Dokument-Nr. 2625
Rantzan, Nicodemus an Pacelli, Eugenio
Rositten, 15. April 1918

Polnisch Livland (Letgallen) umfasst drei Kreise des jetzigen Gouvernements Witebsk, und zwar die Kreise Dwinsk (Dünaburg), Rjetschitza (Rositten) und Lutzen (Ludsen). Die Angliederung dieser drei Kreise an das Gouvernement Witebsk ist eine künstliche, wie es aus folgender geschichtlich statistischen Auseinandersetzung ersichtlich sein wird. Hier sei mehr bemerkt, dass auch das russische Reich den Namen und die Angehörigkeit unseres Landes an Livland anerkannt hat, indem es ihm in verschiedenen Kundgebungen, so z. B. in der Russischen Gesetzsammlung Погное собрани Законовъ Росемекой Имнеріи Band XIX N. 13 850, officiels [sic] den Namen Полбекая Лифланді Полбекая [sic]d. h. "Polnisch Livland" gab.
Polnisch Livland bildet den südöstlichen Teil des im XII. Jahrhundert (1159) von deutschen Kolonisten, ursprünglich aus Bremen, gegründeten deutschen Bundesstaates, der die jetzigen Gouvernements Est-Liv- und Kurland, sowie die schon genannten drei Kreise (Dünaburg, Rositten und Ludsen) des Gouvernements Witebsk umfasste und als ganzes Livland genannt wurde. Er [sic] stand unter der Herrschaft der regierenden Erzbischöfe und Bischöfe von Riga, Dorpat, Oesel, Reval, Kurland so wie
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des deutschen Swertbruderordens [sic], der später mit dem deutschen Kreuzorden verschmolzen ist.
So ist unser Land bereits vor acht Jahrhunderten unter den Einfluss der westlichen Kirche und der Deutschen Kultur gestellt worden, und hat sich unter den fruchtbringenden Strahlen derselben Jahrhunderte lang, bis zur russischen Eroberung entwickelt. Die segensreiche Tätigkeit solcher deutschen Männer, wie Meinhard, der Apostel Livlands, wie die Livländischen Bischöfe Berthold und Albrecht von Appeldern, und vieler anderen, hat dahin gewirkt, die Entwicklung und Civilisation [sic] der örtlichen Bevölkerung vollkommen anders zu gestalten, als diejenigen ihrer russischen Nachbarn von Pskow und Witebsk, welche von den spärlichen Brocken der fernen östlichen, byzantinischen Kultur leben mussten.
Nicht nur ihrer Kultur, sondern auch ihrer Abstammung nach, unterscheidet sich wesentlich die Bevölkerung Polnisch Livlands von ihren Nachbarn in Pskow und Witebsk. Während nämlich im Pskowischen Großrussen und im Witebskischen Weißrussen ansässig sind, besteht die Grundbevölkerung Polnisch Livlands aus Letten, gleich den jetzigen Gouvernements Liv- und Kurland mit denen Polnisch Livland geschichtlich, kulturell und ethnographisch einen eigentlichen Organismus bildet.
Der im XII. Jahrhundert an der Düna gegründete obengenannte Livländische Bundesstaat behielt seine Unabhängigkeit vie Jahrhunderte lang, indem er dieselbe hauptsächlich von Angriffen der russischen Fürsten verteidigen musste. Doch wurde ihm der Kampf
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gegen die anwachsende Macht des Großfürstentums Moskau immer schwieriger. Als endlich, im Jahre 1558, der Zar von Moskau, Iwan der Grausame, die Grenze Livlands mit einer Heeresmacht von 130.000 Mann überschritt, sahen die Livländer ein, dass sie nicht mehr im Stande sein werden, ohne Westliche Hilfe, ihre alte westliche Kultur und ihre in fleißiger Arbeit angehäuften Güter vor dem Andrang östlicher Barbaren zu retten.
