Document no. 7759
[Delbrueck, Richard]: Referentenentwurf zu einem Reichskonkordat. [Berlin], 27 April 1922
von dem Wunsche beseelt, die glücklicherweise zwischen dem Deutschen Reich und dem Apostolischen Stuhle bestehenden friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern, gewillt, das Verhältnis zwischen dem Staate und der katholischen Kirche im Deutschen Reiche in einer beide Teile befriedigenden Weise dauernd so zu regeln, wie es der neuen Lage und den heutigen Bedürfnissen entspricht, überzeugt, dass dadurch der Friede im Inneren gesichert, der Geist der Versöhnlichkeit und des gegenseitigen Verständnisses gefördert und damit auch dem Gedanken der Völkerversöhnung und des Weltfriedens gedient werde, haben zu Bevollmächtigten ernannt:
Der Präsident
des
Deutschen Reiches
Seine Heiligkeit
Papst Pius XI.
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die, nachdem sie ihre Vollmachten geprüft und in guter und
gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind:Artikel I.
a) Entsprechend der Verfassung ordnet und verwaltet die katholische Kirche in Deutschland ihre Angelegenheiten selbständig;
b) Die katholische Kirche in Deutschland geniesst die ihr von der Verfassung gewährleistete Freiheit.
Artikel II.
Sie ist insbesondere unabhängig und frei:
1. in der Darlegung und der Verkündung ihrer Lehre;
2. in der Abhaltung von Gottesdiensten und sonstigen religiösen Übungen wie Prozessionen, Wallfahrten, Volksmissionen, geistlichen Exerzitien;
3. in der Spendung der Sakramente und Sakramentalien; das Sakrament der Ehe kann jedoch nur im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines der Verlobten oder im Falle schweren sittlichen Notstandes vor der bürgerlichen Eheschließung gespendet werden; der Pfarrer ist in solchen Fällen verpflichtet, dem Standesamt unverzüglich Anzeige zu erstatten; im Falle der durch die kirchliche Oberbehörde in ganz besonderen Ausnahmefällen genehmigten Gewissensehe finden diese Bestimmungen keine Anwendung;
4. in der Ausübung der kirchlichen Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Strafgewalt sowie in der Einrichtung der kirchlichen Verwaltung;
5. in der Errichtung, Änderung und Aufhebung der
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kirchlichen Ämter, Benefizien und Amtsbezirke; die Grenzen
kirchlicher Verwaltungsbezirke können jedoch, wo staatliche Interessen berührt werden
könnten, nur im Einvernehmen mit der Reichs- und Landesregierung abgeändert werden;6. in Erwerb, Verwaltung und Verwendung des kirchlichen Vermögens;
7. in der Errichtung religiöser Orden und Vereine;
8. in der Ausübung der kirchlichen Caritas;
9. in der Einrichtung und Erhaltung eigener Begräbnisstätten.
Artikel III.
Die kirchlichen Amtspersonen genießen grundsätzlich die Rechtsstellung, die den Staatsbeamten gegenüber dem Staate zukommt.
Die Geistlichen genießen in gleicher Weise wie die Staatsbeamten den Schutz des Staates, der Beleidigungen ihrer Person in ihrer Eigenschaft als katholische Geistliche und Störungen ihrer Amtshandlungen nicht zulässt und Vergehungen ahndet.
Kleriker und Mitglieder von Orden und Kongregationen sind frei von der Verpflichtung zur Übernahme öffentlicher Ämter. Dies gilt insbesondere von dem Amte eines Schöffen, eines Geschworenen, eines Mitgliedes der Steuerausschüsse oder der Finanzgerichte.
Artikel IV.
Die Anstalten, Stiftungen und Verbände der katholischen Kirche wie u. a. bischöfliche Stühle, Kapitel, Seminare, Kirchengemeinden, Kirchengemeindeverbände, Diözesanverbände erwerben die Rechtsfähigkeit nach den
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allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. Sie
bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren. Anderen
Anstalten, Stiftungen und kirchlichen Verbänden werden die gleichen Rechte nach Massgabe der
allgemeinen Gesetze gewährt.Artikel V.
