Dokument-Nr. 17457
Papstfeier der Berliner Katholiken. Eine Rede des Apostolischen Nuntius, in: Germania, Nr. 74, 14. Februar 1928
Zu einer machtvollen und eindrucksvollen Feier gestaltete sich die Papstfeier, die die Katholiken Berlins gestern abend in der Hochschule für Musik zu Ehren unseres glorreich regierenden Heiligen Vaters Papst Pius XI. aus Anlaß der sechsten Wiederkehr des Krönungstages veranstalteten.
Das ganze katholische Berlin war versammelt, um zu bezeugen, daß die Treue zum Oberhaupt unserer heiligen katholischen Kirche auch in der Hauptstadt des Deutschen Reiches fest verankert ist. Alle Stände füllten Saal und Galerie, gleichsam symbolisch andeutend, daß in der katholischen Kirche jedermann ohne Unterschied des Standes gleiche Rechte genießt, daß alle sich vereint fühlen in der katholischen Religion, daß alle den Heiligen Vater in Rom anerkennen als den unfehlbaren Lehrer und Leiter der ganzen katholischen Christenheit.
Eine besondere Note erhielt der Feier durch die Anwesenheit Sr. Exzellenz des hochwürdigen Apostolischen Nuntius Eugen Pacelli. Ferner waren erschienen der Uditore der Nuntiatur, Msg. Centoz, Weihbischof Dr. Deitmer, Staatssekretär Dr. Bünder, als Vertreter des Reichskanzlers Marx Reichsarbeitsminister Brauns, Minister a. D. Bell, Justizminister Schmidt, Landwirtschaftsminister Steiger, Polizeioberst Heimannsberg u. a. Weiter füllten das Podium die Prälaten Linneborn, Leicht und Ulitzka, eine große Anzahl Herren aus dem Klerus, katholische Gelehrte, die Führer des Berliner katholischen Vereinslebens und zahlreiche Abgeordnete aus beiden Parlamenten.
Eine weihenvolle Stimmung lag über der imponierenden Versammlung, eine Stimmung, die der Ausdruck des erhebenden Augenblicks einer machtvollen Kundgebung treu katholischen Geistes bedeutete, und die sich in ihrem weiteren Verlaufe durch die Ansprache des Apostolischen Nuntius, der insbesondere auf die Neubelebung des Apostolat- und Millionsgedankens als den Mittelpunkt des Pontifikates Pius' XI. und das Verdienst der deutschen Katholiken hieran hinwies, und durch die überwältigende Rede des Dompredigers von Münster, Universitätsprofessor Dr. Donders, über die Bedeutung des Papsttums der Gegenwart in sichtbarer Weise steigerte. Vor dem Podium war die Papstbüste von Prof. Limburg aufgestellt, umgeben von Lorbeerbäumen.
Als 7.45 Uhr die hehre Gestalt des Apostolischen Nuntius erschien, grüßen ihn festlich und freudig gestimmte Menschen durch Erheben von den Plätzen. Mit jubelnden Akkorden setzte die Orgel ein. Nach einer Darbietung des Basilikachores begrüßt der hochwürdige Herr Weihbischof Dr. Deitmer mit kurzem Worten in der ihm eigenen Herzlichkeit die Versammlung, insbesondere den Nuntius Pacelli. Dieser erhebt sich sofort, um in freier, scharf akzentuierter Rede auszuführen:
Nuntius Pacelli
"In diesen Tagen richten die Katholiken der ganzen Welt Augen und Herzen nach dem ewigen Rom und gedenken in Liebe und Ehrfurcht dessen, der als Stellvertreter Christi und Nachfolger Petri die höchste Würde der Erde mit der schwersten Würde vereinigt, die auf sterblichen Schultern lasten kann. Der gemeinsame Vater in Christo, der gottberufene Hüter aller der Braut Christi anvertrauten Wahrheiten und Gnaden, der höchste Träger gottentstammten Priester- und Hirtentums, steht am Papsttage im Geiste vor unserer Seele. Und inniger als sonst, stürmischer und aus tiefstem Herzen brechend steigt der Ruf gegen Himmel:Oremus pro pontifice nostro pio! In diesem innigen "Oremus" finden sich die katholischen Söhne und Töchter der deutschen Reichshauptstadt zusammen mit den Gebeten und Wünschen des katholischen Erdenrundes. Auch sie wollen und können nicht fehlen, wenn alle Völker vom Aufgang und vom Niedergang sich im Geiste um den Thron sammeln, auf dem der elfte Pius die sechste Wiederkehr des Tages feiert, wo sich unter der Kuppel des St. Petersdomes die dreifache Krone auf seinen Scheitel senkte.
