Betriebsräte
Die MSPD vertrat dabei ein traditionelles Sozialismusverständnis, bei dem die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung der Parlamentspolitik vorbehalten sein sollte und nicht dezentral den Arbeitern selbst. Die Freien Gewerkschaften lehnten die Räte ab, weil sie in einer betriebsbasierten Arbeitnehmervertretung eine Gefahr für ihre Tarifpolitik sahen, die nach Abschlüssen für ganze Branchen strebte. Daneben fürchteten die Freien Gewerkschaften, dass ihnen aus der Rätebewegung eine Konkurrenzorganisation erwachsen könnte.
Es war Hugo Sinzheimer vorbehalten, die Mehrheitssozialdemokratie mit den Räten zu versöhnen. Er entwickelte ein Konzept, bei dem die Räte zwar einen Einfluss auf die Wirtschaftsordnung haben sollten, die politische Entscheidungsgewalt aber letztendlich beim Parlament bleiben sollte. Auf ihn geht maßgeblich Artikel 165 der Weimarer Reichsverfassung zurück, in dem es heißt:
"Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt.
Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten und in einem Reichsarbeiterrat."
Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 stellte die Anwendung dieses Verfassungsartikels dar, in dem die Betriebsräte als gewählte, eigenständige Vertretungen der Arbeiterschaft in den Betrieben mit festgelegten, wenn auch eingeschränkten und z. T. auslegbaren Rechten festgeschrieben wurden. Die bürgerlichen Parteien und die Arbeitgebervertreter konnten sich dabei in vielen Punkten durchsetzen, die Vertreter der Räte dagegen wurden nicht konsultiert. So stellte sich das Recht, Einsicht in die Bilanzen zu nehmen und Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden, in der Praxis als weitgehend nutzlos heraus. Wirkungsvoll war nur ihr sozialpolitisches Mitwirkungsrecht etwa bei Einstellungen und Entlassungen.
Linke Räteideen und Sozialisierungsvorstellungen, die eine Kontrolle von Wirtschaft und Unternehmen durch die Arbeiterräte vorsahen, waren damit gescheitert. Jedoch wurden die Betriebsräte ein probates Mittel gewerkschaftlicher Politik, so überwachten sie beispielsweise die Umsetzung der Tarifverträge. Jedoch vor allem in Krisenzeiten konnten die Betriebsräte wieder Autonomiebestrebungen entwickeln und blieben anfällig für kommunistische bzw. syndikalistische Agitation.
Die Betriebsräte waren am ehesten in städtisch gelegenen industriellen Großbetrieben mit einem hohen Anteil an gewerkschaftlich organisierten männlichen Facharbeitern vertreten.
Sources
Die Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 11. August 1919, Artikel 165, in:
Reichsgesetzblatt 152 (1919), S. 1383-1418, hier 1415, in: alex.onb.ac.at (Last access: 13.07.2012).
Betriebsrätegesetz. Vom 4. Februar 1920, in: Reichsgesetzblatt 26 (1920),
Nr. 26, S. 147-174, in: alex.onb.ac.at (Last access: 13.07.2012).
Bibliography
BÜTTNER, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, in: BENZ, Wolfgang
(Hg.), Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 18: 20. Jahrhundert (1918-2000), Stuttgart 102010,
S. 171-767, hier 347, 365 f.
HEMMER, Hans O., Betriebsrätegesetz und Betriebsrätepraxis in der Weimarer Republik,
in: BORSDORF, Ulrich u. a. (Hg.), Gewerkschaftliche Politik, Reform aus
Solidarität. Zum 60. Geburtstag von Heinz O. Vetter, Köln 1977, S. 241-269.