Document no. 2788

Bayerischer Episkopat: Hirtenbrief der bayerischen Bischofskonferenz, September 1919, September 1919

Die Erzbischöfe und Bischöfe Bayerns
entbieten ihren Gläubigen Gruß und Segen im Herrn.
Vor den Trümmerfeldern des Krieges und seiner Nachspiele wiederholen wir die Klagelieder, die der Prophet Jeremias auf den Trümmern seiner Vaterstadt und seines Vaterlandes gesungen hat: "Gewichen ist von der Tochter Sion all ihr Glanz", "alle Einwohner seufzen und suchen nach Brot". "Der Herr hat Weinlese gehalten am Tage seines Zornes", "wie Feuer seinen Grimm ausgegossen". "Der Herr hat beschlossen die Mauern von Sion zu zerstören, er spannte seine Mess-Schnur und zog seine Hände nicht zurück vom Verwüsten. Nun liegen in Trauer die Außenwerke, und auch die Innenmauer ist gestürzt". "Meine Augen sind müde geworden vom Weinen, meine Seele ist erschüttert über dem [sic den?] Jammer meines Volkes, da Kinder und Säuglinge in den Straßen der Stadt verschmachten" (Klagel. 1,6. 11 f. 2,4. 8. 11).
Seit zehn Monaten taumelt unser Volk am Rande des Abgrundes. Seit zwei Monaten ist durch den grausamen Frieden ein Ende mit Schrecken und ein Schrecken ohne absehbares Ende über uns gekommen. Seit vier Wochen ist durch die neue Verfassung des Deutschen Reiches und die Verfassung für den Freistaat Bayern die bisherige Selbstständigkeit unseres armen Bayernlandes zertrümmert. Diese und andere Ereignisse vom Tage des Zornes haben auch das religiöse und kirchliche Leben schwer in Mitleidenschaft gezogen und vor bitterernste Fragen und Entscheidungen gestellt. Darum haben sich die Oberhirten der bayerischen Bistümer in der ersten Septemberwoche in Freising am Grabe des hl. Korbinian versammelt, um gemeinsam zu beraten, wie das Heil ihrer geliebten Diözesanen auch in den Tagen des Unheils zu wirken, wie dem Strome des Verderbens in der Jugend zu wehren, wie das heilige Recht der Kirche in dem neuen Kulturkampfe zu verteidigen sei. Es drängt uns aber auch, vor unseren Diözesanen auszusprechen, was uns das Herz bewegt, ihnen Trost zu bringen in der Not und Betrübnis unserer Tage, ihnen Richtung zu geben für die sich erhebenden schwierigen Fragen.
Einen allerersten Gruß der Treue und des Gehorsams richten wir an unseren Heiligen Vater, Papst Benedikt XV., den Statthalter Christi auf dem Bischofsstuhl in Rom. Wie väterlich hat er das unermessliche Kriegselend der Völker mitgefühlt und von hoher Warte aus Umschau gehalten, um den Völkern den Frieden wiederzugeben! In seinem Friedensgebet lehrte er die Völker zu beten: "Zu Dir, o Friedenskönig, rufen wir in inständigem Gebet: Gib uns bald den ersehnten Frieden." Wenn einmal die geschichtliche
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Wahrheit über die letzten fünf Jahre zum Durchbruch kommt, wird man erkennen, dass kein Mensch auf Erden so unablässig Gedanken des Friedens dachte und Wege der Versöhnung suchte wie der Hl. Vater, auch wenn der blinde Unverstand und Hass gegen Rom seine Wege immer wieder verbaute.
Wie väterlich hat Papst Benedikt XV. das Kommen und Wachsen der Hungersnot im deutschen Volke im Herzen mitempfunden! Als nach dem Ende des Krieges die Hungerblockade in grausamer Weise fortgesetzt und das Urteil des Hungertodes über ungezählte Frauen und Kinder weiter verhängt wurde, hat der Hl. Vater auf Bitten der deutschen Bischöfe am 25. Februar 1919 einen erschütternden Weckruf an das Gewissen des englischen Ministers ergehen lassen und um Zufuhr von Lebensmitteln für Deutschland gebeten, und am 13. März hat er in gleicher Weise die kirchlichen Stellen in Frankreich und England und den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika im Namen des Evangeliums und der Menschlichkeit angerufen. Als dann die Blockade von außen aufgehoben war, und im Innern des Landes den Städten eine Blockade seitens der eigenen Landsleute drohte, hat der Hl. Vater noch letzthin am 15. Juli 1919 die deutschen Bischöfe verpflichtet, im Namen Gottes auf das Landvolk einzuwirken, dass es mit jener christlichen Liebe, die nicht nach Parteien fragt, die Städte mit Lebensmitteln versorge, damit nicht neue Unruhen ausbrechen und unser Volk vollends in den Abgrund stoßen.
