Document no. 2816
[Mehrere Schreiben]. Munich, before 22 September 1919
Bittet der gehorsamst unterzeichnete Leiter des Verbandes der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) um gnädige Entgegennahme nachstehender Darlegungen betreffend die Lebensfrage der katholischen Gewerkschaftsorganisation in Deutschland:
Die tatsächliche Lage ist zur Stunde die, dass die Mitglieder der katholischen Gewerkschaften in terroristischer Weise an der Wahrnehmung ihrer natürlichen Rechte als Arbeiter gehindert werden.
Schon vor dem Krieg, dann aber während des Krieges hatten sich die vier Verbände der Sozialdemokratischen, Christlichen, Hirsch-Dunderschen und Polnischen Gewerkschaften zu einer sogen. Arbeitsgemeinschaft eng zusammen geschlossen dergestalt, dass ihre Verhandlungen mit den Arbeitgebern und den Behörden gemeinsam und für alle verbindlich erfolgten. Das war eine natürliche Entwicklung für diese Verbände, die ja ihrem Wesen nach auf der gleichen Grundlage des Reinwirtschaftlichen aufgebaut sind.
Die katholischen Gewerkschaften, die immer wieder den Versuch machten, unter Wahrung ihrer Grundsätze an diesen gemeinschaftlichen Verhandlungen mit den Arbeitgebern sich zu beteiligen, wurden jedesmal unter starkem Protest seitens der vereinigten vier Gewerkschaftsverbände zurückgewiesen; die Arbeitgeber drückten darüber ihr befremden und Bedauern aus; sie erklärten aber den katholischen Gewerkschaften gegenüber sich bereit, nebenher auch mit ihnen gesonderte Abkommen über Arbeits- und Lohnverhältnisse direkt zu treffen, was auch in reichlichem Maße geschah. Mit den Behörden im Reich und in den Provinzen standen die katholischen Gewerkschaften in Sachen der Lohn- und Arbeitsbedingungen wie überhaupt in sozialpolitischen Angelegenheiten in hinreichend guten Beziehungen.
Als dann aber Anfang Dezember 1917 das Hilfsdienstgesetz eingeführt wurde, und die durch dasselbe neu geschaffenen Schlichtungsämter mit Vertretern der Gewerkschaften besetzt werden sollten, begann infolge des Zwanges, den die vereinigten Streikgewerkschaften auf die Regierung ausübten, auch seitens der Reichsbehörden der Ausschluss der katholischen Gewerkschaften. Das Kriegsamt (General Gröner und sein Vertreter Rittmeister Merton) erklärten den katholischen Gewerkschaften auf ihren Protest hin, dieser ihr Ausschluss sei verlangt worden, hauptsächlich auf Betreiben der christlichen Gewerkschaften; die übrigen Verbände hätten sich diesem Verhalten der christlichen dann angeschlossen.
Nach der Revolution vom 9. November wurde dann in Berlin ein für das ganze Reich geltendes Abkommen der vereinigten vier Gewerkschaftsverbände mit den vereinigten Arbeitgeberverbänden getroffen, in dem, allerdings nicht gestützt auf den Wortlaut des Abkommens, wohl aber infolge der taktischen Ausbeutung die vier Arbeitnehmerverbände sich ein Arbeitsmonopol im Deutschen Reich sicherten. Seither werden die Arbeitgeber von den vier Streitverbänden verhindert, mit der katholischen Organisation irgendein Sonderabkommen über Arbeits- und Lohnverhältnisse herbeizuführen und zwar unter Androhung des Boykotts gegen die Arbeitgeber.
Durch eine Verordnung vom 23. Dezember 1918 hat die sozialistische Regierung Ebert-Scheidemann dieses Abkommen über das Arbeitsmonopol als maßgebend für alle ihr unterstehenden staatlichen Arbeitsbetriebe erklärt.
So ist es der katholischen Gewerkschaft unmöglich gemacht, für ihre Mitglieder im Reiche oder an einzelnen Orten ein Arbeitsabkommen mit den Arbeitgebern herbeizuführen, weder vereint mit den übrigen Gewerkschaften, noch auch für sich gesondert. Wo immer solche Verhandlungen jetzt stattfinden, an dem auch die katholischen Gewerkschaften, die des Öfteren sogar die große Mehrzahl der Arbeiterschaft am Orte umfassen, den Anspruch machen, mitzuwirken, erhebt sich der christliche oder sozialdemokratische Vertreter und erklärt, die katholischen Gewerkschaften seien von gemeinsamen wie auch gesonderten Verhandlungen auszuschließen, da sie als gewerkschaftliche Organisation nicht anerkannt würden. Die Wirkung ist, dass die Arbeitgeber unter Protest nachgeben und mit Bedauern die katholischen Vertreter aus den Verhandlungen entlassen müssen. Unzählige aktenmäßige Belege über den Hergang dieser Vergewaltigungen liegen vor; desgleichen auch viele Erklärungen sozialdemokratischer Gewerkschaftssekretäre, dass es an ihnen nicht läge, sondern an den christlichen Gewerkschaften, wenn die katholischen Gewerkschaften nicht anerkannt würden.
Nach Vollendung dieses Terrorismus verbreiteten die christlichen Gewerkschaftssekretäre in Versammlungen und Zeitungen die Erklärung, ein katholischer Arbeiter könne in Zukunft den katholischen Gewerkschaften nicht mehr beitreten; dieselben seien ja ohnmächtig für die Vertretung der Arbeiterinteressen. Diese Erklärung wird auch in Zentrumskreisen von Mund zu Mund und durch die Zentrumspresse weiterverbreitet. Das schüchtert natürlich die katholischen Arbeiter sowie besonders deren geistliche Präsides in den Arbeitervereinen immer mehr ein und macht sie mutlos.
Zu gleicher Zeit wurde geflissentlich von derselben Seite das Gerücht verbreitet, der Berliner Verband könne sich nicht mehr halten, er stehe auch bereits in Einigungsverhandlungen mit den christlichen Gewerkschaften. Wahr an diesen Gerüchten ist nur die Tatsache, dass die katholische Arbeiterorganisation den Frieden ihrerseits ernstlich wünscht, aber nur einen ehrlich gemeinten Frieden, der ihre Grundsätze unangetastet lässt.
Unter dem Druck dieser, von den christlichen Gewerkschaften herbeigeführten Vergewaltigung und der geschilderten falschen Friedensatmosphäre wandte sich die katholische Gewerkschaftsorganisation an die sozialdemokratischen und christlichen Führer mit dem Ersuchen, doch den Terror einzustellen und die katholische Gewerkschaft in das gemeinsame Abkommen mit den Arbeitgebern zuzulassen. Während eine Reihe sozialdemokratischer Gewerkschaftsführer betonten, sie hätten ihrerseits nichts gegen die Zulassung der katholischen Gewerkschaften einzuwenden, erklärte der Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften, Herr Stegerwald, den zwei zu ihm entsandten Vertretern der katholischen Gewerkschaften, es seien zwei Gründe, die derselben die Aufnahme in das Arbeitsabkommen unmöglich machten, zuerst der ausschließlich katholische Charakter der Organisation und zweitens ihre anders geartete Stellung zum Streik.
Der Vorstand der katholischen Gewerkschaften beauftragte daraufhin den Verbandssekretär Dr. Fleischer gelegentlich der Tagung der Nationalversammlung in Weimar, bei seinem Fraktionsgenossen Stegerwald gegen diesen fortgesetzten Terrorismus und katholischen Arbeitern gegenüber zu protestieren und Stegerwald zu veranlassen, mit ihm die seinerzeit zwischen dem Vorstand des Berliner Verbandes und Monsignore Walterbach-München, als dem Vertreter des Münchener katholischen Arbeiterverbandes getroffenen grundsätzlichen Vereinbarungen zwecks einer praktischen Verständigung zu besprechen. Letzteres geschah leider nicht in der erwarteten Weise, wohl aber hat Stegerwald mit Dr. Fleischer die anliegende1 Vereinbarung getroffen, die Dr. Fleischer als das Resultat seiner Aktion in Weimar dem Vorstand des Berliner Verbandes in dessen Sitzung vom 7. d. M. vorlegte. Unterdessen hatte Dr. Fleischer auch eine Besprechung mit dem Herrn Fürstbischof von Breslau, der dem Vorstand dringend empfahl, die Vereinigung mit den christlichen Gewerkschaften auf Grund der vorgenannten Weimarer Abmachungen sofort herbeizuführen.
Der Vorstand besprach sodann am 7. April die formelle sowie die sachliche Seite der Angelegenheit und stellte folgendes einstimmig fest:
Niemand begrüße ernsthafter eine Verständigung unter den Katholiken Deutschlands in der Gewerkschaftsfrage als der Vorstand des katholischen Arbeiterverbandes, doch könnte dies nur auf einer ehrlichen Grundlage geschehen. Gegen ein bedingungsloses Aufgeben der katholischen Gewerkschaften zugunsten der christlichen sprächen aber u. a. folgende Erwägungen:
Die Tatsache des Bestehens der katholischen Gewerkschaften sei in das Bewußtsein des katholischen Volkes übergegangen; dasselbe verlange nach katholischen Organisationen besonders jetzt.
Viele Mitglieder der katholischen Gewerkschaften fühlten gegen ihre langjährigen Peiniger auf gewerkschaftlichem Gebiet einen wahren Grimm so zwar, dass zu befürchten sei, es könnten diese Mitglieder in großer Zahl trotz allem sich weigern, zu den christlichen Gewerkschaften mit überzutreten.
Es gäbe viele katholische Arbeiter und auch Arbeiterin-
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nen, die
unter allen Umständen katholisch organisiert bleiben wollten; was sollte mit diesen
geschehen? Sollen sie als Rebellen behandelt werden? Und der ganze Verband der
erwerbstätigen Frauen und Mädchen Deutschlands? Die vorübergehende traurige Zwangslage, in die der Terrorismus der christlichen Gewerkschaft sie versetzt, unter der sie aber schon jahrelang mehr oder minder gelitten, sei kein Grund, ihre katholische Organisation jetzt zu ändern; der jetzige Zustand sei eine schreiende Ungerechtigkeit, die unmöglich dauernd Bestand haben könne.
Es gäbe wohl viele Arbeiter und besonders Präsides, die aus Friedensbedürfnis eine Aufhebung der katholischen Gewerkschaften mitmachten, desgleichen auch viele Arbeiter; in gleicher Weise aber würden ebenso viele Präsides, Arbeiter und Arbeiterinnen und Freude dieser katholischen Organisation mit diesem Schmerz erfüllt, wenn die katholischen Gewerkschaften aufgehoben würden.
Das Unglück der Zerrüttung des sozialen Lebens in Deutschland sei doch zurückzuführen auf die falschen Lehren des Reinwirtschaftlichen, an denen die christlichen Gewerkschaften einen großen Teil der Schuld trügen. Das von ihnen vertretene reinwirtschaftliche System habe katastrophal versagt.
Die christlichen Gewerkschaften würden ferner zurzeit schon genau so terrorisiert von den unabhängigen Führern in den freien Gewerkschaften, wie das den katholischen Gewerkschaften gegenüber seitens der christlichen der Fall gewesen; in Berlin, in Bayern, im Ruhrgebiet träte schon jetzt an die Stelle der bisherigen Streikgewerkschaften die kommunistische Arbeiter-Union, die in Berlin z. B. erklärt hat, bis zum 1. oder 15. Mai müssten die bisherigen Gewerkschaften sämtlich verschwunden sein, samt ihrem Abkommen, das sie mit den Arbeitgebern am 15. November 1918 abgeschlossen. In Zukunft kämen nur noch die kommunistischen Arbeiterräte in den einzelnen Betrieben in Betracht. Es handle sich deshalb bei dem Vorschlag Stegerwald-Fleischer um eine Verbindung der katholischen Gewerkschaften mit einem absterbenden Gebilde.