Aber nicht nur das Wort "Oremus" soll über diesem Tage stehen, der uns in feierlicher Stunde und festlichem Glanze hier vereint. Aus der Gebetsvereinigung für den Papst und mit dem Papste erwächst wie von selbst eine andere, heilige und innerste Gemeinsamkeit: die freudige und hingebende Uebereinstimmung unseres Herzens und unseres Willens mit den großen Absichten und Zielen, welche der von Gott erleuchtete, auf hoher Warte stehende Pastor Dominici Gregis als besondere gottgewollte Aufgabe seines Pontifikates und unserer Tage erkennt und kündet. Dieser Papst, der in der noch kurzen Zeit seines oberhirtlichen Amtes bereits so machtvolle Beweise seiner starken Persönlichkeit, seines weitblickenden Geistes, seiner in rastlosem und fruchtbarem Schaffen sich auswirkenden Weisheit, seiner unparteiischen Gerechtigkeit, seines priesterlichen, ausschließlich nach dem Heil der Seelen dürstenden Herzens gegeben hat, dieser Pontifex, dessen Heroldsruf von der Pax Christi in Regno Christi die Welt aufhorchen ließ und auch außerhalb der Kirche eherbietiges und dankbaress Echo fand, er hat mit dem ihm eigenen seherischen Blick eine Frage in ihrer überragenden Bedeutung erkannt und sie mit wachsender Entschlossenheit in den Mittelpunkt seines pontifikalen Handelnsgerückt: die Neubelebung des Apostolats- und Missionsgedankens, die Konzentration und organische Gliederung aller ihr dienen Kräfte, die Vertiefung der Missionswissenschaft, das stufenweise Hineinwachsen des einheimischen Klerus in die Hierarchie - kurzum eine großzügige Anpassung des katholischen Missionswerkes an die Aufgaben der Neuzeit, welche eine ganz neue Aera missionarischer Tätigkeit einzuleiten berufen ist. Die vom Papst in besonderer Weise ausgezeichnete Jubiläumsfeier der Propaganda, die glanzvolle vatikanische Missionsausstellung im heiligen Jahre, die monumentale Missionsenzyklika Rerum Ecclesiae vom 28. Februar 1928, die Weihe der ostasiatischen Bischöfe, die Allokution in dem Geheimen Konsistorium vom 20. Juni 1927 - alles das und vieles andere sind eindrucksvolle Beweise dafür, wie der Missionsgedanke immer mehr und mehr zu dominierenden Idee des Pontifikates Pius XI. zu werden im Begriffe steht.
Es ist nur ein unbeirrtes Fortschreiten auf diesem Wege, wenn das neuerdings, kurz vor der Jahreswende eröffnete Päpstliche Missionsmuseum den Katholiken der ganzen Welt die hehre Größe, die heilige Pflichtmäßigkeit des Apostolats- und Missionsgedankens mit hinreißender Eindringlichkeit vor Augen stellt und für die wissenschaftliche und völkerkundliche Fundierung des Missionswesens wirbt. Das Museum für christliche Archäologie und das Missionsmuseum wohnen nunmehr, als gewaltiger und ergreifender Ausdruck der gleichen Begeisterung für die Ausbreitung des Reiches Christi, in glücklicher, sinnvoller Ergänzung unter dem Dache des Lateranpalastes zusammen. Die kostbaren Zeugen aus der Erstlingszeit des jungen und ringenden Christentums, die ehrwürdigen Gedenkstücke aus dem heiligen Dunkel der Katakomben herbergen innerhalb derselben Mauern mit den glorreichen Zeichen, die den Weg der Mission durch zwei Jahrtausende veranschaulichen. Die Marmorsarkophage der altchristlichen Märtyrer ebenso wie die Erinnerungen an die Blutzeugen Chinas und Japans sprechen eine Sprache: "Sanguis Martyrum semen Christianorum."
