Dokument-Nr. 10238

Pacelli, Eugenio: [Kein Betreff]. [München], vor dem 27. September 1922

Art. 1
§ 1. Der Bayerische Staat gewährleistet die freie und öffentliche Ausübung der katholischen Religion.
§ 2. Er anerkennt das Recht der Kirche, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze zu erlassen und Anordnungen zu treffen, die ihre Mitglieder binden; er wird den Gebrauch dieser Gewalt weder hindern noch erschweren.
§ 3. Er sichert der katholischen Kirche die ungestörte Kultübung zu. In der Erfüllung ihrer Amtspflichten genießen die Geistlichen den Schutz des Staates.
Art. 2
Orden und religiöse Kongregationen können den kanonischen Bestimmungen gemäß frei gegründet werden. Sie unterliegen vonseiten des Staates keiner Einschränkung in Bezug auf ihre Niederlassungen, die Zahl und die Eigenschaften ihrer Mitglieder sowie bezüglich der Lebensweise nach ihren kirchlich genehmigten Regeln.
Soweit sie bisher die Rechte einer öffentlichen Körperschaft genossen haben, bleiben ihnen dieselben gewahrt; die übrigen erlangen Rechtsfähigkeit oder die Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach den für alle Bürger oder Gesellschaften geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte werden ihnen gewährleistet. In Bezug auf den Erwerb, den Besitz und die Verwaltung ihres Vermögens sowie in der Ordnung ihrer Angelegenheiten unterliegen sie keiner besonderen staatlichen Beschränkung oder Aufsicht.
Art. 3
§ 1. Die Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten an den theologischen Fakultäten der Universitäten und an den philosophisch-theologischen Hochschulen, sowie der Religionslehrer an den höheren Lehranstalten wird staatlicherseits erst erfolgen, wenn die in Aussicht genommenen Kandidaten von dem zustän-
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digen Diözesanbischof die kanonische Genehmigung erhalten haben.
§ 2. Sollte einem der genannten Lehrer von dem Diözesanbischof wegen seiner Lehre oder wegen seines sittlichen Verhaltens auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens die erteilte Genehmigung entzogen werden, so wird ihn die Staatsregierung seines Lehramtes entheben.
Art. 4
§ 1. Die Studienordnung und der Unterricht an den theologischen Fakultäten der Universitäten und der philosophisch-theologischen Hochschulen haben sich zu richten nach den Vorschriften des kanonischen Rechtes und nach den Bedürfnissen des priesterlichen Berufes. Der Bischof hat das Recht in geeigneter Weise sich darüber zu vergewissern und dafür zu sorgen.
§ 2. An den philosophischen Fakultäten der beiden Universitäten München und Würzburg soll wenigsten je ein Professor der Philosophie und der Geschichte eingestellt werden, der nach dem Urteil des Diözesanbischofs auf katholisch-kirchlichem Standpunkt steht.
§ 3. Künftige Theologiestudierende sollen zur Vorbereitung auf ihr Fachstudium an den Universitäten Gelegenheit haben, einen Kursus der Philosophie auch bei einem geistlichen Dozenten zu hören.
§ 4. Der Religionsunterricht bleibt an allen höheren Lehranstalten und Mittelschulen wenigstens im bisherigen Umfang ordentliches Lehrfach.
Art. 5
§ 1. Der Unterricht und die Erziehung der Kinder an den katholischen Volksschulen wird nur solchen Lehrkräften anvertraut werden, die geeignet und bereit sind, in verlässiger Weise in der katholischen Religionslehre zu unterrichten und im Geiste des katholischen Glaubens zu erziehen.
§ 2. Die Lehrer und die Lehrerinnen, welche an katholischen Schulen angestellt werden sollen, müssen vor ihrer Anstellung nachweisen,
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dass sie eine dem Charakter dieser Schule entsprechende Ausbildung erhalten haben. Diese Ausbildung muss sich beziehen sowohl auf den Religionsunterricht, wie auch auf jene Fächer, die für den Glauben und die Sitte bedeutungsvoll sind. Die Erteilung des Religionsunterrichtes setzt die Missio canonica durch den Diözesanbischof voraus.
§ 3. Der Staat wird bei der Neuordnung der Lehrerbildung für Einrichtungen sorgen, die eine den obigen Grundsätzen entsprechende Ausbildung der für katholische Schulen bestimmte Lehrkräfte sichern.
