Document no. 20268

Parere, before 14 May 1929

Im Jahre 1798 wurde Malta, das seit fast dreihundert Jahren unter der Herrschaft des Johanniter-(Malteser-)Ordens gestanden hatte, von den Franzosen als Stützpunkt für ihre Expedition gegen Egypten besetzt. Der Orden räumte Malta und verlegte später seinen Sitz nach Italien. Zar Paul I. wurde Grossmeister; ihm wurden Reliquien, die dem Orden gehörten übergeben. Es handelt sich um ein Stück Holz vom Kreuz Christi, dem Bildnis der Heiligen Jungfrau von der Hand des Evangelisten Lucas und die Hand Johannes des Täufers. Die Reliquien blieben bis zur russischen Revolution in Russland. Die Zarin Witwe Alexanders III. nahm sie beim russischen Zusammenbruch nach Kopenhagen mit. Gegenwärtig befinden sich die Reliquien im Besitz des russischen Bischofs Tychnon [sic] in Berlin und sollen in der Krypta der neu erbauten russischen Kirch [sic] untergebracht sein.
Es fragt sich, ob der Orden im Wege einer Zivilklage und einstweiligen Verfügung die Herausgabe und vorläufige Sicherstellung des Reliquienschatzes bei den deutschen Gerichten verlangen kann.
I.
Die Reliquien sind Eigentum des Ordens als
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solchem, der unter dem Recht, nach dem er errichtet ist und nocht 1 besteht, die Stellung der juristischen Person haben dürfte. Der Orden ist aber jedenfalls nicht als juristische Person des deutschen Rechts errichtet worden. Bei auswärtigen juristischen Personen, bestimmt sich das Recht, im Inlande Klagen zu erheben danach, ob sie unter deutschem Recht als juristische Person anerkannt sind.
Nach Art. 10 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch gilt ein einem fremden Staate angehörender und nach dessen Gesetzen rechtsfähiger Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist dann als rechtsfähig, wenn seine Rechtsfähigkeit durch Beschluss des Bundesrats (Reichsrats) anerkannt ist. (vergl. ebenso § 23 BGB) Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Orden seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch einen Beschluss des Bundesrats die Rechtsfähigkeit verliehen worden sei.
Die genannte Bestimmung des Einführungssgesetzes schliesst aber nicht aus, dass Vereine, die nach ausländischem Recht errichtet worden sind und schon vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches die inländische Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit erlangt hatten, auch weiter im Inland als juristische Person behandelt werden. Durch § 1070 Allgemein. Preuss. Land-
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recht Teil II Titel 11 ist das für die landrechtlichen Provinzen, zu denen Brandenburg und damit Berlin gehört, ausdrücklich bestimmt, dass die geistlichen Ritterorden unter namentlicher Erwähnung des Malteserordens die Rechte juristischer Personen geniessen sollen. Trotz der allgemeinen Fassung dieser Bestimmung ist es aber zweifelhaft, ob sie besagen sollten, dass der Orden als solcher und nicht nur seine preussischen Niederlassungen Korporationsrechte haben sollten. Es ist zu berücksichtigen, dass bei Inkrafttreten des Allgem. Preuss. Landrechts der Orden noch souverän war und fremde Staaten nach Herkommen ohne weiteres als juristische Personen angesehen werden.
Durch das preussische Edikt vom 30. Oktober 1810 über die Einziehung der sämtlichen geistlichen Güter in der Monarchie, wurde das Vermögen des Ordens in Preussen säkularisiert; seine Güter wurden als Staatsgüter betrachtet. Infolge dieses Edikts wird in der Literatur (vergl. z. B. Roenne, Ergänzungen und Erläuterungen des Allgem. Landrechts, 7. Ausg. Berlin 1888, Bd. 4 S. 262) die Ansicht vertreten, dass § 1070 durch dieses Edikt obsolet geworden sei unter dem Gesichtspunkt, dass die Bestimmungen des Allgem. Preuss. Landrechts unter <nur> die inländischen Niederlassungen von Orden im Auge haben. Gerichtliche Vorentscheidungen zu der Frage liegen indessen nicht vor, so daß es
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zweifelhaft bleibt, welche Auslegung die Gerichte der erwähnten Bestimmung geben würden. Sollte indessen der Orden im Laufe dieses oder des vorigen Jahrhunderts in der preussischen Verwaltungspraxis als juristische Person behandelt worden sein, insbesondere ohne Beanstandung im Inland Grundstücke oder sonstiges Vermögen in seinem Namen erworben haben, so könnten diese Tatsachen vor Gericht zur Stützung der Ansicht verwendet werden, dass dem Orden Koporationsrechte [sic] im Inland zustehen. Die Verwaltungspraxis ist allerdings für die Gerichte nicht bindend.
