Document no. 512

Erzberger, Matthias: Macht oder Recht?, in: Germania, before 27 May 1918
Nachdem die "Kölnische Volkszeitung", auf falschen und unzutreffenden Behauptungen fußend, in manchen Kreisen der Zentrumspartei unbegründete Beunruhigung hervorgerufen und, wie mehrere Reichtagskollegen auch aus anderen Fraktionen öffentlich feststellten. einen "Rummel" gegen mich inszeniert hat, kommt Sie endlich mit dem wahren Grund des Kampfes gegen mich hervor, indem Sie meiner gesamten Tätigkeit gegenüber erklärt, "daß bei durchaus falscher Beurteilung der gesamten tatsächlichen Lage ihre Wirkung einer kräftigen Kriegsführung, der Entschlossenheit zum Durchhalten und dem unerschütterlichen Siegeswillen des deutschen Volkes abträglich" ist. Wenn die "Kölnische Volkszeitung" diesen Satz an die Spitze ihres gegen mich unternommenen Feldzuges gestellt hätte, statt an den Schluß, hätte Sie offener und wahrer gehandelt. Nach diesem eigenen Ausspruch des Blattes ist also jetzt die "Revanche für den 19. Juli 1917" erfolgt, aber auch diese ist aufgebaut auf falschen Behauptungen. Es handelt sich letzen Endes um die Frage, ob Macht oder Recht im Zusammenleben der Völker Leitstern und Richtschnur sein sollen.
1. "Durchaus falsche Beurteilung der gesamten tatsächlichen Verhältnisse"
lautet der erste Vorwurf, eine völlig unzutreffende, ganz allgemein gehaltene Behauptung ohne jeden Beweis. Nur ein politischer Petrefakt hat während des vierjährigen Weltringens nichts gelernt. Aber das kann ich ohne jeden Widerspruch feststellen: die gesamten tatsächlichen Verhältnisse habe ich im Kerne immer richtiger beurteilt als meine Gegner, namentlich immer richtiger als die "Kölnische Volkszeitung" selbst. Ich habe unsere eigene Kraft nie unterschätzt, vor allem auch nie versucht, Sie dadurch klein zu machen, daß ich Sie im Nebelgewölk kraftmeierischer Schlagwörter aufgehen ließ. Weil ich weiß, daß wir stark sind, setze ich unsere Stärke nicht der Kritik der Gegner an billigen Schlagwörtern aus. Unsere eigene Kraft beruht auf der nationalen Geschlossenheit unseres Volkes, auf der christlichen Idee, die unser öffentliches und privates Leben stärker durchflicht, als manche glauben, auf der Jahrzehnte alten freien Organisation unseres Volkes (nicht der während des Krieges geschaffenen), auf der politischen Erziehung der breiten Volksschichten und auf einem kräftigen Staatsbewußtsein, das während des Krieges erfreulich gewachsen ist und dessen erste Blüte die Forderung nach Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts in Preußen darstellt. Wer das Recht der politischen Gleichwertigkeit unserem Volke, das blutet und darbt, vorenthält oder verkümmert, der versündigt sich an diesem und beurteilt die tatsächlichen Gesamtverhältnisse grundfalsch. Was der "Volksbund für Freiheit und Vaterland" in diesen Tagen, als die einmütige Auffassung der gesamten deutschen Arbeiterschaft verkündet hat, muß von dem politisch Denkenden unterschrieben werden. Erfreulicherweise kann dies auch für die Zentrumsfraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses festgestellt werden; in gar nicht überraschender Weise haben im Zentrum nur Angehörigen des Adels und fast nur Mitglieder der Vaterlandspartei gegen die Einführung des gleichen Wahlrechts gestimmt und sich damit in schwerer Weise gegen die Grundauffassung der Partei wie gegen die 40 Jahre ununterbrochene gleichmäßige Tradition derselben verfehlt. Über diese Disziplinlosigkeit habe ich allerdings in der Zentrumspresse sehr wenig gelesen. Die "Kölnische Volkszeitung" hat meine Kritik im Hauptausschuß aus dem Gesichtswinkel der Parteidisziplin betrachten und daraus Angriffe gegen mich ableiten zu müssen geglaubt. Wen dies Moment ihrer Stellungnahme tatsächlich eine große Rolle gespielt hätte, so hätte sie in schärferer Weise gegen den Grafen Spee vorgehen müssen. Graf Spee
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hatte keinerlei Auftrag der Fraktion, sich hinzustellen und für die Vertagung der Wahlrechtsangelegenheit zu plädieren. Ich hatte für den Entwurf des Antrages nach meiner Rede die Unterschriften sämtlicher anwesenden Zentrumsmitglieder. "Verstoß gegen die Regierung" hieß es bei mir, wo es sich um Kritik von Regierungsmaßnahmen handelte, wo eine starke, kurssichere Regierung im Interesse der Dauerhaftigkeit des zukünftigen Friedens verlangt wurde! – Herr von Heydebrand hat bei den Landtagsdebatten die preußischen Minister angepfiffen wie Schulbuben, weil die preußische Regierung das Wort des Königs einlösen will, weil ihm die preußische Regierung nicht zu Willen ist in einer Frage, deren Dringlichkeit das ganz Volk, die Regierung, der Reichskanzler einsieht, Herr von Heydebrand, der die Regierung im In- und Ausland in das Odium der Schwäche, der Reaktion hineintreiben will, der die ganze Wahlrechtsfrage in ihrem grundsätzlichen Charakter zu einer Machtfrage zwischen ihm und seiner Partei einerseits und der Regierung andererseits gemacht hat. Wo ist da die Entrüstung der "Kölnischen Volkszeitung über den Heydebrandschen Vorstoß geblieben? – Aber Herr von Heydebrand ist alldeutsch, ich trete ja nur für den Verständigungsfrieden ein.