Wie väterlich hat sich der Hl. Vater um die Gefangenen ohne Unterschied des Glaubens angenommen! Wie war er unermüdlich besorgt, das harte Los der Gefangenen zu erleichtern, ihren Familien Nachrichten zu geben, die Klagen über ungenügende Seelsorge abzustellen und auf baldige Heimführung der Gefangenen hinzuwirken! Im letzten Monat des vorigen Jahres hat die bayerische Bischofskonferenz wiederum den Hl. Vater angerufen, er möge sein Ansehen bei allen Völkern zur Linderung der harten Gefangenschaft einsetzen, und im Antwortschreiben vom 11. Januar dieses Jahres wurde diese Vermittlung ausdrücklich zugesagt. Wenn seine Bemühungen nicht jedem Lager und nicht jedem Gefangenen zugute kamen, so war das nicht die Schuld des Hl. Vaters. Seiner Fürsorge ist es auch in erster Linie zu verdanken, dass viele Gefangene ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses schon während des Krieges in der Schweiz oder in Holland untergebracht wurden. Die vielen Hunderte, welche die Gastfreundschaft dieser Länder genossen haben, werden samt ihren Familien dem Hl. Vater zeitlebens dafür dankbar bleiben. Möge der allmächtige Gott dem Nachfolger des hl. Petrus diese Gefangenenfürsorge damit lohnen, daß die Tage seiner eigenen Gefangenschaft im Vatikanischen Kerker bald zu Ende seien, und er jene volle Freiheit und Unabhängigkeit wieder erlange, die zur Ausübung seines hohen Amtes notwendig sind!
Nun hat man aber gerade in jenem Lande, das unter allen deutschen Ländern den Vorzug besitzt, einen Gesandten des Hl. Vaters in seiner Hauptstadt zu haben, gerade in Bayern, die Bemühungen des Hl. Vaters um Frieden, Brotzufuhr und Gefangenenhilfe schlecht gedankt. Mit tiefem Schmerz und
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Abscheu denken wir an jene Tage der Räterepublik in München zurück, an denen der Hochwürdigste Nuntius Pacelli persönlich bedroht und allem Völkerrecht zum Hohn in der schwersten Form beleidigt wurde. Es war damals nicht möglich, dem Schmerze des bayerischen Volkes und seiner Oberhirten über diese schmachvollen Ereignisse sofort in lauten Kundgebungen Ausdruck zu verleihen, weil damals in München die Zeitungen gesperrt und Versammlungen und Kundgebungen verboten waren, es werden aber jene Apriltage von uns immer als Tage der Schande in der bayerischen Geschichte empfunden werden. Gott verhüte, dass die Apostolische Nuntiatur von uns genommen und einem anderen Volke gegeben werde!
In seiner Bonifaziusenzyklika vom 14. Mai dieses Jahres hat der Hl. Vater kundgegeben, in welcher Weise die deutschen Katholiken ihm für seine fürsorgende Liebe danken können. Wir sollen, sagt er, wie ein Erbstück vom hl. Bonifatius die kindliche Ergebenheit und den Gehorsam der Treue gegen den Apostolischen Stuhl heilighalten, und in der Verbindung mit Rom, die in den Tagen des hl. Bonifazius einen Segensstrom in unser Vaterland leitete, auch jetzt für den Wiederaufbau unserer staatlichen Ordnung eine reiche Segensquelle erkennen. Darum lasst euch, Geliebte, in der kindlichen und opferwilligen Liebe zum Hl. Vater nicht irreleiten! Wenn von sogen. Bibelforschern oder anderen Sekten, die immer in unruhigen Zeiten auftauchen, euch Flugschriften in die Hand gespielt werden, die den Haß gegen das Papsttum und den Kirchenstaat an der Stirne tragen, dann sollen solche Flugblätter euer Haus und eure Hände nicht entweihen! Das Lesen und Aufbewahren solcher Schriften ist von der Kirche verboten. "Wie kann man predigen, wenn man keine Sendung hat" (Röm. 10,15)? Durch die verhetzende Tätigkeit der Adventisten und Bibelforscher und anderen bösen Geister, die jetzt als Wölfe im Lammfell auch die Dorfgemeinden aufsuchen, soll die neue Revolution, die Revolution gegen Kirche und Altäre, vorbereitet werden. "Seid wachsam, stehet fest im Glauben" (1 Kor. 16,13)! "Brüder, nehmet euch in acht, damit ihr nicht durch den Irrtum der Gottlosen fortgerissen werdet und den eigenen festen Halt verlieret" (2 Petr. 3,17)! "Niemand soll euch irre führen" (1 Joh. 3,7)!