Es vollziehe sich zurzeit mit Hilfe der christlichen Gewerkschaften die größte Ungerechtigkeit gegen wehrlose katholische Arbeiter, die im Vertrauen auf das Wort der katholischen Kirche ihre katholische Gewerkschaftsarbeit geleistet haben.
Die Seelen dieser Arbeiter, die aus Überzeugung sowohl als auch in Treue gegenüber der Stimme der Kirche sich bisher katholisch organisiert hätten, würden schweren Erschütterungen ausgesetzt, besonders wenn noch der unausbleibliche Spott seitens der Gegner hinzukommt, als ob sie infolge ihres Gehorsams und ihres Vertrauens gegenüber der Kirche Irrwege als Arbeiter gegangen seien.
Ferner wurde in der Vorstandsitzung vom 7. April 1919 festgestellt, dass solche grundsätzliche und praktische Änderungen, wie der beigelegte Entwurf sie verlangt, nicht möglich seien, ohne Zustimmung der Arbeiter selber.
In sachlicher Hinsicht wurde des weiteren festgestellt, dass der Entwurf Stegerwald-Fleischer z. B. unter Punkt 2 und 3 insofern wenigstens missverständlich ist, als das Wort "Arbeitseinstellung" eine doppelte Bedeutung hat. Während es unter Punkt 2 als ein bloßes Aufhören der Arbeit2 behandelt wird, wird es in der beigelegten, von sozialdemokratischer und christlicher Seite als für die Gesetzgebung maßgebend aufgestellten "Definition der Gewerkschaften" aufgeführt als Arbeitsniederlegung mit Boykott d. h. als Streit. Von mehr als 99 Prozent aller Arbeiter wird das Wort auch nur so aufgefasst. Es handle sich also um eine zugelassene Irreführung.
In rechtlicher Hinsicht nach der staatsbürgerlichen Seite hin wurde festgestellt, dass auch die katholischen Arbeiter den Anspruch erheben auf ungeschmälertes Koalitionsrecht und Koalitionsfreiheit, genau so wie ihre Gegner dieses als ihr von der Revolution gesichertes Recht preisen. Dieses Recht müssen die katholisch organisierten Arbeiter ihren Peinigern gegenüber ja täglich von neuem bei ihrer Arbeit betonen.
Was nun aber die rechtliche Lage nach der kirchlichen Seite hin angeht, so berufen sich die katholischen Gewerkschaften mit Recht auf die entsprechenden Kundgebungen des apostolischen Stuhles, so der Enzykliken "Rerum Novarum", "Graves de Communi", "Singulari quadam", ferner auf das ihrem Delegiertentag am 28. Mai 1912 gesandte Telegramm des Hl. Vaters, das sie gerade ihres ausgesprochenen katholischen Charakters und ihrer friedlichen Gewerkschaftstätigkeit wegen belobigt und zum weiteren Ausharren ermuntert. Sie berufen sich auf das Pastorale der preußischen Bischöfe von 1900 sowie auf eine Reihe deutscher Bischöfe, die sie des Öfteren ausgefordert haben, ihre Gewerkschaftsarbeit auf katholischem Boden aufzubauen und weiterzuführen.
Es wurde schließlich in der genannten Vorstandssitzung festgestellt, dass dort, wo die christlichen Gewerkschaften hinreichend Garantien bieten, dass die kirchliche Autorität sich in den Fragen der Religion und der Sitte in ihnen wirksam geltend machen kann, es den katholischen Arbeitervereinsmitgliedern gestattet werden kann, jenen sich anzuschließen, "solange diese Duldung nicht aufhört, zweckmäßig oder zulässig zu sein"; dass aber die katholischen Organisationen dadurch in keinerlei Weise in ihrem Wert oder ihrer Notwendigkeit alteriert oder herabgesetzt werden. Sie bleiben nach wie vor für katholische Arbeiter die "am meisten zu billigende und unter allen für den wahren und dauernden Nutzen der Mitglieder bestgeeignete Organisation", die "auf jede Weise unterstützt und gefördert werden muss".
Katholischen Arbeitern, die infolge des verabscheuungswürdigen Terrors der vereinigten christlichen und sozialdemokratischen Gewerkschaften persönliche Drangsalierungen aushalten müssen und materiellen Schaden haben, solle und müsse vorerst mit allen der katholischen Organisation zu Gebote stehenden Mitteln Schutz geboten werden.
Wo letzteres wegen des gegen sie angewandten Terrors nicht genügend geschehen kann, werde es solchen katholischen Arbeitern von ihrem katholischen Verbande nicht verwehrt, sich in dieser ihrer Zwangslage unter Protest einer christlichen Gewerkschaft einstweilen anzuschließen.
Dieser Anschluss werde von dem katholischen Arbeiterverband gemäß den Weisungen der Enzyklika Si n gulari quadam nicht empfohlen, er müsse dem gewissenhaften Ermessen jedes einzelnen betroffenen Mitgliedes überlassen bleiben.
Zum Schluss muss noch auf die seitens der christlichen Gewerkschaften und deren Freunde verbreitete Behauptung hingewiesen werden, die jetzige sozialistische Regierung werde niemals die katholische Gewerkschaftsorganisation als eine Vertreterin der Arbeiterinteressen anerkennen, da sie mit der herrschenden reinwirtschaftlichen Auffassung des Wirtschaftslebens im Gegensatz stände. Dazu ist zu bemerken, dass abgesehen von der grundsätzlichen Versehrtheit dieses Standpunktes, der jetzigen Regierung und ihrem Werk wohl kaum eine lange Dauer mehr beschieden sein wird; außerdem aber hat die Regierung in den letzten Tagen einen entgegen gesetzten Standpunkt zum Ausdruck gebracht. In der 35. Sitzung der Weimarer Nationalversammlung vom 11. April erklärte sie auf eine Beschwerde des Hirsch-Dunderschen Gewerkschaftsführers Erfelenz, dass die sozialdemokratischen Gewerkschaften auch seine Gewerkschaftsmitglieder terrorisierten, folgendes (vergl. Köln. Bztg. Nr. 288, zweite Seite, erste Spalte): Die Regierung steht auf dem Boden der Koalitionsfreiheit und verurteilt jede Beeinträchtigung, von welcher Seite sie auch ausgehen möge. Bei der bevorstehenden Neuordnung des Arbeiterrechts sind besondere gesetzliche Bestimmungen zum Schutz des Koalitionsrechtes vorgesehen. Tarifverträge, in denen vereinbart wäre, dass nur Angehörige einer bestimmten Gewerkschaft oder gewerkschaftlichen Richtung eingestellt werden dürften, würden vom Reichsarbeitsministerium nicht für allgemein verbindlich erklärt werden können. Mit dieser Regierungserklärung kommt der zur Beschönigung des Vorgehens gegen die katholischen Gewerkschaften herangezogene Scheingrund in Wegfall.
Ew. Bischöflichen Gnaden erlaubt sich der gehorsamst Unterzeichnete die vorstehenden Ausführung zu unterbreiten mit der Bitte,
dieselben dem Vorsitzenden der Konferenz des preußischen Episkopats, dem Herrn Kardinal von Köln zur Kenntnis zu bringen in der Erwartung, dass in irgend einer geeignet erscheinenden Weise der katholischen Gewerkschaft in dieser Zeit der Krisis der von der Enzyklika "Singulari quadam" ihr zugesicherte Schutz zuteil werde; ferner dass dem apostolischen Stuhl, der diese Sache an sich gezogen hat, die Frage unterbreitet werde, ob es, solange die Enzyklika "Singulari quadam" noch ihre verpflichtende Wirkung für Katholiken hat, gestattet ist, die bestehenden katholischen Gewerkschaften aufzuheben und die Mitglieder derselben den christlichen Gewerkschaften zuzuführen.
Berlin-Trier, den 16. April 1919
Ew. Bischöflichen Gnade
Gehorsamster
Lic. Fournelle, Generalsekretär.
50r
Abschrift.Berlin C 25, den 24. Mai 1919.
Kaiserstraße 37.
Ew. Eminenz
Erlaubt sich der gehorsamst unterzeichnete Verbandsvorstand im Anschluss an das Schreiben, das Herr Generalsekretär Fournelle am 16. April d. J. an den hochwürdigsten Herrn Bischof von Trier und durch denselben an Ew. Eminenz gerichtet hat, und dem sich der unterzeichnete Verbandsvorstand vollinhaltlich anschließt, folgendes zu unterbreiten.
Gemäß dem Verbandsvorstandsbeschluß vom 7. April d. J. haben am 3. Mai 1919 Verhandlungen zwischen Vertretern des Vorstandes des Verbandes der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) und des Vorstandes des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften stattgefunden, um festzustellen, ob sich eine Grundlage zu einer Verständigung beider Organisationen finden lasse. Bevor wir über das Resultat dieser Verhandlungen berichten, fühlen wir uns verpflichtet, die folgenden wichtigen Darlegungen dem Schreiben des mitunterzeichneten Generalsekretärs vom 16. April d. J. hinzuzufügen.
1.
Diejenigen, die die Auflösung der katholischen Organisation und Überführung der Mitglieder in die christlichen Gewerkschaften befürworten, bedienen sich u. a. auch des Argumentes, dass die Enzyklika Singulari quadam zwar verlange, "dass die katholischen Gewerkschaften sicherlich in katholischen Gegenden und außerdem in allen anderen Gegenden, wo anzunehmen ist, dass durch sie den verschiedenen Bedürfnissen der Mitglieder genügend Hilfe gebracht werden kann, gegründet und auf jede Weise unterstützt werden müssen", doch sei infolge des Zwanges, den die in dem Schreiben vom 16. April c. t. erwähnten, zur "Arbeitsgemeinschaft" gehörenden Gewerkschaften geschaffen, die katholische Organisation nicht mehr in der Lage, den von der Enzyklika Singulari quadam geforderten Voraussetzungen zu entsprechen. Deshalb könne auch die Empfehlung der Enzyklika für sie nicht mehr in Frage kommen.
Die katholisch organisierten Arbeiter erheben Widerspruch gegen diese Argumentation. Nach der grundsätzlichen Seite hin könnte dieses Argument höchstens dann ausgeführt werden, wenn die katholische Organisation auf Grund ihrer Verfassung den allseitigen, d. h. den religiösen und materiellen Bedürfnissen der Mitglieder nicht genügte; das aber ist nicht der Fall, so wenig, dass sogar die Grundgedanken der katholischen Organisation die einzige Bürgschaft für eine dauernde gerechte Lösung der Lohn- und Arbeitsfrage enthalten. Die Unmöglichkeit, sich völlig zu entfalten, rührt lediglich von äußeren Umständen, vom Terrorismus der in der "Arbeitsgemeinschaft" vereinigten christlichen und sozialdemokratischen Gewerkschaften her. Die obige Behauptung gegen die katholischen Gewerkschaften dürfte also zum Allerletzten aus dem Munde der christlichen Gewerkschaften und deren Gönner kommen.
Auch nach der praktischen Seite hin entspricht die katholische Gewerkschaft den Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Seit dem Jahre 1905 hat sie alljährlich eine Reihe von kollektiven Arbeitsverträgen (Tarifverträgen) für ihre Mitglieder abgeschlossen und außerdem zahlreiche außertarifliche Erfolge erzielt. Das änderte sich auch nicht während des Krieges. Auch nach der Revolution sind ihr die gleichen Erfolge nicht versagt geblieben. Nur wurde von Seiten der gegnerischen, insbesondere der christlichen Gewerkschaften, immer und immer wieder versucht, der katholischen Arbeiterorganisation den Abschluss solcher Tarife unmöglich zu machen. Die katholisch organisierten Arbeiter betrachten das als einen Eingriff in ihre ureigensten, natürlichen Rechte. Sie berufen sich auf die den Arbeitern in Deutschland gesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit, nach welcher die Arbeiter sich zwecks Wahrnehmung ihrer Interessen und Regelung ihrer Arbeitsverhältnisse ein jeder nach seiner Überzeugung mit Gleichgesinnten vereinigen dürfen. Sie berufen sich ferner auf die Vertragsfreiheit. Wenn der einzelne Arbeiter das Recht hat, mit einem ihm zusagenden Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis einzugehen und mit ihm die Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, so muss er auch das Recht haben, die ihm zusagende Organisation, welcher er die Regelung seines Arbeitsverhältnisses übertragen will, frei zu wählen.
