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Faulhaber, Michael von
Eine wahrheitswidrige Zeitungsnotiz und eine gelegentliche Bemerkung in Rom veranlassen
den unterzeichneten Erzbischof von München folgende Erklärung und Darstellung zu den Akten
der Apostolischen Nuntiatur zu geben: Bereits am 11. November 1918, also schon am
dritten Tage der Revolution, habe ich bei einem Besuche auf der Nuntiatur den Herrn
Apostolischen Nuntius, Seine Exzellenz Monsignore Eugen Pacelli, gebeten mit
Rücksicht auf die ganz unsichere Lage in die Schweiz oder wenigstens in das Kloster Zangberg
zu gehen. Der Strassenterror der Revolution hatte gegen die kirchlichen Kreise eine immer
bedrohlichere Haltung angenommen, und es war in jenen Tagen unbegrenzter Spannungen und
endloser Aufreizungen nicht abzusehen, was der folgende Tag bringen werde. Der damalige
erste Präsident der neuen Republik, der Jude Kurt Eisner, hatte bei Konstituierung
der neuen Regierung (Freitag, 8. November früh 2 Uhr) im Landtagsgebäude die
Äusserung getan "Aber jetzt mit aller Schärfe gegen die Pfaffen!" und hatte sich tatsächlich
anfänglich geweigert den Postverkehr mit Rom in der alten Chiffre zu gestatten. Man musste
also auf alles gefasst sein, und wenn auch der Erzbischof selber an Ort und Stelle bleiben
musste schon deswegen weil die Beamten immer wieder die Anfrage stellten ob sie den Eid auf
die neue Regierung schwören und überhaupt mitarbeiten dürften, so sollte doch der
Stellvertreter des Hl. Vaters den Gefahren der Beschimpfung und Misshandlung nicht
ausgesetzt werden. Für die damalige Lage ist es vielleicht charakteristisch wenn ich
erwähne, dass ich in dem damaligen
Wenige Tage darauf schlug die Stimmung im Auswärtigen Ministerium um: Kurt Eisner merkte, dass eine offene Kampfstellung gegen Nuntius und Klerus das katholische Volk gegen seine eigene Regierung aufreizen müsste, und versuchte nun durch Verhandlungen mit der Apost. Nuntiatur seine unsichere Regierung zu stützen. Am 19. oder 20. November machte er durch die Vermittlung von Staatsrat Lössl den Versuch mit Mons. Pacelli persönlich in Verbindung zu kommen, um damit in den Augen des katholischen Volkes den Anschein zu erwecken, der Apost. Nuntius habe die Regierung Eisner anerkannt und damit die Revolution legitimiert. Die Anschauungen des Volkes schwankten in jenen Tagen, zumal vom 13. auf den 14. November König Ludwig III. die Beamten und Soldaten von ihrem Treueid freigesprochen und damit ungewollt selber einen Baustein zur Festigung der neuen Gewaltregierung geliefert hatte. Genau um jene Zeit, am 19. November, liess der damalige Kultusminister Hoffmann durch eine Mittelsperson mir mitteilen, er erwarte meinen Besuch. Ich habe der Mittelsperson erklärt, dass ich mit Hoffmann, einem ausgesprochenen Kulturkämpfer und Kirchenhasser, keine Gemeinschaft haben wolle. Aber noch viel weniger durfte in jenen Tagen ein Zusammentreffen des Apostol. Nuntius mit dem Ministerpräsidenten Eisner stattfinden, wenn die Geister
Am 18. Januar 1919 fragte mich Mons. Schioppa, ob ich der Auffassung sei, dass der Herr Nuntius jetzt aus der Schweiz wieder nach München zurückkehren könne. Ich musste antworten: Nach Lage der Dinge werde Ministerpräsident Eisner sofort wieder versuchen eine amtliche Verbindung mit Mons. Pacelli zu gewinnen, und die bayerischen Bischöfe würden in dieser Verbindung eine Legitimierung der Revolutionsregierung und ein Ärgernis für das ganze Land erblicken. Die bayerischen Bischöfe hatten sich nämlich damals geweigert, die früheren königlichen Konkordatsrechte (z. B. bei Besetzung der Pfarreien) ohne weiters auf die neue Regierung zu übertragen, und hatten deshalb die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen. Für die kirchenpolitische Lage in Bayern wäre es verhängnisvoll gewesen, wenn damals auch nur der Schein amtlicher Beziehungen zwischen dem Auswärtigen Ministerium und der Nuntiatur entstanden wären.
Am 29. April 1919 wurde das Nuntiaturgebäude von einem Haufen schwerbewaffneter Soldaten überfallen, und Mons. Pacelli wurde mit vorgehaltenem Revolver und kampffertigen Handgranaten aufgefordert sein Auto herzugeben. In entschiedener und vornehmer Weise hat damals Seine Exzellenz gegen diese Verletzung des Gesandten-
München, den 7. Juli 1921
+ Michael Card. Faulhaber
Erzbischof von München.
Online since 14-05-2013, last modification 10-09-2018.
