Dokument-Nr. 18797

Papst Pius XI., in: Rhein-Mainische Volkszeitung, Nr. 124, 31. Mai 1927
Papst Pius XI.
wird am heutigen Tage siebzig Jahre alt. Die Gedanken von Millionen Katholiken aller Zonen und Nationen treffen sich heute in Rom, wo Achille Ratti die höchste Würde, die ein Erdensohn tragen kann, die Nachfolgeschaft Petri, verwaltet. Die Katholiken wissen, was diese Würde bedeutet. Ihr Geburtstagsglückwunsch verbindet sich mit dem Dank, dem sie dem Manne schulden, der sich diesem schwersten aller Aemter nicht entzogen hat.
Die Glieder der Kirche beugen sich in Ehrfurcht cor dem, den sie den „heiligen Vater“ nennen; er ist die Stufenleiter der kirchlichen Würden emporgestiegen, weil sein Geist, seine Arbeit und sein Leben ihn dazu befähigten; aber wer an die göttliche Leitung der Kirche glaubt, weiß auch, daß er ausgelesen ist , herausgehoben aus Tausenden, bekleidet mit einem Amt, daß so nahe am Göttlichen ist, wie kein anderes Amt unter den Menschen. Die Bewußtsein wirft die Gläubigen auf die Knie, wenn der päpstliche Thron in die majestätischen Hallen der Peterskirche getragen wird. Aber den Menschen, dessen Geist und Seele diese Würde tragen muß, lieben wir. Wir würden ihn schon um seiner Aufgabe willen lieben, auch wenn wir nicht wüßten, wie gütig und liebenswert dieser Achille Ratti ist, dessen menschliches Herz unter den Gewändern seiner päpstlichen Würde klopft.
Papst Pius XI. kommt aus der Laufbahn des Gelehrten: einen guten Teil seiner Lebensarbeit hat er in der Mailändischen Ambrosiana und der Vatikanischen Bibliothek gewidmet. Nur ein Jahr war er Erzbischof von Mailand und Kardinal. Daß er aber mehr war als ein trockener Studiengelehrter, wird plötzlich – wenn man nicht schon seine Alpinismus als Gegenargument werten will – durch seine hochpolitische Sendung nach Polen erhellt. Diese Sendung ist beinahe prototypisch für seine päpstliche Aufgabe geworden: sie ist durch die Notwendigkeit der Konsolidierung nach den Wirren des Krieges und seiner Liquidationszeit gestellt. Sie verlangt einen Mann, der großen Weitblick und Sinn für die entscheidenden Zusammenhänge mit Nüchternheit und Beharrlichkeit verbindet. Diese Aufgabe ist nicht leicht; sowohl die äußere Behandlung und Erledigung der laufenden Konflikte als auch die Wahl des rechten Kurses überhaupt, des Kurses, der zwischen Aufgeschlossenheit und Befestigung die rechte Mitte nimmt, erfordert eußergewöhnllichen Mut und außergewöhnliche Fähigkeit. Die russische Frage, die mannigfachen Schwierigkeiten mit den neuen Staaten im Osten und auf dem Balkan, die Konkordatsfrage in Deutschland, der Konflikt mit dem französischen Nationalismus, die außerordentlich kritische Frage der Stellung zum Faschismus im eigenen Land, schließlich Mexiko; das ist ein gerütteltes Maß von Sorgen und Arbeiten. Alle diese Dinge sind im Fluß und verlangen ständig mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt zu werden. Dabei ist von den geistigen Bewegungen innerhalb der Kirche, die für den Obersten Hirten Hoffnungen und Sorgen zugleich bedeuten, noch nicht einmal die Rede gewesen.
Die Päpste pflegen nicht mehr jung zu sein, wenn sie an die Spitze der Kirche berufen werden. Auch Pius XI. hat nun das Alter erreicht, mit dem wir die Lebensaufgabe des normalen Menschen erfüllt ansehen. Aber für ihn gibt es die Ruhe des Alters nicht, die sonst diesem jetzt begonnenen achten Jahrzehnt gegönnt wird. Für ihn wird das Leben bis zum letzten Atemzug viel Mühe und Arbeit und eine fast untragbare Verantwortung bedeuten. Wenn einer die Glück-Wünsche einer Menschheit verdient und auf die Gebetskraft einer Kirche angewiesen ist, dann ist es dieser Mensch, von dem das Größte seines Lebens im achten Jahrzehnt gefordert wird. Gewiß wird man überall auf der Welt den heutigen Tag zum Anlaß nehmen, um sich seiner Pflichten gegen den Nachfolger Petri bewußt zu werden und ihn seiner Liebe und Ehrfurcht zu versichern.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 31. Mai 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18797, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18797. Letzter Zugriff am: 27.04.2024.
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