Trotz allem, ich habe die felsenfeste Überzeugung, daß unser Volk die Lasten und Leiden des Krieges auch weitertragen wird, dies um so williger und begeisterter, je gesunder die Politik ist, die nach innen und außen verfolgt wird.
Die Leistungsfähigkeit unserer Bundesgenossen habe ich stets richtig beurteilt und wiederholt darauf hingewiesen, daß in Deutschland in vielen Kreisen vergessen wird, daß wir einen Koalitionskrieg führen, und daß das politische Tempo sich in diesem Kriege nicht nach dem Tempo des am schnellsten fahrenden Schiffes richten müsse, sondern nach dem des am langsamsten fahrenden. Die Entwicklung hat mir, glaube ich, nicht unrecht gegeben.
Ich glaube auch, mich über die Stellungnahme des neutralen, jetzt feindlichen Auslandes im wesentlichen nicht getäuscht zu haben. Über die endgültige Stellungnahme Italiens habe ich bereits im Februar 1915 nach meiner ersten Reise nach Rom in voller Übereinstimmung mit dem Fürsten Bülow das gesagt, was im Mai eingetreten ist. Daß Rumänien uns in einem Moment, wo es uns schwach glaubt, angreifen werde, ist von mir bereits im Februar 1916 den maßgebenden Stellen unterbreitet worden.
Die politischen Wirkungen des uneingeschränkten U-Bootkrieges, die von meinen Gegnern stets auf die leichte Achsel genommen werden, wurden von mir bereits im Oktober 1916 in den Verhandlungen des Hauptausschusses mit aller Deutlichkeit dargelegt. Ich habe damals erklärt, daß der Krieg mit den Vereinigten Staaten eine zwangsläufige Folge sein müsse, und daß auch andere neutrale Länder uns den Krieg erklären würden. Staatssekretär von Jagow hat damals auf meine Frage, wie er diesen unvermeidlichen Folgen entgegentreten würde, eine noch heute zutreffende Antwort gegeben, auf welche alle politischen Kraftmeier geschwiegen haben und noch schweigen. Über die uns schädliche politische Kausalwirkung des uneingeschränkten U-Bootkrieges habe ich mich nie, meine Gegner sich aber immer getäuscht. In dieser Frage war gerade die "Kölnische Volkszeitung" eine Haupttreiberin. Wenn sie jetzt von einer "Erzbergerpresse" spricht, so kenne ich eine solche nicht, sondern nur eine Zentrumspresse, innerhalb derselben allerdings eine "Tirpitzpresse". Was ich im Juli 1917 über die Wirkungen des uneingeschränkten U-Bootkrieges ausführte, ist im weiteren Verlauf desselben vollauf bestätigt worden. (Ich ging damals nicht in Ferien, wie mache Staatsmänner, welche Kraft sammeln wollten, um für die "unmittelbar bevorstehenden Friedensverhandlungen" gerüstet zu sein; ich kann auch heute noch nicht die Auffassung teilen, daß der Weltfrieden in den nächsten Monaten kommen werden, namentlich dann nicht, wenn die Kriegsziele gewisser Kreise, nament-
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lich die der "Kölnischen Volkszeitung", dem Gegner so laut und aufdringlich immerfort ins Ohr geschrieben werden.) Niemals stand für mich die der englischen Kriegsführung in schwerer Weise abträgliche Wirkung des U-Bootgkrieges in Frage. Der U-Bootkrieg wirkt und bleibt ein außerordentlich wertvolles Instrument in unserer Kriegsführung. Aber alle Berechungen des Admiralstabes, des Reichsmarineamtes, der "Sachverständigen" und anderer Stellen sind teils über den Haufen geworfen worden, teils einer gründlichen Revision unterzogen worden. Die von mir aufgestellten Gesichtspunkte über die Bewertung von Zahlen und Terminen bezüglich der Wirkung des U-Bootkrieges haben sich mit jedem Monat mehr bewahrheitet und werden sich immer mehr bewahrheiten. Ich persönlich kann nur bedauern, daß die derzeitige Lage es nicht gestattet, alle diese Fragen in breiter Öffentlichkeit zu besprechen. So begründe ich mich mit der Feststellung, die wohl kaum bestritten werden kann, daß ich mich in der Beurteilung der tatsächlichen gesamten Verhältnisse nicht geirrt habe, wohl aber meine Gegner und unter diesen die "Kölnische Volkszeitung".