Sie wandten sich daher, bei Zustimmung des deutschen Kaisers Ferdinand I an den König Sigismund August von Polen mit dem Vorschlag sich an die Republik Polen frei angliedern zu dürfen, mit dem gleichzeitigen Gesuch ihr Land von den Moskowitern zu säubern. Polen ging auf dieses Anerbieten ein, die Moskowiter wurden in ihre Grenzen zurückgetrieben und im Jahre 1561 wurde zwischen Polen einerseits und den Abgesandten des Herrenmeisters Ketteler, des Erzbischofs von Riga und den Abgeordneten der Livländischen Stände andererseits, ein Vertrag abgeschlossen, wonach der zum Protestantismus übertretene bisherige Ordensmeister Gotthard Ketteler vom Könige Sigismund August mit dem Lehnsherzogtum Kurland belehnt, Livland aber (sowohl Großlivland mit Riga, Pernau, Dorpat, Wenden und Walk, wie auch das jetzige Polnisch Livland mit Dünaburg, Rositten und Ludsen) mit der Polnischen Republik vereinigt wurde. Zugleich sind, dadurch das sogenannte Privilegium Sigismundi Augusti Augusti, alle Rechte und Privilegien der örtlichen Bevölkerung anerkannt und ausdrücklich bestätigt worden (Daher die Königlichen Initialen S. A. in dem Livländischen Wappen
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Greif).
Es besteht eine Analogie zwischen dem jetzigen Moment, wo wir die Deutschen zur Hilfe gegen die Kulturvernichtende Bolschewistische Herrschaft Russlands anrufen wollen, und jenem im XII. Jahrhundert, wo die Livländer die Unterstützung Polens im Kampfe gegen die Moskowiter suchten. Um diese Analogie hervorzuheben, sei hier ein Auszug aus der damaligen Königlichen Urkunde angeführt, in welcher die Republik Polen "der hilflosen Bevölkerung Livlands, welche vom schrecklichsten aller Feinde geplündert und niedergemetzelt wird, in allergrößter Gefahr schwebt und nicht im Stande ist ohne Beihilfe den Barbaren zu entrennen, Schutz und Hilfe verspricht und die Freiheit des lutherischen Glaubens, der deutschen Sprache und der örtlichen Verfassung verbürgt."
Das im Jahre 1561 zur Polnischen Republik übergegangene ungeteilte Livland verblieb in Verbindung mit Polen bis zum Frieden von Oliva, im Jahre 1660, durch welchen der nordwestliche Teil Livlands (das jetzige Gouvernement Livland) an Schweden ging, und Polen nur den südöstlichen Teil (die jetzigen 3 Kreise Dünaburg, Rositten und Ludsen des Gouvernements Witebsk), der nun daher den Namen Polnisch Livland trägt, behielt. Im Jahre 1772, bei der ersten Teilung Polens, wurde Polnisch Livland von Russland annektiert.
Während der Angehörigkeit Polnisch Livlands zum polnischen Reiche sind örtliche Interessen und Eigentümlichkeiten stets berücksichtigt gewesen. Als Beweis dafür sei hier kurz erwähnt,
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dass unter den 16 Namen der Statthalter (Wojewoden) Livlands nur 5 polnische, aber 11 deutsche-baltische, zu finden sind.
Sofort nach Einführung der russischen Herrschaft wurde hier die übliche russische Regierungsmethode angewandt: die Katholische Kirche, welcher bei weitem die Mehrheit der Bevölkerung angehört, wurde in ihren Rechten beschränkt und die freie Ausübung der religiösen Zeremonien gehemmt; alle bestehenden Lettischen, Polnischen und Deutschen Schulen (auch private Parochialschulen) wurden geschlossen; das Drucken lettischer und polnischer Bücher wurde verboten, und das Verbot ging so weit, dass sogar lettische Gebetbücher und Kalender konfisziert wurden und die weitere Ausgabe derselben untersagt wurde, obgleich darin alle politischen und nationalen Fragen sorgfältig umgangen worden sind.
