Dokument-Nr. 18541
[Sonntag, Josef]: Kapital und Wirtschaft. Tägliche Sonderinformationen.. Berlin-Steglitz, 27. Januar 1925
Neben den fortgesetzten Konzernkäufen, die zum Teil für Angliederungszwecke erfolgen, gehen auch Auslandskäufe her. An den internationalen Börsen erweitert sich der Markt der deutschen Werte immer mehr. Während noch vor gar nicht langer Zeit der Kreis der im Auslande bekannten Aktien sich auf einige wenige der bedeutendsten Werte beschränkte, finden jetzt bereits Umsätze in weiteren Werten der wichtigsten deutschen Industriezweige statt. Die Belebung des ausländischen Börsengeschäfts in deutschen Industriepapieren ist auch hervorgerufen worden durch manche deutschen Firmen, die sich an Auslandsbörsen niedergelassen haben und die das dortige Kapitalistenpublikum planmäßig für deutsche Effekten zu interssieren [sic] suchen, und zwar teilweise bereits mit beachtenswertem Erfolg. Diese Umsätze finden bisher zwar nur im freien Verkehr statt. [sic] aber der erste Schritt zu einer Zulassung mancher deutscher Aktien zum amtlichen Börsenverkehr an ausländischen Plätzen ist doch bereits getan, wenn auch bis zur Erweiterung der dortigen amtlichen Kurszettel durch deutsche Papiere noch ein weiter Weg sein dürfte. Namentlich in New York nimmt das Geschäft in diesen Werten ständig zu, aber auch Amsterdam und London zeigen für sie lebhafteres Interesse.
Das inländische Börsengeschäft erfährt ferner eine zunehmende Förderung durch die Kauflust des Publikums, die Industriepapiere vor den eigentlichen Anlagewerten weitaus bevorzugt. Trotz der Stabilisierung besteht als Folge der Inflation immer noch ein großes Mißtrauen gegen inländische festverzinsliche Papiere, und zwar sogar auch gegen Goldpapiere. Mit Industriewerten hat man sich während der Inflationszeit recht angelegentlich beschäftigt, und diese Vorliebe hat sich auch auf die Gegenwart übertragen. Der Anlagebedarf des Publikums, der ja allerdings gegen die Friedenszeit noch erheblich zurückbleibt, wendet sich hauptsächlich den guten Dividendenwerten zu, von denen man sich eine ebenso gute, wenn nicht bessere Verzinsung als von den neuen Goldanleihen oder von Einlagen in eine Sparkasse verspricht. Es hat den Anschein, als ob das Anleihengebiet noch auf lange Zeit zugunsten der Dividendenwerte vernachlässigt bleiben wird, wenn auch betont werden muß, daß die neu herauskommenden festverzinslichen Werte keinerlei Bedenken rechtfertigen.
Von den Aufwertungsplänen, die dem jetzt wieder zusammentretenden Aufwertungsausschuß des Reichstags zur Beratung vorgelegt werden sollen, wird ein Plan an der Börse besonders erörtert. Es handelt sich hierbei darum, daß die neueren Erwerber von Anleihen nicht irgendwie in Anleihen abgefunden werden, sondern Genußscheine, auf die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft lautend , erhalten sollen. Eine Rente aus diesen Genußscheinen kann natürlich erst dann erwartet werden, nachdem die Reichsbahn ihren Reparationsverpflichtungen auf Grund des Dawesabkommens nachgekommen sein wird. Ueber den Wert einer solchen Regelung für die neueren Erwerber läßt sich erst dann ein Urteil fällen, wenn man weiß, in welchem Verhältnis die Abfindung gewährt werden soll.
Bereits letzthin wurde an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß bei einer Erhöhung des Aufwertungssatzes für Hypotheken die Unkostenvergütung für die Hypothekenbanken, die nach der dritten Steuernotverordnung 20 Prozent beträgt, herabgesetzt werden dürfte. Dem Vernehmen nach wird, wenn eine 25prozentige Aufwertung für Hypotheken durchgehen sollte, womit man neuerdings mit Bestimmtheit rechnet, die Unkostenvergütung der Hypothekenbanken auf etwa 12-12 1/2 Prozent von der Teilungsmasse festgesetzt werden.
