Weimarer Reichsverfassung
Die Weimarer Republik war die erste deutsche parlamentarische Republik. Der Reichstag ging aus dem allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrecht hervor. Wahlberechtigt waren alle Männer und Frauen, die das zwanzigste Lebensjahr vollendet hatten (Art. 22). Die Reichstagsabgeordneten wählten den Reichskanzler, der mit den Reichsministern vom Vertrauen des Reichstags abhängig war (Art. 54). Somit wurde der Reichskanzler im Vergleich zum Kaiserreich deutlich geschwächt. Als Gegengewicht zur starken Position des Reichstags wurde der Reichspräsident mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Er wurde direkt vom Volk auf sieben Jahre gewählt (Art. 41 und 43). Er hatte das Recht, den Reichstag aufzulösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass (Art. 25). Der Notverordnungsartikel 48 erlaubte es ihm, zur Stabilisierung des Reichs wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen. Das bedeutete, dass er in Verbindung mit seinem Recht, den Reichskanzler zu ernennen (Art. 53), und seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Reichswehr (Art. 47) bis zu 60 Tage ohne parlamentarische Kontrolle mit Hilfe von Notverordnungen quasi-diktatorisch regieren konnte.
Als klassische bürgerliche Grund- und Freiheitsrechte wurden Rechtsgleichheit, Freiheit der Person, Freizügigkeit, Recht der freien Meinungsäußerung, Petitionsrecht, Versammlungsfreiheit sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit in den zweiten Hauptteil der Weimarer Verfassung über die "Grundrechte und Grundpflichten" der Deutschen aufgenommen.
Insbesondere der dritte Abschnitt dieses zweiten Hauptteils befasste sich mit "Religion und Religionsgesellschaften". Hier wurde u.a. festgelegt, dass es keine Staatskirche gab und die Religionsgemeinschaften somit selbstständig waren. Sie blieben jedoch Organisationen des öffentlichen Rechts und waren damit berechtigt, Steuern zu erheben (Art. 137).
Innerhalb des Zentrums und des deutschen Katholizismus kam es in der Folge zu Auseinandersetzungen über die Vereinbarkeit der Verfassung mit der christlichen Lehre, die bis zum Ende der Republik weiterschwelten. Im sogenannten "Verfassungsstreit" wurde vor allem von konservativen Katholiken der Satz "Die Staatsgewalt geht vom Volke aus." (Art. 1) angegriffen, der den Gedanken der absoluten Volkssouveränität enthalte. Die Verteidiger der Verfassung wie Joseph Mausbach argumentierten dagegen, dass sie mit der Staatslehre Papst Leos XIII. vereinbar sei, die Gehorsam gegenüber jeder Obrigkeit verlangte, die sich dem Sittengesetz und dem Gemeinwohl verpflichte.
Die deutschen Bischöfe nahmen am 24. August 1919 Stellung zur Verfassung (Dokument Nr. 2878). Einerseits anerkannten sie die der Kirche gewährten größeren Freiheiten, andererseits wandten sie sich gegen alle durch die Verfassung ermöglichten staatlichen Eingriffe in ihre inneren Angelegenheiten, etwa im Bereich des SchulwesenS.
Pacelli schätzte die Weimarer Reichsverfassung als "in der Theorie nicht gut" ein, doch biete sie den Katholiken "größere Freiheiten als unter dem vorangegangenen Regime" (Dokument Nr. 1131), wofür vor allem die günstigen Kirchenartikel verantwortlich waren.
Sources
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Die Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 11. August 1919, in: Reichsgesetzblatt 152
(1919), S. 1383-1418, in: www.lwl.org (Last access: 29.05.2012).
Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, in: www.dhm.de (Last access: 22.03.2010).
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der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 98,
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[enthält Entwurf der Fuldaer Bischofskonferenz an die Reichsregierung], in: HÜRTEN, Heinz
(Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1918-1933, Bd. 1: 1918-1925
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Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, in: HUBER, Ernst Rudolf
(Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4: Deutsche
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Pacelli an Mausbach vom 19. August 1918, in: AAV, Arch. Nunz. Monaco 395,
fasc. 1, fol. 149rv.
Rechtsverwahrung der Bischofskonferenz gegen einzelne Punkte der Reichsverfassung vom
November 1919, in: GATZ, Erwin (Bearb.), Akten der Fuldaer Bischofskonferenz, Bd. 3:
1900-1919 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 39), Mainz 1985,
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