§ 4. In den Prüfungskommissionen, die für die Erteilung der Lehrbefähigung an den katholischen Schulen zuständig sind, erhalten die kirchlichen Oberbehörden für die Prüfung aus der Religionslehre und den oben genannten Fächern eine angemessene Vertretung.
§ 5. Soweit nach der Neuordnung des Lehrerbildungswesens Privatanstalten noch in der Lage sind, die Vorbildung oder die berufliche Ausbildung von Lehrern oder Lehrerinnen zu übernehmen, wird der Staat bei der Zulassung derselben die bereits bestehenden Anstalten der Orden und Kongregationen berücksichtigen.
§ 6. Die an privaten Anstalten vorgebildeten Zöglinge werden, falls diese Anstalten die staatlich vorgeschriebenen wissenschaftlichen Bedingungen erfüllen, nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen zu den staatlichen Prüfungen zugelassen.
§ 7. Die Erwerbung der Lehrbefähigung für Volksschulen, Mittelschulen und höhere Lehranstalten sowie die Übertragung eines Lehramtes wird für die Angehörigen von Orden, Kongregationen oder ordensähnlichen religiösen Genossenschaften an keine anderen Bedingungen geknüpft als für Laien.
Art. 6
In allen Gemeinden, in denen Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte es beantragen, müssen katholische Volksschulen errichtet werden, wenn die Zahl der dafür angemeldeten Schüler einen geord-
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neten Schulbetrieb ermöglicht, wenigstens in der Form einer ungeteilten Schule.
Art. 7
§ 1. An allen Volksschulen – nur die unten erwähnten ausgenommen – bleibt der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Der Umfang dieses Religionsunterrichtes soll im Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden festgesetzt und gegenüber dem gegenwärtigen Stande nicht gekürzt werden.
In jenen Volksschulen, in denen nach den zur Zeit geltenden Bestimmungen Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach ist, wird wenigstens die Erteilung eines privaten Religionsunterrichtes durch die Bereitstellung der Schulräume sowie durch Beheizung und Beleuchtung derselben aus staatlichen oder gemeindlichen Mitteln sichergestellt.
§ 2. Den Schülern der Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten wird im Benehmen mit den kirchlichen Oberbehörden geeignete und ausreichende Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten gegeben.
Art. 8
§ 1. Die Beaufsichtigung und Leitung des Religionsunterrichtes an den Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten steht der Kirche zu.
§ 2. Dem Bischof und seinen Beauftragten steht das Recht zu, Missstände im religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler wie auch nachteilige oder ungehörige Beeinflussungen derselben in der Schule, insbesondere etwaige Verletzung ihrer Glaubensüberzeugung oder religiösen Empfindungen im Unterrichte, bei der staatlichen Unterrichtsbehörde zu beanstanden, die für entsprechende Abhilfe Sorge tragen wird.
Art. 9
§ 1. Orden und religiöse Kongregationen werden unter den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zur Gründung und Führung von Privatschu-
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len zugelassen. Die Zuerkennung von Berechtigungen an derartige Schulen erfolgt nach den für andere Privatschulen geltenden Grundsätzen.
§ 2. Von Orden und religiösen Kongregationen geleitete Schulen, die bisher den Charakter öffentlicher Schulen gehabt haben, behalten denselben, sofern sie die an gleichartige Schulen gestellten wissenschaftlichen Anforderungen erfüllen. Unter den gleichen Vorbedingungen kann auch neuen Schulen von Orden und Kongregationen dieser Charakter durch die Staatsregierung verliehen werden.
Art. 10
§ 1. Der bayerische Staat wird seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche in Bayern stets nachkommen. Insbesonders wird er in vollem Umfange jenen vermögensrechtlichen Verpflichtungen gerecht werden, die hauptsächlich im Konkordat vom Jahre 1817 festgelegt sind, nämlich:
a) der Staat wird die erzbischöflichen und bischöflichen Stühle, die Metropolitan- und Domkapitel mit einer Dotation in Grund und Gütern von bleibendem Werte (in bonis fundisque stabilibus) ausstatten, deren freie Verwaltung den betreffenden Erzbischöfen, Bischöfen und Kapiteln zustehen soll und deren jährliche Reineinkünfte sich bemessen auf der Grundlage jener, die im erwähnten Konkordat festgesetzt sind, wobei einerseits dem Geldwert vom Jahre 1817, andererseits den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen ist. Solange eine solche Dotation nicht in angegebener Weise überwiesen werden kann, wird der Staat dafür eine derselben entsprechende Jahresrente leisten, die den jeweiligen wirtschaftlichen Zeitverhältnissen angepasst wird.
