Document no. 777
Schulte, Karl Joseph to Pacelli, Eugenio
Köln, 30 June 1921
Herr Prof. Dr. Kaas überbrachte mir vorgestern im Auftrage Euerer Exzellenz die Mitteilung, dass ich über den Sachverhalt der Veröffentlichung einer theologischen Arbeit des Bonner Professors Dr. Rademacher berichten möge.
Der von der hiesigen Kurie bestellte Zensor Dr. theol. Stockums, Direktor eines der beiden Bonner theol. Konvikte, berichtete über verschiedene Stellen der Schrift, deren Vereinbarkeit mit dem Dogma ihm nicht sicher sei. Vielleicht sei es möglich das "Imprimatur" dann zu erteilen, wenn der Verfasser seine Absicht, den rein methodologischen Charakter der Schrift in längerer Vorrede noch nachdrücklicher hervorzuheben, ausführe. Daraufhin wurde aber von hier aus dem Verfasser geschrieben, in der vorliegenden Fassung könne das Buch nicht approbiert werden. Jetzt wandte sich der Verfasser an mich direkt und sandte mir die schon in Druckbogen vorliegende Schrift zu. (In der Zuversicht, dass sein Buch ohne Zweifel kirchlich korrekt befunden würde, hatte er die grosse Unvorsichtigkeit, die Schrift ohne Weiteres drucken zu lassen und dem Zensor die einzelnen Druckbogen oder Korrekturbogen zuzusenden.) In einer Unterredung mit mir, in der ich ihm die aus eigener Einsicht in die Schrift gewonnenen Bedenken gegen die Schrift klarlegte, bat er mich, ihm zu gestatten, das Urteil zweier Paderborner Theologen noch einholen zu dürfen. Ich habe angesichts des Versprechens des Verfassers, nichts ohne kirchli-
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Erlaubnis zu tun, ihm dies gestattet. Die Paderborner Theologen sind aber leider auf die
Hauptsache, die Vereinbarkeit mancher Ausführungen mit dem Dogma, nicht klar eingegangen und
haben mehr kollegiale Konnivenz, als gut ist in so ernsten Dingen, bei ihrer Antwort an den
Verfasser an den Tag gelegt. Ich erlaube mir eine Abschrift dieser Antwort vorzulegen. Als
der Verfasser nun nochmals um die Approbation bat, habe ich ihm geschrieben, dass dies nicht
möglich sei, dass es höchstens anginge, die Schrift, als Manuskript gedruckt, hervorragenden
Fachkollegen zur Beurteilung zugänglich zu machen. Dieser Brief, den ich ebenfalls
abschriftlich beilege, veranlasste den Verfasser abermals zu mir zu kommen; ich gestattete
ihm, 100 Exemplare sich für die private Versendung an urteilsfähige katholische Theologen
herstellen zu lassen.Nach den Mitteilungen des Herrn Prälaten Kaas musste ich annehmen, dass Euere Exzellenz meinen Ausweg, dem Verfasser die beschränkte Versendung der Arbeit an geeignete Beurteiler zu gestatten, nicht für gut halten. Ich habe daher diese Gestattung zurückgezogen und den Verfasser veranlasst, sein Buch vor jeder Verteilung von Exemplaren direkt dem Urteil des Heiligen Stuhles zu unterwerfen und zu diesem Behufe nächster Tage die Schrift an Euere Exzellenz zu senden.
Es wäre gut, ja notwendig, dass dem Verfasser von einem künftigen römischen Zensor eine eingehende Kritik geschickt würde.
Der Verfasser ist, wie er mir heute noch aufs neue versichert, weit davon entfernt, sein ganz der Verteidigung der hl. Kirche gewidmetes Leben durch Ungehorsam gegen die kirch-
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liche Autorität zu beflecken. Die Lösung des
Problems "Natur und Gnade" beschäftigt ihn seit Jahren und, wie er sagt, bei Tag und Nacht.
Daraus erklärt es sich, dass er mehr über seine Schwierigkeiten, zu einer Lösung zu kommen,
spricht, als angebracht ist. Ich habe ihn wiederholt auf die Verwirrung hingewiesen, die
dadurch in unreifen Köpfen entsteht. Hoffentlich lässt der sonst musterhaft priesterlich
lebende Professor, dem meine Vorgänger das grösste Vertrauen schenkten, sich wirksam warnen;
an seiner guten Absicht ist nicht zu zweifeln.In bekannter treuester Verehrung bin ich, Hochwürdigste Exzellenz,
Ihr in Xo ergebenster
(gez.) C. J. Card. Schulte,
Erzbischof von Köln