Falls der Orden im Inland nicht als juristische Person zu gelten hat, könnte er zwar keine Klage im eigenen Namen erheben. Er würde aber als eine ausländische Gesellschaft bürgerlichen Rechts ohne Koporationsrechte [sic] angesehen werden; die Klage müsste im Namen sämtlicher Mitglieder des Ordens erhoben werden.
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass nach der Z. P. O. jede Partei verlangen kann, dass der Gegenanwalt eine notariell Beglaubigte Vollmacht seines Auftraggebers vorlegt. Es wäre zweckmässig, wenn der Orden dem von ihm zu beauftragenden Anwalt vorsichtshalber vor Einleitung der Klage eine solche Vollmacht übergibt.
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Der Kommentar zur Z. P. O. von Stein-Jonas sagt in Anm. IV 3 zu § 50: "Soweit danach die Parteifähigkeit des Vereins nicht besteht..., hat Die Gesamtheit der Mitglieder zu klagen, die dann auch in der Klage zu Benennen sind. Der Vorstand hat dann lediglich die Rolle eines Bevollmächtigten gemäss §§ 714,54 B. G. B., und es gelten die oben III 1 für die Gesellschaft dargelegten Grundsätze."
Anm. III 1: "... wenn auch ein Gesellschaftsvermögen vorhanden ist, so ist doch Subjekt dieses Vermögens nur die Summe der Gesellschafter. Diese sind daher die Parteien im Gesellschaftsprozesse ... und die geschäftsführenden Gesellschafter ... sind nur als Prozessbevollmächtigte anzusehen, die ihre Vertretungsmacht im konkreten Prozesse ebenso auch [sic] ihrer allgemeinen Stellung herleiten, wie etwa der Prokurist aus der Erteilung der Prokura."
Falls daher der Grossmeister durch eine Verfassungsbestimmmung des Ordens sein Recht zur Vertretung des Ordens in allen Vermögensangelegenheiten nachweisen kann, würde eine von ihm ausgestellte Prozessvollmacht genügen; die Mitglieder des Ordens brauchen keine Vollmachten auszustellen; sie müssen nur in der Klage benannt werden.
II.
Die Klage auf Herausgabe der Reliquien würden [sic]
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auf das Eigentum des Ordens an denselben zu stützen sein. § 1096 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches enthält eine Erleichterung für den Beweis des Eigentums, indem er bestimmt, dass zu Gunsten eines früheren Besitzers vermutet wird, dass er während der Dauer seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist. Es würde also genügen, wenn der Orden den Besitz der Reliquien bis zu der Zeit, zu welcher sie dem Zaren Paul I. übergeben worden sind, nachweist.
Nach dem Artikel "Russische Reliquien in Berlin" des Berliner Lokal Anzeiger von 3. April 1929 ist damit zu rechnen, dass die Gegenseite geltend machen wird, dass die Reliquien vom Orden dem Zaren Paul als Eigentum zugewiesen worden seien. Für die Behauptung wäre die Gegenseite beweispflichtig. Mit Rücksicht darauf, dass die Reliquien anscheinend gegen 120 Jahre unangefochten im Besitz des russischen Kaiserhauses gewesen sind, würde es sich aber empfehlen, dass schon bei einer <in der> Klage die näheren Umstände dargelegt und unter Beweis gestellt werden, unter denen die Uebergabe des Schatzes an den Zaren Paul I. stattgefunden hat.
