Deutsche Zentrumspartei, Reichsparteitag vom 16. bis 17. November 1925

Der Reichsparteitag der Deutschen Zentrumspartei vom 16./17. November 1925 stand im Schatten des Austritts des Parteilinken Joseph Wirth aus der Reichstagsfraktion, nachdem das Zentrum im Kabinett Luther I im Januar 1925 eine Koalition mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) eingegangen war. Die dadurch ausgelösten Debatten um die geistigen Grundlagen des Zentrums und die theologisch-philosophischen Kontroversen, ob es eine Rechts- oder Linkspartei sei, sowie die damit verbundene Frage nach der Koalitionspolitik bestimmten auch die Parteiversammlung.
Bevor der Reichsparteitag am 16. und 17. November in Kassel stattfand, versuchte der Parteivorsitzende Wilhelm Marx vergeblich, Wirth in die Fraktion zurückzuholen, schließlich war die DNVP inzwischen aus der Koalition ausgetreten und somit der wichtigste Kritikpunkt entfallen.
Noch vor der eigentlichen Delegiertenversammlung fand am 15. November eine Sitzung des Reichsparteiausschusses zu Organisationsfragen und zur finanziellen Lage der Partei statt. Am nächsten Tag folgte die Eröffnungsrede des Parteivorsitzenden mit dem Titel "Das Wesen und die politischen Aufgaben der Deutschen Zentrumspartei in der deutschen Politik". Sie stellte jedoch nur einen Rechenschaftsbericht dar und erfüllte die an sie gestellten hohen Erwartungen nicht. Erst Wirths Auftritt brachte die Diskussion ins Rollen. Er erklärte noch einmal seine Ablehnung der Zusammenarbeit mit den verfassungsfeindlichen Deutschnationalen und kritisierte gleichzeitig den Zustand der Reichstagsfraktion, die autoritär geführt, mangelhaft koordiniert und in wichtigen Fragen ohne einheitliche Linie sei. Der republikanisch gesinnte Parteiflügel kritisierte die (koalitions-)politische Offenheit der Partei als Konzeptlosigkeit. Er setzte sich dafür ein, das Zentrum zu einer unabhängigen und gestalterischen Kraft im Sinne einer christlichen Demokratie zu machen und sich zur Weimarer Republik zu bekennen.
Adam Stegerwald und die Parteirechte antworteten, dass die alten Kräfte nach 1918 in Staat und Gesellschaft immer noch führend seien und integriert werden müssten. Das Zentrum müsse dem Prinzip der koalitionären Offenheit treu bleiben, da sonst wichtige Parteigruppierungen abwanderten und es zum endgültigen Bruch mit der Bayerischen Volkspartei (BVP) käme.
Die Parteiführung antwortete auf diese Debatte mit der Hervorhebung "bewährter Prinzipien" (RUPPERT, S. 168 f.): das Bekenntnis zur Staatsautorität unter weitgehender Offenhaltung der Frage nach der Staatsform, das Fortführen der Politik der Mitte und der offenen Koalitionspolitik, das Ideal der Volksgemeinschaft, die gemeinsamen religiösen Überzeugungen sowie die Einheit der Partei.
In den Auseinandersetzungen auf dem Parteitag kamen tief liegende Divergenzen innerhalb der Zentrumspartei zum Ausdruck, die sich immer weniger verdecken ließen. Jedoch wurden nicht einmal organisatorische oder personelle Veränderungen der Reichstagsfraktion beschlossen. Zu einer Entscheidung über die Ausrichtung der Partei kam es nicht. Wirth wurde zwar in den Parteivorstand gewählt, blieb aber weiterhin ein Dissident und ließ sich in der Öffentlichkeit als Vorkämpfer eines republikanischen Deutschlands feiern. Er kehrte erst im Juli 1926 in die Fraktion zurück.
Quellen
Offizieller Bericht des vierten Reichsparteitages der Deutschen Zentrumspartei. Tagung zu Cassel am 16. und 17. November 1925, Berlin o. J.
Literatur
RUPPERT, Karsten, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923-1930 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 96), Düsseldorf 1992, S. 160-171.
Empfohlene Zitierweise
Deutsche Zentrumspartei, Reichsparteitag vom 16. bis 17. November 1925, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 3086, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/3086. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 10.09.2018.
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