Document no. 714

Schulte, Karl Joseph: Zweiter Bericht der kirchlichen Kriegshilfsstelle in Paderborn, 16 March 1916

Seit dem ersten Berichte vom Mai 1915 hat die kirchliche Kriegshilfsstelle nach allen Seiten hin eine erfreuliche Entwicklung genommen. Sie wird von allen Kreisen (ohne Unterschied des Standes und der Konfession) in Anspruch genommen und arbeitet in ungetrübtem Einvernehmen mit den militärischen Behörden und mit allen andern Organisationen der Kriegshilfe. Unser Hl. Vater hat die Gnade gehabt, die Mitarbeiter unserer Hilfsstelle im vergangenen Jahre wiederholt zu segnen, und Seine Majestät unser Kaiser hat dieselben zu Weihnachten seines allerhöchsten Dankes versichert. Die folgenden Aufstellungen, die sich bis zum Januar 1916 erstrecken, dürften einen Überblick über das immer größer gewordene Arbeitsfeld gewinnen lassen.

I.
Auskunftserteilung über Vermißte.
1. Ueber deutsche Vermißte
gingen Anfragen ein 55.000
Zahl der Auskünfte 6.393
Zahl der ermittelten Lebenden gegen 4.000
2. Ueber feindliche Vermißte
betrug die Zahl der Anfragen über 80.000
Zahl der Auskünfte 8.070
Als lebend ermittelt etwa 2.000

Es ist zu bemerken, daß es sich bei den Auskünften zum großen Teile um solche Vermißte handelt, die schon von anderen Seiten ohne Erfolg gesucht waren.
Diesen günstigen Erfolg verdanken wir wohl an erster Stelle unserer von Anfang an befolgten Methode, die Namen der Vermißten durch Anschlag von Listen in den Gefangenen-Lagern zu veröffentlichen. Bis zum 1. Januar 1916 wurden 74 deutsche Listen gedruckt und versandt, während in der gleichen Zeit 122 Listen über feindliche Vermißte verschickt wurden.

II.
Gefangenen-Fürsorge.
Das bei Gründung der Hilfsstelle aufgestellte Prinzip, in erster Linie die religiös-sittlichen Bedürfnisse der Gefangenen zu berücksichtigen, dann aber auch die materiellen Nöten [sic] nach Kräften zu lindern, wird dauernd festgehalten.
1. Deutsche Gefangene im Ausland.
Auf Anregung Sr. Eminenz, des Herrn Kardinal-Erzbischofs von Köln, wurde P. von Courten der Auftrag erteilt, die Gefangenenlager in Frankreich zu besuchen, die religiösen Bedürfnisse festzustellen, sich über die Pastoration zu informieren, dieselbe evtl. zu organisieren und den Gefangenen auch materielle Unterstützung zukommen zu lassen. Die Finanzierung dieser Mission wurde durch unsere Hilfsstelle vermittelt. Der eingehende Bericht des verdienten Benediktinerpaters liegt bei. (Anlage 1.)
26v
Alle acht Tage werden in 600 Exemplaren deutsche Predigten (Anlage 2) nach Frankreich geschickt, um den französischen Priestern ihre Predigtaufgabe den deutschen Gefangenen gegenüber zu erleichtern bzw. zu ermöglichen. Eine deutsche, religiöse Zeitung, "Kirchenglocken", wurde von uns gegründet und in einer Auflage von 20.000 Exemplaren verbreitet. (Anlage 3.)
Desgleichen ein katholisches Gebetbuch. In 30.000 Exemplaren ließen wir für unsere Kriegsgefangenen in Frankreich das von dem Benediktinerpater Thomas Jüngt verfaßte Gebetbuch "Ich war gefangen" versenden. Von diesem Büchlein hat die Verlagshandlung Eberle u. Rickenbach dem deutschen Episkopate ein Probeexemplar zugehen lassen. Da das Bedürfnis nach katholischen Gesangbüchern unter den Gefangenen recht fühlbar wurde, schickte die kirchliche Kriegshilfsstelle 30.000 Büchlein "Kath. Kirchenlieder", zusammengestellt und mit Noten versehen von Prof. Müller, Paderborn, an die französischen Gefangenenlager. (Anlage 4.) 20.000 Exemplare der Nachfolge Christi wurden nach Rußland gesandt, ebendahin auch für 10.000 Mark Lesestoff, vornehmlich religiöser Art, zur Verteilung gebracht.
Lektüre für deutsche Gefangene wurde von uns hauptsächlich durch Vermittlung des Borromäus-Vereins und der Schweizerischen Kath. Mission geliefert.
An Lager-Unterstützungen wurden bis 1. Januar 1916 gewährt für deutsche Gefangene in Frankreich 160.000 Mark, in Rußland 40.000 Mk., nach England gingen für gottesdienstliche Bedürfnisse 10.000 Mk.
An Einzelunterstützungen flossen nach Frankreich 767 Mk., nach Russland 2.050 Mk., nach England 149 Mk.
2. Feindliche Gefangene in Deutschland.
Die Bedürfnisse derselben wurden besonders durch den Schweizer Deputierten, Universitätsprofessor Dévaud aus Freiburg, ermittelt. Bei den Unterstützungen in geistiger und materieller Beziehung gingen wir mit diesem Herrn Hand in Hand.
Den Geistlichen in unseren Lagern lieferten wir Predigten, von Professor Rosenberg verfaßt, und für die französisch sprechenden Gefangenen versenden wir alle 14 Tage eine eigene Zeitung "Dieu et L'Église" in 40.000 Exemplaren (Anlage 5), die passenden religiösen Lesestoff bietet. Ferner gab die Hilfsstelle ein französisches, englisches und vlämisches Gebetbuch heraus (Anlagen 6, 7, 8), von denen das französische "Le bon soldat" in über 30.000 Exemplaren verteilt wurde.
Für feindliche Gefangene wurden 221.822 Mk. an Lager-Unterstützungen gespendet, an Einzel-Unterstützungen 4.850 Mk.

