TEI-P5
Der Oberleutnant Hermann Birkner 19. Pionier-Battl. zuletzt bei der
Feldfliegerabteilung 8 in Metz war am 20. August 1914 als Flugzeugführer
abgeschossen worden und in französische Gefangenschaft geraten. – Nachdem er bereits
500 Tage Arrest wegen verschiedener Disziplinarvergehen und Fluchtversuche verbüßt
hatte, wurde er erstmalig am 17. Juni 1917 zu 5 Jahren Gefängnis und Degradierung
und am 3. Dezember 1918 zu 6 Monaten Gefängnis und Degradierung verurteilt, beide
Male wegen Gehorsamsverweigerung. Eine dritte1 Verurteilung
erfolgte am 13. Oktober 192 von dem Kriegsgericht
in Marseille3 wegen Beleidigung. – Schon im Jahre
1917 wurde bei ihm festgestellt, dass er an hochgradiger Nervosität litt, sie ist
hervorgerufen worden durch die Behandlung in den verschiedenen Offiziersgefangenenlagern,
durch Verbüßung der Arreststrafen, besonders aber auch während seines Aufenthaltes im
Gefängnis, wo er zu wenig zu essen bekommen hat und auf dem kalten Fußboden hat schlafen
müssen ohne Unterlagen. Auch die Schweizer Delegierten Dr. Girard und Florian de Lorbe
sagten bei ihrem Besuche, er mache den Eindruck eines exaltierten Menschen, der zu Revolten
neige. Beide Delegierten heben in ihrem Bericht an den Medizinalchef der Eidgenössischen
Armee Oberst Hauser hervor, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Birkner bei den
verschiedenen Stellen, von denen er bestraft ist, das Opfer eines Missverständnisses oder
eines Irrtums geworden ist; es aber auch den Anschein habe, dass er von Verfolgungswahn
ergriffen und von einem krankhaften Geiste beseelt ist. Diese Erkrankung scheine auf die
lange Dauer der Gefangenschaft zurückzuführen zu sein. Es wird hervorgehoben, dass Birkner,
der von den 10 1/2 Jahren Gefängnis bis jetzt 2 l/2 Jahre seiner Strafe verbüßt
hat, sich keines ehrenrührigen Vergehens oder Verbrechens
Hinsichtlich dieser Tatsachen und mit Berücksichtigung auf Artikel 218 des Friedensvertrages dürfte eine Begnadigung des Oberleutnant Birkner unbedingt angebracht sein. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Geisteszustand Birkners kein normaler mehr ist und dass eine längere Dauer der Gefangenschaft ernste Gefahren für ihn in sich birgt. Dass Birkner an sich ein harmloser Mensch ist, ergibt der Bericht des Schweizer Gesandten zu Paris, in dem es heißt, dass sich Birkner nach seiner letzten Verurteilung gut benommen hat. Er hatte selbst gebeten, um nicht länger in Einzelhaft zu sein, mit den übrigen in Haft befindlichen befangenen zusammengebracht zu werden. Dieses ist ihm bewilligt worden unter der Bedingung, dass er sich dem Regiment des wachhabenden Soldaten unterwerfe, er hat es angenommen und ist ruhiger geworden.
376r, hds. oben rechts, von unbekannter Hand: "Chiedono Notizie e grazia pel Tenente
Hermann Birkner, aviatore, più volte condannato per ribellione (causata da nevrastenia):
molto ammalato di nervi".
Online since 04-06-2012, last modification 19-12-2012.
Document no. 7704
[Denkschrift über Oberleutnant Hermann], before 20 December 1919
376v
schuldig gemacht hat, sondern einzig und allein bestraft ist wegen
Disziplinarvergehen.Hinsichtlich dieser Tatsachen und mit Berücksichtigung auf Artikel 218 des Friedensvertrages dürfte eine Begnadigung des Oberleutnant Birkner unbedingt angebracht sein. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Geisteszustand Birkners kein normaler mehr ist und dass eine längere Dauer der Gefangenschaft ernste Gefahren für ihn in sich birgt. Dass Birkner an sich ein harmloser Mensch ist, ergibt der Bericht des Schweizer Gesandten zu Paris, in dem es heißt, dass sich Birkner nach seiner letzten Verurteilung gut benommen hat. Er hatte selbst gebeten, um nicht länger in Einzelhaft zu sein, mit den übrigen in Haft befindlichen befangenen zusammengebracht zu werden. Dieses ist ihm bewilligt worden unter der Bedingung, dass er sich dem Regiment des wachhabenden Soldaten unterwerfe, er hat es angenommen und ist ruhiger geworden.
1↑"Eine Dritte" hds. von unbekannter
Hand in blauer Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
2↑"13. Oktober 19" hds. von unbekannter Hand in
blauer Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
3↑"in Marseille" hds. von unbekannter Hand in blauer Farbe
unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.