TEI-P5
                        
                            Document no. 15134
                         
                        
                        Eure Eminenz,
Das geehrte Schreiben Eurer Eminenz vom 3. Dezember d. J. - Nr. 31662 - habe ich dem Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten in Moskau übermittelt und werde nicht verfehlen, die Antwort sofort nach Eingang Eurer Eminenz zu übermitteln.
Anlässlich der an mich gerichteten Bitte Eurer Eminenz, die Angelegenheit bei meiner Regierung zu unterstützen, sei es mir gestattet, folgendes darzulegen.
In dem genannten Schreiben ist ein Namensverzeichnis von 42 Personen angeführt, welche sich nach Informationen des Heiligen Stuhles in der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken in Haft befinden. Die Vor- und Familiennamen dieser Personen lassen den Schluß zu, daß es sich durchweg um Staatsangehörige der Union und in der Mehrzahl griechisch-katholischen Glaubens handelt.
Ich würde in der Lage gewesen sein, bei meiner Regierung die Revision des einen oder anderen Falles zu befürworten, wenn ich vom Heiligen Stuhl genaue Angaben darüber erhalten hätte, daß der betreffende Verurteilte das Opfer eines Justizirrtums geworden ist sowie entlastendes Beweismaterial, welches den Gerichts- und Verwaltungsbehörden nicht zur Verfügung gestanden hat. Obwohl auch in solchem Falle die Vorstellungen des Heiligen Stuhles nicht anders als ein Versuch fremder Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Union gewertet werden müssen, würde ich es dennoch verantworten
Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Auffassung des Heiligen Stuhles von der voreingenommenen Mutmaßung ausgeht, daß die Verurteilten sich in Haft befinden ohne gesetzliche Gründe und die Möglichkeit ihrer Befreiung als eine Selbstverständlichkeit hinstellt. Ich muß deshalb schon jetzt der Befürchtung Ausdruck geben, daß meine Regierung in Anbetracht des angedeuteten Charakters der Vorstellungen es für unmöglich erachten wird, in eine sachliche Erörterung der Angelegenheit einzutreten.
Ich gestatte mir, Eurer Eminenz die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern.
N. Krestinskij 
                        
                             
                        Online since 18-09-2015. 
                    
    Document no. 15134
Krestinskij, Nikolaj Nikolajewitsch to Pacelli, Eugenio
 to Pacelli, Eugenio
Berlin, 10 December 1924
                        Das geehrte Schreiben Eurer Eminenz vom 3. Dezember d. J. - Nr. 31662 - habe ich dem Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten in Moskau übermittelt und werde nicht verfehlen, die Antwort sofort nach Eingang Eurer Eminenz zu übermitteln.
Anlässlich der an mich gerichteten Bitte Eurer Eminenz, die Angelegenheit bei meiner Regierung zu unterstützen, sei es mir gestattet, folgendes darzulegen.
In dem genannten Schreiben ist ein Namensverzeichnis von 42 Personen angeführt, welche sich nach Informationen des Heiligen Stuhles in der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken in Haft befinden. Die Vor- und Familiennamen dieser Personen lassen den Schluß zu, daß es sich durchweg um Staatsangehörige der Union und in der Mehrzahl griechisch-katholischen Glaubens handelt.
20r
 Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob in der
        Tat die verzeichneten Personen zurzeit verhaftet sind. Sollten die dem Heiligen Stuhl
        zugegangenen Berichte den Tatsachen entsprechen und die namhaft gemachten 42 Personen sich
        wirklich im Gefängnis befinden, so darf ich wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß sie auf
        Grund der Gesetze der Union als Verurteilte wegen strafrechtlicher oder politischer
        Verbrechen, beziehungsweise unter Anklage stehend wegen solcher Delikte, in Haft genommen
        wurden.Ich würde in der Lage gewesen sein, bei meiner Regierung die Revision des einen oder anderen Falles zu befürworten, wenn ich vom Heiligen Stuhl genaue Angaben darüber erhalten hätte, daß der betreffende Verurteilte das Opfer eines Justizirrtums geworden ist sowie entlastendes Beweismaterial, welches den Gerichts- und Verwaltungsbehörden nicht zur Verfügung gestanden hat. Obwohl auch in solchem Falle die Vorstellungen des Heiligen Stuhles nicht anders als ein Versuch fremder Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Union gewertet werden müssen, würde ich es dennoch verantworten
20v
        können, dem Ansuchen des Heiligen Stuhles, welches humanitären Rücksichten und dem
        Gerechtigkeitsgefühl entspringt, meine Befürwortung angedeihen zu lassen.Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Auffassung des Heiligen Stuhles von der voreingenommenen Mutmaßung ausgeht, daß die Verurteilten sich in Haft befinden ohne gesetzliche Gründe und die Möglichkeit ihrer Befreiung als eine Selbstverständlichkeit hinstellt. Ich muß deshalb schon jetzt der Befürchtung Ausdruck geben, daß meine Regierung in Anbetracht des angedeuteten Charakters der Vorstellungen es für unmöglich erachten wird, in eine sachliche Erörterung der Angelegenheit einzutreten.
Ich gestatte mir, Eurer Eminenz die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern.
N. Krestinskij
