Deutsche Zentrumspartei, Zusammenarbeit mit der SPD in der Weimarer Republik
Bereits während des Ersten Weltkriegs arbeiteten die Zentrumspartei und die SPD im Interfraktionellen Ausschuss des Reichstags zusammen. Um nach der Novemberrevolution 1918 die Gefahr einer Herrschaft linker Volksbeauftragter bzw. einer Räterepublik abzuwehren, beteiligte sich die Zentrumspartei in der Weimar Nationalversammlung an einer Koalition mit der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und den Mehrheitssozialdemokraten (MSPD). Dabei wurde die Zusammenarbeit mit dem vom Lehramt als religionsfeindlich verurteilten Liberalismus und Sozialismus in der Weimarer Koalition mit der DDP und der SPD in Kauf genommen, um in den dortigen Verhandlungen die verfassungsmäßige Garantie der weitreichenden Autonomie und die Rechtssicherheit für die katholische Kirche durchzusetzen. Darüber hinaus gab es gerade im linken Parteienflügel mit Joseph Wirth, Wilhelm Marx oder Matthias Erzberger überzeugte Republikaner, die eine politische Zukunft für die junge Republik nur in der Zusammenarbeit mit den die Weimarer Republik stützenden Parteien SPD und DDP und eben nicht mit der monarchistisch gesinnten DNVP sahen. Außerdem sollte die Gestaltung des politischen Lebens nicht dem weltanschaulichen Gegner überlassen, sondern dieser durch die Zusammenarbeit in der Durchsetzung seiner politischen Ziele gehemmt werden. Ein weiteres wichtiges Anliegen des Zentrums war es, stabile Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, denn nur eine breite Koalition bildete eine solide Grundlage für die anstehenden Friedensverhandlungen mit der Entente.
Die Grundlage dieser pragmatischen Politik bildete die christliche Staatslehre Leos XIII. Durch diese waren die Aufrechterhaltung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung an sich erstrebenswerte Ziele. Die Regierungsbeteiligung wurde als Beweis für die gegenüber dem Staat erfüllte Pflicht und des Dienstes am Allgemeinwohl angesehen.
Zentrum und SPD waren zwischen dem 13. Februar 1919 und dem 21. Juni 1920 (Kabinett Scheidemann, Kabinett Bauer und Kabinett Müller I), dem 10. Mai 1921 und dem 22. November 1922 (Kabinett Wirth I und II), dem 13. August 1923 und dem 30. November 1923 (Kabinett Stresemann I und II) sowie vom 28. Juni 1928 bis 27. März 1930 (Kabinett Müller II) gemeinsam an Reichsregierungen beteiligt.
Auch auf Landesebene gab es Koalitionsregierungen zwischen Zentrum und SPD. In Preußen beispielsweise bildeten sie von 1919 bis zum "Preußenschlag" 1932 – von einer kurzen Unterbrechung durch das Kabinett Stegerwald abgesehen – durchgehend gemeinsame Regierungen. In der Republik Baden regierten SPD und Zentrum von 1919 bis zum 30. November 1932 ununterbrochen gemeinsamen, im Volksstaat Hessen vom 11. November 1918 bis zum 13. März 1933. Im Freistaat Oldenburg bildeten sie vom 21. Juni 1919 bis April 1923 gemeinsam ein Kabinett. Im Freien Volksstaat Württemberg regierten Zentrum und Sozialdemokratie zwischen dem 11. November 1918 und dem 8. April 1924 in drei gemeinsamen Kabinetten.
Solche gemeinsamen Landesregierungen konnten beispielsweise für den Abschluss von Konkordaten hilfreich sein. So wurde 1929 das Preußenkonkordat unter einer Regierung von SPD und Zentrum vereinbart. Auch beim Zustandekommen des Badenkonkordats 1932 war die SPD anfangs beteiligt. Jedoch war die Frage der Koalition mit der SPD innerhalb des Zentrums nicht unumstritten. Konservative wie der christliche Gewerkschaftsführer Adam Stegerwald bevorzugten eher einen "Bürgerblock" mit DDP, DVP und DNVP. Der vor dem Ersten Weltkrieg bestimmende agrarisch-konservative Parteiflügel wurde sogar durch die Linkskoalitionen zur Abwanderung zum Reichskatholikenausschuss der Deutschnationalen veranlasst. Der linke Flügel um Joseph Wirth dagegen favorisierte eine gemeinsame Politik mit der Sozialdemokratie.
Die Reichpräsidentenwahl vom Frühjahr 1925 war ein symptomatisches Ereignis für die Interessenkongruenz zwischen Sozialdemokratie und politischem Katholizismus. Der Zentrumskandidat Wilhem Marx wurde von der SPD gegen den evangelischen Deutschnationalen Paul von Hindenburg unterstützt. Die katholische Bayerische Volkspartei hingegen verweigerte Marx die Unterstützung und empfahl die Wahl Hindenburgs.
Im Vatikan, namentlich bei Staatssekretär Pietro Gasparri, war die Zusammenarbeit zwischen politischem Katholizismus und Sozialdemokratie nicht gern gesehen. Pacelli verteidigte die Zentrumspolitik in der Regel als taktisch und pragmatisch gerechtfertigt (vgl. beispielsweise Dokument Nr. 3063), sah sie aber ebenfalls nicht als unproblematisch an. Daneben stand auch der deutsche Episkopat, besonders Michael Kardinal von Faulhaber, dieser Politik ablehnend gegenüber.
Quellen
Pacelli an Gasparri vom 20. Februar 1920; Dokument
Nr. 3063.
Literatur
BÜTTNER, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, in: BENZ, Wolfgang
(Hg.), Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 18: 20. Jahrhundert
(1918-2000, Stuttgart 102010, S. 171-767, hier 299 u.
316-318.
HÖMIG, Herbert, Das preußische Zentrum in der Weimarer Republik (Veröffentlichungen
der Kommission für Zeitgeschichte B 28), Mainz 1979.
HÜRTEN, Heinz, Deutsche Katholiken 1918-1945, Paderborn u. a. 1992,
S. 86-118.
MORSEY, Rudolf, Die deutsche Zentrumspartei 1917-1923 (Beiträge zur Geschichte des
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RUPPERT, Karsten, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in
der Weimarer Demokratie 1923-1930 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der
politischen Parteien 96), Düsseldorf 1992.
RUPPERT, Karsten, Interaktionen von politischem Katholizismus, Kirche und Vatikan
während der Weimarer Republik, in: WOLF, Hubert (Hg.), Eugenio Pacelli als Nuntius in
Deutschland. Forschungsperspektiven und Ansätze zu einem internationalen Vergleich
(Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 121), Paderborn u. a. 2012,
S. 215-246.
WOLF, Hubert, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München
22009, S. 76-85.