Eugenik
Der deutsche Katholizismus, insbesondere die Zentrumspartei und der Caritasverband, nahmen den Eugenikdiskurs erst verspätet auf. Lange dominierte hier eine traditionelle eugenikkritische und quantitative Bevölkerungspolitik. In den 1920er Jahren fanden "sanfte" eugenische Maßnahmen wie eine medizinisch-eugenische Eheberatung immer mehr Befürworter. Andere Formen wie Eheverbote, Sexualberatung und Geburtenverhütung widersprachen dagegen in den Augen der meisten katholischen Entscheidungsträger der katholischen Morallehre. Gleichzeitig vertraten einige katholische Eugeniker wie Joseph Mayer Außenseiterpositionen, die der völkischen Rassenhygiene nahe standen.
Pius XI. lehnte in seiner Enzyklika "Casti connubii" vom 31. Dezember 1930 "harte" Formen der "negativen" Eugenik wie Sterilisation und Eheverbot ab. Er stand aber "weichen" Formen wie der Eheberatung oder der Zwangsasylierung Erbkranker positiv gegenüber. Katholische Eugeniker hielten jedoch weiter an der Option der Sterilisierung fest. 1932 stimmte die Zentrumspartei angesichts der Krise des Wohlfahrtstaates freiwilligen eugenischen Sterilisationen zu. Als Reaktion auf die nationalsozialistische Rassenpolitik zogen sich auch die katholischen Eugeniker auf die Position von "Casti connubii" zurück. Jedoch bezogen sie bis auf ihre Ablehnung von Abtreibung und Euthansie keine eindeutige Frontstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Idee der Eugenik einstweilen desavouiert.
Bibliography
GEULEN, Christian, Geschichte des Rassismus (Beck'sche Reihe 2424), München
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