Die Verwaltung der Rhenania Verein. Chem. Fabriken A.-G. in Köln beantragt eine Zusammenlegung des Stammaktienkapitals im Verhältnis 16 2/3:1 auf 20.100.000 Rm. Das Vorkriegskapital der Gesellschaft, die im Jahre 1920 mit dem Verein Chem. Frabriken in Mannheim vereinigt wurde, betrug 6 Millionen und wurde 1917 verdoppelt. Bei den weiteren Erhöhungen von 1920-23 dürften der Gesellschaft ca. 14 Millionen Goldmark zugeflossen sein. Das Vorkriegskapital des Vereins Chem. Fabriken Mannheim betrug 5.3 Millionen. Gleichzeitig mit der Kapitalumstellung wird die Genehmigung eines langfristigen engeren Interessen-Gemeinschaftsvertrages mit der Chemischen Fabrik Kunheim u. Co. A.-G. in Berlin, die ihr Aktienkapital im Verhältnis 10:1 auf 16 Millionen Reichsmark zusammenlegte, beantragt.
Die Generalversammlung der J. Eichenberg A.-G. für Wäschefabrikation in Berlin hat eine Zusammenlegung des Stammaktienkapitals von 20 Millionen auf 1 Million Reichsmark beschlossen. Die Gesellschaft ist im Jahre 1921 aus der bereits lange Jahre bestehenden Firma J. Eichenberg in eine Aktiengesellschaft mit 4 Millionen Papiermark = ca. 200.000 Gm. umgewandelt worden. Bei den Kapitalerhöhungen dürften der Gesellschaft etwa 750.000 Gm. zugeflossen sein.
In den Aktien der Laurahütte finden zurzeit wieder größere Käufe statt, für die die günstigen Nachrichten über die Verhandlungen der Gesellschaft mit dem polnischen Staat die Veranlassung gegeben haben. Der österreichische Finanzmann Bosel soll seine Beteiligung an dem Unternehmen ganz aufgegeben haben.
Eine Aktie, die bald aus dem Verkehr verschwinden wird, ist die der Muldental-Werke in Freiberg und Großenhain. Das Amtsgericht in Freiberg hat die Eintragung der Umstellungsbeschlüsse der letzten Generalvesammlung zurückgewiesen, da sie gegen die guten Sitten verstoßen. Vorläufig werden die Aktien an der Berliner Börse noch mit 15 Pfennig notiert. Gegen den Direktor des Unternehmens schwebt ein Strafverfahren.
Die Mannesmann-Röhren und Eisenhandels A.-G. in Prag beschloß, aus 468.000 Kronen Reingewinn eine Dividende von 7 Prozent zu verteilen. Der Gesellschaft wurde der Alleinverkauf der Schraubenerzeugnisse des Libschützer Eisenwerks übertragen. Man erwartet auch für das laufende Geschäftsjahr ein befriedigendes Ergebnis.
Am Produktenmarkt hält die lebhafte Nachfrage nach Roggen und Weizen weiter an. Bereits vor längerer Zeit ist an dieser Stelle darauf hingewiesen worden, daß sowohl in Amerika wie auch in Deutschland Baisse-Engagements besonders in Roggen per Ultimo Januar bestehen. Die Schwierigkeiten, die sich aus den Glattstellungen dieser Engagements ergeben haben, haben in den letzten Tagen zu Zahlungseinstellungen verschiedener Hamburger Getreidefirmen geführt. Bisher wurde der Preisstand durch Deckungskäufe für diese Firmen weiter gehoben. Es hat den Anschein, als ob man neuerdings bemüht ist, unter der Hand eine Beseitigung der Schwierigkeiten herbeizuführen. Dazu kommt, daß
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neuerdings auch die Landwirte im Inland bereit sind,
vielleicht auch aus politischen Gründen, williger Material zu ermäßigten Preisen zur
Verfügung zu stellen. Jedenfalls macht sich neuerdings seitens der Käufer etwas größere
Zurückhaltung bemerkbar.Handel.
Aus Südafrika wird mir berichtet, daß das Geschäft im neuen Jahr gut anfing und alle Anzeichen darauf deuten, daß eine gute Ernte erzielt werden wird, die ihrerseits günstig auf die Entwicklung des Handels einwirken kann. Man nimmt an, daß die Einfuhr in diesem Jahre geringer sein wird, da die Regierung beschlossen hat, möglichst viel Aufträge im Lande selbst zu vergeben. - Die Maisernte verspricht in diesem Jahre einen Rekord. Die Nachfrage nach allen Sorten ist groß. - Die Zuckerfabriken, die geschlossen waren, werden im Mai wieder eröffnet werden. Nachrichten aus Zululand sagen eine ausgezeichnete Ernte für diese Saison voraus. Ferner besteht Aussicht auf eine vorzügliche Baumwollernte, die voraussichtlich 25.000 Ballen ergeben wird. Ebenso wird die Tabakerzeugung die des Vorjahres übertreffen. Die Weizen-, Hafer- und Gersteernte wird wahrscheinlich um 15 Prozent niedriger sein als 1923. Auf dem Viehmarkt herrscht großes Ueberangebot, obgleich Schweinezüchter hohe Preise erzielen und ebenso Schafe hoch im Preise stehen.
