Dokument-Nr. 16513
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio
Breslau, 06. Januar 1926

Abschrift
Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius!
Exzellenz!
Zu dem zweiten Teile des geschätzten Schreibens vom 24. v. M. N. 34164 betr. Pastoration der polnischen Saisonarbeiter gestatte ich mir Folgendes zu bemerken.
I. Die pastorale Fürsorge für die Saisonarbeiter hat zu beginnen, ehe sie an den Arbeitsort gelangen. Vor dem Weltkriege haben wir norddeutschen Bischöfe öfters öffentlich und brieflich darauf hingewiesen, dass die Heimatpfarrer ihre jungen Leute tunlichst nur in Gegenden abwandern lassen sollen, wo sie nicht zu weit von der katholischen Kirche entfernt wohnen; daher vorherige Kommunikation nötig;
ferner: dass tunlichst die Arbeiter und Mädchen aus einer Gemeinde zusammenbleiben und dass einer (eine) vom Heimatpfarrer als Vertrauensperson bestellt wird, die öfters an den Heimatpfarrer berichten soll;
dann: dass der Pfarrer des Arbeitsortes mit dem Heimatpfarrer in Korrespondenz bleibe;
endlich: dass den Saisonarbeitern nicht so sehr politische Zeitungen, sondern katholische Sonntagsblätter aus der Heimat & dergl. nachgesandt werden.
In Fällen, wo solche Massnahmen getroffen waren, konnte ich in der Diözese Hildesheim feststellen, dass sie von sehr heilsamen Erfolge waren, wie ich derzeitig in einer pastoralen Zeitschrift hervorheben konnte.
II. Wegen Einführung pastoraler Fürsorge
1. in den Arbeitsverträgen,
2. auf der Reise vom Grenzübertritt bis zum Arbeitsorte,
3. wegen sittlich einwandfreier Gestaltung der Arbeiterwohnungen,
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4. wegen Verpflichtungen der Gutsbesitzer, sie zum Gottesdienst zu führen,
5. wegen Fürsorge für Kranke,
6. wegen Zurückführung zur Heimat in arbeitslosen Wintermonaten sind wiederholt Verhandlungen mit den Ministerien und der deutschen Arbeiterzentrale gepflogen. Ich gestatte mir die hierüber vorliegenden Drucksätze von 1917 zu übersenden. Jetzt, da die wirtschaftlichen Zustände langsam in ruhigere Bahnen gelangen, habe ich den Caritasverband gebeten, die Verhandlungen in Berlin mündlich weiterzuführen, was die Hauptvertretung des Caritasverbandes übernommen hat.
III. Mit derselben Hauptvertretung des Caritasverbandes stehe ich in Korrespondenz wegen Rettung unehelicher Kinder von polnischen Arbeiterinnen und ähnlich religiös gefährdeter Kinder. Hierüber hat der Caritasdirektor Wienken schon mit dem Auswärtigen Amte in Berlin verhandelt. Eine Information über das Ergebnis hoffe ich bald den Ordinariaten der preussischen Diözesen übermitteln zu können.
IV. Für Diözesen, die nur auf bestimmte Monate an einzelnen Orten polnische Wanderarbeiter haben, sind in der Zeit vor dem Weltkriege jährlich einige polnische Jesuiten und Lazaristen als Wanderseelsorger erbeten, die nach einer im März jeden Jahres gedruckten Tabelle genaue Anweisung für die Arbeitsorte erhielten, und den Besuch nach Bedarf im Herbste wiederholten. Diese Praxis, die Dompropst Woker in Paderborn eingeführt hatte, habe ich nach seinem Vorbilde in der Diözese Hildesheim eingeführt, daneben auch einen polnischen Kaplan, den Weihbischof Likowski von Posen beurlaubte, ständig in Hannover-Linden angestellt. Ausserdem wurden mehrere junge Priester zum Propste Beisert und an andere Stellen in der Erzdiözese Posen gesandt, damit sie das Polnische erlernten, zum Teil mit recht gutem, zum Teil mit minder gutem Erfolge.
V. In der Diözese Breslau genügt eine solche Einrichtung nicht, weil das Bedürfnis erheblich grösser ist. Weil die Zahl der utraquistischen (doppelsprachigen) Theologiestudierenden zu gering war, habe ich
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1. die früher bestehende Anordnung, dass den polnischen Unterricht im Theologischen Konvikte zu Breslau nur die aus gemischten Gegenden Oberschlesiens stammenden Studierenden besuchten, seit einigen Jahren dahin erweitert, dass:
a) alle Theologiestudierenden ohne Ausnahme in allen 5 Jahren des theologischen Studiums planmässigen Unterricht im Polnischen erhalten und das Polnische praktisch üben, auch
b) durch regelmässige Examina von den Erfolgen Rechenschaft geben.
Dieser Unterricht wird sowohl im Theologischen Konvikte wie im Alumnate getrennt von dem Universitätsunterrichte erteilt.
c) Durch Erlass vom 20. Juli 1925 sind Pfarrer in den utraquistischen Gemeinden gebeten, einzelne Theologiestudierende in ihr Pfarrhaus aufzunehmen in den Ferien, damit sie praktisch das Gelernte schon während der Studienzeit zu üben sich gewöhnen.
Die Regierung, die vor dem Umsturz diese allgemeinen Massnahmen zu behindern strebte, hat nach dem Umsturze sich passiv dazu verhalten, ist auch zu einem Einspruch nicht berechtigt.