Kirchengemeinden und sonstige kirchliche Verbände haben, soweit sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, die Berechtigung, zur Befriedigung der Kirchenbedürfnisse auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Massgabe des Gesetzes Steuern zu erheben. Auf Antrag der zuständigen kirchlichen Stellen wird die Verwaltung der Kirchensteuern von den Landesfinanzämtern und den Finanzämtern gegen eine mässige Vergütung übernommen.
Artikel VI.
Das Eigentum und andere Rechte der kirchlichen Anstalten, Stiftungen und Verbände an ihren Besitz werden gewährleistet. Sie verfügen frei über ihr Vermögen. Das gleiche gilt für kirchliche und charitative Vereine.
Unberührt bleiben die bestehenden Berechtigungen, die Glocken zu gemeindlichen oder sonstigen öffentlichen Zwecken zu gebrauchen. Desgleichen bleiben unberührt die Mitbenutzungsrechte anderer am kirchlichen Eigentum.
Artikel VII.
Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechts-
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titeln beruhenden
Staatsleistungen an die Kirche werden nach den vom Reiche im Einvernehmen mit dem
päpstlichen Stuhl aufzustellenden Grundsätzen durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Zu den
besonderen Rechtstiteln zählen auch das rechtsbegründende Herkommen, die Pflichten die auf
den ehemals vom Staate säkularisierten Gütern ruhen und die im
Reichsdeputationshauptschlusse anerkannten vermögensrechtlichen Verpflichtungen.Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten einen vollwertigen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren.
Die Ablösung der Staatsleistungen erfolgt grundsätzlich durch Vertrag mit den beteiligten Ablösungsberechtigten. Soweit ein Ablösungsvertrag nicht zustande kommt, regelt die Landesgesetzgebung die Ablösung und das Verfahren über die Ablösung nach dem vom Reiche aufgestellten Grundsätzen, deren Innehaltung die Reichsregierung zu überwachen berechtigt ist.
Privatrechtliche Verpflichtungen des Staates bleiben aufrecht erhalten und werden nicht abgelöst. Soweit Staatsleistungen auf der Säkularisation beruhen, gelten sie nicht als privatrechtliche Verpflichtungen im Sinne dieser Vereinbarung.
Bis zur Ablösung bleiben die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen bestehen.
Artikel VIII.
Die Benutzungsrechte der kirchlichen Anstalten, Stiftungen und Verbände an staatlichen Gebäuden und Grundstücken bleiben aufrecht erhalten. Wo ein Benutzungsrecht nicht vorliegt, wird der Staat die berechtigten
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Interessen der Kirche nach
Möglichkeit berücksichtigen.Der ihm obliegenden Baupflicht wird der Staat im bisherigen Umfang auch fernerhin nachkommen und im Bedarfsfalle im Rahmen seiner Verpflichtungen auch für notwendige Neubauten aufkommen. Eine Neuregelung bei der Ablösung der Staatsleistungen bleibt vorbehalten.
Artikel IX.
Die Kirche hat grundsätzlich das volle und freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden.
Es besteht jedoch Einvernehmen über folgende Punkte:
1. Alle katholischen Geistlichen, die in Deutschland ein geistliches Amt bekleiden oder eine seelsorgerische oder Lehrtätigkeit ausüben, müssen deutsche Staatsangehörige sein, ebenso alle Oberen geistlicher Orden und Kongregationen. Ausnahmen sind von der Landesregierung besonders zuzulassen.
2. Alle katholischen Geistlichen müssen ihre Bildung in Deutschland oder auf einer der Anstalten in Rom erworben haben. Hinsichtlich des Studiums auf sonstigen Anstalten im Ausland können besondere Grundsätze zwischen der kirchlichen Oberbehörde und der Reichs- oder Landesregierung vereinbart sowie Ausnahmen zugelassen werden.
Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel, soweit dies bisher üblich war, falls nicht die Landesregierung mit dem päpstlichen Stuhl etwas anderes vereinbart. Vor der Ernennung oder Bestätigung eines Bi-
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schofs wird die
Kurie sich in geeigneter Weise davon versichern, dass nicht etwa auf Seite des Staates
Bedenken gegen seine Person bestehen.Artikel X.
Die Errichtung, Leitung und Verwaltung der Priester- und Knabenseminare sowie der Konvikte steht innerhalb der Grenzen des allgemeinen Gesetzes ausschliesslich der kirchlichen Behörde zu. Die mit Knabenseminaren verbundenen Schulen erhalten auf Antrag die Berechtigung der öffentlichen Schulen, wenn sie die für Anstalten gleicher Art geltenden lehrplanmässigen Vorbedingungen im wesentlichen erfüllen.
Die Kirche hat das Recht, zur Ausbildung des Klerus philosophische und theologische Lehranstalten zu errichten, die ausschließlich von der kirchlichen Behörde abhängen.
Artikel XI.
Die katholisch-theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten.
Die Ernennung oder Zulassung der Professoren und Dozenten an den katholisch-theologischen Fakultäten der Universitäten wird staatlicherseits erst erfolgen, wenn die Bewerber von dem zuständigen Diözesanbischof die kanonische Bestätigung erhalten haben.
Sollte einem Professor oder Dozenten von dem Diözesanbischof wegen seiner Lehre oder seines sittlichen Verhaltens auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens die erteilte Bestätigung entzogen werden, so wird die Staatsregierung seinen Lehrauftrag zurücknehmen.
Aufnahmebestimmungen, Studienprogramm und Unter-
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richt an den theologischen Fakultäten sind im
gegenseitigen Einvernehmen so einzurichten, wie es den Vorschriften des kanonischen Rechtes
und den Bedürfnissen der Kandidaten des Priesterstandes entspricht. Der Bischof hat das
Recht, sich hierüber in geeigneter Weise zu vergewissern.Artikel XII.
Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach in dem durch die Reichsverfassung festgesetzten Umfange.
Artikel XIII.
Die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen wird gewährleistet. In allen Gemeinden, in denen Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte es beantragen, werden katholische Volksschulen errichtet werden, wenn die Zahl der Schüler unter gebührender Berücksichtigung der örtlichen und schulorganisatorischen Verhältnisse einen geordneten Schulbetrieb durchführbar erscheinen lässt.
Artikel XIV.
Der Lehrplan für den Religionsunterricht in den katholischen Volksschulen wird von der kirchlichen Oberbehörde und der Schulbehörde gemeinsam, im wesentlichen dem derzeitigen Stande entsprechend festgesetzt.
In den Volksschulen, in welchen nach den geltenden Bestimmungen Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach ist, wird die Erteilung eines privaten Religionsunterrichts durch Bereitstellung der Schulräume, sowie ihre Beheizung und Beleuchtung aus öffentlichen Mitteln sichergestellt.
Artikel XV.
Der Religionsunterricht in den Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten wird in Über-
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einstimmung mit den Grundsätzen der
katholischen Kirche erteilt. Lehrstoff und Auswahl der Lehrbücher für den
Religionsunterricht werden im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde festgesetzt. Den
kirchlichen Oberbehörden wird Gelegenheit gegeben, sich davon zu überzeugen, dass die
Schulkinder Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Lehren der Kirche erhalten. Auf
Wunsch der Schulbehörde oder der kirchlichen Oberbehörde kann dies auch ausserhalb des
lehrplanmässigen Unterrichts geschehen, wobei die Schulräume bereitsgestellt
werden.Artikel XVI.
