Dokument-Nr. 4462
Braun, Otto an Pacelli, Eugenio
Berlin, 29. Dezember 1925

Abschrift
Indem die Preussische Staatsregierung den Empfang der von dem Schreiben Eurer Exzellenz vom 25. August d. J. begleiteten Note des Heiligen Stuhles bestätigt, bedauert sie, an dem in ihrer Note vom 2. April ds. Js. - St. M. I. 4242 - gegen das Konkordat mit der Republik Polen erhobenen Widerspruch auch nach erneuter Prüfung festhalten zu müssen.
Der Heilige Stuhl versucht dieser Verwahrung dadurch den Boden zu entziehen, dass er der Berufung der Preussischen Regierung auf die Unvereinbarkeit des genannten Konkordats mit der noch geltenden Bulle de salute animarum einen Satz aus dem Schreiben des damaligen Preussischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 28. April 1922 gegenübergestellt, der einen Verzicht der Preussischen Regierung auf die weitere Geltung dieser Bulle in den Preussen verloren gegangenen Gebieten enthalten soll. Dieser Auslegung vermag ich nicht beizupflichten. Ohne dass die Staatsregierung den Inhalt dieses Schreibens, das, wie es selbst sagt, ohne Befassung des Staatsministeriums ergangen ist, sich im Ganzen zu eigen zu machen will, muss sie doch mit allem Nachdruck betonen, dass der angeführte Satz die vom Heiligen Stuhl ihm beigelegte Bedeutung nicht hat. Dieser Satz steht in textlichem Zusammenhang mit der Besprechung der Eurer Exzellenz vom Herrn Kardinal Bertram unterm 24. Januar 1922 vorgelegten Anregungen, näherhin mit deren Abschnitt III, d. h. mit der Frage der Mitwirkung des Staates bei Besetzung der bischöflichen Stühle, Dignitäten und Kanonikate. Da diese Frage sich selbstverständlich nur auf die bei Preussen verbliebenen
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Bischofssitze bezog, so wurde in dem angezogenen Satze naturgemäss ausdrücklich nur von der Weitergeltung der Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl für das jetzige Staatsgebiet Preussens gesprochen, aber auch nicht vergessen, hinzuzufügen, dass sie für dieses unverändert in Kraft geblieben seien, (uti prius ... integras vigere). Durch diesen Zusatz, der in der Note des Heiligen Stuhles zwar mit dem Worte completamente angedeutet ist, aber keine weitere Beachtung findet, wird mit aller Deutlichkeit jede Beeinträchtigung derjenigen Rechtslage ausgeschlossen, in der sich auf Grund der früheren Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhle bei dem Verlust preussischen Gebietes die bei Preussen verbleibenden kirchlichen Sprengel befanden. Dieser Standpunkt ist derselbe, den die Preussische Regierung in meiner Note vom 2. April d. J. ebenso wie gegenüber den verschiedenen anderen im Westen wie im Osten aufgetauchten kirchlichen Grenzfragen stets unverändert eingenommen hat.
