Novemberrevolution im Deutschen Reich

Ursächlich für die Novemberrevolution war ein Konglomerat von Gründen: Der Autoritätsverlust der Monarchie, der verfassungsrechtlich nicht vorgesehene wachsende Einfluss von Bürokratie und politischen Parteien, die Emanzipation der Frauen und der Arbeiter und damit verbunden die ungelösten Problemen der sozialen Frage, die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Nahrungsmittelversorgung, Wirtschaft und Gesellschaft und letztlich als Auslöser der Unruhen die vollständige militärische Niederlage im Krieg. Die deutsche Kapitulation traf die Bevölkerung unvorbereitet. Die Soldaten waren nicht mehr bereit, ihr Leben für eine verlorene Sache zu opfern. Bevölkerung und Soldaten ging nicht davon aus, dass die eingeleitete Parlamentarisierung der Deutschen Staaten zu maßvolleren Friedensbedingungen führen würde.
Am 29. Oktober meuterten die Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven, es wurden Vertrauensmänner gewählt und Soldatenräte gebildet. Es fanden sich keine Truppen, die die Meuterei niedergeschlagen hätten. Die Arbeiter riefen den Generalstreik aus. Binnen weniger Tage breitete sich die Revolution aus. Am 7. November wurden der König von Bayern und die Fürsten in Sachsen, Franken und Hessen gestürzt. Am 9. November erreichte die Revolution Berlin. Die Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) setzte sich mit ihrem Parteiführer Friedrich Ebert an die Spitze der revolutionären Bewegung, um diese zu kontrollieren, einen Bürgerkrieg zu vermeiden und die soziale Revolution nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution, wie sie die Unabhängige Sozialdemokratie (USPD) anstrebte, zu verhindern. Reichskanzler Max von Baden veröffentlichte die Abdankung Kaiser Wilhelms II. ohne dessen Autorisation und übergab gleichzeitig das Amt des Reichskanzlers an Friedrich Ebert. Dieser strebte die Bildung einer Regierung aus MSPD, USPD, Zentrum und Fortschrittspartei auf Basis der Oktoberverfassung an. Philipp Scheidemann (MSPD) rief ohne Absprache mit Ebert die Republik aus. Karl Liebknecht (USPD) rief zwei Stunden später die "freie sozialistische Republik Deutschland" aus.
Gleichzeitig zu diesen Vorgängen konnten die revolutionären Gruppen um den linken Flügel der USPD für den 10. November 1918 Wahlen zu "Arbeiter- und Soldatenräten" durchsetzen, die eine provisorische Regierung wählen sollten. Um dem zuvorzukommen suchte die MSPD um Ebert den direkten Kontakt zur USPD. Am Nachmittag des 10. Novembers wurde beschlossen, einen "Rat der Volksbeauftragten" zu gründen, der sich aus je drei Mitgliedern der MSPD – Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg – und der USPD – Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth – zusammensetzte. Bürgerliche Fachminister unterstützten den Rat. Die Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte begrüßte diese Maßnahme und bestätigte den "Rat der Volksbeauftragten" als provisorische Reichsregierung. Ihr an die Seite stellte sie einen Aktionsausschuss, den "Vollzugsrat", der allerdings keinen größeren Einfluss gewinnen konnte.
Zur Sicherung der politischen Macht benötigte Ebert die Unterstützung des Militärs. Ebenfalls am 10. November schloss er daher den sogenannten Ebert-Groener-Pakt mit General Wilhelm Groener. Dieser sicherte der neuen Regierung im Namen der Obersten Heeresleitung die Loyalität des Militärs zu. Im Gegenzug erklärte Ebert die Autonomie der militärischen Führung. Die Regierung setzte das Militär nicht gegen revisionistische Monarchisten ein, die der neuen Regierung keinen Widerstand entgegen setzten, sondern gegen die revolutionäre Linke, um ein Fortschreiten der Revolution zu verhindern.
Am 15. November 1918 wurde das Stinnes-Legien-Abkommen unterzeichnet, durch das die Gewerkschaften von den Arbeitgebern als berufene Vertreter der Arbeiterschaft und Tarifpartner anerkannt, der Achtstundentag (an sechs Arbeitstagen die Woche) bei vollem Lohnausgleich eingeführt und Arbeiterausschüsse in Betrieben ab 50 Mitarbeitern gegründet wurden. Die Gewerkschaften erkannten im Gegenzug die freie Unternehmerwirtschaft an und verzichteten auf eine umgehende Sozialisierung der Industrie.
Vor allem in der Militärpolitik traten die gravierenden Meinungsdifferenzen zwischen den Mitgliedern der MSPD und der USPD im "Rat der Volksbeauftragten" zu Tage. Als die Volksbeauftragten der MSPD den Einsatz des Militärs zur Bekämpfung der Weihnachtsaufstände in Berlin anordneten, traten die Volksbeauftragten der USPD aus Protest am 28. Dezember aus dem "Rat der Volksbeauftragten" aus. Die Mehrheitssozialdemokraten Gustav Noske und Rudolf Wissell wurden in den Rat aufgenommen, so dass das Reich durch eine Alleinregierung der MSPD, gestützt auf die Reichsbürokratie, geführt wurde.
Die Mitglieder der MSPD konnten sich bei ihrem Ziel der zeitnahen Einberufung einer Verfassunggebenden Nationalversammlung, beim Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte im Dezember durchsetzen. Die Wahlen wurden am 19. Januar 1919 abgehalten.
Die extreme Linke unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg rief nach der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Jahreswechsel am 5. Januar zum bewaffneten Sturz der SPD-Regierung auf. Der unzureichend geplante Januaraufstand scheiterte am 12. Januar, am 15. Januar wurden Liebknecht und Luxemburg von Mitgliedern der Freikorps ermordet.
Nach der Wahl der Verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 trat diese am 5. Februar 1919 erstmals in Weimar zusammen, regelte nur drei Tage darauf mit dem "Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt" die Organisation des Staatsaufbaus und wählte am 11. Februar 1919 mit Friedrich Ebert einen Reichspräsidenten. Dieser beauftragte Philipp Scheidemann mit der Bildung eines Kabinetts, das zwei Tage darauf seine Arbeit aufnahm.
Die Niederschlagung des Januaraufstands und die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs führten zur Radikalisierung der Arbeiterschaft, die in großen Teilen der MSPD den Rücken kehrte und sich der USPD anschloss. Mit Hilfe der Freikorps konnte die Regierung die Aufstände im Frühjahr 1919 blutig niederschlagen.
Quellen
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WINKLER, Heinrich August, Die Sozialdemokratie und die Revolution 1918/19, Bonn 1979.
Empfohlene Zitierweise
Novemberrevolution im Deutschen Reich, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 14013, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/14013. Letzter Zugriff am: 24.11.2024.
Online seit 07.11.2011, letzte Änderung am 15.02.2016.
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