Wie steht es denn nun um den politischen Instinkt der neunmal klugen "Kölnischen Volkszeitung"? Die gesamte Erforschung dieses Kapitels würde einen klassischen politischen Roman mit lauter Illusionen und Fehlschlägen ergeben. Hier nur eine kleine Stichprobe: Im Mai 1917 schrieb die "Kölnische Volkszeitung" von den "letzten Kraftanstrengungen des sich verblutenden Frankreichs" und im selben Monat folgende Zeilen, die geeignet sind, ihre Urteilsfähigkeit in vollem Glanze erstrahlen zu lassen: "Es ist klar, daß bei vorsichtiger Beurteilung für Deutschland ein etwaiger Sonderfrieden mit Rußland gar nicht in Frage kommen kann, solange Deutschland immer noch im Westen gegen die blutigen Angriffe der Gegner sich zu wehren hat. Rußland wird nicht geneigt sein, Frieden zu schließen, ehe im Westen die militärische Entscheidung gefallen ist."
Die Tatsachen sind bekanntlich das Gegenteil dieser "Beurteilung".
2. Das Ziel des Krieges .
Nach der "Kölnischen Volkszeitung" soll meine Politik abträglich sein "einer kräftigen Kriegsführung, der Entschlossenheit zum Durchhalten und dem unentbehrlichen Siegeswillen des deutschen Volkes" – wiederum lauter falsche Behauptungen, ohne jeden Versuch eines Beweises. Zunächst wüßte ich gar nicht, wie ich einer "Kräftigen Kriegsführung" entgegentreten könnte, uns bestreite jede Absicht und Handlung in dieser Richtung. Wie jeder Deutsche, dem das Schicksal seines Volkes am Herzen liegt, bringe ich unserer Heeresführung uneingeschränktes Vertrauen entgegen und glaube an ihre Feldherrengröße. Ebenso glaube ich unerschütterlich an die einzig dastehenden Leistungen unseres deutschen Volksheeres und bin fest überzeugt, daß zu den Erfolgen, die es bereits errungen hat, weitere erfolgreiche Schläge gegen unsere Feinde hinzukommen werden.
Den unentbehrlichen Siegeswillen des deutschen Volkes "schwächt" aber nicht der, der die Ereignisse in ihrem Zusammenhang mit dem Endziel betrachtet und daraus politische Schlüsse zieht. Es ist außerordentlich zweifelhaft, ob es die richtige Methode ist und ob damit dem Siegeswillen unseres Volkes gedient ist, wenn die Ereignisse so hingestellt werden, als ob die bereits der Abschluß wären, wenn in weiten Kreisen unseres Volkes die Auffassung erweckt wird, als stünde das Ende des fürchterlichen Mordens immer wieder unmittelbar bevor. Es entsteht zu leicht in den breiten Volksschichten der Glaube, daß der Friede nur deshalb nicht komme, weil Deutschland und seine Verbündeten unerfüllbare Forderungen an die Gegner stellten. Unser Volk, das weiß, was seine Feinde mit ihm vorhaben, braucht diesen Kriegschampagner nicht. Wenn annexionistische und alldeutsche Kreise zur Auffrischung
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ihrer Nerven dies nötig haben, so zeugt das nicht von Kraft und Stärke. Unser Volk steht diesen durch vierjährigen Gebrauch ziemlich abgegriffenen Phrasen völlig ablehnend gegenüber. In ihm liegt aber die eiserne Entschlossenheit zum Durchhalten bis zu einem gerechten, ehrenvollen und dauernden Frieden, und dies um so stärker, als es weiß, daß der endgültige Sieg noch nicht errungen ist, das Großes geschaffen wurde, aber daß unsere Gegner noch nicht so besiegt sind, daß sie die Waffen strecken.
