Dokument-Nr. 17948

Adam, Karl: Vorwort zur dritten Auflage.. Tübingen, März 1926

Abschrift
Der Wunsch nach einer möglichst beschleunigten Herausgabe der dritten Auflage machte eine Aenderung des Textes unmöglich. Da das "Wesen des Katholizismus" zu heiss umstrittenen Grundfragen in zuweilen gedrängter Kürze Stellung nehmen musste, ist es nicht verwunderlich, dass minder durchsichtig formulierte Wendungen hier und dort zu Missverständnissen Anlass haben. Immerhin stelle ich mit Freuden fest, dass die wissenschaftliche Erörterung einzelner von mir berührter Probleme zu Ergebnissen führte, die ganz auf der von mir verfolgten Linie liegen. Ich denke z. B. an das Verhältnis des subjektiven Gewissensurteils zu der im kirchlichen Lehrwort gegebenen objektiven Norm. Pater Pribilla hat neuerdings in einem Aufsatz der "Stimmen der Zeit" (Januar 1926 S. 241-259) an einem historischen Beispiel ("Die Jungfrau von Orléans eine protestantische Heilige?") die Geltung des subjektiven Gewissens scharf herausgearbeitet und auf die Lehre der Scholastik hingewiesen, die hart und unmissverständlich betont, dass der Mensch es vorziehen müsse, in der Exkommunikation zu sterben denn gegen sein Gewissen zu handeln. Und Bernhard Poschmann (Grundlagen und Geisteshaltung der katholischen Frömmigkeit 1925 S. 94) spricht ähnlich wie Pribilla und ich von der Möglichkeit eines "unverschuldeten Abfalls" eines Katholiken in bestimmten Ausnahmefällen. Die objektive Geltung der kirchlichen Autorität bleibt von dieser Pflicht des subjektiven Gewissensentscheids durchaus unberührt. Der gläubige Katholik ist gehalten, die von seiner Kirche authentisch bezeugte objektive Wirklichkeit der Uebernatur zur Richtschnur für sein Gewissen zu nehmen. Solange er
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ernsthaft nach der Wahrheit strebt und innerhalb der Kirche verbleibt, wird ihn – das ist das Normale – die Gnade1 Gottes niemals zu einer Gewissensüberzeugung gelangen lassen2, auf Grund derer er zum Austritt aus der Kirche genötigt wäre (vgl. S. 216 dieses Buches).3
– Neben dieser mehr praktischen Frage steht angesichts der heutigen religionsphilosophischen Bewegungen nach wie vor besonders das Problem der Wirklichkeit und Erkennbarkeit des absoluten Seins im Vordergrund des Interesses. Das vom Vatikanum formulierte Dogma über die Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis wird für ein nüchternes religionsphilisophische [sic] Denken immer richtungsgebend sein müssen. Dasselbe Vat. hat es aber nicht unterlassen hervorzuheben, dass in der jetzigen Menschheitslage selbst jene religiösen Wahrheiten, die an sich auch der menschlichen Vernunft nicht unzugänglich wären, tatsächlich ohne die Offenbarung nicht von allen leicht, sicher und irrtumslos erkannt werden. Insofern weiterhin der Mensch, wie ich S. 197 gegenüber dem Naturalismus hervorhob, nicht etwa "bloss" zu einem natürlichen, sondern darüber hinaus ausschliesslich zu einem übernatürlichen Endziel verpflichtet ist, das auch seine natürlichen Aufgaben in sich aufnimmt und verklärt, ist nach demselben Konzil die übernatürliche Offenbarung für jeden Menschen sogar "absolut notwendig", d. h.: es kann für den konkreten geschichtlichen Menschen keine und keinerlei natürliche religiöse Erkenntnis genügen, sofern er sein einziges und eigentliches Ziel erreichen soll. Dem modernen Naturalismus und Humanismus – auch in theologicis – gegenüber glaubte ich die Bedeutsamkeit dieses vatikanischen Dogmas in Erinnerung bringen zu müssen. Darum hob ich mit besonderem Nachdruck hervor (S. 61), dass wir aus der Offenbarung erst des Glückes eines auf den überna-
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türlichen4 Heilstatsachen beruhenden Lebens- und Liebesaustausches des menschlichen Ichs mit dem göttlichen Du gewiss werden, dass uns also erst sie den "lebendigen Gott" in diesem Sinn5 des Wortes erkennen lässt. Wie ich selbst schon in einer früheren Studie (Glaube und Glaubenswissenschaft im Katholizismus 1923, 2. Aufl. S. 128 ff.) auf den Wesenszusammenhang von Offenbarung und lebendiger Religion, von Glaube und Theologie verwiesen hatte, versucht in verwandten Gedankengängen auch die eben erschienene eindringende Untersuchung von K. Eschweiler über die "zwei Wege der neueren Theologie" (vgl. besonders S. 188 ff.) die Eigenart der theologischen Erkenntnis und Wissenschaft am Grundverhältnis von Natur und Gnade zu bestimmen. Ich möchte nicht verfehlen, tiefer fragende Leser auf diese Studie aufmerksam zu machen.
Zum Schluss sei mir noch gestattet, auf einen Punkt hinzuweisen, der vielleicht Missdeutungen ausgesetzt sein könnte. Bei den spezifischen Wesensunterschieden zwischen Katholizismus und Protestantismus ist die Frage nach dem Priestertum nicht eine der unwichtigsten. Indem ich die Lehre des h. Thomas darlegte, dass auch das Laienpriestertum eine Anteilnahme an dem einen sacerdotium Christi bedeute (S. 141 ff.), kam es mir darauf an zu zeigen, wie stark und lebendig im Katholizismus trotz des wesentlichen Unterschiedes zwischen Priester und Laien der Gedanke des Laienpriestertums erfasst ist.
(gez.) Karl Adam.
Dieses Dokument war dem Schreiben des Kölner Erzbischofs Kardinal Schulte vom 26. März 1926 als Anlage beigefügt.
1"(darf er darauf vertrauen, dass ihn die Gnade…)" hds. von Pacelli eingefügt.
2"(lässt)" hds. von Pacelli eingefügt.
3"N. B. = Le parole scritte a mano rappresentano la prima redazione, coretta poi dall'Emo Schulte." hds. neben dem Absatz von Pacelli eingefügt.
4"(den beglückenden Tatsachen eines unmittelbaren Lebens…)" hds. von Pacelli eingefügt.
5"(im emphatischen Sinn…)" hds. von Pacelli eingefügt.
Empfohlene Zitierweise
Adam, Karl, Vorwort zur dritten Auflage., Tübingen vom März 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17948, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17948. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 29.01.2018.