Besetzung von Benefizien in Rottenburg

Die Besetzung der Benefizien lag im 1828 errichteten Bistum Rottenburg anfangs in der Hand der württembergischen Regierung. Gemäß Landesherrlicher Verordnung vom 30. Januar 1830 lagen sämtliche Kirchenpatronate beim König. Die Benefizien wurden nur nach einer staatlich-kirchlichen Konkursprüfung besetzt. Die Geistlichen waren Staatsbeamte und wurden vom Staat bezahlt. Ausgenommen waren nur die Patronate adliger Familien. Der Bischof hing damit bei der Besetzung kirchlicher Stellen vollkommen vom Staat ab.
Die "Übereinkunft zwischen der Königlichen Regierung und dem Bischof von Rottenburg in betreff der Regelung der Verhältnisse des Staats zur katholischen Kirche" vom 12./16. Januar 1854, die auf massiven Druck Bischof Joseph von Lipps zustande gekommen war, hätte die Position des Bischofs deutlich gestärkt, wurde aber vom Heiligen Stuhl aus formalen und inhaltlichen Gründen verworfen. Die im Anschluss ausgehandelte Konvention zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Württemberg vom 8. April 1857 ging nicht ganz soweit, wurde aber auf Druck der Liberalen ohnehin nicht vom württembergischen Landtag ratifiziert. Stattdessen erließ die Regierung einseitig das "Gesetz betreffend die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche" vom 30. Januar 1862, welches das absolute staatliche Besetzungsrecht durch eine bischöfliche Anzeigepflicht ersetzte. Der Staat behielt allerdings ein Vetorecht.
Die Novemberrevolution 1918/19 beseitigte das württembergische Staatskirchensystem de facto. Es kam jedoch zu keiner ausdrücklichen Neuregelung des Besetzungsrechts für kirchliche Benefizien. Das "Gesetz über die Kirchen" vom 3. März 1924 enthielt keine Bestimmungen zu dieser Frage und ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Württemberg kam nicht zustande. Erst das Reichskonkordat von 1933 gab der katholischen Kirche ausdrücklich das Recht auf freie Ämterbesetzung.
Literatur
HOLZEM, Andreas, "...starke religiöse und sittliche Persönlichkeiten, die kämpfen und siegen lernen". Württembergs Katholizismus in den Weimarer Jahren, in: DERS. / ZIMMERMANN, Wolfgang (Hg.), Geschichte der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Bd. 2: Das 20. Jahrhundert, Ostfildern 2019, S. 29-145, hier 43-57.
Landesherrliche Verordnung die Ausübung des oberhoheitlichen Schutz- und Aufsichts-Rechts über die katholische Landeskirche betreffend vom 30. Januar 1830; Schlagwort Nr. 3344.
WOLF, Hubert, "Ad dominici gregis custodiam...". Gründung und Formierung einer württembergischen Diözese, in: HOLZEM, Andreas / ZIMMERMANN, Wolfgang (Hg.), Geschichte der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Bd. 1: Christentum im Südwesten vor 1800. Das 19. Jahrhundert, Ostfildern 2019, S. 459-529, hier 499.
WOLF, Hubert, "Es ist aber die Einheit der Kirche ein so hohes Gut...". Das Bistum zwischen Revolution und Konzil, in: HOLZEM, Andreas / ZIMMERMANN, Wolfgang (Hg.), Geschichte der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Bd. 1: Christentum im Südwesten vor 1800. Das 19. Jahrhundert, Ostfildern 2019, S. 531-608, hier 556-563.
Württembergisches Gesetz vom 30. Januar 1862 die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche betreffend; Schlagwort Nr. 253.
Württembergisches Kirchengesetz vom 3. März 1924; Schlagwort Nr. 5047.
Empfohlene Zitierweise
Besetzung von Benefizien in Rottenburg, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1688, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1688. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 29.01.2018, letzte Änderung am 26.06.2019.
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