Aus bevorstehender geschichtlichen Übersicht geht hervor, wie eng Polnisch Livland seit Jahrhunderten mit Liv- und Kurland verbunden ist, wie stark die westliche Kultur und der deutsche Einfluss bei uns gewirkt haben, und wie verderblich für das Land sich das Russentum erwiesen hat.
Als Zeugen verschwundener Vergangenheit ragen noch jetzt in Polnisch Livland die Burgruinen der deutschen Ordensschlösser, Dünaburg, Rositten, Wolkenberg und Ludsen und der Erzbischöflichen Burgen Kreutzburg und Marienhausen.
Auch aus Konfessionellen Rücksichten gehört Polnisch Livland dem Westen. Die lettische Grundbevölkerung und auch die polnischen Einwohner sind durchweg römische Katholiken. Polnisch Livland ist das am weitesten nach dem Osten vor-
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gerückte Land mit fast durchweg römisch-katholischer Bevölkerung, was Beweis dafür ist, dass es seine Kultur dem Westen verdankt und also eine Angehörigkeit nicht nach dem östlichen Russland, sondern nach dem westlichen Liv- und Kurland hat.
Wenn man den gegenwärtigen Besitzstand und die Zusammensetzung der Bevölkerung Polnisch Livlands betrachtet, so ergibt sich, dass die örtliche Bevölkerung über 600.000 Seelen beträgt, und aus 63% Letten, 15% Russen (hauptsächlich Altgläubiger), 10% Juden, 8% Polen, 3% Deutschen und 1% anderer Nationalitäten besteht. Letten bilden die Urbevölkerung, zu der sich Polen und Deutsche seit vielen Jahrhunderten gesellt haben.
Russen treffen wir in Polnisch Livland bis zum Anfang der XVIII. Jahrhunderts nicht. Im XVII. Jahrhundert nahmen in Russland die Verfolgungen der religiösen Sekte der Altgläubigen sehr große Dimension an. Die verfolgten Altgläubigen, welche stark an ihrem Glauben hingen, flüchteten aus Russland in das benachbarte Polnisch Livland, wo sie unter polnischer Regierung Glaubensfreiheit und mildere Gesetze fanden, und so hier ansässig wurden. Sie bildeten die einzigen russischen Bewohner des Landes bis zum XIX. Jahrhundert, wo hier allmählich russische Beamte eingeführt wurden. Dieselben haben sich, unter starker Staatshilfe, hier breit gemacht, vielfach Güter angekauft, und wurden die regierenden Herrn im Lande.
Den Grundbesitz teilen wir in Privatbesitz und Bauernland:
1. Der Privatgrundbesitz von 7½ Dessiatinen und darüber, befindet sich größtenteils in polnischen Händen mit 200.000 Dessiatinen
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Kulturland; an zweiter Stelle kommen die Letten mit 90.000 Dessiatinen; an dritter Stelle sind die Russen, die sich in den letzten 50 Jahren mit Staatshilfe angekauft haben, mit 80.000 Dessiatinen; die Deutschen besitzen 70.000 Dessiatinen Kulturland.
2. Bauernland, und Privatbesitz unter 7½ Dessiatinen, gehört hauptsächlich den Letten mit 400-420.000 Dessiatinen Kulturland; an zweiter Stelle stehen die Altgläubigen Russen mit 80-100.000 Dessiatinen und an dritter die Polen, mit 30-40.000 Dessiatinen Kulturland.
Im Ganzen beträgt also in Polnisch Livland der Grundbesitz:
α. Privatgrundbesitz von 7½ Dessiatinen und mehr. 437.000 Dess.
β. Bauernland und Privatgrundbesitz unter 7½ Dessiatinen 534.000 Dess.
γ. Krons [sic] und Kommunalland 105.000 Dess.
Kulturland im Ganzen 1.076.000 Dess.