Dem Bischof und seinem Beauftragten steht das Recht zu, Mißstände im religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler sowie Verletzungen ihrer religiösen Empfindungen bei der staatlichen Aufsichtsbehörde zu beanstanden, die für entsprechende Abhilfe Sorge tragen wird.
Artikel XVII.
Es wird dafür Sorge getragen, dass an katholischen Schulen, abgesehen von Sonderfällen, grundsätzlich solche Lehrer angestellt werden, die der katholischen Kirche angehören. Bei der Anstellung von katholischen Religionslehrern findet Verständigung zwischen dem Bischof und der Landesregierung statt. Weitere Einzelheiten über die Anstellung von katholischen Lehrern bleiben der Vereinbarung zwischen Kirchenbehörde und Landesregierung vorbehalten.
Lehrer, welche wegen ihrer Lehre oder sittlichen Führung auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens vom Bischof zur weiteren Erteilung des Religionsunterrichts für ungeeignet erklärt werden,
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dürfen
solange dies Hindernis besteht, nicht als Religionslehrer verwendet werden.Artikel XVIII.
Den Schülern der katholischen Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten wird im Benehmen mit der kirchlichen Oberbehörde genügende Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten gegeben.
Artikel XIX.
Im Rahmen der allgemeinen und Berufsausbildung der Lehrer werden Einrichtungen geschaffen, die eine Ausbildung katholischer Lehrer entsprechend den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule gewährleisten. Bei der Prüfung von Lehrern, die an
Private Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten werden den staatlichen gleichgestellt, wenn sie die für die letzteren geltenden Vorbedingungen im wesentlichen erfüllen.
Artikel XX.
Orden und religiöse Kongregationen sind im Rahmen der allgemeinen Gesetze und gesetzlichen Bedingungen zur Gründung und Führung von Privatschulen berechtigt. Diese Privatschulen geben die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen Schulen, soweit sie die lehrplanmässigen Vorschriften für letztere im wesentlichen erfüllen.
Artikel XXI.
Für die Wehrmacht wird eine regelmässige Seelsorge eingerichtet. Die Einzelheiten bleiben besonderer Ver-
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einbarung vorbehalten.Artikel XXII.
Für die Straf-, Fürsorge- und Pflegeanstalten sowie die Krankenhäuser und ähnliche öffentliche Anstalten wird im Bedarfsfalle eine regelmässige Seelsorge eingerichtet. Soweit hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte angestellt werden müssen, erfolgt diese im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde.
Artikel XXIII.
Orden und religiöse Genossenschaften können frei begründet werden und unterliegen staatlicherseits keiner besonderen Beschränkung in Bezug auf ihre Niederlassung und ihrer Mitglieder. Soweit sie bisher die Rechte einer juristischen Person besessen haben, bleiben ihnen dieselben gewahrt; die übrigen erlangen die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen.
Ihr Eigentum und ihre Rechte werden gewährleistet. Sie verwalten ihr Vermögen und ordnen ihre Angelegenheiten unabhängig vom Staate.
Ihre Tätigkeit in der Seelsorge, im Unterricht, in der Pflege der Kranken und in den Werken der Caritas unterliegt keiner besonderen Beschränkung.
Für Angehörige von Orden oder religiösen Genossenschaften gelten hinsichtlich der Zulassung zum Lehramte und für die Anstellung an Volksschulen, mittleren oder höheren Lehranstalten die allgemeinen Vorbedingungen.
1↑Der hier edierte Text ist nicht vollkommen identisch mit
dem von Kupper edierten Delbrueck-Entwurf I, dem beispielsweise die Einleitung
fehlt, die nur in dem von ihm edierten Delbrueck-Entwurf II (Nr. 10
(Anhang), S. 465-472) vorkommt.
2↑Hds. von unbekannter Hand gestrichen und eingefügt,
vermutlich von Borgongini-Duca.
3↑Hds. von unbekannter Hand gestrichen und eingefügt, vermutlich von
Borgongini-Duca.