Das Recht der gegnerischen Organisationen, eine "Arbeitsgemeinschaft" nur unter sich zu bilden, mag hier unbeanstandet bleiben; jedenfalls aber empfinden es die katholischen Arbeiter als ein Unrecht, wenn freie, doch lediglich auf dem freien Willensentschluß ihrer Mitglieder zustande gekommene Organisationen andere Organisationen an der Regelung ihres Lohn- und Arbeitsverhältnisses hindern.
Das Vorgehen der den Arbeitsgemeinschaften angehörenden Organisationen wird auch nicht durch den Einwand gerechtfertigt, die Arbeitgeber hätten einem Abkommen zugestimmt, nach welchem die Regelung der Arbeitsverhältnisse einzig und allein nur von den der "Arbeitsgemeinschaft" angehörenden Organisationen ausgeübt werden dürfe. Es ist durch das Zeugnis der Arbeitgeberverbände bewiesen, dass diese dem Abkommen (*) nicht in dem Sinne beigetreten sind, als ob sie mit der katholischen Gewerkschaft über Arbeitsbedingungen nicht auch verhandeln wollten; sie wollen nicht den Ausschluss der der katholischen Organisation von den gemeinsamen Verhandlungen; ja sie wünschen deren Beteiligung entweder gemeinsam mit den anderen oder getrennt.
Die gegnerischern Arbeiterverbände bezwecken mit der Verdrängung der katholischen Gewerkschaften von der Regelung der Arbeitsverhältnisse, die Mitglieder derselben zum Austritt aus ihrer katholischen Organisation und zum Übertritt zu einer der "Arbeitsgemeinschaft" angehörenden Organisation zu zwingen.
Dieser Zwang ist zunächst moralischer Art. Auf das naturgemäße Recht, die Lohn- und Arbeitsbedingungen mit dem Arbeitsgeber frei zu vereinbaren, will kein Arbeiter – so folgern sie – verzichten. Ein Arbeiter, der sich einer Organisation anschließt, will, dass diese auch seine Interessen bei der Regelung des Arbeitsverhältnisses wahrnimmt. Kann sie nun diesen Zweck nicht erreichen, dann wird der Arbeiter von selbst sich dahin entscheiden, ihr nicht weiter anzugehören. Dazu kommt, dass die gegnerischen Organisationen, nachdem sie selbst die katholische Organisation an der Ausübung ihres natürlichen Rechtes gehindert haben, unter deren Mitgliedern ständig mit dem Einwand agitieren, die katholische Organisation sei nicht "anerkannt" und bei dem Abschluss der Arbeitsverträge nicht beteiligt. Sie wissen, dass dieses Argument, das sie ja selbst erst in ungerechtem Vorgehen geschaffen, auf manche Arbeiter Eindruck macht; sie wollen damit die Mitglieder moralisch zwingen, aus der katholischen Organisation auszutreten und sich ihnen anzuschließen.
Zu diesem moralischen Zwang kommt aber noch ein physis c her. Auf den Arbeitsstätten verlangen die Vertrauensmänner der der "Arbeitsgemeinschaft" angeschlossenen Organisationen von den Mitgliedern der katholischen Organisation den Austritt aus ihrer katholischen Gewerkschaft. Falls diese sich weigern, werden sie von den in der Arbeitsgemeinschaft vereinigten Gegnern mit Ausschluss von der Arbeitsstätte und damit mit Arbeitslosigkeit und Brotlosmachung, sogar mit leiblichen Schädigungen, bedroht. Die Arbeitgeber aber versuchen sie durch Anwendung von Zwangsmitteln, besonders durch Androhung von Streiks, gefügig zu machen, auf ihre Forderung, die katholisch organisierten Arbeiter zu entlassen, einzugeben. Uns liegen Schriftstücke vor, aus denen zu ersehen ist, dass die Arbeitgeber zu einer förmlichen schriftlichen Zusage gezwungen wurden, nur Mitglieder der der "Arbeitsgemeinschaft" angehörenden Organisationen einzustellen. So z. B. schreibt die gräflich Ballestremsche Verwaltung in Kuda (Oberschlesien) am 19. Januar 1919 an den Berufsverband der katholischen Metallarbeiterinnen (Grubenarbeiterinnen) folgendes:
"Leider sind wir unter dem Zwange der Verhältnisse genötigt worden, am 28. Dezember v. J. die beiden nachstehenden Forderungen unserer Belegschaften der Brandenburg-, Castellengo-, Wolfgang- und Graf-Franz-Grube anzunehmen, um den Betreib auf den Gruben nicht zu gefährden:
a) Alle neu anzulegenden Arbeiter dürfen nur dann Beschäftigung erhalten, wenn sie sich zu einer der vier Arbeiterorganisationen als zugehörig ausweisen.
b) Die Vertrauensleute dürfen die Belegschaft auf ihre Zugehörigkeit zu irgendeiner Organisation an der Markenkontrolle
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kontrollieren, ohne von den Grubenbeamten daran gehindert zu werden. Die Vertrauensleute
versichern, dass aus diesen Kontrollen keine Betriebsstörung erwachsen wird. Die vier
zulässigen Arbeiterorganisationen sind: Freie Gewerkschaften. Christliche Gewerkschaften.
Polnische Berufsgemeinschaft. Gewerkvereine Hirsch-Dunder. Auch wir haben das größte Interesse an der Wahrung der Koalitionsfreiheit und stehen vollkommen auf dem Standpunkt der Regierung und der Berliner Gewerkschaftskommissionen. Jedoch haben wir keine Mittel an der Hand, Akte des Terrorismus hintanzuhalten, und können uns lediglich bemühen, weitere Ausschreitungen und Stillsetzungen der Betriebe zu vermeiden."
Moralisch und physisch also wird versucht, die Mitglieder der katholischen Gewerkschaften zu zwingen, sich Organisationen anzuschließen, deren Tendenzen ihrer Überzeugung widersprechen; die den Arbeitern in Deutschland zustehende Koalitionsfreiheit wird in einen Koalitionszwang umgekehrt.
Durch diesen Koalitionszwang erstreben die der Arbeitsgemeinschaft angehörenden gegnerischen Arbeiterorganisationen die Errichtung eines Arbeitsmonopols, durch welches sie die Möglichkeit erhalten, alle andersgesinnten Arbeiter von der Arbeit auszuschließen, wodurch dieselben in Not und Elend geraten. Das vorstehende Schreiben der Ballestremschen Verwaltung ist ein Beweis hierfür.
Doch ist ihnen dieses Bestreben bis jetzt nur in wenigen Fällen gelungen dank der Standhaftigkeit der katholisch organisierten Arbeiter, die über dieses Bestreben im allgemeinen noch immer den Sieg davongetragen haben. Gerade in dieser Zeit der Verfolgung ist ihre Zahl nicht kleiner, sondern größer geworden.
Auch von Seiten der sozialistischen Regierung – so z. B. in zwei Schreiben des Reichsministers Bauer an die katholischen Gewerkschaften vom 15. Dezember 1918 und 1. Mai 1919 – ist dieses Vorgehen der Streikverbände als ein gesetzwidriges Unrecht hingestellt worden. Schließlich haben sich auch nicht wenige Arbeitgeber dem Ansinnen, die katholisch organisierten Arbeiter zu entlassen, mit Erfolg widersetzt. Es ist also nicht wahr, dass die katholischen Gewerkschaften den verschiedenen Bedürfnissen ihrer Mitglieder nicht genügen könnten.
Die Ungerechtigkeiten und die Leiden aber, die die katholisch organisierten Arbeiter bei diesen fortwährenden Vergewaltigungsversuchen zu ertragen haben, schreien zum Himmel. Sie erheben deshalb vor dem ganzen katholischen Volke, vor ihren Bischöfen, vor dem Apostolischen Stuhl Einspruch gegen diese schmählichen, kulturkämpferischen Bedrückungen.
Wir stellen deshalb die folgenden Fragen:
1. Ist es Arbeiterorganisationen erlaubt, andere Organisationen und damit deren Mitglieder von der berechtigten Mitwirkung bei der Regelung der Arbeitsbedingungen deshalb auszuschließen, weil dies auch bei ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit sich offen zu den Grundsätzen der katholischen Lehre bekennen?
2. Ist es Arbeiterorganisationen, die lediglich durch den freien Willen ihrer Mitglieder zustande gekommen sind, erlaubt, einen Koalitionszwang auf andersdenkende katholische Arbeiter eigenmächtig auszuüben?
3. Ist es diesen Organisationen erlaubt, ein Arbeitsmonopol zu errichten und dadurch andersdenkende, katholische Arbeiter in Not und Elend zu bringen?
4. Kann katholischen Arbeitern der Beitritt zu Organisationen, welche sich an solchen ungerechten Gewaltsmaßnahmen beteiligen oder solche nicht missbilligen, empfohlen werden?
5. Ist es erlaubt, die katholische Organisation wegen ihres katholischen Charakters und ihres friedlichen Wirtschaftsprogramms feindselig zu befehden, ihre Mitglieder zu verfolgen und sie zu boykottieren?
Diese Fragen sind von unseren Mitgliedern aus den verschiedensten Gebieten an den Verbandsvorstand gerichtet worden mit der Bitte, sie der kirchlichen Obrigkeit gemäß den Weisungen der Enzyklika Singulari quadam zur Entscheidung vorzulegen, damit das Recht sichergestellt werde.
II.
Wie bereits in dem Schreiben an den hochwürdigsten Herrn Bischof von Trier vom 16. April d. J. mitgeteilt ist, wandte sich die Verbandsleitung, um den Terrorismus zu beseitigen, an die Führer der sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaften. Unser früherer Verbandssekretär Dr. Fleischer erhielt ebenfalls schon am 3. Februar d. J. den Auftrag von der Verbandsleitung, mit seinem Fraktionskollegen Stegerwald, Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften, wegen der Beseitigung des Terrors und eventl. Zulassung der katholischen Organisation zu der "Arbeitsgemeinschaft" zu verhandeln. In der Vorstandsitzung am 13. März d. J. berichtete aber Herr Dr. Fleischer, dass er statt dessen mit Herrn Stegerwald wegen einer Auflösung der katholischen Gewerkschaften und einer Überführung derselben in die christlichen Gewerkschaften verhandelt habe. Er habe inzwischen die Auffassung gewonnen, dass die christliche Gewerkschaften an dem reinwirtschaftlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses nicht mehr festhielten, wie sie auch ihre Stellung zum Streit geändert hätten. Herr Dr. Fleischer legte dem Verbandsvorstand nahe, diese Auflösung der katholischen Gewerkschaftsorganisation und die Überführung der Mitglieder in die christlichen Gewerkschaften möglichst schnell in die Wege zu leiten, denn er wisse bestimmt, dass der Herr Fürstbischof von Breslau und andere einflussreiche Kreise dies dringlichst wünschten, auch Rom wünsche das. Wenn der Vorstand sich nicht mehr beeile, werde die Einigung über den Kopf des Vorstandes hinweg erfolgen.
