Document no. 7528
Faulhaber, Michael von: Eine Erklärung zu den Akten der Apostolischen Nuntiatur in München. Munich, 07 July 1921
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Chaos der öffentlichen
Lage, da uns fast jeden Tag mit dem Sturm auf die Pfarrhöfe und Klöster gedroht wurde, als
Bischof den Klosterfrauen für den Fall der Not allgemeine Klausurdispens erteilte. Am
14. November 1918 habe ich neuerdings dem Herrn Apostolischen Nuntius zugeredet
München zu verlassen, und dabei auf Menzingen oder Rorschach hingewiesen.Wenige Tage darauf schlug die Stimmung im Auswärtigen Ministerium um: Kurt Eisner merkte, dass eine offene Kampfstellung gegen Nuntius und Klerus das katholische Volk gegen seine eigene Regierung aufreizen müsste, und versuchte nun durch Verhandlungen mit der Apost. Nuntiatur seine unsichere Regierung zu stützen. Am 19. oder 20. November machte er durch die Vermittlung von Staatsrat Lössl den Versuch mit Mons. Pacelli persönlich in Verbindung zu kommen, um damit in den Augen des katholischen Volkes den Anschein zu erwecken, der Apost. Nuntius habe die Regierung Eisner anerkannt und damit die Revolution legitimiert. Die Anschauungen des Volkes schwankten in jenen Tagen, zumal vom 13. auf den 14. November König Ludwig III. die Beamten und Soldaten von ihrem Treueid freigesprochen und damit ungewollt selber einen Baustein zur Festigung der neuen Gewaltregierung geliefert hatte. Genau um jene Zeit, am 19. November, liess der damalige Kultusminister Hoffmann durch eine Mittelsperson mir mitteilen, er erwarte meinen Besuch. Ich habe der Mittelsperson erklärt, dass ich mit Hoffmann, einem ausgesprochenen Kulturkämpfer und Kirchenhasser, keine Gemeinschaft haben wolle. Aber noch viel weniger durfte in jenen Tagen ein Zusammentreffen des Apostol. Nuntius mit dem Ministerpräsidenten Eisner stattfinden, wenn die Geister
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des Volkes nicht vollends verwirrt werden sollten. Nach
meiner Auffassung musste der Herr Nuntius damals München verlassen, um jede Gelegenheit mit
Eisner persönlich zusammenzutreffen abzuschneiden und der Revolution nicht den Nimbus zu
verleihen, als habe sich der Apostolische Stuhl mit der neuen Lage schnell ausgesöhnt. Für
etwaige seelsorgliche und verwaltungsrechtliche Notfälle, die einen Rekurs an den
Hl. Vater erforderten, war durch Monsignore Schioppa, der in München blieb, die
Verbindung mit Rom aufrechterhalten.Am 18. Januar 1919 fragte mich Mons. Schioppa, ob ich der Auffassung sei, dass der Herr Nuntius jetzt aus der Schweiz wieder nach München zurückkehren könne. Ich musste antworten: Nach Lage der Dinge werde Ministerpräsident Eisner sofort wieder versuchen eine amtliche Verbindung mit Mons. Pacelli zu gewinnen, und die bayerischen Bischöfe würden in dieser Verbindung eine Legitimierung der Revolutionsregierung und ein Ärgernis für das ganze Land erblicken. Die bayerischen Bischöfe hatten sich nämlich damals geweigert, die früheren königlichen Konkordatsrechte (z. B. bei Besetzung der Pfarreien) ohne weiters auf die neue Regierung zu übertragen, und hatten deshalb die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen. Für die kirchenpolitische Lage in Bayern wäre es verhängnisvoll gewesen, wenn damals auch nur der Schein amtlicher Beziehungen zwischen dem Auswärtigen Ministerium und der Nuntiatur entstanden wären.
Am 29. April 1919 wurde das Nuntiaturgebäude von einem Haufen schwerbewaffneter Soldaten überfallen, und Mons. Pacelli wurde mit vorgehaltenem Revolver und kampffertigen Handgranaten aufgefordert sein Auto herzugeben. In entschiedener und vornehmer Weise hat damals Seine Exzellenz gegen diese Verletzung des Gesandten-
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rechtes protestiert und einen Beweis persönlicher
Unerschrockenheit gegeben, von dem man sich nur in jenen Tagen der brutalsten Willkür und
des grausamsten Terrorismus, nicht aber in anderen Ländern und anderen ruhigen Zeiten eine
Vorstellung machen kann. Am 13. Mai teilte mir der Herr Nuntius mit, er habe infolge
jener Vorgänge in der Nuntiatur 2 Mal von seinen Vorgesetzten Ordre erhalten in die
Schweiz zu gehen. Der Gehorsam gegen diesen Befehl kostete ihn offensichtlich persönliche
Überwindung und am 17. Mai erklärte er mir noch einmal, er fürchte nicht den Tod, aber
er müsse das Ansehen des Hl. Vaters vor Verunehrung schützen. Wie damals muss ich auch
heute noch im Rückblick auf jene Verhältnisse die Reise von Mons. Pacelli in die
Schweiz als eine diplomatische Notwendigkeit im Interesse des Ansehens und der Würde des
Hl. Vaters selber bezeichnen. Ich habe jene Zeit, deren Einzelereignisse nur aus der
Gesamtlage beurteilt werden können, aus nächster Nähe miterlebt, und der ganze bayerische
Episkopat ist mit mir der Auffassung, dass das Verhalten unseres hochverehrten Herrn
Apostolischen Nuntius Monsignore Pacelli einzig von den höchsten kirchlichen Gesichtspunkten
geleitet war.München, den 7. Juli 1921
+ Michael Card. Faulhaber
Erzbischof von München.