Die Dotation der sechs <6>1 Diözesen Augsburg, Regensburg, Würzburg, Passau, Eichstätt und Speyer soll die gleiche sein.
Die Weihbischöfe erhalten eine Gehaltszulage, wie sie in der Vereinbarung vom Jahre 1910 vorgesehen ist; sie wird ebenfalls den jewei-
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ligen wirtschaftlichen Zeitverhältnissen angeglichen werden.
b) Sämtliche Kapitel haben 2 Dignitäten (Domprobst und Domdekan); die Metropolitankapitel zählen wenigstens 10, die Domkapitel wenigstens 8 Kanoniker; die einen wie die anderen haben überdies wenigstens 6 Vikare.
Für die Kanoniker, die bereits das 70. Lebensjahr zurückgelegt haben oder die nicht mehr dienstfähig sind, können Koadjutoren mit oder ohne Recht der Nachfolge aufgestellt werden, die die gleichen Bezüge erhalten wie die statusmäßigen Kanoniker. Nach Bedürfnis wird auch die Zahl der Vikare erhöht werden.
c) Den Generalvikaren und bischöflichen Sekretären wird der bayerische Staat eine Dienstentschädigung anweisen, deren Höhe jeweils den Wirtschaftsverhältnissen anzugleichen ist.
d) Zur Zeit der Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles, der Dignitäten, Kanonikate oder Vikarien wird der Betrag der vorerwähnten Einkünfte zum Besten der betreffenden Kirche erhoben und erhalten.
e) Sowohl den Erzbischöfen und Bischöfen als den Dignitären [sic], den 6 bezw. 5 älteren Kanonikern und 3 älteren Vikaren wird eine ihrer Würde und ihrem Stande entsprechende Wohnung angewiesen.
f) Für die erzbischöflichen und bischöflichen Ordinariate, für das Kapitel und das Archiv wird ein geeignetes Gebäude überlassen.
g) Die Grundstücke, Einkünfte, beweglichen und unbeweglichen Güter der Domkirchen (einschließlich des Domes in Freising) und ihrer Fabriken werden erhalten werden, und, wenn sie zur Unterhaltung der genannten Kirchen, zu den Ausgaben für den Gottesdienst und zur Besoldung der notwendigen Diensttuenden nicht hinreichen, wird der Staat das Fehlende ergänzen.
h) In jeder Diözese sollen die bischöflichen Seminarien erhalten und mit einer hinreichenden Dotation in Grundstücke und Gütern von bleibendem Werte ausgestattet werden. In jenen Diözesen aber, wo solche Seminarien fehlen, sollen sie unverzüglich mit einer Do-
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tation der nämlichen Art eingerichtet werden.
Diese Seminarien umfassen die ganze Ausbildung für den geistlichen Beruf nach den Normen des Konzils von Trient und des Codex Juris Canonici.2
i) Für die Emeriten sorgt der Staat durch Herstellung von Emeritenanstalten mit ausreichender Dotation oder durch entsprechende Zuschüsse zu Emeritenpensionen, die für ein standesgemäßes Auskommen hinreichend sind.
k) Zur Errichtung und Teilung von Pfarreien wird der Staat angemessene Einkünfte bewilligen.
Den Seelsorgegeistlichen und den Benefiziaten, die eine bedeutende Mithilfe in der Seelsorge und in der Schule leisten, wird er wie bisher so auch fernerhin die Mittel für ein standesgemäßes Auskommen gewähren.
Im Falle einer Ablösung der derzeitigen staatlichen Leistungen an die Kirche oder im Falle einer Neuregelung derselben, werden die kirchlichen Belange durch entsprechende Ausgleichsleistungen im Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden mindestens so gewahrt, dass für Kirche und Klerus weder eine augenblickliche noch eine dauernde Schädigung gegenüber dem jetzigen Stande eintritt.
§ 2. Die staatlichen Gebäude und Grundstücke, die zur Zeit unmittelbar oder mittelbar kirchlichen Zwecken dienen oder religiösen Orden und Kongregationen überlassen sind, bleiben der Kirche auch fernerhin zur kostenlosen und uneingeschränkten Benützung überlassen. Der Staat wird diese Gebäude unterhalten, soweit er die Baupflichten an denselben hat oder doch schon bisher für den Unterhalt aufgekommen ist.