Der Verbandsvorstand erklärte, dass er, wie schon immer, eine einheitliche Front gegen die Sozialdemokratie begrüße. Ein höheres Gut als die Einigkeit sei aber die Wahrheit. Einer Einigung mit den christlichen Gewerkschaften würde er zustimmen, wenn sich eine solche auf dem Bodern der von der katholischen Organisation vertretenen Grundsätze erzielen lasse. Deshalb und unter Berücksichtigung der von Dr. Fleischer gemachten Mitteilungen, beauftragte er Dr. Fleischer, wie das bereits in dem Schreiben vom 16. April dargelegt ist, mit Herrn Stegerwald zwecks einer praktischen Verständigung beider Organisationen, z. B. in Form eines Kartells, auf der Grundlage seiner Zeit zwischen dem Verbandsvorstand und Monsignore Walterbach-München vereinbarten Grundsätze, von denen eine Abschrift als Anlage 1 beigefügt ist, zu verhandeln.3
Als Resultat der darauf erfolgten Verhandlungen erklärte Herr Dr. Fleischer am 7. April d. J. dem Verbandsvorstand, dass er nicht über die vorgenannten Grundsätze verhandelt habe; er legte vielmehr dem Verbandsvorstand die vier bekannten Weimarer Leitsätze vor; dieselben hätten bereits die Billigung des Herrn Fürstbischofs von Breslau, nachdem letzterer einige Abänderungen getroffen habe.
Der Verbandsvorstand betonte noch einmal, dass er für eine Verständigung sei, weil er diese für ein großes Gut halte; nur müsse diese Einigung sich vollziehen unter voller Wahrung der in den päpstlichen Enzykliken Rerum novarum und Singulari quadam niedergelegten Grundsätze. Nachdem der Herr Fürstbischof von Breslau aber in seinem Schreiben vom 3. April 1919 das eindringliche Ersuchen gestellt hatte, diese Einigung auf Grund der vier Weimarer Leitsätze schleunigst herbeizuführen, beschloss der Verbandsvorstand, mit dem Vorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften auf Grund der zwischen den Herren Dr. Fleischer und Generalsekretär Stegerwald vereinbarten Leitsätze, welche jedoch nur einen Teil der bisherigen Differenzpunkte umfassen, in Verhandlungen zu treten.
Diese Verhandlungen fanden am 3. Mai d. J. in Berlin statt. Es nahmen an denselben teil als Vertreter des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften die Herren: Generalsekretär Stegerwald, Schiffer, Wieber und Wiedeberg; als Vertreter des Vorstandes des Verbandes der katholischen Arbeitervereine die Herren: Generalsekretär Liz. Fournelle, Pfarrer Beher, Richter, Götz und Willinek. Den Vorsitz führte Generalsekretär Stegerwald, der den Wortlaut der Weimarer Leitsätze den Verhandlungen zugrunde legte.
Der Vorstand des Verbandes der katholischen Arbeitervereine hatte inzwischen in mehreren Sitzungen die erwähnten4 Leitsätze durchberaten und dieselben gemäß Anlage 2 umgeändert. Dieselben wurden den christlichen Gewerkschaftsvertretern übergeben.
Die Gründe des Verbandsvorstandes, die ihn zur Umänderung der Fassung der Weimarer Leitsätze leiteten, sind hauptsächlich die folgenden:
A. Hinsichtlich des Einleitungssatzes:
Die katholischen Grundsätze müssen für alle Zeit und alle Verhältnisse Geltung haben; weder die Revolution noch die durch dieselbe geschaffenen wirtschaftlichen Verhältnisse können der Ausgangspunkt einer solchen für Deutschland wichtigen Aktion sein. Da er als katholischer Verband die in der Enzyklika Singulari quadam gegebenen Weisungen als verbindlich erachtet, wollte er, dass als Zeck der Verhandlungen gemäß der Enzyklika Singulari quadam zwar die Einigkeit der katholischen Kreise aber unter Wahrung der unverfälschten und unversehrten katholischen Lehre bezeichnet werde.
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Generalsekretär Stegerwald bemerkte dazu, als Katholik
könne er persönlich nichts gegen eine solche Formulierung haben, aber die christlichen
Gewerkschaften könnten nicht von diesem Gesichtspunkt aus in Verhandlungen treten, weil das
für sie als einer interkonfessionellen Organisation zu Schwierigkeiten führe. Dem
katholischen Arbeiterverbande stehe es frei, den Eintritt in die Verhandlungen von seinem
katholischen Standpunkt aus zu begründen; das könne er am besten in einem Kommentarartikel
seines Verbandsorgans zum Ausdruck bringen. Natürlich müsse über diesen Artikel vor seiner
Veröffentlichung Einverständnis mit dem Vorstand der christlichen Gewerkschaften erfolgt
sein, damit sich nicht daraus eine spätere Gegensätzlichkeit oder Polemik ergebe. Von den
Vertretern des Vorstandes des Verbandes der katholischen Arbeitervereine wurde darauf
erklärt, dass sie die Lage der christlichen Gewerkschaften wohl berücksichtigen und deshalb
auf ihrer vorgeschlagenen Formulierung zwar nicht unbedingt bestehen wollten, doch wollten
sie nicht die Revolution und die augenblicklichen Wirtschaftsverhältnisse als Ausgangspunkt
und Begründung für die Verhandlungen nehmen. Schließlich einigte man sich auf die
Formulierung folgender Worte: "Die gewerkschaftliche Zusammenfassung aller christlichen Arbeiter und Angestellten ist eine gebieterische Notwendigkeit. Von dieser Erwägung ausgehend, hat zwischen einer Vertretung des Vorstandes des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und einer Vertretung des Vorstandes des Verbandes der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) eine Aussprache über die unter den deutschen Katholiken auf gewerkschaftlichem Gebiete obwaltenden Meinungsverschiedenheiten und Missverständnisse stattgefunden. Dabei ergab sich Übereinstimmung in folgender Auffassung."
B. Für seine Fassung des ersten Leitsatze s galten dem Verbandsvorstand folgende Gründe: Es erschien ihm notwendig, festzulegen, dass die katholischen Mitglieder in den Gewerkschaften nicht nur die Möglichkeit haben sollen, die gewerkschaftliche Tätigkeit vom Standpunkt der Moral und Religion zu beurteilen und zu beeinflussen, sondern dass sie auch in der Lage sein müssen, in gewerkschaftlicher Hinsicht nach ihren katholischen Grundsätzen, ohne eine Schädigung befürchten zu müssen, zu hande l n. Dies auszusprechen, erschien um deswillen [sic] notwendig, weil in den Gewerkschaften trotz der Berufung der katholischen Mitglieder auf die katholischen Grundsätze verbindliche Beschlüsse gefasst werden können, welchen katholische Mitglieder nicht zustimmen könnten. So kann z. B. ein Beschluss, in den Streik zu treten, von der Mehrheit einer Gewerkschaft gefasst werden, welchem jedoch katholische Arbeiter von ihrem religiösen Standpunkt aus nicht zustimmen können. Der Zusatz "dementsprechend zu hande l n", will Vorsorge treffen, dass katholische Arbeiter in diesem Falle z. B. nicht in Verruf als Streikbrecher gebracht werden dürfen und ihnen dieserhalb keine Nachteile erwachsen. Da für die Gewerkschaften Mehrheitsbeschlüsse maßgebend sind, erachtete es der Verbandsvorstand für notwendig, dass sie als solche die Garantie bieten, dass katholische Arbeiter in denselben nicht in Gewissenskonflikte geraten. Er fügte deshalb dem Punkt 1 den Absatz b hinzu, welcher wörtlich der Enzyklika Singulari quadam entnommen ist. Unerwähnt war z. B. in der Weimarer Formulierung geblieben die entscheidende Frage nach den Garantien zur Wahrung der kirchlichen Autorität in den von der Enzyklika aufgezählten Punkten über Charakter und Dauer der Arbeit, über die Lohnzahlung, über den Arbeiterstreik.
Die Vertreter der christlichen Gewerkschaften hatten anfänglich nichts gegen die von dem Verband der katholischen Arbeitervereine vorgeschlagene Fassung des Punktes 1 Abs. a), in welchem der Weimarer Formulierung die Worte "… und dementsprechend zu handeln" hinzugefügt worden sind, einzuwenden. Die Vertreter des Verbandes der katholischen Arbeitervereine wiesen auf die Bedeutung dieses Zusatzes hin, welcher bezwecke, die katholischen Arbeiter vor Nachteilen und vor der Berufserklärung als Streikbrecher zu schützen, wenn sie aus religiöser Überzeugung einem Streikbeschluss nicht Folge leisten wollten. Die Vertreter der christlichen Gewerkschaften stellten sich auf den Standpunkt, dass die Gewerkschaften demokratische Gebilde seien, in denen Mehrheitsbeschlüsse zu gelten hätten, die von allen Mitgliedern anerkannt werden müssten. Übrigens könne nur dann in einen Streik eingetreten werden, wenn eine Zweidrittelmajorität einen entsprechenden Beschluss fasse. Das sei auch schon eine Garantie gegen ungerechte Streiks. Generalsekretär Stegerwald erklärte noch besonders, es komme darauf an, über den Wortlaut der Vereinbarung sich zu verständigen, über Motive, warum der Satz so oder anders zu formulieren sei, brauche man hier nicht zu sprechen. Jede Partei könne ihre eigenen Motive und Auffassungen dabei haben. Die christlichen Gewerkschaften könnten also dem Wortlaut "… und dementsprechend handeln" zustimmen.
Dem vom Vorstand des katholischen Arbeiterverbandes formulierten Punkt 1 Abs. b) erklärten die Vertreter der christlichen Gewerkschaften ihre Zustimmung nicht geben zu können. Der Satz sei zwar richtig, so dass jeder Katholik ihn unterschreiben müsse, aber die christlichen Gewerkschaften setzten sich aus Katholiken und Nichtkatholiken zusammen. Deshalb könne die Annahme dieses Satzes zu Schwierigkeiten führen. Die Vertreter des katholischen Verbandes betonten, dass es ihnen vor allem darauf ankomme, festzustellen, dass nicht nur die einzelnen Mitglieder, sondern auch die Gewerkschaften als solche an die richtigen kirchlichen Grundsätze gebunden seien. Deshalb wolle man, um den "Christlichen" Schwierigkeiten zu ersparen, nicht unbedingt auf der Annahme des Wortlautes des Antrages b) bestehen. Es wurden daraufhin dem Punkt 1 der Weimarer Fassung hinter den Worten "… dass sie" die Worte "… als solche" angefügt, so dass er lautet:
"Eine Gewerkschaft, die für katholische Arbeiter geeignet sein soll, muss so beschaffen sein, dass sie als solche ihren Mitgliedern die Möglichkeit bietet, die gewerkschaftliche Tätigkeit auch vom Standpunkt der Religion und Moral zu beurteilen, zu beeinflussen und dementsprechend zu handeln."
C. Punkt 2 der Weimarer Vereinbarung betrifft die schwierigsten Differenzen, welche zwischen der katholischen Organisation und den interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften bestehen: die Stellung zum Streik. Bei seiner Umformulierung leiteten den Verbandsvorstand die folgenden Erwägungen. Nach der Auffassung der katholischen Organisation hat der Streik folgende Merkmale: er ist: 1. eine gemeinsame, durch Verabredung erfolgte Arbeitseinstellung; 2. ein freiwilliges Feiern; 3. die Unterbindung der Möglichkeit für den Arbeitgeber, Arbeiter desselben Berufes zu beschäftigen, überhaupt die Unterbindung der naturrechtlichen Beziehungen zu den Angehörigen eines Berufsstandes mit der Absicht 4. eine Änderung des bisherigen Arbeitsvertrages zugunsten der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu erzwingen.