Durch diese Stellungnahme werden keineswegs, wie die Note des Heiligen Stuhles sich ausdrückt, Vorstellungen für Gebiete erhoben, die der preussischen Staatshoheit nicht mehr unterstehen, sondern nur der Anspruch geltend gemacht, dass die durch die konkordatären Abmachungen geschaffenen rechtlichen Zusammenhänge, insbesondere die finanzieller Art, nicht zum Schaden der bei Preussen verbliebenen kirchlichen Bezirke und jedenfalls nicht ohne Einvernehmen mit dem Preussischen Staate geändert werden. Bei der seinerzeit zwischen dem Heiligen Stuhl und Preussen vereinbarten Circumscription der preussischen Diözesen sind solche über die preussischen Staatsgrenzen hinausreichenden rechtlichen Beziehungen in starkem Masse bestehen geblieben, trotzdem eine preussische Staatshoheit über diese ausserpreussischen Gebiete in keiner Weise in Betracht kam. Um so weniger konnte die Preussische Regierung annehmen, dass diese und andere vertraglich geschützte, den Bestand
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der damals geordneten kirchlichen Verhältnisse Preussens sichernde Rechtsbeziehungen vom Heiligen Stuhle, ohne den die Neuorganisation der an Polen gefallenen kirchlichen Sprengel nicht geschehen konnte, nach dem Wechsel der Staatshoheit ohne vorheriges Benehmen mit der Preussischen Regierung geändert werden würden, wie es tatsächlich durch das polnische Konkordat und die inzwischen ihm entsprechend vollzogene Neuumschreibung der polnischen Diözesen geschehen ist. Insbesondere ist die Preussische Regierung nach wie vor der Meinung, dass ihre Hinzuziehung zu der Neuregelung mit Rücksicht auf ihr bedeutendes Interesse an der Erhaltung der in Neupolen gelegenen Güter preussischer kirchlicher Institute, insbesondere des Breslauer Domkapitels, geboten gewesen wäre, und dass der Heilige Stuhl dieses auf seiner Konvention mit dem Preussischen Staate beruhende Interesse Preussens gegenüber dem rechtswidrigen Verhalten der Republik Polen dadurch seinerseits nicht genügend gewahrt hat, dass er dieser in Artikel XXVI eine besondere Vereinbarung über diese Güter anbot.
Als die Preussische Regierung seinerzeit während der Verhandlungen über die Diözesen-Circumscription Preussens durch eine Note des Königlichen Gesandten an den Kardinalstaatssekretär vom 22. Juli 1820 sich über die schädlichen Folgen der vorangegangenen Circumscription im damaligen Königreich Polen für die angrenzenden kirchlichen Sprengel Preussens beklagte, die teilweise ebenfalls dem Umstand zuzuschreiben waren, dass der Heilige Stuhl sich mit Preussen nicht vorher ins Einvernehmen gesetzt hatte, hat der Heilige Stuhl keinen Anstand genommen, in der Antwort des Kardinalstaatssekretärs vom 6. Oktober 1820 mit dem Ausdruck seines Bedauerns zu versichern, dass seinerseits die Interessen der Kirchen der preussischen Monarchie gewahrt worden wären, wenn ihm die Verhältnisse hinlänglich bekannt gewesen wären. Der Heilige Stuhl legte damals ferner Wert darauf zu betonen, dass er nicht den geringsten Anteil an irgendeiner Massregel habe, wodurch den ausser dem Königreich Polen befindlichen geist-
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lichen Stiftungen ihr in Polen gelegenes Eigentum genommen wäre, und niemals die Incorporation von Gütern ausgesprochen habe. Welche nicht Eigentum der polnischen Geistlichkeit, sondern geistlicher Stiftungen ausserhalb des Königreichs Polen wären.
Diese Anschauung bekundete der Heilige Stuhl gegenüber dem Preussischen Staate zu einer Zeit, als er zu ihm noch nicht in einem Vertragsverhältnisse stand. Die Preussische Staatsregierung zweifelt nicht, dass er sich auch heute zu denselben Grundsätzen bekennen und sie zu Gunsten der durch den Vertrag mit Preussen geschützten Güter des Breslauer Domkapitels erst recht zur Geltung bringen wird. In dieser Erwartung begrüsst die Preussische Regierung mit Dank die vom Heiligen Stuhle am Schlusse seiner Note gegebene Zusage.
Die erhoffte Erledigung dieser Angelegenheit würde zweifellos dazu beitragen, die nach dem gefälligen Schreiben Eurer Exzellenz an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 8. März ds. Js. - N. 32203 - vom Heiligen Stuhle gewünschte baldige Fortführung der konkordataeren Verhandlungen, der die Regierung dauernd ihre Aufmerksamkeit zuwendet, wesentlich zu erleichtern.
Indem ich bitte, von dieser Darlegung dem Heiligen Stuhle Mitteilung machen zu wollen, verharre ich mit der Versicherung meiner besonderen Hochachtung als
Eurer Exzellenz ganz ergebener
(gez.) Braun.
Empfohlene Zitierweise
Braun, Otto an Pacelli, Eugenio vom 29. Dezember 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 4462, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/4462. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 24.06.2016, letzte Änderung am 23.02.2017.