Diese Massnahme wird allmälich [sic], etwa in 3 Jahren, zu einer allgemeinen Erleichterung der Pastoration der Saisonarbeiter erheblich beitragen.
2. Bei Anstellung der Geistlichen wird stets geprüft, ob und in welchem Umfange die polnische Sprache in Gottesdienst und Seelsorge erforderlich ist. Dabei ist nicht zu verlangen, dass ein Kaplan, der das Polnische mit grosser Mühe erlernt hat, sogleich es vollkommen beherrscht; einige Zeit der Uebung in praxi ist nötig, um Unvollkommenheiten zu ergänzen.
In den Orten der Delegatur werden desgleichen da, wo erheblich viele polnische Arbeiter sind, durchgängig nur utraquistische Geistliche angestellt.
An Orten mit geringer Zahl wird zuweilen im Wege gegenseitiger Aushilfe für periodischen polnischen Gottesdienst gesorgt.
3. Diese Methode gegenseitiger Aushilfe wird ergänzt durch Entsendung polnisch perfekt sprechender Geistlicher von Breslau aus. Im Frühjahre werden
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die Pfarrer, die Aushilfe für Polen bedürfen, durch amtliches Ausschreiben - vergl. anliegende Nr. 769 der Diözesanverordnungen, Ausschreiben Ziffer 62 - angewiesen, das Bedürfnis anzumelden, alsdann wird von Breslau aus der Pastorationsplan aufgestellt und ausgeführt.
4. Neu hinzugetreten ist jetzt die Sorge um solche polnische Kinder, denen der Religionsunterricht nebst Beicht- und Kommunionsunterricht notwendig in polnischer Sprache erteilt werden muss. Weil ein klarer Ueberblick hierüber fehlt, ist bereits vor einiger Zeit Anordnung getroffen, dass 1926 die von Breslau aus zur polnischen Pastoration in einzelne Gemeinden ziehenden Hilfsgeistlichen dieses spezielle Bedürfnis genauer zu ermitteln suchen; dann wird nach Bedürfnis versucht werden, in Waisenhäusern und Kommunikantenanstalten die Vorbereitung zur Beicht und Kommunion einzurichten.
5. Von Nutzen würde sein, wenn die meiner Jurisdiktion nicht unterstehenden Priesterorden der Diözesen Deutschlands angewiesen würden, dass alle später in Ostdeutschland tätigen Priester schon während ihrer Studienzeit und später Polnisch lernen müssen. Diese könnten eine sehr nützliche Hilfe leisten. Das ist wichtiger als Hebräisch, Griechisch, Kunstgeschichte u. dergl. m. In Betracht kommen Benediktiner, Jesuiten, Redemptoristen, Franziskaner, Dominikaner, Pallotiner [sic], Steyler, Oblaten, Camillianer.
VI. Die Frage einer Zentrale für Pastoration polnischer Saisonarbeiter ist am besten dahin zu beantworten, dass jede Diözese eine solche einrichte, die dann von Zeit zu Zeit zu einer Konferenz zusammentreten können, wie ich selbst schon eine solche Konferenz 1917 in Berlin mit Vertretern von 11 Diözesen gehalten habe und 1923 Vertreter westlicher Diözesen zur Verhandlung über Polenehen zum Reichsministerium der Justiz habe kommen lassen, und wie für Eheschliessungen eine Zentralstelle in Breslau besteht, die recht gute Erfolge erzielt hat.
Aber ich kann nicht empfehlen, eine von der bischöflichen Verwaltung getrennte, ausländische Zentralstelle, etwa durch einen polnischen Geistlichen
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einzurichten, denn
a) es würde von Misstrauen gegen den Bischof sprechen und würde von der polnischen Presse, die seit mehreren Jahren, auch noch 1925 gegen die bischöfliche Behörde in Breslau in schamloser Frechheit fanatisch gehetzt hat, zu einer Waffe gegen den deutschen Bischof benutzt werden. Daher würde statt harmonischen Zusammenarbeitens ein sehr berechtigter innerer Widerwille eintreten sowohl im Kreise der bischöflichen Verwaltung wie im gesamten deutschen Pfarrklerus.
b) Die polnische Agitation im deutschen Oberschlesien (Regierungsbezirk Oppeln) hat politischen Charakter. In den polnisch sprechenden Gemeinden des Regierungs-Bezirks Oppeln sucht die Presse und ein Teil des polnisch orientierten Klerus unablässig das Gefühl zu nähren, dass den Polen in Deutschland niemals von einem deutschen Bischofe Gerechtigkeit widerfahren werde. Daher ist die Losung, die überall durchklingt: los von Deutschland! los von Breslau! Naturgemäss würde die Regierung mit Recht einem in Deutschland etwa stationierten polnischen Kontrolleur der bischöflichen Seelsorge das grösste Misstrauen entgegenbringen, zumal auch in Folge der ausländischen Organisation des Polenbundes vor und während des Krieges von Holland und Nordamerika aus mit fanatischem Eifer die Polen in Schlesien, in Westfalen, in Ostpreussen usw. mit Misstrauen gegen deutsche Behörden und Bischöfe erfüllt sind. Daher meine Warnung.
Bischöfliche Zentralstellen in den einzelnen Diözesen mit Konnex unter einander halte ich für das beste Hilfsmittel.
In tiefster Verehrung bleibe
Eurer Exzellenz ganz ergebener
(gez.) A. Card. Bertram
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio vom 06. Januar 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16513, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16513. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 29.01.2018.