Wenn es etwas gibt, das geeignet ist, die kräftige Kriegsführung, Entschlossenheit zum Durchhalten und den unentbehrlichen Siegeswillen in unserem Volke zu stärken, so ist dies in erster Linie das richtig erkannte Ziel des Krieges, und dieses kann nur sein: ein ehrenvoller, dauernder und gerechter Frieden, aufgebaut auf dem Recht, auf unserem Recht, aber in der Weise, daß dadurch die Rechte der anderen Völker nicht mit Füßen getreten werden, aufgebaut auf dem Recht, das keine Vorherrschaft eines einzelnen Volkes, möge es auf dem Kontinent, auf einer Insel oder jenseits des Atlantischen Ozeans liegen, anerkennt, unter Ablehnung jeder Vergewaltigung. "Völker sterben nicht" hat Papst Benedikt XV. in einer seiner ersten Kundgebungen in ebenso klarer Wahrheit wie treffender Kürze gesagt. Wer das Recht aller Völker vertritt, verteidigt am besten und am erfolgreichsten das Recht des eigenen Volkes. So trete ich ein und werde immer eintreten – unbekümmert um das Barometer der jeweiligen Kriegslagen – für die urchristliche Forderung: Verständigung und Versöhnung der Völker! Eines des schrecklichsten aber auch wahrsten Worte des Weltkrieges war das jenes Engländers, der vom "Moratorium der Bergpedrigt" gesprochen hat. Ein entsätzliches Wort, dessen Wahrheit uns durch so viele bedauerliche Erscheinungen in allen kriegsführenden Ländern vor Augen tritt. Wer offene Ohren für die Klagen des Volkes hat und wer die kleinen und kleinsten Tagesereignisse, wie sie aus der Presse uns entgegentreten, zu würdigen versteht, der wird mir darin nicht widersprechen, wenn ich sage, daß, je länger der Krieg dauert, es umso schwieriger für alle Organe sein wird, nach dem Friedensschluß die Gesetze und Gebote der Bergpredigt wieder in ihre Rechte einzusetzen.
Der Frieden des Rechtes ist Deutschlands größter Sieg. Bei ihm gibt es keinen Platz für den Wirtschaftskrieg, der Deutschland aus der Kulturgemeinschaft der Völker ausschließen will. Das Recht erheischt, daß das große Deutsche Volk an der Erschließung Afrikas in einer anderen Weise beteiligt sein muß, als es bisher der Fall war, daß dort nicht die Alleinherschaft eines Volkes aufgerichtet werden kann, sondern daß Deutschland ein Kolonialgebiet zugewiesen werden muß, daß ihm ebenso Schutz gegen wirtschaftliche Absperrung bietet wie die eiserner Pflicht auferlegt, an der Erziehung der dortigen Völker mitzuwirken. Gerade die Zentrumspartei muß nach der Gesamtheit ihrer Grundsätze und ihrer Vergangenheit den Rechtsgedanken am entschiedensten hochhalten, wenn er von den Machtpolitikern angegriffen, verhöhnt und abgelehnt wird. Denn nicht "Zensur, Vergewaltigung und Macht" steht in unserem Parteiprogramm, sondern "Wahrheit, Freiheit und Recht". Wer gegen diese Sätze verstößt, begeht nicht nur Disziplinbruch, sondern stellt sich selbst außerhalb des Rahmens der Partei. Die übergroße Waffe der Zentrumswähler steht in dieser Auffassung, das weiß ich, geschlossen und einmütig da und lehnt die absolute Gewalt- und Machtpolitik ab.
