Dokument-Nr. 484
Pacelli, Eugenio an Braun, Otto
Berlin, vor dem 23. Juli 1929

[Entwurf]
Herr Ministerpräsident!
Der unterzeichnete Apostolische Nuntius beehrt sich, in Ausführung eines ihm von Seiner Heiligkeit erteilten Auftrags Eurer Exzellenz folgendes mitzuteilen:
Seine Heiligkeit nimmt von der parlamentarischen Verabschiedung der Feierlichen Uebereinkunft des Freistaates Preussen mit dem Hl. Stuhle mit Befriedigung Kenntnis und ist sich der ernsten Bemühungen der Preussischen Staatsregierung zur Erreichung dieses Zieles bewusst. Er bedauert jedoch, dass der der Preussischen Volksvertretung vorgelegte Vertrag im Gegensatz zu den wiederholt und nachdrücklich geltend gemachten Forderungen des Hl. Stuhles, die dieser aus grundsätzlichen Erwägungen zu erheben sich veranlasst sah, keine Regelung der Schulfrage enthält. Es darf diesbezüglich daran erinnert werden, dass die Preussische Regierung durch eine Note vom 6. Januar 1922, die der damalige Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Herr Dr. Boelitz, an den Unterzeichneten richtete, die verbindliche Erklärung abgegeben hat, sie "werde auf Ersuchen des Reiches mit diesem in Verhandlungen über die Regelung der religiösen Seite der Schulfrage im Konkordat eintreten". Wenn der zitierte Satz sich auch in besonderem Betreff auf ein zukünftiges Reichskonkordat bezog, von dem in jenem Zeitpunkt vorwiegend die Rede war, so bekannte sich in ihr die Preussische Regierung doch ausdrücklich zum Grundsatz der "Regelung der religiösen Seite der Schulfrage im Konkordat", und zwar ohne dabei einen Unterschied zu machen zwischen einem Konkordat mit dem Reich und einem solchen mit Preussen. Dieser Unterschied ist auch in den der fraglichen Erklärung vorausgehenden Besprechungen nicht gemacht worden, welch letztere vielmehr ihren Ausgangspunkt von einer Preussen unmittelbar berührenden Angelegenheit nahmen.
Während der Erörterungen mit den Regierungskommissaren schlugen diese im Auftrage des Herrn Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im Juni 1927 eine Mindestformel über die Schule vor, die vom Hl. Stuhle nur unter äusserstem Entgegenkommen angenommen wurde, vor allem weil staatlicherseits damals der formaljuristische Grund geltend gemacht wurde, dass diese Materie unter die Zuständigkeit des Reiches falle.
Umso schmerzlicher bedauerte der Hl. Stuhl die spätere Streichung auch dieses schon so unzulänglichen Artikels, eine Streichung, die umso weniger als
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gerechtfertigt gedacht werden konnte, als alle Parteien, die das zeitige Koalitionsministerium bilden, auch im Januar 1922 im Preussischen Kabinett vertreten waren.
Wenn trotzdem der Heilige Stuhl sich entschlossen hat, daraufhin die Konkordatsverhandlungen nicht zu unterbrechen, so tat er dies lediglich mit Rücksicht auf die vonseiten der Preussischen Regierung im Laufe der Verhandlungen erfolgte Zurückstellung erheblicher Forderungen, und vor allem aus dem ernsten Wunsche, den Katholiken Preussens die übrigen aus dem Konkordate sich ergebenen Rechtswirkungen und Sicherungen ihrer religiösen Freiheit, sowie dessen günstige Auswirkungen auf ein geordnetes Verhältnis zwischen Kirche und Staat nicht zu gefährden. Er vermag indes nicht davon abzusehen, förmlich zu erklären, dass diese seine Stellungnahme niemals als Verzicht auf die Grundsätze gedeutet werden darf, die ihn zu der Forderung veranlasst hatten, dass nämlich, wie in den andern Konkordaten der neuesten Zeit, so auch in der feierlichen Uebereinkunft mit Preussen die Schulfrage miteinbegriffen werde.
Der Unterzeichnete benützt diese Gelegenheit, um Eurer Exzellenz den Ausdruck seiner ausgezeichneten Wertschätzung zu erneuern.
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio an Braun, Otto vom vor dem 23. Juli 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 484, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/484. Letzter Zugriff am: 28.04.2024.
Online seit 20.01.2020.