An zweiter Stelle wenden wir uns an unseren ehrwürdigen Klerus, dem von den Unbilden der Zeit ein wohlgerütteltes Maß zugemessen ist. Vom ersten Tage der bayerischen Revolution an hat gegen die Priester, Ordensleute und Bischöfe eine Hetze begonnen, die immer wieder an die französische Revolution erinnert. In aufdringlicher Weise wurden die heimkehrenden Soldaten gegen ihre Seelsorger aufgehetzt und selbst gegen die Feldgeistlichen, die während der langen Kriegsjahre an der Front und in den Lazaretten den Kriegern die Tröstungen der Kirche zugewendet hatten und dann bei der Heimkehr von der Revolutionsregierung ohne ein Wort des Dankes verabschiedet wurden. Wenn die Geistlichen pflichtgemäß von der Schulfrage oder von Religion im öffentlichen Leben predigten, wurde ihnen der Vorwurf gemacht, sie hätten Politik auf die Kanzel getragen. Sogar das Bußsakrament
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wurde verlästert von solchen, die dieses Geheimnis göttlicher Liebe gar nicht kennen. An mehreren Orten sind Bewaffnete in die Bischofswohnungen und Pfarrhäuser eingedrungen, um Bischöfe und Priester mit Mordwaffen zu bedrohen oder zu verhaften und vor den hohen Rat zu führen. Die Regierung war nicht imstande, den Hausfrieden und die persönliche Freiheit dieser Bürger zu schützen. Bei all diesen Unbilden müssen sich die Priester mit den Abschiedsreden des Heilandes an seine Jünger trösten: "Wenn die Welt euch hasst, so wisset, dass sie mich früher als euch gehasst hat ... Der Knecht ist nicht größer als der Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen; haben sie auf meine Predigt geachtet, so werden sie auch auf eure achten. Das alles werden sie euch antun um meines Namens willen, weil sie den nicht kennen, der mich gesandt hat … Das habe ich euch gesagt, damit, wenn die Stunde kommt, ihr euch erinnert, dass ich es euch gesagt habe" (Joh. 15,18. 20 f; 16,4).
Seit dem Ausbruche der Revolution haben sich die Frevel in den Kirchen und die gottesräuberischen Einbrüche verdoppelt und verdreifacht. Wie hat es uns an die schlimmsten Zeiten des 30jährigen Krieges erinnert, als Bewaffnete in unsere Kirchen stürmten, um mit Gewalt, unserem Einspruch zum Trotz, rote und schwarze Fahnen auf den Kirchtürmen aufzuziehen, mit Gewalt die Kirchenglocken zu einer Feuerbestattung oder zum Alarmruf für den Bürgerkrieg zu läuten, mit Gewalt den Gottesdienst zu stören oder die Volksmission zu unterbrechen! Mit tiefstem Entsetzen hören wir fort und fort die Schreckenskunde, dass immer wieder eine Kirche und ihr Tabernakel aufgebrochen, die heiligen Hostien auf den Boden geworfen, die heiligen Gewänder und Gefäße und Kunstgegenstände geraubt werden. Dabei werden durch die tollsten Gerüchte von vermeintlich großen Kirchenvermögen die Raubgelüste nach Kirchengut immer wieder aufs neue geweckt. Diesen Tatsachen gegenüber gelten die flammenden Prophetenworte: "So spricht Gott der Herr: Genug sei es mit all euren Freveln!" Und den Priestern, den Wächtern des Heiligtums, gelten die weiteren Gottesworte: "Kein Ausländer soll mein Heiligtum betreten, und die Leviten sollen in meinem Heiligtum Wächter und Hüter sein, und ich bestelle sie zu Wächtern des Gotteshauses für jeden Dienst daselbst und für alles, was darin geschieht" (Ezech. 44, 6-14).