Die "Kölnische Volkszeitung" – mag sie sich auch täuschen oder täuschen lassen durch Zuschriften aus kleinem engen Kreise – ist innerhalb der Zentrumspartei die ausgesprochene Vertreterin der Machtpolitik. Die "Kölnische Volkszeitung" hat es zwar stets mit Entrüstung abgelehnt, annexionistische Ziele zu verfolgen. Man wird dem gegenüber daran erinnern dürfen, daß sie bereits im Dezember 1916 für die Maas- und Mosellinie als deutsch-französische Grenze eingetreten ist unter der etwas merkwürdigen Begründung,
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daß nicht Gebirgsstämme, sondern nur Flussläufe sich als Verteidigungsgrenzen eignen. "Deutschlands Freiheit muß in Zukunft an der Maas verteidigt werden, nicht mehr erst an den Vogesen", heißt es in einem Artikel der "Kölnischen Volkszeitung" vom 12. Dezember 1916. Die "Kölnische Volkszeitung" ist es weiterhin, die heute vor einem Jahre, unter Berufung auf die Notwendigkeit eines dauernden Friedens (!), folgende Kriegsziele proklamierte: das Erzbecken von Briey, den Zugang zum Ozean, den Welthafen Antwerpen, den Besitz der flandrischen Küste, die Beseitigung der Maasfestungen, die Verfügung über die belgischen Kohlenlager. Wenn aus einem Kriegszielprogramm gleißender Mammonismus hervorschimmert, so aus diesem.
Die "Kölnische Volkszeitung" war es, die diesem exorbitanten Annexionsprogramm den Namen eines "Hindenburgfriedens" gab und über dies Programm ein Plebiszit veranstaltete.
Welche Antwort wurde der "Kölnischen Volkszeitung" aus allen Blättern sämtlicher Parteien mit Ausnahme der Konservativen und alldeutschen zuteil? Die "Freisinnige Zeitung" nannte dieses wohl von Parteidisziplin strotzende Vorgehen eine "unehrliche Kampfesweise gegenüber den Bestrebungen anderer Parteien", eine "Taktlosigkeit gegenüber Hindenburg", eine "Ungehörigkeit sondergleichen". Die "Münchener Neuesten Nachrichten" bezeichneten den Missbrauch mit dem Namen "Hindenburgfrieden" eine "Irreführung" und fragten die "Kölnische Volkszeitung", woher sie das Recht nehme, über die Zustimmungsformulare die Worte zu setzen "Für den deutschen Hindenburgfrieden". Als die "Kölnische Volkszeitung" sich dem "Vorwärts" gegenüber rühmte, der Aufruf habe ihr in kurzer Zeit 8000 Zuschriften eingebracht, schrieb die "Kölnische Volkszeitung", wenn das das Resultat von zehn Tagen sei, so könne man mit Fug und Recht sagen, daß der "Gimpelfang der kölnischen Volkszeitung" selbst dann mit einem gänzlichen Misserfolg enden werde, wenn noch einige Tausend Zuschriften eingehen sollten. Weiter schrieb die "Kölnische Zeitung", es sei ein gutes Zeichen für den gesunden Sinn des deutschen Volkes an der Front und in der Heimat, wenn nur ein so verschwindend kleiner Teil der Leser der Kölnischen Volkszeitung sich bereitfinden lasse, den Missbrauch des Namens Hindenburg mitzumachen; die "Kölnische Volkszeitung" hätte voraussehen müssen, daß ihr Beispiel zu einem "nationalen Unheil" Anlaß geben könne, wenn Blätter anderer Richtungen und Meinungen nun etwa ein Gegenplebiszit ins Werk setzten. Die "Augsburger Volkszeitung", um Zentrumsblätter zu nennen, nannte die Aktion der "Kölnischen Volkszeitung" "amerikanischen Geschäftsjournalismus". Die "Westdeutsche Arbeiter-Zeitung" schrieb:
"Welcher Geist ist während des Krieges in das einst so vorsichtige, jeder verfrühten Festlegung ausweichende Blatt der Herren Cardauns und Julius Bachem gefahren? Wirkt die Rolle, die in Italien, Rumänien usw. die unverantwortliche Macht der öffentlichen Meinung gespielt hat, auf deutsche Zeitungsschreiber mit verlockender Gewalt? Bis zum Gebrauch der "Macht der Straße" ist es dann bekanntlich nicht mehr weit, – und tatsächlich hat die "Kölnische Volkszeitung" in den letzten Tagen einen Schritt gemacht, der ein verhüllter Gang auf die Straße ist."
Der "Arbeiter", das Münchener Organ der süddeutschen katholischen Arbeitervereine, schrieb entrüstet:
"Ein sonst führendes Blatt, die "Kölnische Volkszeitung", marschiert mit preußisch-konservativen Blättern und der bekannten katholikenfeindlichen "Täglichen Rundschau" in gleichem Schritt. Ja, diese beiden Blätter werfen sich sogar gegenseitig Bälle zu, durch welche Zentrumsabgeordnete der Mehrheit und Vertreter der Fraktionspolitik mitgetroffen werden sollen… Im Interesse der sozialen Zentrumsgemeinde ist diese neueste
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Aktion der "Kölnischen Volkszeitung" nicht. Auch bei uns im Süden ist man über die seit mehr als Jahresfrist eingeschlagene Taktik der "Kölnischen Volkszeitung" sehr geteilter Meinung. Die "Politik der eigenen Faust" hat auch in der Reichstagsfraktion Beanstandung gefunden. Wohin soll auch die Partei kommen, wenn Blätter von der Bedeutung der "Kölnischen Volkszeitung" in der angedeuteten Weise vorgehen, die Fraktionspolitik indirekt angreifen und in den eigenen Reihen Verwirrung anrichten."