Wenn irgendwann, dann bedurfte unsere Zeit der Erweckung und Neuentfachung des Missionsgedankens, der Besinnung auf die großen, weltumspannenden Aufgaben, die der Kirchen da draußen unter denen harren, die bisher von dem Strahl des göttlichen Glaubenslichtes noch nicht berührt worden sind. Ihnen das Licht zu bringen, in dessen gnadenvollem Schein wir wandeln, ihnen die Segnungen zu vermitteln, die im Hause Gottes ihrer warten, das ist der Wunsch und der Wille des Papstes, das muß, mehr als bisher, auch das heiße Sehnen und das wirksame Streben aller derer sein, die sich zur Herde und Kirche Christi zählen.
Deutschlands Katholiken haben immer zu denen gehört, in deren Herzen der Missionsgedanke eine treu gehütete und gepflegte Heimstätte besaß. Und sie sind diesem Missionsgedanken auch treu geblieben, in all der Not und Entbehrung der Nachkriegszeit trotz mancher Hemmungen und Schwierigkeiten, trotz schmerzlicher Wunden, die ihrem opus missionarium der Weltkrieg geschlagen hat. Mit vorbildlicher Tatkraft und in bewunderstwertem Opfersinn haben sie den Umbau und Neuaufbau ihrer Missionsarbeit unter dem wohlwollenden Schutz und der weitsichtigen Förderung des heiligen Stuhles in Angriff genommen und dürfen heute schon wieder auf erfreuliche Fortschritte zurückschauen. Noch steht mir die ergreifende Szene vor Augen, da ich im Hochsommer des vergangenen Jahres im Mutterhause von Steyl weit über hundert ausreisenden Missionaren und Missionsschwester den Segen des Heiligen Vaters als viaticum spirituale mit auf dem Weg geben durfte, in dem Augenblicke, wo sie in Erfüllung eines unsterblichen Heilandswortes Haus und Hof, Vater und Mutter, Bruder und Schwester verließen, um ihr Leben ausschließlich und endgültig dem heroischen Dienste des Apostolats- und Missionsgedankens zu weihen. Ein Volk, das in unsagbarer schwerer Zeit, umdrängt und fast erdrückt von Sorgen und Kümmernissen aller Art, im Kampfe um das tägliche Brot und inmitten leidvollen Ringens um seinen inneren Wiederaufbau die Seelengröße aufbringt, seinen Anteil an dem göttlichen Werke der Weltmission so freudig und opferbereit zu tragen und aus den Gaben von Arm und Reich, von Hoch und Niedrig, aus den Scherflein der Witwen und aus den Sparpfennigen der Jugend ein neues Fundament zu legen für seine Mitarbeit an dem von dem Vater der Christenheit so eindringlich empfohlenen Missionswerk - ein solches Volk kann gewiß sein, daß des Himmels Gnade, die es uneigennützig und großherzig anderen Völkern vermittelt, als überreicher Segensstrom zurückfliegt auf es selbst und Land und Volk befruchtet, von dessen Opfergroßmut er seinen Ausgang genommen hat.
Mögen die Katholiken Groß-Berlins, dem Rufe des Papstes folgend, der Missionsgesinnung in Tat und Opfer den Platz anweisen, der ihr gebührt. Durch kein Gelöbnis vermögen sie an dem heutigen festlichen Tage den Absichten des Heiligen Vaters besser zu entsprechen, als mit diesem: Apostel des Apostolatsgedankens, Herolde und Wegbereiter des Missionsgedankens, opfer-
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freudiger Mithelfer des Missionswerkes zu
sein! Um diesem Vorsatze die Kraft der Erfüllung zu erflehen, erteile ich Ihnen
allen im Namen des glorreich regierenden Heiligen Vaters Pius XI. aus ganzem Herzen den
Apostolischen Segen.Knieend empfängt die Versammlung den päpstlichen Segen, um darauf dem Apostolischen Nuntius eine stürmische Ovation zu bereiten. Es trifft mit der Erinnerung des Apostolischen Nuntius eigenartig zusammen, daß gerade am Sonntag in der Heiliggeistgemeinde in Charlottenburg der erste bedeutende Missionsfilm: "Mit Steyler Missionaren nach Insolinde" gezeigt wurde.