δ. Wasser und unbrauchbares Land 106.000 Dess.
Im Ganzen 1.242.000 Dess.
(1 Dessiatin gleich 1,092 Hektar)
Auch wirtschaftlich gehört Polnisch Livland zu den Ostseeprovinzen. Sämtliche Erzeugnisse der Landwirtschaft, welche ausgeführt werden, gehen durch Rigaschen Hafen, und die Stadt Riga ist das Handelszentrum für das Land. Über Riga wird Holz, Flachs, Korn, Butter, Geflügel ausgeführt, und aus Riga werden Samen, Kunstdünger, Landwirtschaftliche Geräte und Maschinen bezogen. Wenn Polnisch Livland von den Ostseeprovinzen getrennt werden sollte, so würde es von der Meeresküste abgeschnitten sein und müsste es
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sich ein neues Handelszentrum, an Stelle des verlorenen Riga im Osten suchen, was einen Wirtschaftlichten Rückgang des Landes nach sich ziehen würde.
Die gegenwärtige Lage in Polnisch Livland ist eine überaus traurige. Die 150-jährige Herrschaft Russlands, besonders die letzten 50 Jahre geseigerter Russifizierung, haben auf das Land einen zersetzenden Einfluss ausgeübt, wobei viele früheren Kultureigenschaften verloren gegangen sind. Der, noch lange nicht in genügendem Maße, eingeführte Schulunterricht in russischer Sprache wurde von der Bevölkerung gemieden, nicht nur aus dem Grunde, weil ihr die Unterrichtssprache fremd war sondern auch, weil die russischen Volksschullehrer ihrer Aufgabe, in moralischer und intellektueller Hinsicht, bei weitem nicht gewachsen waren. Den schlimmsten Einfluss auf das Volk hat das Beamtentum ausgeübt. Ohne jeglichen Bildungszensus, durchweg bestechlich und ohne jede Kontrolle, daher willkürlich, hat es die Begriffe von Gesetz und Moral bei der Bevölkerung vollkommen verwirrt und die kulturelle Entwicklung des Landes gehemmt. Die dunklen Massen waren auf diese Weise reif gemacht sich in die Arme der Bolschewiken zu werfen. Der Bolschewismus, sich auf sozialistische Ideen stützend, predigte wilden Klassenkampf, übergab die Herrschaft ausschließlich dem Proletariat, der sich in den Sovieten der Arbeiter, Soldaten und Bauern organisierte, und beraubte die außerhalb des Proletariats stehenden Klassen, also Intelligenz und die besitzlichen Klassen, aller bürgerlichen und sogar menschlichen, Rechte. Privateigentumsrecht auf Immobil und größere Geldsummen wurde aufgehoben und alles dieses als Volkseigen-
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tum erklärt. Die so ausgeartete, angeblich rein sozialistische Theorie wurde in Russland verwirklicht, indem die Herrschaft in die Hände der Bolschewistischen Regierung der Volkskommissare genommen wurde. Die neue Regierung brachte unter das ungebildete und in Rechtsbegriffen verwirrte Volk ihre bolschewistische Weltanschauung, und das Volk entnahm der ganzen vorgelegten Theorie, in welcher es sich nicht zurechtfinden vermochte, nur Hass gegen die gesamte Intelligenz und die besitzlichen Klassen, nur Raub alles mit roher Hand erreichbaren Vermögens. Die so geweckten wilden Instinkte des menschlichen Tieres äußerten sich in rohesten Ausschreitungen. Nicht nur agrare Unruhen waren es, die das Land erschütterten, sondern auch Raubüberfälle auf Landbesitz, Güter und größere Gesinde, wobei nicht nur der Boden sondern auch lebendiges und totes Inventar, Vorräte an Lebensmitteln und Futter, Möbel und Hauseinrichtung geraubt oder vernichtet wurden, und bisherige Landbesitzer, und auch Pächter, vermittelst Schikanen und sogar Lebensbedrohungen dahin gebracht werden sollten, ihre Wohnsitze zu verlassen, um die Teilung ihrer früheren Sitze unter die wild gewordene Volksmasse nicht zu stören. Dieses wilde Vorgehen wurde sowohl von der zentralen bolschewistischen Regierung, wie auch von den örtlichen Machthabern, den Komitees, welche aus dunklen, auch verbrecherischen, Elementen bestanden, genehmigt und in unzähligen Verordnungen legalisiert.
