Ehe- und Scheidungsrecht in der Weimarer Republik

Artikel 119 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) formulierte im ersten Absatz: "Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter." Mögliche Scheidungsgründe führte das Bürgerliche Gesetzbuch in den §§ 1565-1569 aus: Ehebruch, Lebensgefahr, bösliche Verlassung, Verletzung der ehelichen Pflichten und Geisteskrankheit. Im Falle einer Scheidung wiesen die Richter einem der Partner die Schuld daran zu. Dieser konnte in der Folge keine finanziellen Ansprüche gegenüber dem ehemaligen Ehepartner geltend machen. Diese Regelung brachte insbesondere die meist nicht berufstätigen geschiedenen Frauen in finanzielle Not.
Diese Gesetzeslage wurde die gesamte Weimarer Republik hindurch einerseits vor dem Hintergrund steigender Scheidungszahlen als zu lax, andererseits vor dem Hintergrund der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau in der WRV als zu streng diskutiert und kritisiert - ohne, dass es zu einer Reform gekommen wäre. Eine neue Entwicklung war die Forderung nach der Einführung eines allgemeinen "Zerrütungsprinzips", um die Schuldfrage zu vermeiden. Gerade auf katholischer Seite sah man hierin den Wunsch nach einer Erleichterung der Scheidung und damit einen Angriff auf die Ehe als Ganzes. Deshalb sprachen sich die deutschen Bischöfe 1922 grundlegend gegen eine Reform aus. Auch die Zentrumspartei und die Deutschnationalen (DNVP) lehnten jede Reform der Ehe- und Scheidungsgesetze ab. Befürworter der Reform waren die Kommunisten (KPD), die Sozialdemokraten (SPD) und die Demokraten (DDP).
Mit den kürzlich stattgefundenen Verhandlungen bezieht sich Pacelli vermutlich auf die Sitzungen des Rechtspflegeausschusses zur Reform des Ehescheidungsrechts vom 2. Oktober oder 5. November 1929, in denen Anträge der Deutschen Volkspartei (DVP) und der SPD diskutiert wurden.
Quellen
Der deutsche Episkopat gegen die Erleichterung der Ehescheidung, an Reichsjustizministerium, 1. Januar 1922, in: Bundesarchiv Berlin, R 3001, 1399.
Verhandlungen des 13. Ausschusses (Rechtspflege des Reichstags, IV. Wahlperiode 1928/30), in: SCHUBERT, Werner, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986, S. 579-642.
Literatur
BLAIUS, Dirk, Ehescheidung in Deutschland 1794-1945. Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 74), Göttingen 1987, S. 155-187.
Bürgerliches Gesetzbuch; Schlagwort Nr. 3401.
EITZ, Thorsten, "Ehe oder Hölle?" Der Diskurs über Ehe, Eherecht und Partnerschaftsethik, in: DERS. / ENGELHARDT, Isabelle, Diskursgeschichte in der Weimarer Republik 2, Hildesheim / Zürich / New York 2015, S. 164-219.
HUMPHREY, Michael, Die Weimarer Reformdiskussion über das Ehescheidungsrecht und das Zerrüttungsprinzip. Eine Untersuchung über die Entwicklung des Ehescheidungsrechts in Deutschland von der Reformation bis zur Gegenwart unter Berücksichtigung rechtsvergleichender Aspekte, Göttingen 2006, S. 105-179, besonders S. 108 Anm. 705.
RÖWEKAMP, Marion, Der Kampf um die Ehe: Der Katholische Frauenbund und das Zentrum im Richtungsstreit um eine Reform des Ehescheidungsrechts, in: RAASCH, Markus / LINSENMANN, Andreas (Hg.), Die Frauen und der politische Katholizismus: Akteurinnen, Themen, Strategien (Veröffentlichung der Kommission für Zeitgeschichte C.1), Paderborn 2018, S. 209-238.
SCHUBERT, Werner, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986.
Weimarer Reichsverfassung, Artikel 119; Schlagwort Nr. 265.
Empfohlene Zitierweise
Ehe- und Scheidungsrecht in der Weimarer Republik, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 3592, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/3592. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 20.01.2020.
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