Seit dem Ausbruche der Revolution haben sich die öffentlichen Gotteslästerungen in erschreckender Weise vervielfacht. Jedem Christusgläubigen hat es einen Stich ins Herz gegeben, als in der Leichenrede auf den ersten Ministerpräsidenten der Republik dieser Mann unserem göttlichen Heiland gleichgestellt wurde. Und mit der Gotteslästerung ist in weiten Kreisen ein Umsturz der sittlichen Begriffe eingerissen. Das Licht wird Finsternis, die Finsternis wird Licht genannt, der Hochverrat wird als Treue, die Treue als Hochverrat ausgegeben, die Lüge wird als Wahrheit, die Wahrheit als Lüge hingestellt. "Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute bös nennt, die ihr die Finsternis als Licht und das Licht als Finsternis, das Bittere als süß und das Süße als bitter hinstellt" (Js. 5,20). Ein solcher Tiefstand der öffentlichen Sittlichkeit, wie er sich heute offenbart, eine solche
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Vergnügungssucht und Tanzwut und Fleischeslust, die an die Tage von Sodoma erinnern, eine Habsucht und ein Wuchergeist, die zum Himmel schreien, müssen immer neue Strafgerichte Gottes herausfordern. Demgegenüber wird der katholische Priester unerschrocken die Gebote Gottes als Richtlinien der sittlichen Ordnung und die Werke der Buße auch in Revolutionszeiten verkünden. Auch ihm gilt das Wort an Timotheus: "Sei wachsam, sei geduldig in allem! Vollbringe das Werk eines Gottesboten, versieh treu deinen Dienst" (2 Tim. 4,5)!
Einen dritten, besonders herzlichen Segensgruß entbieten die bayerischen Bischöfe den heimkehrenden Gefangenen. Diese Jünglinge und Männer haben zuerst im Felde, dann in der Gefangenschaft unsagbar Schweres durchgemacht. Wer kann die seelischen Leiden einer jahrelangen Gefangenschaft ausdenken, das brennende Heimweh, die Ungewissheit über den Stand der Familie und des Geschäftes, die Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft, das ermüdende Einerlei eines Lebens ohne Sonntagsrock und Sonntagsfrieden? Wer kann die körperlichen Leiden nachempfinden, die unsere Gefangenen in manchen Lagern ausstehen mussten, Hunger und Frost und Krankheit und Lebensgefahr und harte Behandlung in gesunden und kranken Tagen? Gerade die Tapfersten, die keine Furcht kannten und im Kampfe bis zum äußersten auf verlorenen Posten aushielten, dann aber abgeschnitten und gefangen wurden, gerade sie haben das jahrelange Begrabensein bei lebendigem Leibe am tiefsten empfunden. Gerade die Arbeitsamsten haben es am schwersten getragen, jahrelang aus ihrem Berufe herausgerissen und zu einem Leben ohne geregelte Arbeit verurteilt zu sein. Gerade die Besten unter ihnen werden bei der Rückkehr über die Verwüstungen in der Heimat am meisten erschrecken. Diese Jünglinge und Männer haben eine herzliche Aufnahme und den Dank der Heimat redlich verdient. Sie sollen sehen: Wir hatten sie nicht vergessen. Wir kannten das Gotteswort: "Gedenket der Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen" (Hebr. 13,3)! Jetzt müsste alles zusammenhelfen, auf dass die Heimkehrenden rasches Unterkommen, baldige Rückkehr zu ihrer Familie und ihrem alten Berufe und in Gottes Namen Lebensfreude und Arbeitsfreude wiederfinden. Jetzt müsste alles zusammenhelfen, die wirtschaftliche Fürsorge und die kirchliche Seelsorge, auf dass diese Männer nicht in Groll und Missmut untergehen, nicht neue Trümmer schaffen, dem Gottesdienste und den hl. Sakramenten nicht ferne bleiben und das erlittene Unrecht nicht jene entgelten lassen, die nicht daran schuld sind. Jetzt müsste alles zusammenhelfen, um diese gebrochenen Seelen wieder aufzurichten und zu den Quellen der Erlösung zu führen, damit sie vergessen, was hinter ihnen liegt, und sich dem zuwenden, was vor ihnen liegt und das Ziel der Berufung in Christus Jesus verfolgen (Phil. 3,13 f).
Die kirchliche Gefangenenhilfe in Paderborn hat seit Beginn des Krieges, nicht erst seit dem Friedensschlusse, getragen von christlicher Liebe, nicht von politischen Absichten geleitet, unablässig und mit reichen Erfolgen sich bemüht, die seelischen und körperlichen Leiden der Gefangenen zu lindern.