Es ist bemerkenswert, daß schon Anfang Juni 1917 das einmütige Zusammengehen der "Kölnischen Volkszeitung" mit der "Täglichen Rundschau" in der Zentrumspresse festgestellt wurde. Jetzt sind es auch wieder diese beiden Blätter, die Arm in Arm gegen mich losziehen. Ich sehe die Bälle fliegen…
Die Kriegsziele, welche die "Kölnische Volkszeitung" damals vertreten hat und welche sie anscheinend heute noch immer vertritt, dürften nicht dazu angetan sein, den Krieg zu verkürzen. Sie schließen die Versöhnung der Völker aus, sie haben ihren Anteil an der Blutleere Europas; ihr Ergebnis wäre, nach einem Gewaltfrieden ein europäisches Waffenlager, dessen Lasten die Völker nicht tragen könnten. Diese Auffassung ist auch enthalten in der Antwort der Deutschen Regierung auf die Papstnote und sie ist auch eingeschlossen in das Programm, auf das sich die Regierung Hertling-Payer-Friedberg verpflichtet hat. Der größte Gegner des Annexionismus innerhalb des Zentrums war kein Geringerer als Windthorst, der Mann des Rechts. Es scheint mir von sehr wenig Überlegung und Vernunft zu zeugen, im Zeitalter der Riesenkanonen, die über kleine und selbst mittlere deutsche Bundesstaaten hinwegschießen, und bei der gradezu fabelhaften Entwicklung des Flugwesens, Grenzberichtigungen als Ziel des großen Weltkampfes aufzustellen. Diese Kriegsziel-Politik der "Kölnischen Volkszeitung" werde ich immer und bei jeder Gelegenheit mit allem Nachdruck bekämpfen, da ich sie als ein Unglück in erster Linie für Deutschland, dann für die Welt und das Christentum ansehe. Die Berufung der Annexionisten auf das Blut, das "nicht umsonst geflossen" sein dürfe, ist ein erschütternder Ausdruck für das Maß bis zu welchem die Materialisierung aller Werte in dem Bewusstsein von Menschen gedeihen kann. Kein Stück fremden Landes und keine Summe feindlicher Gelder ist das Blut wert, das Deutschland vergießen musste. Wenn diese Berufung das letzte Argument des Annexionismus ist, so ist er damit gerichtet. Nicht vergebens sollen alle Kriegsopfer gebracht sein, das ist selbstverständlich. Aber nur eines ergibt sich als Forderung aus der Erkenntnis des tiefen Sinnes der gebrachten Opfer: Deutschlands Sicherung für die Zukunft und Garantie gegen die Wiederkehr einer solchen Weltkata strophe. Unser Volk – ich glaube sagen zu dürfen – alle Völker Europas fordern, daß ein solches entsetzliches Unglück nicht wiederkehrt. Vergewaltigung und Unterjochung aber enthalten die Keime zu neuen Verwicklungen und Kriegen. Machtpolitik, wo sie auch immer auftritt, ohne daß ihr das Recht zur Seite steht, reißt die Völker in den Abgrund. Die Machtpolitiker sind von unglaublicher historischer Kurzsichtigkeit. Die deutschen Machtpolitiker suchen Bollwerk um Bollwerk um Deutschland herum zu errichten, rufen nach der flandrischen Küste nach den durch den Friedensvertrag unerreichbar gewordenen Vorwerken im Osten und treiben so eine Politik der Völkervergiftung, deren Explosionen sie durch den Machtwahn gerecht zu werden vermeinen. Ein deutsches Isolement können sie höchstens schaffen, aber nur in dem Gedanken, daß ein so zunächst äußerlich größeres, innerlich aber schwächeres Deutschland dann möglichst bald den "zweiten punischen Krieg" – ich bin nicht Urheber dieses entsetzlichen Wortes – führen müsse. Es dürfen aber
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nicht von uns Feuerherde rings um Deutschland errichtet werden.