Eine gemeinsame Arbeitseinstellung ohne die Merkmale unter 3 und 4 ist noch nicht ein Streik. Das wesentliche Merkmal des Streiks ist die beabsichtigte Unterbindung der dem Arbeitgeber naturrechtlich zustehenden Beziehungen zu seinem Berufstand und zur menschlichen Gesellschaft, die Unterbindung der Möglichkeit, Arbeiter desselben Berufes zu beschäftigen, um dadurch eine Änderung des bisherigen Arbeitsvertrages vom Arbeitgeber mit obengenannten Mitteln zu erzwingen. Eine gemeinsame Arbeitseinstellung, bei welcher nicht beabsichtigt ist, dem Arbeitgeber die Möglichkeit, andere Arbeiter zu erhalten, zu unterbinden, oder andere Arbeiter nicht zu hindern, an die Stelle der bisherigen Arbeiter zu treten, kann – an sich betrachtet – erlaubt sein. Treten aber die anderen unter 3 und 4 genannten Merkmale zu der Arbeitseinstellung hinzu, dann handelt es sich um einen Streik. Der Weimarer Satz: "Sie kann allerdings durch die Umstände und Mittel verwerflich werden", könnte zwar – richtig gedeutet – den Streik umfassen und denselben damit verurteilen. Allein die notwenige Unterscheidung zwischen einfacher Arbeitseinstellung und Streik kommt bei dieser Fassung nicht hinreichend zum Ausdruck. Praktisch liegen die Dinge nämlich so, dass die Arbeiter, wenn sie, um günstigere Arbeitsbedingungen zu erzielen, die Arbeit gemeinsam einstellen, immer verhindern oder wenigstens verhindern wollen, dass der Arbeitgeber andere Arbeiter erhält. Allgemein wird deshalb im heutigen Erwerbsleben unter gemeinsamer Arbeitseinstellung der Streik mit allen seinen Zwangsmitteln verstanden. Die Weimarer Fassung des Punktes 2 würde deshalb allgemein als eine Billigung des Streiks aufgefasst werden. Einer solchen Fassung unsererseits zuzustimmen, wäre gleichbedeutend mit einer Verschleierung der wirklichen Tatsachen und einer Irreführung. Der Vorstand erachtet es aber als gefährlich, einen solchen Anschein auch nur zu erwecken, ganz besonders in der Gegenwart, wo nach dem allgemeinen Urteil die größte Gefahr besteht, dass Deutschland durch die fortwährenden Streiks völlig zum Untergange gebracht werden kann. Um jede Irreführung der katholischen Arbeiter zu vermeiden, erachtet es deshalb der Vorstand als notwendig, diese Unterscheidung zwischen einfacher
51v
gemeinsamer
Arbeitseinstellung und Streik in den zu vereinbarenden Grundsätzen ganz klar zum Ausdruck zu
bringen. Um indessen den christlichen Gewerkschaften Schwierigkeiten, die ihnen von den
Sozialdemokraten gemacht werden könnten, zu ersparen, wollte er den Ausdruck "Streik"
vermeiden. Er fügte deshalb dem Punkt 2 den Satz hinzu: "Eine gemeinsame
Arbeitseinstellung aber mit Anwendung von Boykott ist verwerflich". Bei den Verhandlungen über diesen Punkt erklärten die Vertreter der christlichen Gewerkschaften, dem Zusatz: "eine gemeinsame Arbeitseinstellung aber mit Anwendung von Boykott ist verwerflich", nicht zustimmen zu können. Es liege zu diesem Punkt auch eine von Dr. Fleischer mitgeteilte Formulierung des Hochwürdigsten Herrn Fürstbischofs von Breslau vor, die folgenden Wortlaut habe:
"Dass jede gemeinsame Arbeitseinstellung verwerflich sei, kann vom Standpunkt der Moral nicht behauptet werden. Sie kann allerdings durch Absicht, Umstände und Mittel, insbesondere solche, die ungerechte Gewalt anwenden, verwerflich werden."
Damit, dass Arbeitseinstellungen, die ungerechte Gewalt anwenden, als verwerflich bezeichnet werden, seien alle Fälle in jeder Hinsicht getroffen. Von den Vertretern des katholischen Verbandes wurde demgegenüber bemerkt, dass angesichts der Wichtigkeit der Materie und wegen des erstrebten Gutes der katholischen Einigkeit, welches doch der Ausgangs- und Endpunkt der Verhandlungen sei, streng darauf zu achten sei, dass jede Verschleierung des Tatbestandes vermieden und die Unterscheidung zwischen den beiden wesentlich verschiedenen Dingen, Arbeitseinstellung und Streik, welch letzterer die in den mit dem Prälaten Walterbach vereinbarten Thesen bezeichneten Merkmale ausweist, aus der Formulierung ersichtlich sein müsse. Es handle sich doch nicht um zwei gleichwertige, nur graduell verschiedene Arbeitseinstellungen, es seien vielmehr zwei wesentlich verschiedene Dinge. Der Vorstand sei bei seiner Formulierung der Meinung gewesen, dass eine Arbeitseinstellung verbunden mit der Absicht, die Unterbindung der naturrechtlichen Beziehungen, die ein Glied eines Berufsstandes zu anderen Gliedern desselben Berufsstandes und zu dem Berufsstande selbst sowie zur menschlichen Gesellschaft hat, als Streik zu bezeichnen sei, d. h. als Arbeitsniederlegung mit Boykott. Dies sei mehr als "Anwendung ungerechter Gewalt". Letztere würden selbst sozialdemokratische Gewerkschaftler verwerfen, denn auch diese wollen sich nicht den Vorwurf machen lassen, dass sie "ungerechte Gewalt" anwenden. Zum mindesten müsse eine klare, unzweideutige Gegenüberstellung der Begriffe "erlaubte Arbeitseinstellung" und "unerlaubte Arbeitseinstellung" (Streik) gefordert werden. Es sei nicht angängig in einem und demselben Satze – dazu noch ohne jede äußere Unterscheidung – zwei wesentlich verschiedene Dinge, wie einfache Arbeitseinstellung und Streik, zusammenzufassen. Der Satz über den Streik, der doch in jedem Falle verwerflich sei, müsse schon äußerlich von dem vorhergehenden Satze getrennt werden. Die Vertreter der christlichen Gewerkschaften gestanden nur zu, dass ein besonderer Absatz gemacht werde. Unter Streichung des Wortes "insbesondere" wurde dem zweiten Satz der Wortlaut gegeben:
"Eine Arbeitseinstellung ungerechter Gewalt ist zu verwerfen."
Der Punkt 2 hat demnach folgende Fassung:
"2. Gegen die gemeinsame Arbeitseinstellung an sich ist vom Standpunkt der Moral nichts einzuwenden. Sie kann allerdings durch Absicht, Umstände und Mittel verwerflich werden.
Eine Arbeitseinstellung unter Anwendung ungerechter Gewalt ist zu verwerfen."
D. Bei Punkt 3 der Weimarer Fassung leitete den Verbandsvorstand die Ansicht, dass diese Formulierung die Deutung zulasse, dass zwar infolge der veränderten Wirtschaftsverhältnisse Streiks in der Zukunft inopportun sind und sie infolgedessen immer mehr zurücktreten, die Streiks aber grundsätzlich nicht als verwerflich bezeichnet werden. Diese Deutung glaubte er vermeiden zu können durch Streichung der Worte "… die auch die bisherigen Mittel des wirtschaftlichen Machtkampfes zurücktreten lässt". Ferner erblickte der Vorstand in dem Worte "weitestgehenden" am Schluss des Punktes 3 der Weimarer Fassung eine Einschränkung der Bedeutung der verlangten gewerblichen Einigungsämter. Er lässt die Deutung zu, dass auch in Zukunft der Streik als das letzte entscheidende Mittel zur Regelung der Arbeitsverhältnisse gelten soll. (*)
Deshalb wurde dieses Wort "weitestgehenden" gestrichen und gewerbliche Einigungsämter mit entscheidenden Vollmachten schlechthin verlang.
Punkt 3 wurde gemäß diesem Vorschlage angenommen. Er lautet:
"Wir stehen vor einer Neuformung unseres Wirtschaftslebens. Die Schaffung von wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern auf gesetzlicher Grundlage und freien Arbeitsgemeinschaften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat eine stärkere Bindung unserer Wirtschaft zur Folge, welche die Bildung friedlicher Einrichtungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse, insbesondere gewerbliche Einigungsämter mit entscheidenden Vollmachten fordert. Diese Forderung wird sowohl von den katholischen Arbeitervereinen als auch von den christlichen Gewerkschaften mit Nachdruck vertreten."
E. Zu der Umformulierung des Punktes 4 führten den Verbandsvorstand folgende Erwägungen. Nach der Weimarer Fassung sollten die Beziehungen zwischen den konfessionellen Arbeitervereinen und den christlichen Gewerkschaften möglichst lebendig gestaltet werden. Deshalb "sollen die Bemühungen, die Mitglieder der christlichen Gewerkschaften den konfessionellen Arbeitervereinen zuzuführen, mit Nachdruck fortgesetzt werden". Der Vorstand war der Meinung, dass eine Empfehlung auch der protestantischen Arbeitervereine, die in dem Worte "konfessionelle" vorgesehen ist, nicht Sache der Katholiken sei, zumal in denselben oft Bestrebungen gegen die katholische Lehre und katholische Einrichtungen verfolgt werden. Er setzte deshalb an die Stelle des Wortes "konfessionell" das Wort "katholisch". Ferner war er der Ansicht, dass bei der Lösung der den Gewerkschaften und katholischen Arbeitervereinen gemeinsamen Fragen es sich auch um solche handeln könne, die katholische Lehren oder kirchliche Entscheidungen berühren. Da im Vorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften auch Nichtkatholiken vertreten sind oder sein können, könnte das zu Schwierigkeiten führen. Der Vorstand änderte deshalb den Punkt 4 dahin, dass zu obigem Zweck aus Vertretern der christlichen Gewerkschaften und der katholischen Arbeitervereine ein besonderer Ausschuss gebildet werden soll.
Bei den Verhandlungen erklärten die Vertreter der christlichen Gewerkschaften, dass die Fassung des Vorstandes des katholischen Arbeiterverbandes einseitig sei. Es müsse in derselben auch ausgesprochen werden, dass die katholischen Arbeitervereine die Verpflichtung übernehmen, ihre Mitglieder den christlichen Gewerkschaften zuzuführen. Die Vertreter des Verbandes der katholischen Arbeitervereine erklärten, dass die katholische Organisation sich doch an die Kundgebungen der kirchlichen Autorität gebunden fühle. Die Enzyklika Singulari quadam sehe eine solche Empfehlung oder Überführung der Mitglieder der katholischen Arbeitervereine in die christlichen Gewerkschaften nicht vor, wohl aber spreche sie von einer Zuführung der Mitglieder der christlichen Gewerkschaften in die katholischen Arbeitervereine. Solange die Enzyklika bestehe, könne also diesem Wunsche von ihnen nicht entsprochen werden. Generalsekretär Fournelle teilte mit, dass er sich wegen dieser an den katholischen Arbeiterverband gestellten Forderung durch den Herrn Bischof von Trier an den Herrn Kardinal von Köln und an den Apostolischen Stuhl gewendet habe. Die Vertreter der christlichen Gewerkschaften nahmen von dieser Erklärung Kenntnis. Es wurde sodann der erste Satz des Punktes 4 gestrichen und der letzte Satz angenommen, so dass Punkt 4 nun folgende Fassung hat:
"Die Lösung der den Arbeitervereinen und Gewerkschaften gemeinsamen Aufgaben soll dadurch gefördert werden, dass aus beiden Organisationen ein Ausschuss gebildet wird."