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Als die feindlichen Mächte mit unmenschlicher Grausamkeit unsere Gefangenen über den Friedensschluss hinaus zurückbehielten, haben wir alles versucht, wenigstens einige Feldgeistliche mit den Grüßen und Geschenken der Heimat in die ausländischen Gefangenenlager zu schicken. Als auch diese Versuche abgewiesen wurden, hat die Gefangenenhilfe der deutschen Bischöfe auf dem Umwege über neutrale Länder die Verbindung mit dem Ausland aufrechterhalten, um wenigstens einzelnen Gefangenen Trost und seelische Aufrichtung zu verschaffen. In manchen Lagern wurde der Mangel einer geordneten Seelsorge schwer beklagt. Von unserer Seite ist geschehen, was geschehen konnte, um auch diesen Klagen abzuhelfen. Aus anderen Lagern wurden schöne Bilder religiösen Lebens bekannt, und vielen sind die Tage der Bitterkeit Tage der Auferstehung geworden.
Nun soll an heiliger Stätte für die glückliche Heimkehr der Gefangenen Gott dem Herrn gedankt werden. "Als der Herr die Gefangenen Sions den Heimweg führte", und der Psalmist die Heimgekehrten begrüßte, da rief er sie aus Trauer und Verbitterung zur heiligen Freude: "Übervoll ist unser Angesicht von Freude und unsere Zunge von Frohlocken", - da mahnte er sie, den Dank gegen Gott nicht zu vergessen: "Großes hat der Herr an uns getan", - da lehrte er sie einen heiligen Spruch, der mit allen Leiden der Erde versöhnt: "Die in Tränen säen, werden in Freude ernten" (Ps. 125).
Einen vierten Segensgruß soll dieser Hirtenbrief den katholischen Standesvereinen überbringen. Mit Dank gegen Gott dürfen wir heute der katholischen Ständebewegung das Zeugnis ausstellen: Unsere Katholischen Arbeitervereine und die übrigen katholischen Standesvereine haben die schwere Erschütterung in den Kriegsjahren und Revolutionsmonaten gut überstanden. Ihre Mitglieder haben mit großem Bekennermut die religiöse Überzeugung und die Zugehörigkeit zu einem katholischen Standesverein auch gegenüber einer übermächtigen Gewaltherrschaft nicht verleugnet. Die Katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine, kaufmännischen Vereine, Gesellenvereine, Burschenvereine, Dienstbotenvereine und die übrigen männlichen und weiblichen Standesvereine haben in einer Zeit, da die Ständebewegung zu einer riesengroßen Bedeutung angewachsen ist, eine innere Kraft geoffenbart, die ihnen mit Gottes Hilfe auch die Zukunft sichert.
Die hochwürdigen Präsides dieser Vereine haben unseren oberhirtlichen Dank umso mehr verdient, als die Leitung und Beratung dieser Vereine heutzutage außerordentlich hohe Anforderungen an das soziale Wissen und die persönliche Opferfreudigkeit stellt. Möge ihnen die Anerkennung ihrer Oberhirten zugleich eine Aufmunterung sein, auf diesen vorgeschobensten Feldwachen der neuzeitlichen Seelsorge unverdrossen weiter zu arbeiten, auch wenn die Erfolge nicht immer mit den Händen zu greifen sind! Mögen sie den katholischen Arbeitervereinen Süddeutschlands wie bisher den Bruderkrieg ersparen und den Burgfrieden erhalten! Mögen sie dem gesteigerten Wissenstrieb der arbeitenden Klassen auch dadurch Rechnung tragen, dass sie keine Gelegenheit versäumen, das eigene Wissen auf dem Gebiete der Volkswirt-
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schaftslehre und der verwandten sozialen Fächer zu erweitern und zu vertiefen! Alles, was zur Einigung und Schulung der katholischen Kräfte beiträgt, ist gesegnete Arbeit. In diesem Sinne ist auch die Mitarbeit am Ausbau der Volkshochschulen zu empfehlen, die jetzt neu erstehen und weitreichende Bedeutung haben.