§ 3. Die Güter der Seminarien, Pfarreien, Benefizien, Kirchenfabriken und aller übrigen Kirchenstiftungen werden stets und ungeschmälert erhalten und können ohne Zustimmung der zuständigen kirchlichen Obrigkeit nicht veräußert werden.3 Die Kirche hat das Recht neues Besitztum zu erwerben und als Eigentum zu haben und dieses so erwor-
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bene Eigentum soll in gleicher Weise unverletzlich sein.
§ 4. Die Kirche hat das Recht auf der Grundlage der bürgerlichen Steuerlisten Umlagen zu erheben.
Art. 11
Der bayerische Staat verpflichtet sich, in seinen Straf-, Pflege-, Erziehungs- und Krankenanstalten sei es durch Anstellung eigener Geistlicher oder auf andere zweckmäßige Weise auf seine Kosten eine entsprechende Seelsorge einzurichten. Die Seelsorger für diese Anstalten werden im Einverständnis mit dem Diözesanbischof aufgestellt.
Bei der Genehmigung von Anstalten anderer Unternehmer wird der bayerische Staat tunlichst dahin wirken, dass die Anstaltspfleglinge dem jeweiligen Bedürfnis entsprechend seelsorglich betreut werden.
Art. 12
Abgesehen von kleineren Änderungen, die im Interesse der Seelsorge liegen und abgesehen von jenen Verschiebungen, die sich in einzelnen Fällen als Folge von Umpfarrungen ergeben, wird der jetzige Stand der Kirchenprovinzen und Diözesen beibehalten werden, wenn die politisch – territorialen Verhältnisse Bayerns keine Veränderung erfahren.
Art. 13
§ 1. In der Leitung und Verwaltung der Diözesen sowie in der Führung der Pfarrämter im eigentlichen Sinne werden nur Geistliche verwendet werden, welche die bayerische oder eine sonstige deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
§ 2. Desgleichen müssen die bayerische oder eine andere deutsche Staatsangehörigkeit besitzen die Obern der Orden und religiösen Kongregationen, die in Bayern ihren ständigen Sitz haben. Doch bleibt unberührt das Recht der Ordensobern mit anderer Staatsangehörigkeit, die ihren Sitz außerhalb Bayerns haben, persönlich oder durch einen Vertreter ihre Häuser in Bayern zu visitieren.
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Art. 14
§ 1. Die Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe steht dem Heiligen Stuhle zu. Er wird sich vor der Veröffentlichung der Bulle in offiziöser Weise versichern, ob gegen den Kandidaten etwa Bedenken politischer Art bestehen.
§ 2. <Die>4 Dignitäten, Kanonikate sowie die übrigen Benefizien werden nach dem gemeinsamen kanonischen Rechte besetzt.5
Art. 15
§ 1. Sollte sich in Zukunft irgend eine Schwierigkeit ergeben wegen Auslegung vorstehender Artikel oder wegen Fragen, die von ihnen etwa nicht in Betracht gezogen sind, so werden der Heilige Stuhl und der bayerische Staat gemeinsam eine freundschaftliche Lösung im Einklange mit dem kanonischen Rechte herbeiführen.
§ 2. Alle bisher erlassenen und noch in Kraft befindlichen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, welche den obigen Artikeln widersprechen, sind aufgehoben.
§3. Die Bestimmungen dieses Konkordats werden durch spätere Reichsgesetze ohne Zustimmung des Heiligen Stuhles nicht berührt.
1Hds. von unbekannter Hand gestrichen und eingefügt.
2Textpassage auf fol. 219v "h) In jeder Diözese […] Juris Canonici" hds. von unbekannter Hand am linken Seitenrand markiert, vermutlich vom Empfänger.
3"erhalten […] werden" hds. von unbekannter Hand am linken Seitenrand markiert, vermutlich vom Empfänger.
4Hds. eingefügt, vermutlich von einem Nuntiaturangestellten.
5"§ 1. Die Ernennung […] Rechte besetzt" hds. von unbekannter Hand am linken Seitenrand markiert, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio, [Kein Betreff], [München] vom vor dem 27. September 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 10238, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/10238. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 31.07.2013.