52r
Die vorstehenden Darlegungen sind von uns deshalb so
ausführlich wiedergegeben worden, weil es sich um eine wichtige Angelegenheit, nämlich die
Klarstellung in den Grundsätzen und die Einheit des katholischen Volkes in Deutschland,
handelt. Wir glauben, mit dieser Darstellung der kirchlichen Obrigkeit einen solchen
Einblick in die Sachlage geboten zu haben, der es ihr ermöglicht, zu beurteilen, ob bei den
christlichen Gewerkschaften eine andere Auffassung als bisher in der Arbeiterfrage Platz
gegriffen hat. Die Vertreter des Berliner Verbandes, welche an den Verhandlungen
teilgenommen haben, sind einmütig der Ansicht und halten sich in ihrem Gewissen für
verpflichtet, es ausdrücklich in diesem Berichte zu betonen, dass die christlichen
Gewerkschaften ihren Standpunkt und ihre bisherige Auffassung vom Zweck und den Aufgaben der
Gewerkschaft, insbesondere vom Streik, nicht geändert haben, dass sie vielmehr lediglich, um
den katholischen Gewerkschaften den Übertritt zu ihnen leichter zu machen, in der
Formulierung, nicht aber im Wesen der Sache, eine Änderung vorgenommen und
sich mit den in den Verhandlungen vom 3. Mai festgestellten Leitsätzen einverstanden
erklärt haben.Der gehorsamt unterzeichnete Verbandsvorstand wiederholt deshalb die in dem Schreiben des mitunterzeichneten Generalsekretärs Lic. Fournelle vom 16. April d. Js. an den Herrn Bischof von Trier und an den Herrn Kardinal von Köln gestellte Bitte, dass dem Apostolischen Stuhl, der diese Sache an sich gezogen hat, die Frage unterbreitet wird, ob es, solange die Enzyklika Singulari quadam noch ihre verpflichtende Wirkung für Katholiken hat, gestattet ist, auf Grund der mit den christlichen Gewerkschaften gepflogenen Verhandlungen,5 deren Ergebnis die als Anlage 3 beigefügten vier Leitsätze darstellen, die bestehenden katholischen Gewerkschaften aufzulösen und die Mitglieder derselben den christlichen Gewerkschaften zuzuführen.
Wir heben zum Schluss noch ausdrücklich hervor, dass in den genannten vier Leitsätzen nicht alle wesentlichen Differenzpunkte zwischen der katholischen Organisation der Arbeiter und den christlichen Gewerkschaften erfasst sind, insbesondere nicht die Frage der Garantien für die Zuständigkeit der kirchlichen Autorität. Doch haben darüber nicht wir Vertreter der katholischen Arbeiter zu entscheiden, sondern die kirchliche Autorität selbst.
Der unterzeichnete Verbandsvorstand legt die vorstehende Darstellung den Hochwürdigsten Herren Bischöfen gemäß den Weisungen der Enzyklika Singulari quadam mit der gehorsamsten Bitte vor, dieselbe dem Apostolischen Stuhl zu unterbreiten und die in dem vorstehenden Bericht angeführten Fragen zur Entscheidung des Apostolischen Stuhles zu bringen:
I.
a) Ist es Arbeiterorganisationen erlaubt, andere Organisationen und damit deren Mitglieder von der berechtigten Mitwirkung bei der Regelung der Arbeitsbedingungen deshalb auszuschließen, weil diese auch bei ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit sich offen zu den Grundsätzen der katholischen Lehre bekennen?
b) Ist es Arbeiterorganisationen, die lediglich durch den freien Willen ihrer Mitglieder zustande gekommen sind, erlaubt, einen Koalitionszwang auf andersdenkende, katholische Arbeiter eigenmächtig auszuüben?
c) Ist es diesen Organisationen erlaubt, ein Arbeitsmonopol zu errichten und dadurch andersdenkende, katholische Arbeiter in Not und Elend zu bringen?
d) Kann katholischen Arbeitern der Beitritt zu Organisationen, welche sich an solchen ungerechten Gewaltmaßnahmen beteiligen oder solche nicht missbilligen, empfohlen werden?
e) Ist es erlaubt, die katholische Organisation wegen ihres katholischen Charakters und ihres friedlichen Wirtschaftsprogramms feindselig zu befehden, ihre Mitglieder zu verfolgen und sie zu boykottieren?
II.
Ist es, solange die Enzyklika Singulari quadam ihre verpflichtende Wirkung für Katholiken hat, gestattet, die bestehenden katholischen Gewerkschaften aufzuheben und die Mitglieder derselben den christlichen Gewerkschaften zuzuführen?
In tiefster Ehrerbietung verharrt
Ew. Eminenz gehorsamster
Vorstand des Verbandes
der katholisc hen Arbeitervereine (S. B.)
gez. Lic. H. Fournelle, Generalsekretär.
gez. M. Beyer, Pfarrer, 1. Geistl. Beisitzer.
gez. F. Baron, Pfarrer, 2. Geistl. Beisitzer.
gez. Joh. Götz, Gewerkschaftsvorsitzender.
gez. Paul Richter, Gewerkschaftssekretär.
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Berlin-Trier, 17. August
1919.Ew. Eminenz
Bittet der gehorsamst Unterzeichnete im Anschluß an die beiden Schreiben vom 16. April und 24. Mai Nachstehendes zur gnädigsten Kenntnisnahme unterbreiten zu dürfen.
Die in dem Schreiben vom 16. April eingangs geschilderte Lage hat sich seither erheblich geändert. Die gegen die katholischen Gewerkschaften gerichteten Terrorisierungsversuche der in der "Arbeitsgemeinschaft" zusammengeschlossenen sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaften sind größtenteils gescheitert. Die Gründe für diese Wendung der Dinge sind folgende:
1. Die katholisch organisierten Arbeiter selbst haben dem Terror die Stirne geboten. Ganz im Sinne der kirchlichen Weisung, offen und unerschrocken sich zur katholischen Sache zu bekennen, haben sie allen Verfolgungen, Drangsalierungen, Vergewaltigungen zum Trotz, auf den Arbeitsstätten als Mitglieder der katholischen Gewerkschaften sich bekannt. Unaufhörlich wurden sie gedrängt, aus der katholischen Organisation auszutreten. Sie blieben standhaft, selbst dort wo sie, wie in Berlin, eine verschwindende Minderheit bildeten. Diejenigen, die – während viele Tausend sich der katholischen Gewerkschaft anschlossen, vielfach auch nur vorübergehend – dem Terror erlagen, zählen kaum einige Hundert. Gerade in den letzten Tagen zeigt sich bei den besonnen Elementen der Kampfgewerkschaften immer stärkere Tendenz, sich den katholischen Gewerkschaften mit ihrer ruhigen, stetigen Betreuung der Arbeiter anzuschließen.
2. Die sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaften haben ihren Einfluss eingebüßt. Die mehrheitssozialistischen Führer sind im Begriffe, abgelöst zu werden von den Unabhängigen und den Kommunisten. Überall entstehen neue kommunistische Arbeiterorganisationen, die unter Ablehnung und Bekämpfung der bisher üblichen Gewerkschaftsform und Tätigkeit für das uneingeschränkte Rätesystem in den einzelnen Betrieben und im ganzen Reiche eintreten; sie anerkennen nicht mehr die Kompetenz der bisherigen Gewerkschaftsführer zur Herbeiführung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen, sie verwerfen deshalb auch das sogenannte "Abkommen" vom 15. November zwischen den Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, jenes Abkommen, das die sozialdemokratischen und christlichen Organisationen gegen alles Recht und auch gegen den Willen der Arbeitgeber als Arbeitsmonopol statuierten und als terroristisches Kampfmittel gegen die katholischen Gewerkschaften ausnützten. Ihre Pläne sind ins Gegenteil umgeschlagen, ihre eigene Waffe, der Terror, hat sich gegen sie gekehrt. Ihre Verbandsblätter sind angefüllt mit Klagen über den nunmehr gegen sie ausgeübten Terror der Unabhängigen und Kommunisten.
3. Auch bei den Arbeitgebern erreicht der Terror längst nicht mehr den Zweck, einzuschüchtern. Da das Abkommen vom 15. November kaum noch einen Wert hat, erkennen dieselben die katholischen Gewerkschaften als gleichberechtigt an, was sie durch zahlreiche Tarifabschlüsse mit denselben dokumentieren.
4. Die Regierung ist gleichfalls nicht gesonnen, die früheren terroristischen Maßnahmen der Gewerkschaften gutzuheißen, geschweige denn zu unterstützen. Dies brachte sie zum Ausdruck in der Nationalversammlung zu Weimar vom 11. April, ferner in dem ersten provisorischen Gesetzentwurf über die Betriebsräte, insbesondere in dem folgenden Absatz: „Die politische, militärische, konfessionelle oder gewerkschaftliche Betätigung eines Arbeitnehmers oder seine Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem politischen, konfessionellen oder beruflichen Vereine darf kein Grund zur Erhebung des Einspruches abgeben. "Der jetzige Ministerpräsident hat als Arbeitsminister in einer Beschwerdesache der katholischen Gewerkschaften in Ratibor gegen den Breslauer sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer entschieden, dass jede Arbeitergewerkschaft, auch die katholische in Ratibor, berechtigt sei, Tarifverträge abzuschließen, auch wenn sie in dem gemeinsamen Arbeitsabkommen nicht mit einbegriffen wäre. Seither richten sich sowohl die Arbeitgeber, als auch die katholischen Gewerkschaften nach dieser Entscheidung. Außerdem hat in den letzten Tagen das jetzige Reichsarbeitsministerium bekannt gegeben, dass solche Tarifabmachungen, bei denen die eine oder andere gewerkschaftliche Richtung von vornherein ausgeschlossen worden sei, nicht als allgemein verbindlich vom Reichsarbeitsministerium erklärt werden könnten. Besonders muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass im Falle einer Ausschließung katholischer Gewerkschaftler von der Arbeitsgemeinschaft oder einem tariflichen Abkommen diesen keinerlei wirtschaftlich finanzielle Schädigungen entstehen, weil die vereinbarten Löhne und Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter gelten. Die diesen Tatsachen widersprechende Behauptung, nur die Mitglieder der tarifabschließenden Gewerkschaften hätten ein Anrecht auf die erreichten Vorteile, gehört lediglich zur Agitationssprache, um Eindruck auf gänzlich Unerfahrene innerhalb und außerhalb der Arbeiterkreise zu machen.
Wenn also in dem Schreiben vom 16. April nach dem damaligen Stand der Dinge gesagt wurde "dass es der katholischen Gewerkschaft unmöglich gemacht worden sei, für ihre Mitglieder im Reiche oder an einzelnen Orten ein Arbeitsabkommen mit den Arbeitgebern herbeizuführen, weder vereint mit den übrigen Gewerkschaften, noch auch für sich gesondert", so trifft das heute nicht mehr zu. Vielmehr ist es Tatsache, dass in den letzten Monaten über Erwarten zahlreiche Tarifverträge von den katholischen Gewerkschaften mit den Arbeitgebern abgeschossen worden sind, bald allein, bald zusammen mit den sozialdemokratischen, bald zusammen mit den christlichen und sozialdemokratischen Gewerkschaften. Jede Nummer des Verbandsblattes "Der Arbeiter" führt neue Tarife an, vergl. die beiliegende Nr. 13 des "Arbeiter". Gleich zahlreich sind die Tarifabkommen, welche der Verband der katholischen Vereine erwerbstätiger Frauen und Mädchen abgeschlossen hat. Eine ganz unvollständige Zusammenstellung derselben ist in den beiliegenden Nummer der "Frauenarbeit" und der "Lydia" enthalten.