Prof. Dr. Donders
Nach einer Pause tritt Univ.-Prof. Dr. Donders aus Münster an das Rednerpult und beginnt seine Rede:
Einleitend betonte der gefeierte priesterliche Katholikentagsredner, daß Papstfeste uns keine leere, äußerliche Zeremonie, kein Gepränge, keine Kundgebung sein wollen, sondern innerste Herzenssache, erfüllt vom Geist und Feuer der wahren katholischen Liebe zum Hl. Vater.
Was bedeutet uns die heutige Papstfeier?
Sie ist ein Gedächtnis der Vorsehung Gottes, die uns diesen Papst gegeben und ein erstes Lustrum eines großen Pontifikates hat erleben lassen. Die Vorsehung Gottes ist es, die der Welt und Menschheit, auch der Kirche, die rechten Führer zur rechten Zeit erweckt und beruft: die einen Moses, einen Elias, einen Paulus, einen Gregor VII, Innozenz III. zu ihrer Zeit sandte, die auch unserer Kirche von heute den Führer gegeben hat. Es ist jene Vorsehung, die greifbar über den Jahrhunderten des Reiches Gottes waltet und gerade an entscheidenden, wichtigen Punkten sichtbar hervortritt. Im Evangelium begegnet uns an den Wenden des Lebens Petri immer dann, wenn der Herr ihn ruft und beruft, von Stufe zu Stufe das eigentümliche Wort: et intuitus est Petrum: "Da schaute der Herr den Petrus an", als wolle er sich überzeugen und ihn prüfen, ob er auch zum Oberhirtenamt geeignet sei? Es ist, als habe dieser prüfende Blick des göttlichen Meisters und Herrn auch auf demjenigen geruht, den wir heute feiern. Wie treu die Vorsehung ihn in jungen Jahren hütete und schützte durch treusorgende christliche Eltern im Heiligtum der Familie - diese stärksten Schirmer priesterlichen Geistes und priesterlichen Berufes -, das ersehen wir aus einer Widmung an seine Mutter, die der Papst in seiner Mailänder Gelehrtenzeit einem von ihm damals herausgegebenen alten Buche vordruckte. - Der Render behandelte nun die Lebens- und Regierungsgeschichte des Papstes in kurzen, markanten Zügen: "Confirma fratres tuos", "Stärke deine Brüder"!
Die Papstfeier ist ein Bekenntnis zum Papsttum, und zu der Autorität der katholischen Weltkirche in autoritätsloser Zeit.
Eingehend verbreitete der Redner sich über die Bedeutung der Autorität im Geistesleben der Menschheit, über ihr Schwinden in der heutigen Zeit, über das subjektive Moment im Weltanschauungsleben von heute und das objektive Autoritätsprinzip in der katholischen Kirche: Syllabus, Vatikanum, Leo XIII., Pius X wurden im klaren Zusammenhang beleuchtet. Von solcher Unsicherheit des heutigen Geisteslebens aus erwächst dem Katholiken des Gefühl der Freudigkeit und Festigkeit, der Sicherheit und Zuverlässigkeit, darum der Dankbarkeit und des heiligen Glückes gegenüber dem Apostolischen Stuhl. Welch eine Wohltat, ein fester Punkt in einer solch flukturierenden Zeit: wieviele Irrungen und Wirrungen, wieviel ängstliches Suchen und schmerzliches Nichtfinden, wieviel Seelennot und Seelenkampf wird uns dadruch erspart! Wir sind erst durch den Anschluß an diese gottgegebene Autorität wahrhaft frei geworden, in jener heiligen Freiheit der Kinder Gottes, über die Paulus jubelte, während Unzählige, die das Wort "Freiheit" heute im Munde führen, doch nichts anderes sind, als Sklaven des Unglaubens und Halbglaubens, der Schlagworte und Phrasen, der Tagesmeinungen und Zeitgötzen. Es gibt heutzutage viele edle Konvertiten, die nach allem Fragen und Forschen, Ringen und Suchen gerade dies Bewusstsein der kirchlichen Autorität als festesten Halt schätzen, als frohestes Gefühl der sichersten Geborgenheit: "Wir haben der Fluten übergenug gehabt, wir wollen den rettenden Felsen, der aufragt aus den Fluten". Es gibt kein schöneres Sinnbild des Papsttums und der katholischen Kirche, als die Lampe der Katakombenzeit in der Form eines Schiffes: Die Kirche ist eine Lampe, eine Leuchte, die alle Mächte und Hindernisse erhellt und uns in alle helle Wahrheit mit der Kraft des hl. Geistes tiefer einführt; sie ist ein Schiff, das Schifflein Petri, immer umstürmt, immer im Schoße eines Weltmeeres: "Auf dem Ozean ist sie geboren - der Ozean ist ihr Vaterland", immer das Schiff, in dem Christus lehrt, wie einst auf dem See Genesareth. Er ist und bleibt bei ihr, alle Tage bis ans Ende der Welt. Das ist der Grund unseres Vertrauens, unserer Festigkeit, unserer Sichertheit.
