Ritter-Telegramm vom 24. Juli 1914
Über das Ritter-Telegramm kam es Ende April 1919 in der Phase der Übergabe der alliierten Friedensbedingungen an das Deutsche Reich zu einem Skandal. Der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner hatte den Alliierten beweisen wollen, dass sich Deutschland moralisch erneuert habe und hatte eine Reihe von Dokumenten zur Kriegsschuldfrage veröffentlichen lassen. Das Ritter-Telegramm war allerdings nicht darunter gewesen, doch es befand sich in den Unterlagen, die der Sekretär Eisners, Felix Fechenbach, nach dessen Ermordung an sich nahm. Fechenbach übergab das Telegramm Mitte April dem französischen Journalisten René Payot, der daraufhin einen Artikel im "Le Journal" vom 30. April publizierte. Fechenbachs Ziel war es, den deutsch-französischen Gegensatz zu fördern, die parlamentarische Demokratie im Reich zu schwächen und damit dem Rätesystem zum Durchbruch zu verhelfen. Der bayerische Ministerpräsident und Außenminister Johannes Hoffmann war nicht zu der von Ritter angestrebten offiziellen Entschuldigung für die Veröffentlichung des Telegramms zu bewegen, weshalb Ritter zu Groenesteyn die Angelegenheit an der sozialdemokratisch geführten parlamentarischen Regierung vorbei regelte. Schließlich sollte das außenpolitisch isolierte Deutsche Reich in den schwierigen Friedensverhandlungen nicht seinen einzigen neutralen Fürsprecher, den Heiligen Stuhl, vor den Kopf stoßen.
Ministerialrat Adolf Freiherr von Lutz setzte Pacelli über die Vorgänge in Kenntnis (Dokument Nr. 244), woraufhin Gasparri auf den genauen Wortlaut des Telegramms bestand (Dokument Nr. 5521). Da Pacelli genauso wenig Unterstützung von der bayerischen Regierung erwartete wie Ritter zu Groenesteyn, wandte er sich direkt an diesen (Dokument Nr. 245). Der Gesandte wollte den Wortlaut des Telegramms allerdings nicht herausgeben und hatte kein Verständnis für Gasparris Forderung, die er als Misstrauensvotum verstand. Er erklärte, er habe 1914 berichtet, dass der Vatikan die Haltung Österreichs gegen Serbien als gerechtfertigt empfunden habe, da sie nicht aggressiv, sondern defensiv geprägt gewesen sei (Dokument Nr. 7210). Gasparri gab sich zähneknirschend mit dieser Erklärung zufrieden (Dokument Nr. 5522). Das Thema rückte anschließend aus dem Fokus der Medien, was durchaus im Interesse sowohl Pacellis als auch Ritter von Groenesteyns war, die beide fürchteten, dass der Text des Telegramms sowohl gegen die Kurie als auch gegen eine eigenständige bayerische Außenpolitik und damit die Münchener Nuntiatur instrumentalisiert werden könnte.
Im Rahmen der Verurteilung Fechenbachs wurde das Ritter-Telegramm im Oktober 1922 nochmals bedeutsam und der Fechenbach-Prozess wurde im bayerischen Landtag debattiert. Nun Ritter war dazu bereit, dem Heiligen Stuhl den Telegrammtext vertraulich zu übermitteln (Dokument Nr. 3657).
Sources
Ritter zu Groenesteyn an Hertling vom 24. Juli 1914; Dokument
Nr. 3657.
Bibliography
ZEDLER, Jörg, Bayern und der Vatikan. Eine politische Biographie des letzten
bayerischen Gesandten am Heiligen Stuhl Otto von Ritter (1909-1934) (Veröffentlichungen
der Kommission für Zeitgeschichte B 125), Paderborn u. a. 2013,
S. 348-374.
ZEDLER, Jörg, Das Rittertelegramm. Bayern und der Heilige Stuhl in der Julikrise 1914,
in: DERS. (Hg.), Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen 1870–1939,
München 2010, S. 175-202.