So ging unser Land der unwiderruflichen Zerstörung jeglicher Kultur entgegen, aus der es im allerkritischsten Moment das Einrücken deutscher Militärtruppen gerettet hat.
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Die Deutsche Okkupationsmacht hat das Privateigentumsrecht auf Immobil wieder zu Recht kommen lassen, hat die Teilung des Privatlandbesitzes unter die arbeitenden Klassen unmöglich gemacht, hat das Niedermetzeln der "Kapitalisten" gestört. Das alles wird der Pöbel nicht vergessen. Es heißt, dass Intelligenz und die besitzlichen Klassen die deutsche Militärmacht ersucht haben in das Land einzurücken um die Einführung der vom Pöbel so ersuchten bolschewistischen sozialen Reform unmöglich zu machen. Es wird unter dem Pöbel geflüstert, dass man Unrecht getan hat, bei der Einführung der sogenannten kommunistischen Reform nicht so gleich alle Besitzenden und die mit ihnen verbündete Intelligenz niedergemetzelt zu haben. Jetzt schon wo die im Friedensvertrag mit Russland vorgesehenen Grenzen und die voraussichtliche Zurückgabe Polnisch Livlands an Russland allmählich bekannt wird, werden auf geheimen Versammlungen Beschlüsse gefasst, sofort nach Rückzug der Deutschen alle sogenannten "Kapitalisten" niederzumachen. Dass solche Befürchtungen wohlbegründet sind, sieht man in den Teilen der Kreise Ludsen und Rositten, welche bei dem letzten deutschen Vormarsch besetzt, und nach Abschluss des Friedens und Festsetzung der diesbezüglichen Demarkationslinie geräumt worden sind. Es bilden sich dort Pöbelbanden, Landbesitze stehen dort schon in Flammen und Mordtaten werden sogar an reicheren Bauernfamilien verübt. Aus jeder Gegend ertönt ein flehender Hilferuf an die deutsche Okkupationsmacht, ein Hilferuf der vorläufig unerhört bleibt.
Aus dem obengesagten folgt, dass Polnisch Livland nicht wieder
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unter die Herrschaft, oder auch nur zeitweilige Verwaltung Russlands kommen darf. Die deutsche Okkupationsmacht soll durch Wiederherstellung der rechtlichen Verhältnisse die Bevölkerung zur Ruhe kommen lassen. Die bolschewistische Agitation hat die meisten Geister der ungebildeten Bevölkerung in Gährung gebracht, indem sie ihnen verlockende Bilder zukünftiger Bereicherung auf Kosten anderer vor die Augen stellte, aber die Mehrheit der Bevölkerung ist im Grunde genommen nicht sozialistisch also auch nicht bolschewistisch, gesinnt, sie ist nur verwirrt und von Demagogen aufgehetzt worden, sie muss wieder in die Schranken des Rechts gestellt werden, und dieses kann nur die deutsche Militärische Besetzung durchführen, wogegen die Herstellung der russischen Herrschaft wieder Anarchie auf lange Jahre mitführen würde. Alsdann werden die denkenden Einwohner, welche sich der bolschewistischen Propaganda widersetzten, die wieder aufbauende Arbeit aufnehmen, alsdann wird es möglich sein, dass die sich gelegten Geister der Bevölkerung von dem, auch von den Bolschewiken anerkannten, Selbstbestimmungsrecht der Völker Gebrauch machen, und sich für die Angliederung Polnisch Livland an Liv- und Kurland, denen es geschichtlich, ethnographisch und wirtschaftlich unstrittig gehört, ausspricht.
