Dokument-Nr. 6653
Bertram, Adolf Johannes an Marx, Wilhelm
Breslau, 01. Februar 1924

Abschrift
Hochverehrter Herr Reichskanzler!
Exzellenz!
Zeitungsnachrichten zufolge hat das Reichskabinett bereits dem Entwurf der dritten Steuernotverordnung, der eine künstliche erhebliche Beschränkung der Aufwertung der Darlehensschulden aus der Zeit vor der Geldentwertung enthalten soll, zugestimmt.
Nach dem bisher bekannt gewordenen diesbezüglichen Inhalt der genannten Verordnung scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass, wie von sachverständiger Seite soeben als ernste Befürchtung mir vorgetragen wird, diese Aufwertungsbeschränkung auch von einschneidender Wirkung auf die rechtlichen Dotationsverpflichtungen des Staates gegenüber der Kirche aus der Säkularisation der Klöster und Stifter, den Zirkumskriptionsbullen de salute animarum, Impensa u.a.m. und andere, den Staaten gegenüber der Kirche obliegenden Verpflichtungen werde. Dazu bemerke ich kraft meines Amtes namens der in den Fuldaer Bischofskonferenzen vereinigten Oberhirten Folgendes.
Eine solche Beeinträchtigung dieser uralten Verpflichtungen des Staates würde auf nichts anderes hinauslaufen, als auf eine neue Expropriation der Kirche, auf eine Vollendung der in der Säkularisation am Anfang des vorigen Jahrhunderts gewaltsam voll-
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zogenen Enteignung, indem die der Kirche statt ihres damals eingezogenen Gutes allein noch verbliebenen Rechtsansprüche gegen den Staat auf entsprechende Ersatz-Geldleistungen nun auch noch zum größten Teile vernichtet werden, obgleich sie nach Recht und Billigkeit zeitgemäß aufzuwerten sind.
Auch Folgendes ist zu beachten. Wie allgemein bekannt, beruhen die Dotationsleistungen, die dem Staat gegenüber der Kirche nach den Zirkumskriptionsbullen obliegen, auf Vereinbarungen des päpstlichen Stuhles mit den betreffenden Regierungen, welche völkerrechtliche Verbindlichkeiten begründet haben; diese Leistungen können sonach ohne Vertragsbruch nicht einseitig vom Staat oder vom Reiche beschränkt werden.
Ich muss daher in pflichtmässiger Vertretung der kirchlichen Interessen gegen die genannte Aufwertungsbeschränkung noch besonders im Sinne vorstehender Darlegung nachdrücklichst Einspruch erheben und bitte Euer Exzellenz ergebenst, wegen der daraus zu befürchtenden unheilvollen Folgen Ihren ganzen Einfluss dahin geltend zu machen, dass das Inkrafttreten der fraglichen Bestimmungen noch im letzten Augenblick verhindert wird.
Der Fürstbischof von Breslau
gez. A. Card. Bertram.
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes an Marx, Wilhelm vom 01. Februar 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 6653, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/6653. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 18.09.2015.