Es ist also heute nicht mehr wahr, dass katholische Arbeiter durch Ausschließung aus der Arbeitsgemeinschaft behindert sind, Tarifabkommen zu treffen, und dass sie dadurch zu Schaden kommen. Ein völliger Umschwung ist in dieser Hinsicht eingetreten; gegenwärtig werden, zumal im rechtsrheinischen Deutschland, die mehrheitsozialistischen und christlichen Gewerkschaften von den kommunistischen Arbeitervereinigungen verfolgt, mehr als das früher gegenüber den katholischen Gewerkschaften der Fall gewesen. Die Annahme, als ob die katholisch-organisierten Arbeiter ihre Organisation verlassen und ihre friedliche Gewerkschaftsarbeit im Sinne der katholischen Grundsätze preisgeben und verleugnen würden, wie es die Arbeitsgemeinschaft als Aufnahmebedingung gefordert hatte, hat sich als irrig erwiesen. Soweit unsere Information reicht, besteht auch für die Zukunft keine Aussicht, dass sich die katholisch-organisierten Arbeiter dieser unverantwortlichen Forderung jemals geschlossen unterwerfen. Im Gegenteil, sowohl die geistlichen Präsides, als auch die führenden Gewerkschaftsmitglieder erkennen seit einigen Monaten immer mehr, dass angesichts der veränderten gewerkschaftlichen Verhältnisse und der fortdauernden Linksentwicklung aller reinwirtschaftlichen Gewerkschaften eine Zuführung der katholischen Gewerkschaften zu den christlichen künftighin keine Gewehr für gewerkschaftlichen Schutz mehr bietet; sie verweisen ferner auf die unleugbare Tatsache, dass die christlichen Gewerkschaften durch ihre reinwirtschaftlichen Grundsätze, ihre Entwicklung und Taktik jetzt in sklavischer Abhängigkeit von den freien Gewerkschaften stehen und sie glauben es nicht verantworten zu können, katholische Arbeiter am allerwenigsten die Jugend, einer solch verwirkten Gewerkschaftsform zuzuführen. Auch ist ihnen nicht unbekannt, dass während der letzten Monate die Bestände der christlichen Gewerkschaften durch wahllose Neuaufnahmen mit einer großen Anzahl von Elementen durchsetzt sind, die nach dem eigenen Zeugnis der christlichen Gewerkschaftsführer eine Gefahr für die ganze Bewegung bilden. Mit dieser tatsächlichen Lage steht das verhalten weiter katholischer Kreise in auffälligem Widerspruch. Die katholischen Gewerkschaften vermissen mit schmerzlichem Bedauern eine rechte Würdigung ihrer Ziele und eine richtige Einschätzung ihrer Bedeutung. Am schwersten tragen sie daran, dass zahlreiche katholische Kreise in diesen schweren Zeiten sie nicht nur verkennen, sondern auch ihnen das von der kirchlichen Autorität garantierte und geforderte Existenzrecht absprechen zu Gunsten einer akatholischen Gewerkschaftsrichtung, die sich bist zur
53r
Stunde weigert, die Forderungen der Enzykliken zu erfüllen,
z. B. sich jeder Befehdung und Bedrückung der katholischen Gewerkschaften zu
enthalten; statt dessen beteiligt sie sich, wie in vielen Fällen nachweisbar, an einem
bisher nur von sozialdemokratischer Seite gekannten Zertrümmerungsfeldzug gegen die
katholischen Gewerkschaften, um dann mit der Beweisführung aufzutreten, die katholischen
Gewerkschaften könnten sich nicht mehr auf die Enzyklika Singulari quadam berufen,
weil sie die darin geforderten Existenzbedingungen nicht mehr erfüllten, indem sie –
ausgeschlossen von der Arbeitsgemeinschaft – nicht mehr imstande seien, ihren Mitgliedern
die notwendigen wirtschaftlichen Vorteile zu sichern. Der leitende Gedanke ist dieser: man
sucht den katholischen Gewerkschaften auf jede Weise die gewerkschaftliche Tätigkeit
unmöglich zu machen, sie direkt zu zertrümmern, und dann argumentiert man, sie hätten keine
Existenzberechtigung mehr weil sie in der Gewerkschaftsbewegung bedeutungslos seien. Eine
solche Tücke war bisher im Gewerkschaftsstreik noch nicht zu Tage getreten.
Beweismaterialien für die ebengeschilderte Praxis der christlichen Gewerkschaften stehen
beliebig zur Verfügung. Es ist uns kein einziger ernstlicher Versuch bekannt geworden,
dieses Verhalten der christlichen Gewerkschaften zu korrigieren und mit den Forderungen
elementarster Gerechtigkeit und kollegialer Liebe, wie sie in den päpstlichen Weisungen
enthalten sind, in Einklang zu bringen vielmehr fahren zahlreiche Geistliche, katholische
Vereinigungen, fast die gesamte Zentrumspresse, fort, kritiklos und unkritisch die
christlichen Gewerkschaften einseitig zu fördern; dadurch ist in Deutschland die Auffassung
weit verbreitet worden, dass die christliche Gewerkschaftsbewegung die alleinige Norm sei,
ganz im Gegensatze zum Wortlaut der Singulari quadam, welche die höchstmögliche
Förderung der katholischen Gewerkschaften zur indispensablen Pflicht macht. Die katholischen Gewerkschaften ihrerseits enthalten sich jedes Terrors und jeder Bekämpfung der christlichen Gewerkschaften. Sie verzichten insbesondere auf Angriffe gegen die christlichen Gewerkschaften in öffentlichen Versammlungen und Blätter, weil dieselben nicht der geeignete Ort sind, Fragen zum Austrag zu bringen, deren Entscheidung die kirchliche Autorität sich vorbehalten hat. Sie haben jedoch den berechtigen Wunsch, dass auch auf der gegnerischen Seite mit gleicher Loyalität gehandelt werde, sie bitten gehorsamst, gnädigst in Erwägung ziehen zu wollen, ob nicht etwaige Verstöße in dieser Hinsicht durch eine besondere kirchliche Instanz, die von beiden Teilen angerufen werden darf, geschlichtet werden können. Nichts ist den katholischen Gewerkschaften so unangenehm, als ständig der Angriffe und Verdächtigungen der Gegner sich erwehren zu müssen, zum Schaden der positiven Arbeit.
Nach den Besprechungen, die der gehorsamst Unterzeichnete in den letzten Monaten mit den führenden Präsides und Gewerkschaftsmitgliedern in allen Teilen des Verbandsgebietes und auf Präsideskonferenzen abgehalten hat, muss er wahrheitsgemäß auch dies berichten, dass die genannten Herren einmütig ein großes Friedensbedürfnis bekundeten und aufrichtig die Sammlung aller katholischen Arbeiter Deutschlands in einer einheitlichen Gewerkschaft mit der Front gegen die Sozialdemokratie ersehen; ebenso unverhohlen bekannten sie aber auch, dass sie nicht gesonnen sind, Frieden und Eintracht zu erkaufen, durch Preisgabe der bisherigen Grundsätze und Außerachtlassung der Enzyklika Singulari quadam. Die Aufhebung der katholischen Gewerkschaften zwecks Bereinigung mit den christlichen Gewerkschaften könnten sie auch dann nicht verstehen, wenn ihnen versichert würde, dass in den Gewerkschaften nur die gewerkschaftlichen Angelegenheiten behandelt würden, während die grundsätzliche Aufklärung und wirksame Belehrung in den Arbeitervereinen, denen alle Gewerkschaftler beitreten sollten, erfolge. Die führenden katholischen Gewerkschaftsmitglieder, wie überhaupt alle, die in der Gewerkschaftsbewegung erfahren sind, wissen:
1. Die Mitglieder der Gewerkschaften der konfessionellen Arbeitervereine sind durchaus nicht identisch quod individua; die jetzigen christlichen Gewerkschaftler sind zu einem geringen Prozentsatz Mitglieder der katholischen Arbeitervereine.
2. Auch diese Arbeitervereine sind bei weitem nicht alle im Geiste der Singulari quadam und im Sinne des Anschreibens der preußischen Bischöfe vom 5. November 1912 gehalten, besonders dort, wo die Leitung dieser Arbeitervereine in den Händen christlicher Gewerkschaftler liegt, welche diese Vereine als Rekrutierungsplätze für ihre reinwirtschaftlichen Gewerkschaften betrachten.
3. Von entscheidender Bedeutung aber ist die Tatsache, dass die christlichen Gewerkschaften es ablehnen, Direktiven von auch noch so gut geleiteten Arbeitervereinen entgegenzunehmen. Sie verwahren sich gegen jeden Einfluss außenstehender Autoritäten auf ihre gewerkschaftlichen Maßnahmen. Sie erkennen lediglich als verbindlich die Anweisung ihrer Gewerkschaftszentralen unter Berufung auf ihren Charakter als demokratisches Gebilde die Mehrheitsbeschlüsse ihrer Versammlungen an.
Alle diese Wahrnehmungen und Erwägungen haben bei unseren Präsides und Mitgliedern den Entschluss gefestigt, im Interesse der katholischen Arbeiter und Arbeiterinnen mit allen Mitteln sich für die Einigung auf dem gewerkschaftlichen Gebiete einzusetzen, ebenso sehr aber auch die Überzeugung gestärkt, dass alle Einigungsversuche vergeblich sind, die von jenem Programm abweichen, das dank seines katholischen Charakters und seiner friedlichen Gewerkschaftsarbeit allein den Segen der Kirche hat.
In tiefster Ehrerbietung verharrt
Ew. Eminenz
Gehorsamster
Lic. H. Fournelle, Generalsekretär.
53r
Anlage 1.
Verhandlungen mit Mgr. Walterbach.
Verhandelt: Berlin, den 26. Juni 1917 .
Anwesend sind: Prälat Walterbach, Generalsekretär Fournelle, Dr. Fleicher, Baron von Savigny, Pfarrer Windolph, Abgeordneter Koßmann, Arbeitersekretär Götz, Domvikar Kutscher-Trier, Pfarrer Baron.
1. Prälat Walterbach erklärt, dass er die Verhandlungen im Einverständnis mit dem
Vorstand des Verbandes der Katholischen Arbeitervereine Süddeutschlands sowie mit dem Vorstand des Kartellverbandes der Katholischen Arbeitervereine West-, Süd- und Ostdeutschlands führt. Desgleichen führen die Vertreter des Verbandes der Katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) die Verhandlungen im Einverständnis mit dem Vorstand dieses Verbandes.
2. Durch die Verhandlungen soll festgestellt werden, worin beide Parteien
übereinstimmen und worin sie auseinandergehen. Das Ergebnis der Verhandlungen ist den Vorständen der zuständigen Organisationen vorzulegen. Bei Meinungsverschiedenheiten können diese eine Fortführung der Verhandlungen veranlassen, um eine Einigung über die strittigen Punkte herbeizuführen. Auf jeden Fall verpflichten sich die Beteiligten, das Ergebnis der Verhandlungen dem Apostolischen Stuhl zur endgültigen Entscheidung zu unterbreiten und sich dieser Entscheidung im Interesse der Einigkeit und des Friedens der deutschen Katholiken rückhaltlos zu unterwerfen.
3. Man einigt sich dahin, die Enzyklika Singulari quadam zur Grundlage der
Verhandlungen zu machen.
Verhandelt: Berlin, den 28. Juni 1917 .
Anwesend sind: Prälat Walterbach, Baron von Savigny, Dr. Fleischer, Abgeordneter Koßmann, Pfarrer Beyer, Pfarrer Baron.
Es wird an der Hand der Enzyklika Singulari quadam verhandelt und die Übereinstimmung aller Teilnehmer in folgenden Punkten festgestellt:
1. "Was immer der Christ tut, auch in der Ordnung der irdischen Dinge, es steht ihm
nicht frei, die übernatürlichen Güter außer acht zu lassen, er muss vielmehr den Vorschriften der christlichen Lebensweisheit gemäß zum höchsten Gute, als dem letzten Ziele, alles hinordnen."
2. Auch die Handlungen der Gewerkschaften, als solcher müssen so beschaffen sein, dass
sie auf das letzte Ziel hingeordnet werden können.
3. Die Gewerkschaft hat als Korporation einen Gesamtzweck und Gesamtwillen, der die
einzelnen Mitglieder für die Zeit ihrer Mitgliedschaft verpflichtet, ihr Handeln gemäß diesem Gesamtzweck und Gesamtwillen zu gestalten.
4. Die Gewerkschaft behandelt die gewerkschaftlichen Fragen von ihrer wirtschaftlichen
Seite in der Weise, dass dabei den religiösen und sittlichen Grundsätzen nicht widersprochen werden darf.
5. Daraus folgt, dass die Gewerkschaft ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten muss, die
gewerkschaftlichen Fragen gemäß den religiösen und sittlichen Grundsätzen innerhalb der gewerkschaftlichen Organisation zu beurteilen und zu beeinflussen.
6. Alle Handlungen des Christen, insoweit sie gut oder bös in sittlicher Hinsicht sind,
d. h., insoweit sie mit dem natürlichen und göttlichen Gesetz übereinstimmen oder von ihm abweichen, sind dem Urteil und dem Richteramt der Kirche unterworfen.