Die Not der Zeit hat das Denken und Trachten der Katholischen Arbeitervereine mehr als früher auf die wirtschaftlichen Fragen und Forderungen eingestellt. Die Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse ist für die Arbeitervereine so gut wie für die einzelnen Arbeiter eine Lebensfrage. In der Verbindung mit der Kirche besitzen sie aber das Geheimnis, im Strudel der materialistischen Geistesrichtung nicht unterzugehen, vielmehr eine Schutzwehr gegen die rein irdische Lebensauffassung in den Kreisen ihrer Arbeiterkollegen zu bilden. Der Druck des Umsturzes hat naturgemäß auch die katholischen Standesvereine stärker als sonst auf das politische Gebiet gedrängt. In der lebensvollen Verbindung mit der Kirche besitzen sie aber die Bürgschaft, ihrem ursprünglichen und unveräußerlichen Vereinsziel, der religiösen Förderung ihrer Mitglieder, auch unter den neuen Zeitumständen treu zu bleiben, weil ohne Religion die soziale Not an der Wurzel nicht geheilt, die Arbeit als sittliche Pflicht nicht erfasst wird. Mehr als je ist den tiefer denkenden Arbeitern gerade unter dem Übergewicht der wirtschaftlichen und politischen Tagesfragen die Überzeugung gekommen: Die wirtschaftlichen Fragen und Sorgen können für sich allein die Menschenseele nicht ausfüllen und nicht befriedigen. "Der Mensch lebt nicht vom Brote allein, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt" (Matth. 4,4).
Der Aufmarsch der arbeitenden Stände im öffentlichen Leben hat zu einer Spannung zwischen Arbeiterstand und Bauernstand geführt. In der lebensvollen Verbindung mit der Kirche besitzen aber unsere Katholischen Arbeitervereine den Schlüssel, um hier auszugleichen und Brücken der Versöhnung zu schlagen. Der Bauernstand bleibt als Nährstand das Rückgrat jeder gesunden Volkswirtschaft. Männer und Frauen im Bauernstande haben in den letzten Jahren schwerste Arbeit geleistet und dem Glauben ihrer Väter die heilige Treue gehalten. Der Christliche Bauernverein hat weitblickend und treu in wirtschaftlichen Fragen dem Bauernstande gegeben, was des Bauernstandes ist, in religiös-kirchlichen Fragen Gott gegeben, was Gottes ist. Auch soll es den Landwirten nicht vergessen werden, dass sie in hochherziger christlicher Liebe immer wieder eine große Zahl von Arbeiterkindern in den Ferien bei sich aufgenommen haben. Arbeiter- und Bauernstand, Stadt und Land, sind auf Gedeih und Verderben aufeinander angewiesen. "Seid also in Bruderliebe einander zugetan, kommt einander in Achtung entgegen, um Gastfreundschaft bestrebt und eines Sinnes" (Röm. 12, 10. 13. 16)!
Mit einem letzten Segensgruß wenden sich die bayerischen Bischöfe an die katholischen Eltern. Mit tiefstem Schmerze haben wir beobachtet, wie gerade in Bayern die Revolution nach einigen Schlangenwindungen mehr und mehr zum vollendeten Kulturkampfe gegen die christliche Schule und die religiöse
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Jugenderziehung sich entwickelte. Zuerst wurde die Geistliche Schulaufsicht abgeschafft, dann wurde der freireligiöse Unterricht wie irgend ein Jugendspiel genehmigt, dann wurde der Religionsunterricht vom Range eines Haupt- und Pflichtfaches zu einem Wahlfach der Willkür herabgewürdigt, dann kam der leidenschaftliche Versuch, der Simultanschule den Vorsprung vor der Bekenntnisschule zu sichern, und wie es scheint, sind noch weitere Vorstöße zu erwarten, die im letzten Ziele auf die religionslose staatliche Zwangsschule unter Ausschluss jeder kirchlichen Mitarbeit im Erziehungswerke hinauslaufen. Wir Bischöfe haben die Mindestforderungen, welche die Kirche in Bezug auf die Schule erheben muss, in einer Denkschrift niedergelegt; aber keine einzige von jenen Forderungen ist von der Volksvertretung ohne Abstrich im neuen Schulrecht anerkannt worden.
Die Herren Lehrer sind nicht mehr durch staatliche Vorschrift verpflichtet, zur Erteilung des Religionsunterrichtes mitzuwirken und den Unterricht in der Biblischen Geschichte zu übernehmen. Wir wissen aber, dass sehr viele Lehrer und Lehrerinnen gesonnen sind, auch weiterhin hochsinnig und freiwillig in dem Fache zu unterrichten, das unter allen Schulfächern die höchsten erzieherischen Werte in sich schließt. Wir Bischöfe danken allen Lehrkräften, die bisher in der religiösen Katechese mitgearbeitet haben, und bitten sie im Namen des göttlichen Kinderfreundes, die ewig schönen biblischen Geschichten auch weiterhin den Kindern erklären zu wollen.