III.
Sonstige Arbeiten der Hilfsstelle.
Außer der programmäßigen Tätigkeit der Auskunftserteilung über Vermißte und der Fürsorge für die Gefangenen, suchte die Hilfsstelle auch sonst durch Rat und Tat einzugreifen, wo es die Interessen der Gefangenen wünschenswert erscheinen ließen. Wie sie den Seelsorgern der Gefangenenlagern [sic] in ihrer Tätigkeit nach mancher Richtung hin die Wege ebnete, so suchte sie auch den Angehörigen Gefangener bereitwillig zu Diensten zu sein. Sie erteilte diesen Auskünfte über Zustände in den feindlichen Gefangenenlagern, über Art und Weise der Brief- und Paketübermittlung, der Geldsendung, und übernahm selbst die Uebermittlung, wo es gewünscht wurde.
Sie stand jedermann gern und unentgeltlich zu Diensten durch fachgemäße Beratung und Hilfeleistung in allen Schwierigkeiten, die durch den Krieg herbeigeführt waren.

IV.
Allgemeiner Kassen-Bericht.
Einnahme:
Titel I: Kollekte aus den deutschen Diözesen 389.489,26 M.
Titel II: Einzelgaben und Sammlungen in Zeitungen 27.779,63 "
Titel III: Zuwendung aus französischen kirchlichen Geldern 241.856,- "
Titel IV: Einzelgaben aus dem besetzten Gebiete 5.182,95 "
Summe der Einnahme 664.307,84 M.

Ausgabe:
Titel I: Unterstützung ganzer Lager der deutschen Gefangenen
1. in Frankreich:1) 160.000,- M.
2. in Rußland: 40.000,- "
3. in England: 10.000,- "
4. durch Lektüre, Gebetbücher 6.000,- "
216.000,- M.

Titel II: Unterstützung einzelner deutscher Gefangener
1. in Frankreich: 767,91 M.
2. in Rußland: 2.050,82 "
3. in England: 149,08 "
2.967,81 M.
27r
Titel III: Unterstützung von Lagern mit französischen und belgischen Gefangenen in Deutschland:
1. April 19.900,- M.
2. Mai 27.123,75 "
3. Juni 32.006,- "
4. Juli 31.776,- "
5. August 30.820,- "
6. September 32.479,95 "
7. Oktober 17.996,67 "
8. Dezember 29.720,- "
221.822,37 M.

Titel IV: Einzelunterstützungen an französische und belgische Gefangene: 4.850,60 M.
Titel V: Laufende Unkosten:
1. Druckkosten der Listen 6.571,73 M.
2. Sonstige Drucksachen, Schreibwaren usw. 2.605,18 "
3. Gehälter 7.898,- "
4. Varia 2.313,43 "
19.388,34 M.

Zusammenstellung.
Ausgabe:
Titel I: 216.000,- M.
Titel II: 2.967,81 "
Titel III: 221.822,37 "
Titel IV: 4.850,60 "
Titel V: 19.388,34 "
465.029,12 M.
Summe der Einnahmen 664.307,84 "
Summe der Ausgaben 465.029,12 "
Also Bestand am 1. Januar 1916: 199.278,72 M.

V.
Personal-Bestand und Geschäftsräume.
Im Ein- und Ausgang betrug der Geschäftsverkehr über 300.000 Nummern. Dementsprechend mußten sowohl der Personal-Bestand, als auch die Geschäftsräume entsprechend vermehrt werden.
1. Personal-Bestand.
Neben dem Leiter der Hilfsstelle arbeiten an ihr jetzt dauernd 4 Geistliche und 20 weltliche Personen. Bei Bedarf stehen noch freiwillige Hilfskräfte (Theologen, Lazarettinsassen u.a.) in genügender Anzahl zur Verfügung.
2. Geschäftsräume.
Sie umfassen 20 Zimmer, welche unentgeltlich im Leokonvikt zur Verfügung gestellt und in folgender Weise belegt sind:
1. Bureau der Leitung. 2. Eingänge für feindliche Vermißte. 3. Bureau für deutsche Vermißte. 4. Bureau für Ausgang. 5. Kartothek für deutsche Vermißte. 6. Kartothek für feindliche Vermißte. 7. Bureau für deutsche Korrespondenz. 8-10. Bureaus für ausländische Korrespondenz. 11. Presse-Bureau. 12. Kassenzimmer. 13. u. 14. Registraturen. 15. Bureau für Auskunftserteilung. 16.-20. Schreibzimmer.
Wir können den Bericht nur mit dem demütigen Danke gegen Gott schließen, daß er uns in dieser furchtbaren Kriegszeit Werke der christlichen Nächstenliebe verrichten ließ, die dem Frieden dienen, dem innern Frieden bei so vielen, die persönlich schwer unter dem Kriege leiden, und auch dem äußeren Frieden zwischen den jetzt kriegführenden, aber später wieder aufeinander angewiesenen Nationen.
Paderborn, 18. März 1916
Die kirchliche Kriegshilfsstelle Paderborn.
(Auf Anregung des Hl. Vaters von den deutschen Bischöfen errichtet.)
1)Für Frankreich vergleiche hierbei das Verzeichnis der Unterstützungen am Schlusse des Berichtes von P. v. Courten.
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