Der einheimische Wollmarkt liegt geschäftslos, die Zukunftsaussichten sind ungünstig. Die Deutschen sind immer noch diejenigen, die die meisten Geschäfte abschließen. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Maschinen ist geringer. Der Holz- und Elektrohandel lag sehr still, obgleich man für später besseres Geschäft erwartet. Die Aussichten für den Eisen- und Stahlhandel sind sehr gut.
Die polnische Holzausfuhr über Danzig beschäftigt die Warschauer Presse in erhöhtem Maße. Von einer Seite wird die herabgeminderte polnische Holzausfuhr des Jahres 1924 mit der schlechten Meinung des Auslandes über das in Polen oberflächlich bearbeitete Holzmaterial begründet. Dieser Ansicht tritt die "Gaz. Warsz." entgegen und führt den starken Rückgang der polnischen Holzausfuhr gegenüber den Jahren 1921 bis 1923 in erster Linie auf die allgemeine wirtschaftliche Depression zurück, namentlich auf die Verteuerung der Arbeitslöhne, die Erhöhung der Eisenbahntarife und die Vermehrung der Steuerlasten. Der "Economist" führt die dauernde Steigerung des polnischen Holzexports nach England, der 1922 ca. 40.000 Tonnen, 1923 84.000 Tonnen, 1924 161.000 Tonnen betrug, als Beweis dafür an, daß der allgemeine Rückgang der Holzausfuhr keinesfalls der schlechten Bearbeitung des polnischen Holzmaterials zuzuschreiben sei. Wohl aber werden allgemein die allzuhohen Eisenbahntarife als der tiefste Grund für die Stagnation des polnischen Holzexports angesehen. Die durch den neuen Eisenbahntarif angeführten Ermäßigungen werden als keineswegs ausreichend betrachtet, und außerdem sei es bis jetzt noch nicht gelungen, die von der Tarifkommission beantragte Tarifermäßigung um 20 bis 25 Prozent für Exportholz durchzusetzen.
Industrie.
Financial Times schreibt zu dem Versuch der Badischen Anilin- und Sodafabrik, in Norwegen Anlagen zur Vergrößerung ihrer Stickstoffproduktion zu bauen. daß [sic] diese Gesellschaft, nach Mr. Endt, heute bereits über 16mal mehr produziere als die norwegischen Stickstoffwerke, die zu der Norsk Hydro-Electric Company gehören. Die Badische Anilin- und Sodafabrik versuche jetzt, in Norwegen 500.000 PS an elektrischer Kraft zu bekommen, um die Produktion ihrer Stickstoffdüngemittel und anderer Stickstoffprodukte weiter zu vermehren. Aus einem Artikel der Norwegischen Handels- und Schiffahrtszeitung [sic] ist nach Meinung der Financial Times, deutlich zu ersehen, daß diese Gesellschaft im besonderen und die Deutschen im allgemeinen mit nicht gerade großer Begeisterung in Norwegen erwartet werden. Die norwegischen Fachkreise werden daran erinnert, daß die Badische Gesellschaft schon früher im Lande gewesen sei und daß sie zu dieser Zeit eine Unmenge von Ingenieuren und anderen Beamten mitbrachte, deren "Hochmut und Geringschätzung" noch allen denen, die mit ihnen zu tun hatten, in Erinnerung sein dürfte. (??) Andere Blätter verlangen von der norwegischen Regierung, daß sie Klauseln in den Konzessionsvertrag mit der Badischen Anilin- und Sodafabrik aufnehme, durch die eine Ueberschwemmung Norwegens mit Deutschen vermieden werden könnte. Man wundere sich, daß Mr. Endt, der zu den Norwegischen Stickstoffwerken gehört, die Badische Anilin- und Sodafabrik in einer Angelegenheit, wo Stickstoffprodukte in Frage kommen, vertreten könne, da diese Gesellschaft ein gefährlicher Konkurrent der norwegischen Stickstoffwerke sei (!). Dafür sei nirgends eine Erklärung zu finden.
