, daß sie nicht nur äußerst kostspielig, sondern auch wenig fruchtbar sein würde. Uebrigens befinden sich fast immer Missionare aus China zur Erholung oder zum Sammeln in Deutschland und durch gelegentliche Besuche in Münster könnten sie manche Anregung bieten und empfangen. Das Wichtigste und durchaus Wesentliche bleibt aber das Heim selber und die katholische Umgebung.
5) Unter den obwaltenden Umständen scheint es mir die praktische Lösung der Frage nur dann möglich und aussichtsvoll zu sein, wenn von seiten der S. Congregatio de Propaganda Fide den Apostolischen Vikaren in China Mitteilung gemacht wird, daß sie ihren katholischen Studenten, die in Deutschland sind oder dorthin wollen, die Universität Münster nebst der genannten Burse warm empfehlen, da sie dort an Leib und Seele gut aufgehoben und vielen Gefahren entrückt sind, denen sie an anderen Universitäten leicht zum Opfer fallen. Ist einmal der Anfang mit einigen chinesischen Studenten gemacht, dann werden sich infolge persönlicher Beziehungen leicht andere anschließen.
Das ist es, was ich Ew. Exzellenz in der angeregten Frage mitteilen kann. Damit verbinde ich die ehrfurchtsvolle Bitte, bei der S. Congregazione de Propaganda Fide im angedeutenden [sic] Sinne Schritte zu tun, falls es Ew. Exzellenz passend scheint.
Leider sind meine Bemühungen um Ueberlassung eines chinesischen
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Missionars für den bewußten Zweck noch nicht zu einem befriedigenden Resultat gekommen. Wäre nicht gerade jetzt in China eine Zeit des Ueberganges, die mit allen zur Verfügung stehenden Kräften ausgenützt werden muß, dann ließe sich leichter ein tüchtiger Mann frei machen. Ich werde mich aber weiter im Sinne Ew. Exzellenz bemühen, wenn ich auch glaube, daß die Lösung der Frage selbst nicht davon abhängig ist und es deshalb auch nicht nötig ist, darauf zu warten.
Ew. Exzellenz danke ich eigens in unser aller Namen für die freundlichen Glückwünsche zu unserer Uebersiedlung nach der Ewigen Stadt. Es geht uns hier recht gut und ich fange jetzt an besser zu Verstehen, wie viele und wie große persönliche Opfer der lange Aufenthalt jenseits der Alpen für Ew. Exzellenz mit sich bringen muß, sowohl in Anbetracht der geistigen Oede einer ganz protestantischen Umgebung als auch der Unfreundlichkeit des nordischen Klimas. Das ist sicher etwas von den "flumina Babylonis". Mein inständiges tägliches Gebet ist es, daß Gottes Güte Ew. Exzellenz diese Opfer hundertfach lohne und sie auch zum Wachstum und zur Erhöhunng der heiligen katholischen Kirche in Deutschland gereichen lasse.
Mit ehrfurchtsvollem Gruße und der Bitte um den bischöflichen Segen für uns alle verbleibe ich
Ew. Exzellenz
in visceribus Christi et Mariae
dankbarst ergebener Diener
P. Wilhelm Gier.
Empfohlene Zitierweise
Gier SVD, Wilhelm an Pacelli, Eugenio vom 12. April 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17447, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17447. Letzter Zugriff am: 17.05.2024.
Online seit 20.01.2020.