Diese Papstfeier ist ein Gelöbnis auf das Programmwort des Papstes: "Der Friede Christi im Reiche Christi". Papst Pius XI. hat am Tage seiner Wahl die Friedensarbeit und Fridenslosung seines erhabenen verstorbenen Vorgängers aufgenommen. Er hat die volle Verwirklichung des Welt- und Völkerfriedens zum Gegenstand der großen Gebetsintentionen des Anno Sancto gemacht, und wir glauben, die Vorsehung Gottes schenkt diesem seinen Streben und unablässlichen Bemühren ihren Himmelssegen. "Da pacem. Domine, in diebus nostris!" Wir wünschen sehr, es möge den vereinten Bemühungen der verantwortlichen Führer gelingen, im Laufe dieses Jahres jenes Konkordat mit dem heiligen Stuhle zum Abschluss zu bringen, das leider schon allzu viel Gegenstand der öffentlichen Verhandlungen unmaßgeblicher und unverantwortlicher Wortführer in der Presse und in den Versammlungen geworden ist und dadurch bereits manche überflüssige Wolke des Kampfes auffsteigen ließ - das Konkordat, von dem wir doch glauben und erwarten, daß es gleicherweise zum Segen für Kirche und Vaterland, für das religiöse und staatliche Leben gereichen wird.
"Pax Christi in Regno Christi" - Papst Pius XI hat den zweiten Teil dieses Programmwortes in einer eignen großen Enzyklika über das Königtum Christi ausgeführt, mit einem starken Appell an das Gewissen der christlichen Welt. Der heutige Abend soll ein Gelöbnis sein, mitzuwirken an der Verwirklichung dieses Programms: Eroberung der heutigen Menschheit für Christus, den König, und für das lebendige Christentum. Heute klafft ein tiefer Spalt, eine sich weithin dehnende Kluft zwischen Kirche und Welt, zwischen Religion und Leben; das, was Pius XI. mit dem vielsagenden Worte vom "Laizismus" ausdrückt, von der ungeheuren Säkularisation, von der "Verweltlichung" der gesamten Lebensgebiete, von ihrer Loslösung von Gott und Gottes Geboten, von Christus und seinem Gesetz der Bergpredigt, von der Kirche und ihrem Einfluß. Und doch muß und will sie vordringen, erobern, die Fahne Christi auch über dem 20. Jahrhundert wehen lassen.
Die Religion ist immer eine Königin, will immer die Welt und die Seelen erobern. Sie kann nur herrschen, kann nur den ersten Platz im Leben der Völker und jedes einzelnen einnehmen, nie den letzten, kann und darf nie sich in eine staubige Ecke, nie in einen engen Winkel, nie in die Sakristei zurückdrängen lassen.
Wr [sic] Katholiken von heute und morgen haben die schwere Aufgabe, diese moderne Welt wieder zu taufen, ihre falschen Götzen zu zertrümmern und das Bild Christi, des Erlösers, des Gottmenschen, des Königs, ihr wieder nahezubringen, auf daß sie ihn erkenne und ihm huldige. Also, nicht nur die ferne Heidenwelt missionieren, sondern auch das eigene Land, die vielen dem Christentum und der Kirche Entfremdeten wieder zurückzuerobern durch Wort und Tat, durch das gelebte christliche Leben und Vorbild, durch das lebendige Apostolat der Liebe, die die Welt erobert und Brücken schlägt von Mensch zu Mensch, von Seele zu Seele, von Volk zu Volk! Im Geiste der Einheit in der Hoffnung der Wiedervereinigung, über die die letzte Enzyklika des heiligen Vaters so klar spricht.
Soll und wird die Riesengröße und -schwere der Aufgabe uns entmutigen? Nein, gewiß nicht. Zwar reichen dafür die Mächte der Wirtschaft und der Politik nicht aus, dafür braucht es Helden und Heilige, Apostel und Propheten, die ganze Kulturkraft des 2000jährigen Katholizismus, mit seinen ehernen Grundsätzen für solch hinreißende Ideen.