Document no. 7528
Faulhaber, Michael von
: Eine Erklärung zu den Akten der Apostolischen Nuntiatur in München. Munich, 07 July 1921
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Chaos der öffentlichen
Lage, da uns fast jeden Tag mit dem Sturm auf die Pfarrhöfe und Klöster gedroht wurde, als
Bischof den Klosterfrauen für den Fall der Not allgemeine Klausurdispens erteilte. Am
14. November 1918 habe ich neuerdings dem Herrn Apostolischen Nuntius zugeredet
München zu verlassen, und dabei auf Menzingen oder Rorschach hingewiesen.Wenige Tage darauf schlug die Stimmung im Auswärtigen Ministerium um: Kurt Eisner merkte, dass eine offene Kampfstellung gegen Nuntius und Klerus das katholische Volk gegen seine eigene Regierung aufreizen müsste, und versuchte nun durch Verhandlungen mit der Apost. Nuntiatur seine unsichere Regierung zu stützen. Am 19. oder 20. November machte er durch die Vermittlung von Staatsrat Lössl den Versuch mit Mons. Pacelli persönlich in Verbindung zu kommen, um damit in den Augen des katholischen Volkes den Anschein zu erwecken, der Apost. Nuntius habe die Regierung Eisner anerkannt und damit die Revolution legitimiert. Die Anschauungen des Volkes schwankten in jenen Tagen, zumal vom 13. auf den 14. November König Ludwig III. die Beamten und Soldaten von ihrem Treueid freigesprochen und damit ungewollt selber einen Baustein zur Festigung der neuen Gewaltregierung geliefert hatte. Genau um jene Zeit, am 19. November, liess der damalige Kultusminister Hoffmann durch eine Mittelsperson mir mitteilen, er erwarte meinen Besuch. Ich habe der Mittelsperson erklärt, dass ich mit Hoffmann, einem ausgesprochenen Kulturkämpfer und Kirchenhasser, keine Gemeinschaft haben wolle. Aber noch viel weniger durfte in jenen Tagen ein Zusammentreffen des Apostol. Nuntius mit dem Ministerpräsidenten Eisner stattfinden, wenn die Geister
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des Volkes nicht vollends verwirrt werden sollten. Nach
meiner Auffassung musste der Herr Nuntius damals München verlassen, um jede Gelegenheit mit
Eisner persönlich zusammenzutreffen abzuschneiden und der Revolution nicht den Nimbus zu
verleihen, als habe sich der Apostolische Stuhl mit der neuen Lage schnell ausgesöhnt. Für
etwaige seelsorgliche und verwaltungsrechtliche Notfälle, die einen Rekurs an den
Hl. Vater erforderten, war durch Monsignore Schioppa, der in München blieb, die
Verbindung mit Rom aufrechterhalten.Am 18. Januar 1919 fragte mich Mons. Schioppa, ob ich der Auffassung sei, dass der Herr Nuntius jetzt aus der Schweiz wieder nach München zurückkehren könne. Ich musste antworten: Nach Lage der Dinge werde Ministerpräsident Eisner sofort wieder versuchen eine amtliche Verbindung mit Mons. Pacelli zu gewinnen, und die bayerischen Bischöfe würden in dieser Verbindung eine Legitimierung der Revolutionsregierung und ein Ärgernis für das ganze Land erblicken. Die bayerischen Bischöfe hatten sich nämlich damals geweigert, die früheren königlichen Konkordatsrechte (z. B. bei Besetzung der Pfarreien) ohne weiters auf die neue Regierung zu übertragen, und hatten deshalb die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen. Für die kirchenpolitische Lage in Bayern wäre es verhängnisvoll gewesen, wenn damals auch nur der Schein amtlicher Beziehungen zwischen dem Auswärtigen Ministerium und der Nuntiatur entstanden wären.
Am 29. April 1919 wurde das Nuntiaturgebäude von einem Haufen schwerbewaffneter Soldaten überfallen, und Mons. Pacelli wurde mit vorgehaltenem Revolver und kampffertigen Handgranaten aufgefordert sein Auto herzugeben. In entschiedener und vornehmer Weise hat damals Seine Exzellenz gegen diese Verletzung des Gesandten-
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rechtes protestiert und einen Beweis persönlicher
Unerschrockenheit gegeben, von dem man sich nur in jenen Tagen der brutalsten Willkür und
des grausamsten Terrorismus, nicht aber in anderen Ländern und anderen ruhigen Zeiten eine
Vorstellung machen kann. Am 13. Mai teilte mir der Herr Nuntius mit, er habe infolge
jener Vorgänge in der Nuntiatur 2 Mal von seinen Vorgesetzten Ordre erhalten in die
Schweiz zu gehen. Der Gehorsam gegen diesen Befehl kostete ihn offensichtlich persönliche
Überwindung und am 17. Mai erklärte er mir noch einmal, er fürchte nicht den Tod, aber
er müsse das Ansehen des Hl. Vaters vor Verunehrung schützen. Wie damals muss ich auch
heute noch im Rückblick auf jene Verhältnisse die Reise von Mons. Pacelli in die
Schweiz als eine diplomatische Notwendigkeit im Interesse des Ansehens und der Würde des
Hl. Vaters selber bezeichnen. Ich habe jene Zeit, deren Einzelereignisse nur aus der
Gesamtlage beurteilt werden können, aus nächster Nähe miterlebt, und der ganze bayerische
Episkopat ist mit mir der Auffassung, dass das Verhalten unseres hochverehrten Herrn
Apostolischen Nuntius Monsignore Pacelli einzig von den höchsten kirchlichen Gesichtspunkten
geleitet war.München, den 7. Juli 1921
+ Michael Card. Faulhaber
Erzbischof von München.