(In der englischen Geschäftswelt ist man offenbar noch weit entfernt von dem versöhnlichen Geiste, den die englischen Zeitungen Deutschland gegenüber zu besitzen so und so oft vorgeben. Es ist bezeichnend, daß die Financial Times gerade falsche Meldungen über das Benehmen von Deutschen in Norwegen überhaupt wiedergibt.)
Die englische Metallindustrie befindet sich in einer schweren Wirtschaftslage. Der Export ist im Vergleich zum Vorjahr um 450.000 Tonnen zurückgegangen. Infolgedessen wurden in England im Jahre 1924 zirka 25 Hochöfen ausgeblasen. Die Produktion wurde auch durch verschiedene Streiks ungünstig beeinflußt. Die Preise für Brennmaterialien sind immer noch im Steigen begriffen, so daß die Konkurrenzfähigkeit der englischen metallurgischen Industrie gegenüber dem Ausland immer weiter sinkt. Die Gestehungskosten liegen etwa bei 80 Prozent über denen der Vorkriegszeit, während die Weltmarktpreise für metallurgische Produkte nur um etwa 30 bis 40 Prozent gestiegen sind.
Frankreich ist es im vergangenen Jahr gelungen, seine Produktion soweit zu vergrößern, daß sie die englische nunmehr übertrifft, wobei die französischen Preise bis zu 30 Proz. niedriger sind als die englischen. Es ist daher erklärlich, daß der englisch Markt sehr stark von anderen Ländern versorgt wird. Die Einfuhr von Metall wird auf etwa 2,4 Millionen Tonnen eingeschätzt. Deutschlands Metallproduktion dürfte im Jahre 1924 an zweiter Stelle nach Amerika stehen.
Kemal Pascha beabsichtigt, die angrenzenden Länder Chiwa, Buchara und Afghanistan zu einigen und auszurüsten. Seine Regierung hat bereits in Angora mit der Errichtung von Fabriken begonnen, in denen Munition und Textilien aller Art hergestellt werden sollen. Vertreter deutscher Gruppen befinden sich in Angora, um zu prüfen, ob und wie die Werkstätten von Deutschland aus beliefert werden können, soweit dies nach dem Versailler Diktat überhaupt möglich ist. Die Entscheidung ist indes weniger industriell, als finanziell bedingt, da natürlich alles von der Zahlungsfähigkeit des türkischen Staates abhängt. Warenkredite auf lange Sicht kann die deutsche Wirtschaft selbstverständlich nicht geben.
Ausland.
Der hier bereits angekündigte Lichtbildvortrag des Herrn Dr. Waage über die Konzessionen der Deutsch-russischen Saatbau-A.-G. sowie über die Lage Rußlands findet diesen Mittwoch, abends um 8 Uhr, im Berlin-Schöneberger Rathaus statt.
Aus Spanien wurden im Jahre 1924 nach Deutschland 568.000 Kisten Apfelsinen importiert, während die Einfuhr im Jahre 1923 nur 81.400 Kisten betrug. Im ganzen exportierte Spanien im Jahre 1924 3,1 Millionen Kisten Apfelsinen, d. h. ca. 900.000 Kisten mehr als im Vorjahre.
Auskünfte.
B. u. Co., Düsseldorf. Die landwirtschaftlichen Pfandbriefe sind meist vor dem Kriege bis zur Höhe eines bestimmten Nominalbetrages zur Börse zugelassen worden. Nun haben aber die einführenden Banken - ebenso wie auch schon vor dem Kriege - von der ihnen erteilten Ermächtigung zur Ausgabe und Börseneinführung des betreffenden Betrages vollständig erst mehrere Jahre nach der Erteilung dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht, so daß sich die Ausgabe und Einführung der betreffenden Pfandbriefe bis weit in die Zeit der Geldentwertung hingezogen hat. Zu ihrer Verteidigung geben die Banken an, daß bis ins Jahr 1923 hinein auch die Gerichte Mark = Mark setzten. Insofern kann man also rechtlich den Banken keinen Vorwurf machen. Der Börsenvorstand wäre m. E. moralisch (leider nicht rechtlich) verpflichtet gewesen, im Jahre 1923 die Streichung des Kurses für derartige Papiere vorzunehmen. Es wäre zu empfehlen, dem Vorstand der Berliner Fondsbörse, der dieses Material sammelt, den Sachverhalt zu unterbreiten. Der mit dem Ankauf beauftragten Großbank wird man einen Verstoß gegen die guten Sitten (etwa durch Aussortierung der alten und neuen Pfandbriefe) nicht beweisen können.