Der Wunsch Polnisch Livland mit Liv- und Kurland zu verbinden ist bereits von der Bevölkerung des Landes zum Ausdruck gebracht worden, und zwar:
1. Ein in Rositten am 26. April 1917 abgehaltener Kongress der Polnisch Livland bewohnenden Letten hat beschlossen
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Polnisch Livland (Letgallen) an die von Letten ebenfalls bewohnten Livland und Kurland (Latwia) anzuschließen, um auf diese Weise alle von Letten als Grundbevölkerung bewohnten Länder in einen politischen autonomischen [sic] Organismus zu verbinden.
2. Eine am 3. Dezember 1917 in Rositten abgehaltene Beratung der Vertreter aller Polnisch Livland bewohnenden Nationalitäten hat den Wunsch ausgesprochen:
α. dass Polnisch Livland (Letgallen) an Livland und Kurland (Latwia) angegliedert werden soll, damit alle lettischen Länder zu einem einheitlichen Ganzen verbunden werden; und
β. dass Polnisch Livland (Letgallen) von dem Gouvernement Witebsk, dem es künstlich angegliedert ist, abgetrennt werden soll.
3. Die lettische Bevölkerung Livlands und auch Kurlands, hat sich auf mehreren Versammlungen ihrer Vertreter (in Riga, Walk, Wenden, Wolmar u. a.) dafür ausgesprochen, dass Polnisch Livland (Letgallen), als ein ebenfalls von Letten bewohntes Land, an Livland und Kurland (Latwia) angegliedert werden soll, um alle Lettischen Länder zu vereinigen.
4. Diesbezügliche Wünsche sind von den Vertretern der lettischen, polnischen und deutschen Bevölkerung von Polnisch Livland dem deutschen Okkupanten am 1. und 3. März d. J. in Rositten schriftlich vorgelegt worden.
Für die Abtrennung der Polnisch Livland bildenden 3 Kreise (Dünaburg, Rositten und Ludsen) von dem Gouvernement Witebsk und ihre Einverleibung an Livland hat sich auch die Russische Regierung ausgesprochen. Nämlich auf Grund des Beschlusses
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des in Rositten am 26. April 1917 abgehaltenen, bereits oben erwähnten, Lettenkongresses, haben sich die Letten Polnisch Livlands an die Russische Regierung gewandt, mit dem Ersuchen, die 3 genannten Kreise, als lettische, vom Witebskischen Gouvernement zu trennen und mit Livland zu vereinigen. Auf dieses Gesuch erfolgte die zustimmende Antwort der Russischen Regierung der Volkskommissare vom 14. Dezember 1917 N. 93.
In Anbetracht des obenangeführten ergeht hiermit von der lettischen, polnischen und deutschen Bevölkerung Polnisch Livlands an die deutsche Reichsregierung die ergebene Bitte, unserem geprüften Lande hilfreiche Hand reichen zu wollen und das Land von ebensolcher Gefahr und auf ebensolche Weise zu retten, wie es mit Liv- und Estland geschehen soll. Unsere Bitte an die deutsche Reichsregierung geht dahin, ohne die gegenwärtige deutsche Militärbesetzung und Verwaltung hier auch nur zeitweilig aufzuheben, Polnisch Livland für immer von russischer Herrschaft zu befreien und es an Liv- und Kurland, zu denen es geschichtlich, ethnographisch und wirtschaftlich gehört, anzugliedern, damit es mit denen zusammen, den Segen kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung in Frieden genießen kann.
Decanus Rosittensis Sac. N. Rantzan.
Empfohlene Zitierweise
Rantzan, Nicodemus an Pacelli, Eugenio vom 15. April 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2625, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2625. Letzter Zugriff am: 04.05.2024.
Online seit 17.06.2011.