Für euch, katholische Eltern, bleibt es eine heilige Gewissenspflicht, mit allen erlaubten Mitteln für die konfessionelle Schule einzutreten. Die Eltern der Schulkinder haben zu entscheiden, ob die Schulen ihres Wohnortes Bekenntnisschulen in religiösem Geiste oder farblose Simultanschulen sein sollen. Mit einem Eifer, der die wärmste Anerkennung verdient, hat die Schulorganisation die sogenannten Elternvereinigungen ins Leben gerufen, und unerschrockene Männer und Frauen, die ihr Knie vor Baal nicht beugen, haben die Eltern über ihre Pflichten hinsichtlich der Bekenntnisschule aufgeklärt. In unseren Augen ist die Schule ein Heiligtum, das kein Zwielicht verträgt. Die Großen gehen in katholische Kirchen, nicht in Simultankirchen, die Kleinen sollen in katholische Schulen, nicht in Simultanschulen gehen. Dieses Bekenntnis zur katholischen Schule, das auf dem Lande und auch in den Städten durchbricht, ist der einzige Lichtblick in der charakterlosen Gegenwart. Katholische Eltern! Eure Bischöfe rufen euch in die Elternvereinigungen, in die Wehrkraft der Bekenntnisschule. Lasst eure Kinder in der Wahrheit wandeln (3 Joh. 4) und überliefert sie nicht dem Zorne des Herrn, der über die Kinder des Unglaubens kommt (Kol. 3,6)! Ohne das Licht des Glaubens, ohne die Führung der Gebote Gottes, ohne die Gnade der heiligen Sakramente gehen eure Kinder für Zeit und Ewigkeit verloren. Das Wort des Apostels: "Erziehet eure Kinder in der Zucht und Zurechtweisung des Herrn" (Ephes. 6,4) ist ebenso gut für die Erziehung in der Schule wie für die Erziehung im Elternhause gesprochen. Eine Verantwortung, schwer wie ein Mühlstein (Luk. 17,2), bleibt auf denen liegen, die durch den Kulturkampf gegen die christliche Schule dem Erziehungswerk
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den Segen von Religion und Kirche rauben und damit den festen Boden unterwühlen, auf dem allein ein geordnetes, glückliches Familien- und Gemeinschaftsleben erstehen kann. "Sie werden Rechenschaft zu geben haben dem, der sich bereit hält, zu richten die Lebendigen und die Toten" (1 Petr. 4,5).
Sollte die weitere Schulgesetzgebung noch weitere Geleise in der Richtung auf die religionslose staatliche Zwangsschule legen, und der Kulturkampf weiter gehen, dann wird die Stunde kommen, da wir Bischöfe den katholischen Eltern von Bayern sagen: Kein Gesetz des Staates kann im Gewissen verpflichten, wenn es mit den Geboten Gottes im Widerspruch steht und die gottverbrieften Rechte der Kirche missachtet. Keine Verfassung, kein Gesetz, keine Verordnung kann die Eltern im Gewissen verpflichten, ihre Kinder zum Besuche der Staatsschule anzuhalten, wenn diese Schule einen Gottesraub an den Kindern begeht und niederreißt, was Vater und Mutter bis zum schulpflichtigen Alter in den Kindern aufgebaut haben. Elternrecht bricht Schulrecht! Die Eltern haben ihre elterlichen rechte nicht vom Staate, sondern von Gott. Die Schulen sind der Kinder wegen da, nicht aber die Kinder der Schule wegen. Allen Schulgesetzen, die ins Gewissen greifen, würden wir den gleichen Widerstand entgegensetzen, den die deutschen Bischöfe den Kulturkampfgesetzen der siebziger Jahre entgegengesetzt haben. Gewissensrecht bricht Staatsrecht! Gleich den Katholiken in Belgien im Jahre 1879 würden wir im Sinne der kirchlichen Schulgesetze (can. 1379) daran gehen müssen, katholische Privatschulen zu errichten, wenn die staatliche Schule die katholischen Kinder ihrer Religion und Kirche entfremdet und das Heiligtum der Kinderseele verwüstet. Euere Sache, katholische Eltern, wird es dann sein, euere staatsbürgerlichen Rechte geltend zu machen, um eine doppelte Besteuerung der Katholiken – eine Steuer für die staatliche und eine für die freie katholische Schule – abzulehnen. Elternrecht bricht Schulrecht, Gewissensrecht bricht Staatsrecht!