Sollte Zar Paul I. der bereits im Jahre 1801 gestorben ist, die Reliquien lediglich in seiner Eigenschaft als Grossmeister erhalten haben, so wären seine Nachfolger, die nicht mehr Grossmeister gewesen sind, verpflichtet gewesen, sie dem Orden zurückzu-
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geben. In diesem Falle müsste die Wirkung der russischen Verjährung <Ersitzung> berücksichtigt werden. Nach Art. 560 des russischen Zivilgesetzbuchs ist zur Verjährung der Besitz aus dem Eingentumsrecht [sic] und nicht auf anderer Grundlage erforderlich und ausreichend. Durch Art. 565 das. wird als allgemeine Frist für die Landesverjährung sowohl für unbewegliches als auch für bewegliches Vermögen die zehnjährige bestimmt. Für die Ersitzung ist nach russischem Recht lediglich der Wille, die Sache für sich zu behalten erforderlich; dagegen bedarf es weder eines Titels noch des guten Glaubens des Besitzers (vergl. Klibanski, Handbuch des gesamten russischen Zivilrechts 1911, Bd. 1. S. 208). Wäre daher der Sachverhalt so, dass die Nachfolger des Zaren Paul I die Reliquien zu unrecht für sich behalten oder zu unrecht die Herausgabe an den Orden verweigert hätten, so müsste man annehmen, dass der Wille, den Schatz für sich zu behalten, vorhanden war und daher die Ersitzungsfrist zu ihren Gunsten vorh längst abgelaufen ist.
Nach deutschem internationalen Privatrecht wird der Erwerb eines Rechts an einer beweglichen Sache nach den Gesetzen des Ortes beurteilt, an dem sich die Sache des für die Verwirklichung des Erwerbs in Frage kommenden Tatbestandes befand. Eine nach russischem Recht vollzogene Ersitzung des Eigentums würde daher in Deutschland als wirksam anerkannt werden können,
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wenn die <Sache> später auf deutsches Gebiet gelangt.
Nach der Darstellung im Berliner Lokal Anzeiger soll indessen Zar Paul I. seinerzeit versprochen haben, den Schatz dem Orden zurückzugeben, sobald dieser wieder Herr der Insel Malta sei. Wenn eine Zusage oder Abmachung dieser Art getroffen worden ist, so würde die Ersitzungsfrist zu Gunsten der russischen Zaren nicht gelaufen sein. Da die Bedingung bis heute nicht eingetreten ist, könnte man nicht annehmen, dass die Zaren den Willen, die Reliquien für sich zu behalten, gehabt haben; man müsste vielmehr annehmen, dass sie die Reliquien auf einer anderen Grundlage als der des Eigentumsrechts in Besitz behalten haben. Eine Abmachung dieser Art dürfte ferner der Eigentumsklage des Ordens gegen den Bischof Tychon nicht entgegenstehen, obwohl der Orden nicht wieder Herr der Insel Malta geworden ist. Die Bestimmung sollte offenbar nur eine Verpflichtung nicht aber auch ein Recht des Zaren zur Aufbewahrung der Reliquien bis zu dem gedachten Zeitpunkt begründen. Ausserdem würde sich der Bischof Tychon dem Orden gegenüber auf eine derartige Abmachung nicht berufen können, da der Orden den Schatz offenbar nur dem Herrscher Russlands nicht aber anderen Personen anvertrauen wollte.
III.
Nach § 931 ZPO ist es möglich, im Wege der einstweiligen Verfügung anzuordnen, dass eine Sache, wegen
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der ein Eigentumsprozess schwebt, unter Sequester gestellt, d. h. von einem durch das Gericht bestellten Vertrauensmann in Verwahrung genommen wird. Derartige Verfügungen wird das Gericht voraussichtlich aber nur erlassen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass ohne eine solche Verfügung das Abhandenkommen der Sache zu besorgen ist. Wenn die Mitteilung der Vossischen Zeitung vom 3. April 1929 zutrifft, dass englische Banken zur Erbauung der russischen Kirche eine Million Mark vorgeschossen haben und, da diese Summe nicht abbezahlt werden kann, den Schatz als Pfand behalten wollen, würde die Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben sein.
1Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, gestrichen.
Recommended quotation
Anlage from before 14 May 1929, attachment, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', document no. 20268, URL: www.pacelli-edition.de/en/Document/20268. Last access: 28-04-2024.
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