Der Redner schloß: Einst stand, wie die Apostelgeschichte uns berichtet, der Engel des Petrus neben dem gefangenen Apostelfürsten und führte ihn durch das Kerkertor und die Wachen ins Freie hinaus: "Angelus eius est." Dieser Engel Gottes, der Engel des Petrus, steht auch heute noch neben dem obersten Hirten auf Petri Stuhl, bewahrt ihn und die Kirche auf dem letzten Riff des Apostolischen Felsens, wohin ihn die Macht der heutigen Welt hat drängen wollen, bewacht und bewahrt ihn dort, umleuchtet von einem Ansehen und Einfluß wie der Papst und das Papsttum nur auf den Höhepunkten seiner weltgeschichtelichen Stellung sie besessen hat.
Diesem Engel des Petrus vertrauen wir heute die Glückwünsche und Gelöbnisse dieser Feierstunde an, vereint mit den Kardinälen, Bischöfen, Priestern und den Millionen Gläubigen der katholischen Weltkirche: "Der Herr erhalte ihn und belebe ihn und mache ihn glücklich auf Erden und lasse ihn nicht in die Gewalt seiner Feinde geraten!" Der göttliche Herr der Kirche möge ihn uns noch durch lange Jahre eines großen Pontifikates erhalten!
Begeisterte, stürmische Kundgebungen folgten der Rede, die in ihrer abgeklärten und doch begeisterten Art und in ihrer gewaltigen Rhetorik alle Zuhörer in ihren Bann schlug. Es drängte sich der Gedanke auf, daß hier ein zweiter Pater Bonaventura sprach, dem der Domprediger von Münster in seinem literarischen Arbeiten sein Denkmal gesetzt hat und der gerade hier an dessen Wirkungsorte lebendig vor seiner Seele stehen mußte. Weihbischof Dr. Deitmer dankte dem Redner im Namen der Versammlung und benutzte die Gelegenheit zu einem Werbewort für die katholische Tagespresse.
Wie gewohnt, waren es die schönen, andachtsvollen Gesänge des Basilika-Chores St. Hedwig, unter Leitung des tatkrääftigen regens chori Pius Kalt, die der Feier auch musikalisch ein bedeutungsvolles Gepräge gaben. Orlando di Lassos achtstimmiges "Tui sunt coeli", ein bekanntes Meisterstück des Basilikachores, floß in dem breiten Strom seiner erhabenen Tonsprache dahin und erfüllte den Raum mit festlichem Glanz. Als Gegensatz hierzu der vierstimmge Frauenchor "Laudi alla Vergine Maria" von Verdi mit seinen weichen melodischen Linien, ein wundervolles Stück, das mit besonderem Feingefühl gesungen wurde. Auch Friedr. E. Kochs, unseres deutschen Meisters, "Ehre sei Gott" mit seiner fortreißenden Kraft war, wie schon so oft, eine der erwählten Festgaben des Abends. Gleich der Kuppel eines Domes krönten drei Stücke aus der "Missa choralis" von Franz Liszt die Feier: "Kyrie", "Gloria" a capella und das von der Orgel begleitete majestätische "Credo" mit dem schönen, warmen Sopran Gertrud Baumanns in dem kleinen, zu Herzen gehenden Solo "Et incarnatus est". Heinrich Gräsenstein, der Organist von St. Marien in Friedenau, unterstützte die Vorträge an der Orgel und steuerte als eigene Festgabe "Präludium" und "Fuge" in tadelloser Ausführungen bei.
Mit einem Dankeswort des Weihbischofs an alle Beteiligten und dem ambrosianischen Lobgesang schloß die Papstfeier, die sich in ihrer ganzen Ausgestaltung zu einer Huldigungsfeier für den Statthalter Christi auf Erden auswuchs, und der Segenswunsch der Kirche beseelte aller Herzen beim Verlassen dieser Feier: Der Herr erhalte unseren Heiligen Vater Pius XI. noch viele Jahre am Leben, und er segne sein Wirken für Kirche und Welt!
Die Papstfeier 1928 der Berliner Katholiken bildet einen Markstein im katholischen Leben der Reichshauptstadt.