Die Sprengung des politischen Ringes , der sich um Deutschland gebildet und enger geschlossen hat, muß das Hauptziel unserer Kriegszielpolitik bleiben. Wir müssen aus diesem Ring heraus und Weltpolitik treiben, das geht aber nicht lediglich mit der Macht, es muß noch ein anderes Moment hinzukommen, das der Verständigung.
Ein Anfang mit der Sprengung des Ringes ist im Osten gemacht worden. Darin liegt die historische Bedeutung des Friedensvertrages mit der Ukraine; aber leider, wohin ist dieser Grundsatz in der Praxis gekommen? Ich beneide keine Stelle, welche die Verantwortung für die Folgen der in der Ukraine eingeschlagenen Politik, deren eine Seite wir bereits in der Verkürzung der Brotrationen verspüren, zu tragen hat. Die Rechtfertigung vor dem deutschen Volk wird ihr nicht erspart bleiben, auch wenn der Lärm gewisser Machtpolitiker jetzt noch so groß ist. Geht es nach dem Wunsch der Machtpolitiker im Osten, so haben wir über kurz oder lang – vielleicht sehr bald – ein geschlossenes Russland uns gegenüber, das zwar in absehbarer Zeit nicht militärisch, aber dafür umso entschiedener wirtschaftlich und politisch gegen uns auftreten wird. Woran es hier noch fehlen sollte, dafür werden Deutschlands Gegner in zäher Arbeit zu sorgen wissen. Der Osten aber soll uns den Rücken decken für unser Vorgehen im Westen und für alle Möglichkeiten der Zukunft uns sichern. Wir müssen daher dort eine Politik treiben, an die wir uns auch wirklich anlehnen können. Keine Politik, die einen neuen Krieg schafft und abstoßend auf die Völker wirkt.
Gegen solche Entwicklungen aufzutreten und jedes abweichen vom Wege einer Politik der Verständigung zu bekämpfen, ist nicht nur recht, sondern Pflicht eines jeden Reichstagsabgeordneten. Just vor Jahresfrist, wo die "Kölnische Volkszeitung" von dem gegenwärtigen Augenblick sprach, wo die letzte Entscheidung nahe, wehrte sie sich mit Händen und Füßen gegen den Satz, daß auf jede Kritik zu verzichten und dem Reichskanzler unbedingtes Vertrauen entgegen zu bringen sei. Sie schrieb damals:
"Wir gestehen, daß wir nun einmal mit diesem Argument uns nicht recht befreunden können. Es kommt doch der alten Theorie vom beschränkten Untertanenverstand bedenklich nahe. Am meisten verwunderlich ist, daß jetzt diese Theorie vom beschränkten Untertanenverstand in ihrer modernen Aufmachung am meisten von solchen Seiten betont wird, welche sonst mit dem bekannten Männerstolz vor Königsthronen den Anspruch erheben, über alle Maßnahmen der Regierung ein souveränes Urteil zu fällen, und keinerlei Beschränkung der Kritik dulden wollten. Wir meinen, wenn in irgendeiner Frage das deutsche Volk alle Veranlassung hat auf ein eigenes Urteil nicht zu verzichten, selbst an der Gestaltung seines eigenen Schicksals mitzuarbeiten, dann ist es doch die Frage, wie der demnächstige Friedensschluss aussehen soll."
Man vergleiche diesen Standpunkt der "Kölnischen Volkszeitung" mit dem, den sie jetzt einzunehmen für gut befindet. Man warf ihr damals vor, ihr Vorgehen richte sich gegen den Reichskanzler. Sie erklärte, daß sie grundsätzlich auf keinen Fall verzichten wolle, sich über die Maßnahmen der Regierung, namentlich bezüglich des Friedensschlusses zu äußern. Ich gestehe der "Kölnischen Volkszeitung" dieses Recht unbedingt zu. Als ich aber wohlberechtigte Kritik im Hauptausschuß übte, war für sie die Sache anders, was allerdings niemand überrascht, der die "Kölnische Volkszeitung" genau kennt.