7. Auch die Handlungen der Gewerkschaften als solcher, insoweit sie gut oder bös in sittlicher Hinsicht sind, d. h., insoweit sie mit dem natürlichen und göttlichen Gesetz übereinstimmen oder von ihm abweichen, sind dem Urteil und dem Richteramt der Kirche unterworfen.
8. Die Kirche ist dazu berufen, die religiösen und sittlichen Grundsätze für das menschliche Handeln zu lehren und deren Durchführung zu überwachen. Infolgedessen müssen die Gewerkschaften so beschaffen sein, dass sie im Falle einer kirchlichen Entscheidung ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, innerhalb der Organisation danach zu handeln.
gez. F. Baron, Pfarrer,
Protokollführer.
Fortsetzung der Verhandlungen am 26., 27.,
29. Oktober 1917 .
Anwesend die Vorigen sowie die Vorstandsmitglieder Richter und Mutschke.
Es wurde festgestellt:
Die soziale Frage und die mit ihr verknüpften Streitfragen über Charakter und Dauer der Arbeit, über die Lohnzahlung, über den Arbeiterstreik sind nicht rein wirtschaftlicher Natur und somit nicht zu denen zu zählen, die mit Hintansetzung der kirchlichen Obrigkeit beigelegt werden können: "da es im Gegenteil außer allem Zweifel steht, dass die soziale Frage in erster Linie eine sittliche und religiöse ist und deshalb vornehmlich nach dem Sittengesetz und vom Standpunkt der Religion gelöst werden muss."
1. Die Gewerkschaften müssen so eingerichtet und aufgebaut sein, dass ihre Tätigkeit, welche entsprechend ihrem Zweck auf die Regelung des Lohn- und Arbeitsverhältnisses beschränkt ist, die persönlich sittliche Seite der Arbeit nicht von der wirtschaftlichen Seite trennt.
2. Die gewerkschaftliche Tätigkeit ist nicht rein wirtschaftlicher Natur, sondern muss sich nach den Forderungen des christlichen Sittengesetzes vollziehen.
3. Diesen Forderungen entspricht es nicht, wenn sich die von den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer betriebene Regelung des Lohn- und Arbeitsverhältnisses auf der Gleichstellung der Arbeit mit einer Ware aufbaut und demgemäß nur nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage richtet.
Alle, die sich als Einzelpersonen oder in Vereinigungen des christlichen Namens rühmen,
dürfen, wofern sie ihrer Pflicht eingedenk sein wollen, keine Feindschaften und Zwistigkeiten unter den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft schüren, sondern müssen untereinander Frieden und wechselseitige Liebe befördern.
Der Streik, von dem hier die Rede ist, hat folgende wesentliche Merkmale. Er ist
1. eine gemeinsame, durch Verabredung erfolgte Arbeitseinstellung,
2. ein freiwilliges Feiern,
3. die Unterbindung der Möglichkeit für den Arbeitgeber, Arbeiter desselben Berufes zu beschäftigen, um dadurch
4. eine Änderung des bisherigen Arbeitsvertrages zugunsten der Arbeiter vom Arbeitgeber zu erzwingen.
1. Das Arbeitsgebot verpflichtet sowohl den einzelnen Menschen wie auch die menschliche Gesellschaft.
2. Das Arbeitsgebot ist dem Menschen unter dreifacher Bedingung auferlegt:
a) Die Arbeit darf dem natürlichen und positiv göttlichen Gesetz nicht widersprechen.
b) Der Lohn muss zur Erlangung des zum Leben Notwendigen ausreichen.
Dieses Existenzminimum ist kein allgemein feststehender Begriff, sondern wird bestimmt durch Ort, Zeit, Umstände, Individuum, Familie, Kulturstand.
c) Die Arbeit darf die Kräfte des Arbeiters nicht übersteigen und sein Leben und seine Gesundheit nicht gefährden.
Wird eine der vorstehenden Bedingungen verletzt, so ist in diesem Falle der Arbeiter nicht mehr gehalten, das Arbeitsgebot zu erfüllen, und die gemeinsame Arbeitseinstellung ist unter diesen Umständen erlaubt.
Der Arbeiter ist berechtigt, auch einen Lohn zu fordern, der über das zum Leben Notwendige hinausgeht, und zwar bis zur Höchstgrenze des gerechten Lohnes. Wird diese Forderung nicht erfüllt, so liegt kein Rechtstitel vor, durch gemeinsames Feiern diese Forderung zu erzwingen.
Würde aber demgemäß den Arbeitern dauernd nur das zum Leben Notwendige gewährt, während die Arbeitgeber steigende Gewinne machen, die ihnen die Zahlung eines höheren Lohnes ermöglichen, so ist es Aufgabe des Staates, als des Schützers des allgemeinen Wohles, dafür zu sorgen, dass die billigen Forderungen der Arbeiter erfüllt werden.
3. Die Streikenden feiern in der Absicht, später an derselben Arbeitsstätte
weiterzuarbeiten.
4. Deshalb soll kein anderer Arbeiter an ihrer bisherigen Arbeitsstätte tätig sein.
5. Sie wollen also durch das freiwillige Feiern jedes Mitglied des Berufsstandes von dem
betreffenden Betriebe ausschließen.
6. Demnach beabsichtigen sie, den ganzen Berufsstand von dem betr. Betriebe
auszuschließen. Insoweit soll also die Betätigung des Berufsstandes in dem betreffenden Betriebe unterbunden werden.
7. Da die Betätigung des Berufsstandes als eines Organes der Gesellschaft öffentlich-
rechtlichen Charakter trägt, unterliegt auch die Beurteilung der Behemmung der Tätigkeit des Berufsstandes öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten, und zwar ist sie eine Störung der sozialen Ordnung.
8. Insoweit die Feiernden der Arbeitspflicht als Einzelpersonen nicht genügen, berührt
das freiwillige Feiern zugleich ihr privates Wohl und ist insofern auch nach den Regeln zu beurteilen, die sich auf das Privatwohl beziehen.
Die bis hierher gediehenen Vereinbarungen wurden Monsignore Walterbach für weitere Verhandlungen mit dem Vorstand der katholischen Arbeitervereine Süddeutschlands und dem Vorstand des Kartellverbandes der katholischen Arbeitervereine West-, Süd- und Ostdeutschlandes zugesandt. Monsignore Walterbach hat unserem Verbandsvorstand keinerlei Mitteilung über das Resultat seiner diesbezüglichen Verhandlungen zugehen lassen. Der Verbandsvorstand erfuhr auf Umwegen, dass Monsignore Walterbach diese Vereinbarungen zwar den Vorstandschaften der oben bezeichneten Verbände unterbreitet habe, dass diese aber darauf nicht reagierten.
54r
Anlage 2.
1. Eine Gewerkschaft, die für katholische Arbeiter geeignet sein soll, muss so beschaffen
sein, dass sie
a) ihren Mitgliedern die Möglichkeit bietet, die gewerkschaftliche Tätigkeit auch vom
Standpunkt der Religion und Moral zu beurteilen und zu beeinflussen und dementsprechend zu handeln;
b) dass sie auch als solche von allem sich fernhält, was grundsätzlich oder tatsächlich mit
den Lehren und Geboten der Kirche wie der zuständigen kirchlichen Obrigkeit nicht im Einklang steht.
2. Gegen die gemeinsame Arbeitseinstellung an sich ist vom Standpunkt der Moral
nichts einzuwenden. Sie kann allerdings durch die Umstände verwerflich werden.
Eine gemeinsame Arbeitseinstellung aber mit Anwendung von Boykott ist verwerflich.
3. Wir stehen vor einer Neuformung unseres Wirtschaftslebens. Die Schaffung von
wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern auf gesetzlicher Grundlage und freien Arbeitsgemeinschaften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat eine stärkere Bindung unserer Wirtschaft zur Folge, welche die Bildung friedlicher Einrichtungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse, insbesondere gewerbliche Einigungsämter mit entscheidenden Vollmachten fordert. Diese Forderung wird sowohl von den katholischen Arbeitervereinen als auch von den christlichen Gewerkschaften mit Nachdruck vertreten.
4. Um möglichst enge und lebendige Beziehungen zwischen den katholischen
Arbeitervereinen und christlichen Gewerkschaften herzustellen und aufrechtzuerhalten, sind die bisherigen Bemühungen, die katholischen Mitglieder der Gewerkschaften den katholischen Arbeitervereinen zuzuführen, mit Nachdruck fortzusetzen. Die Lösung der den Arbeitervereinen und Gewerkschaften gemeinsamen Aufgaben soll dadurch gefördert werden, dass aus Vertretern beider Organisationen ein Ausschuss gebildet wird.
Anlage 3.
Leitsät ze aus den Verhandlungen vom 3. Mai 1919.
Die gewerkschaftliche Zusammenfassung aller christlichen Arbeiter und Angestellten ist eine gebieterische Notwendigkeit. Von dieser Erwägung ausgehend, hat zwischen einer Vertretung des Vorstandes des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und einer Vertretung des Vorstandes des Verbandes der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) eine Aussprache über die unter den deutschen Katholiken auf gewerkschaftlichem Gebiete obwaltenden Meinungsverschiedenheiten und Missverständnisse stattgefunden. Dabei ergab sich Übereinstimmung in folgender Auffassung:
1. Eine Gewerkschaft, die für katholische Arbeiter geeignet sein soll, muss so beschaffen
sein, dass sie als solche ihren Mitgliedern die Möglichkeit bietet, die gewerkschaftliche Tätigkeit auch vom Standpunkt der Religion und Moral zu beurteilen, zu beeinflussen und dementsprechend zu handeln.
2. Gegen die gemeinsame Arbeitseinstellung an sich ist vom Standpunkt der Moral
nichts einzuwenden. Sie kann allerdings durch Absicht, Umstände und Mittel verwerflich werden.
Eine Arbeitseinstellung unter Anwendung ungerechter Gewalt ist zu verwerfen.
3. Wir stehen vor einer Neuformung unseres Wirtschaftslebens. Die Schaffung von
wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern auf gesetzlicher Grundlage und freien Arbeitsgemeinschaften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat eine stärkere Bindung unserer Wirtschaft zur Folge, welche die Bildung friedlicher Einrichtungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse, insbesondere gewerbliche Einigungsämter mit entscheidenden Vollmachten fordert. Diese Forderung wird sowohl von den katholischen Arbeitervereinen als auch von den christlichen Gewerkschaften mit Nachdruck vertreten.
4. Die Lösung der den Arbeitervereinen und Gewerkschaften gemeinsamen Aufgaben
soll dadurch gefördert werden, dass aus Vertretern beider Organisationen ein Ausschuss gebildet wird.
50r
(*) Abkommen der Arbeitgeber mit den in der
Arbeitsgemeinschaft vereinigten Gewerkschaften.51v
(*) Anm.: In der neuesten Programmschrift "Die christlichen
Gewerkschaften", herausgegeben von dem Generalsekretariat der christlichen Gewerkschaften,
1919, heißt es Seite 16: "Verzichten kann die Gewerkschaft nicht darauf; der Streik ist und
bleibt das letzte Mittel, das immer für den Notfall im Hintergrunde stehen muss."Auch in den von den christlichen Gewerkschaften aufgestellten Grundsätzen über "Zusammensetzung, Leitung, Zweck und Mittel der Vereinigungen, die als Arbeitnehmergewerkschaften gelten wollen, befindet sich der Satz: "Zur Erreichung des Zweckes der Arbeitnehmergewerkschaft kommen in Betracht ….b) die Arbeitseinstellung (der Streik), wenn die Verhandlungen zu keinem annehmbaren Ergebnis führen."
1↑Am rechten Seitenrand: "Anlage 1".
2↑Am linken Seitenrand: "Anlage
2".
3↑Am rechten Seitenrand: "Anlage
1."
4↑Am rechten Seitenrand: "Anlage 2."
5↑Am linken Seitenrand: "Anlage
3."