Von allen Seiten kann man hören, die heutige Jugend sei vielfach von allen guten Geistern verlassen und von allen bösen Geistern besessen. Groß ist die Zahl der verlorenen Söhne und Töchter, die der schlechten Gesellschaft, dem schlechten Buche, dem schlechten Theater und Kino und anderen Fangarmen der Verführung zum Opfer gefallen und zum Kummer von Vater und Mutter an Glaube und Sitte zerbrochen sind. Groß ist aber auch die Zahl der edlen Männer und Frauen, die als Hilfskräfte des Elternhauses in den Katholischen Jugendvereinen und Marianischen Kongregationen in selbstloser Weise ihre freie Zeit und Kraft der Jugend widmen. All diesen edlen Männern und Frauen, Priestern und Laien, die aus reiner Gottes- und Nächstenliebe das Jugendwerk in Bayern zu einer schönen Blüte gebracht haben, spenden wir heute einen besonderen oberhirtlichen Dank. Gleichzeitig aber rufen wir, da wir die Verstaatlichungswut auch auf diesem Gebiete kommen sehen, nach weiteren Helfern für die Katholischen Jugendvereine. Lasst doch die Kinder der Finsternis nicht klüger sein als die Kinder des Lichtes! Helft mit in der Jugendpflege, um die Jugend an Leib und Seele gesund zu erhalten!
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Helft mit in der Jugendfürsorge, um gefährdete oder schon verlorene Jugend zu retten! "Auf diese Weise werden euch die Tore weit geöffnet zum ewigen Reiche unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus" (2 Petr. 1,11).
Mächte der Finsternis haben der katholischen Kirche in Bayern eine Zukunft in Trübsal geschworen. Wo aber die Legionen der Hölle am Werke sind, wirken auch die Gnadenkräfte des Himmels neue Wunder. Die Kirche hat im letzten Jahrhundert in Verbindung und Arbeitsgemeinschaft mit dem Staate ihre Sendung erfüllt, die Kirche ist aber nicht derart auf Leben und Tod mit dem Staate verbunden und auf den Staat angewiesen, dass sie bei einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in ihrem eigenen Bestande bedroht wäre. Über allem Wechsel der Staatsformen steht die Verheißung: "Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen" (Matth. 16,18). Über allen Gesetzen der alten und neuen Staatsordnung stehen die ewigen Gebote Gottes. Über allen irdischen Tagesgrößen steht der ewige Gott, der seine Kirche nicht vergessen hat und alle Anschläge wider den Herrn und seinen Gesalbten letzten Endes zuschanden macht. "Alles Menschliche ist wie Gras und all seine Herrlichkeit ist wie die Blume des Feldes; das Gras verdorrt und die Blume verwelkt, das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit" (Js. 40,6-8, 1 Petr. 1,24 f).
"Folget eueren Vorgesetzten und seid ihnen untergeben! Denn sie wachen über euere Seelen, da sie einstens Rechenschaft dafür zu geben haben. … Betet für uns! … Der Gott des Friedens, der unseren Herrn Jesus Christus aus dem Tode herausgeführt hat, ihn, der durch das Blut eines ewigen Bundes der Erzhirt der Gläubigen ist, er rüste euch mit allem Guten aus, auf dass ihr seinen Willen tut! Er wirke in euch, was ihm wohlgefällig ist, durch Jesus Christus, dem Ehre sei in alle Ewigkeit. Amen" (Hebr. 13,17-21).
Es segne euch alle der dreieinige Gott, der + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist! Amen.
Gegeben im September 1919.

+ Michael , Erzbischof von München und Freising.
+ Jacobus , Erzbischof von Bamberg.
+ Ferdinandus , Bischof von Würzburg.
+ Antonius , Bischof von Regensburg.
+ Maximilianus , Bischof von Augsburg.
+ Leo , Bischof von Eichstätt.
+ Sigismund Felix , Bischof von Passau.
+ Ludwig , Bischof von Speyer.

Anmerkung: Vorstehender Hirtenbrief ist am 12. und 19. Oktober von der Kanzel zu verlesen. Vor dem 20. Oktober darf er in der Presse nicht abgedruckt werden.
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