Dokument-Nr. 20803

Die Christenverfolgung in Rußland, in: Katholische Korrespondenz, Nr. 117, 19. November 1929
Die Christenverfolgung und der Kampf gegen alles Religiöse scheinen in Rußland ihrem Höhepunkt entgegenzugehen. Die Grausamkeiten gegen die Priester, die in den Solowezki-Gefängnissen im Weißen Meer einem sicheren und baldigen Tod überantwortet werden, sind bekannt. Jetzt sollen auch die Gotteshäuser verschwinden.
Die Sowjetregierung wendet hauptsächlich drei Methoden an, um dieses Ziel zu verwirklichen.
Die erste ist die brutalste. Die Kirchen werden einfach unter irgend einem nichtigen Vorwand dem Erdboden gleichgemacht. So ist, um Beispiele aus der allerletzten Zeit anzuführen, in Twer das Heiligtum Unserer Lieben Frau am Eingang zum Roten Platz, neben der alten Duma, im August dieses Jahres niedergelegt worden. Das Heiligenbild hat man in die Nikolauskirche beim Nikita-Tor geschafft. Im gleichen Monat hat man die Kirche des Skorbliachtekersky-Klosters abgebrochen. Im September sind das Tchoudow-Kloster und das Himmelfahrtskloster am Kreml verschwunden.
Die zweite Methode: Beschlagnahme der Kirchen, um aus ihnen Klubhäuser oder sonstige "Zentralen der öffentlichen Wohlfahrt" zu machen. Diese Methode ist praktischer als die erstgenannte. Die Regierung verschafft sich so Häuser zu sehr billigem Preis. Ein Beispiel: In Leningrader Arbeiterversammlungen ist diesen Sommer verschiedene Male der Antrag gestellt worden, die Kathedrale der Stadt zu schließen und in eine Zentrale für nationale Minderheiten umzuwandeln. Die Sowjet-Bezirksstelle hat beschlossen, diesem Antrag stattzugeben.
Daß die Sache mit der Beschlagnahme der Kirchen aber nicht immer so einfach geht, dafür zwei andere Beispiele: Am 28/29 Juni dieses Jahres wollte sich in einem Ort des Donez-Beckens eine Komsomol-Bande der orthodoxen Kirche bemächtigen. Daraufhin wurden das ganz in der Nähe liegende Hüttenwerk und die benachbarten Zechen alarmiert. Es kam zu einer regelrechten Schlacht um die Kirche herum. 7 Tote auf Seiten der Komsomols, 8 auf Seiten der Gläubigen. 14 Schwerverwundete, etwa hundert, die sich von der Ambulanz behandeln lassen mußten. Nach Ablauf einer Woche wurden die Komsomols unter Fanfarengebläße bestattet während man die Leichen der Gläubigen noch um die Kirche herum liegen ließ.
In einem Dorfe nicht weit weg davon hatten die Gottlosen das Kreuz von der Kirche heruntergeholt. Die Dorfbewohner kamen daraufhin vom Felde ins Dorf zurück, voraus die Frauen, mit Eisenstücken bewaffnet, die Männer dahinter mit Sensen und Gabeln, und drohten, mit den Gottesräubern kurzen Prozeß zu machen. Diese bekamen Angst und fragten telegraphisch in Charkow an, ob man auf die Menge schießen solle. Aber die Behörde in Charkow hatte noch größere Angst: Das Kreuz wieder an seine Stelle bringen und sich zurückziehen - lautete der Bescheid.
In X hatte man eine Hetze inszeniert, um die Schließung der großen Stadtkirche durchzusetzen. Man sammelte in Hütte und Zechen 12000 Unterschriften für die Schließung. Als
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dann die Komsomols zur Ausführung schreiten sollten, umstellten die Gläubigen die Kirche eine ganze Woche Tag und Nacht. Ein Komsomol-Mädchen, das sich in der Kirche durch Gotteslästerung hervortat, wurde halb totgeschlagen. Echt russisch übrigens: Die Unterzeichner für Schließung der Kirche waren mit bei der Verteidigung des Gotteshauses. Sie hatten auf der Arbeitsstätte nur aus Angst unterschrieben. Man hat den Versuch der Kirchenschließung aufgegeben, und die Zechenarbeiter haben erklärt, wenn man die Kirche schließe, würden sie diese mit ihren Hauen wieder öffnen.
Die dritte Methode, die schlaueste, weil nach außen hin weniger gehässig, weil das eigentliche Ziel: Religionshaß und Christenverfolgung etwas verdeckend: Die Gotteshäuser werden derart maßlos besteuert, daß die Gläubigen sie trotz größtem Heroismus nach kurzer Zeit einfach nicht mehr halten können. Diese Methode scheint uns freilich die gemeinste zu sein.
Im September ist tatsächlich der Bescheid gekommen, daß alle Kirchen, in denen irgend welche Gegenstände wie Kerzen, Rosenkränze, gedruckte Gebete verkauft, oder Kränze für Trauungen und Leichenbegängnisse u.ä.ausgeliehen werden, als Handelsunternehmungen gelten sollen. Dementsprechend werden die Pfarrer veranlaßt, eine Vorbezahlung von mehreren hundert Rubel (1 Rubel = 2,16 Mark) zu leisten und inzwischen die endgültige Auflage abzuwarten, die sich dann auf mehrere tausend Rubel belaufen wird.
In X sollte die Kirche geschlossen werden, wenn nicht sofort 150 Rubel bezahlt wurden. Ein Pfarrkind, eine gute Frau, hat das Geld beigebracht.
Eine kleine Kirche in einer Großstadt muß dieses Jahr unter dem Vorwand, ein Handelsunternehmen zu sein, mehr als 800 Rubel Steuern bezahlen, von den außerordentlichen Abgaben gar nicht zu sprechen.
Selbst die Kinder in den Krankenhäusern lassen die Gottlosen nicht in Ruhe. Man nimmt ihnen die Kreuzchen und Medaillen weg. Wie sinnlos roh man vorgeht, eigt folgendes Beispiel: Eine Mutter, Katholikin, nahm, wenn sie zur Kirche [g]ing, auch ihr kleines Mädchen mit, da sie es nicht allein zu Hause lassen konnte. In den ersten Oktobertagen verschwand das Kind plötzlich. Die Mutter ließ durch die Polizei nachforschen, aber ohne Erfolg. Endlich nach einer Woche übergab das Sowjetkomitee des Hauses der armen Mutter einen Zettel mit der Erklärung, daß Mädchen von den Komsomols entführt worden sei. Bis jetzt sind die Versuche der Mutter, die Adresse des Kindes zu erfahren, erfolglos geblieben. Wahrscheinlich ist das Kind in eines der Löcher gebracht worden, denen die Sowjets den schönen Namen "Kinderheime" geben.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 19. November 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 20803, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/20803. Letzter Zugriff am: 27.04.2024.
Online seit 20.01.2020.