Die Behandlung der Völker, in den von Russland losgelösten Randstaaten lässt zu meinem lebhaften Bedauern noch immer nicht sichtbar erkennen, daß es sich darum handelt, ein freundnachbarliches Zusammenarbeiten mit dem großen Deutschen Reich herbeizuführen. Freilich wer,
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wie der lauteste Bundesgenosse der "Kölnischen Volkszeitung" in Kriegsfragen, die "Tägliche Rundschau", die brutale Machtpolitik gegenüber den Polen in Preußen vertritt, hat keinen Sinn und Verstand dafür, daß 12 Millionen Polen im Königreich Polen sich nicht vergewaltigt und sich nicht mit biedermännischer Miene Gebietsteile wegnehmen lassen. Glaubt man auf diese Weise einen östlichen Grenznachbarn zu erhalten, der mit uns in Frieden lebt, oder treibt man ihn nicht geradezu zwangsweise in die offenen Arme der Entente? In der litauischen Frage sind gewisse Kreise bemüht, den König von Sachsen gewaltsam in eine peinliche Situation zu bringen; er soll gleichzeitig Herrscher von Litauen werden. Eine Personalunion Litauens mit Sachsen ist aber ein politisches Unding. In Wilna kann man nicht nach sächsischem Rezept regieren. Die sächsische Regierung hat – wie kürzlich bekannt wurde – nicht gestattet, daß für 500 Katholiken in Coswig 12mal jährlich Gottesdiens abgehalten wird, und sie hat fernerhin nicht erlaubt, daß für 130 katholische Kinder in Meißen eine Kleinkinderbewahranstalt errichtet wird. Litauen ist ein katholisches Land und fordert einen eigenen katholischen Herrscher, will aber keine Verbindung mit einem Lande, das für keine eigenen Glaubensgenossen derart geringes Verständnis zeigt.
Wer diesem berechtigten Volkswunsch, der in keiner Weise mit den deutschen Interessen in Widerspruch steht, sich entgegenstemmt und das Deutsche Reich und Volk unter dem Gesichtswinkel rein dynastischer Experimente ansieht, ist ein Schädling der deutschen Interessen, er übersieht die Verwicklungen, in die das Deutsche Reich durch solche Künstlichkeiten über kurz oder lang geraten würde; er wird nicht die Völker für Deutschland gewinnen, sondern sie von Deutschland abstoßen. Soll aber das Ende dieses Weltkrieges das sein, daß die große Koalition, wie sie sich zum Kriege gegen Deutschland und seine Verbündeten gebildet hat und während des Krieges noch gewachsen ist, dauernd aufrecht erhalten bleibt? Gibt es aber einen Politiker, der sagen kann, daß ein Machtfrieden, nach dem Rezept der "Kölnischen Volkszeitung" abgeschlossen ein anderes Resultat als dieses zeitigen muß?
Man sagt vielleicht, die Versöhnungspolitik habe Schiffbruch gelitten. Das ist nicht wahr, denn sie wurde allseitig und konsequent noch gar nicht verfolgt. Alle jene Kreise, welche die Friedensresolution vom 19. Juli 1917 nur als Ausdruck der Schwäche bezeichneten, welche gegen sie kämpften und sie verächtlich machten, haben überhaupt keine Anrecht, sich über das angebliche Fiasko dieser Aktion auszusprechen. Die Friedensresolution vom 19. Juli war aus außer- und innerpolitischen Gründen absolut geboten, sie war eine höchst verdienstvolle und segensreiche Tat. Keiner der Abgeordneten, die dieser Resolution zugestimmt haben, war der kindlichen Auffassung, daß infolge dieser Resolution in wenigen Monaten Friede sein werde. Aber den Weg zum Frieden hat sie im Osten eröffnen helfen, wie durch russische Kundgebungen erwiesen ist. Die positivistische Ausgestaltung der Friedensresolution – die Friedensresolution soll doch für alle Kriegführenden Geltung haben – umschließt alles, was Deutschland und seine Verbündeten für ihre Zukunft brauchen. Die denkwürdige Entschließung des Reichstages enthält Erkenntnisse, Wahrheitssätze, welche durch keinen Gang der Ereignisse in die Lage versetzt werden, für überholt zu gelten. Sie hat auf der anderen Seite aber auch den Rahmen so weit gesteckt, daß die jeweilige politische Gesamtsituation voll ausgenutzt werden kann. Nur einen Grenzpfahl kennt sie: ein dauernder, gerechter Friede der Versöhnung und Verständigung der Völker soll geschlossen werden, und nicht ein Friede, der zwangsläufig neue absehbare Kriege im Gefolge hat. Dieses Ziel aber wird nur erreicht, wenn ganz allgemein am Friedenstisch nicht die brutale Gewalt und Macht, sondern das natürliche und göttliche Recht seinen Triumph feiert.
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Erzberger, Matthias, Macht oder Recht?in: Germania from before 27 May 1918, attachment, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', document no. 512, URL: www.pacelli-edition.de/en/Document/512. Last access: 30-12-2024.
Online since 02-03-2011, last modification 23-03-2011.