Verhältnis von Kirche und Staat in Sachsen

Für das Verhältnis von Kirche und Staat in Sachsen war die im Rahmen der Novemberrevolution 1918 vollzogene Trennung ein bedeutender Einschnitt. Einerseits hob die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 die zahlreichen die katholische Kirche diskriminierenden Bestimmungen auf, die im Königreich Sachsen gegolten hatten. Andererseits versuchte der neue Staat insbesondere auf dem Gebiet des Schulwesens, den Einfluss der Kirche zurückzudrängen.
1921 konnte das Bistum Meißen mit Sitz in Bautzen wiedererrichtet werden. Dazu wurden durch die päpstliche Bulle "Sollicitudo omnium ecclesiarum" vom 24. Juni 1921 das Apostolische Vikariat Sachsen, das im Zuge der Rekatholisierung des sächsischen Hofes in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden war, und die Apostolische Präfektur der Lausitz, die im 16. Jahrhundert nach dem Untergang des alten Bistums gegründet worden war, vereinigt. Der Staat hatte keinen Einfluss auf die freie Ernennung des Bischofs durch den Heiligen Stuhl, zahlte im Gegenzug jedoch nur für die bischöfliche Verwaltungsstelle staatliche Zuschüsse und nicht für die Pfarreien. Diese mussten über die Kirchensteuer finanziert werden.
Im Bereich des Schulwesens versuchte die sächsische Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Georg Gradnauer mit dem Übergangsgesetz für das Volksschulwesen vom 22. Juli 1919, sämtliche Volksschulen zu religionslosen, weltlichen Schulen zu machen. Die entsprechenden Bestimmungen wurden am 4. November 1920 vom Reichsgericht für verfassungswidrig erklärt. Die katholischen Volksschulen bestanden damit vorerst weiter, waren aber gegenüber den staatlichen Gemeinschaftsschulen in der Minderheit. Die im Übergangsgesetz bestimmte Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht hatte jedoch Bestand. Des Weiteren war der Religionsunterricht an Gemeinschaftsschulen kein ordentliches Unterrichtsfach und seine Organisation, Finanzierung und Durchführung oblag allein der Kirche. Das höhere Schulwesen war simultan, ausgenommen die seit 1926 bestehende Domstiftliche Oberschule in Bautzen und das seit 1928 bestehende Bischöfliche St.-Benno-Gymnasium in Dresden.
Weitere Verordnungen bestimmten die Trennung des Kirchendienstes vom Schuldienst der Volksschullehrer, untersagten die Freistellung von Lehrern und Schülern für religiöse Veranstaltungen an nicht gesetzlichen Feiertagen und ermöglichten den unbürokratischen Kirchenaustritt bereits für Vierzehnjährige.
Die Verfassung des Freistaates Sachsen vom 4. November 1920 selbst behandelte das Verhältnis zwischen Kirche und Staat nur in den Schluss- und Übergangsbestimmungen in Artikel 50. Hier wurde erklärt, dass die Regierung die staatliche Aufsicht über die Religionsgesellschaften nach den Landesgesetzen ausübte und diesen die Rechte öffentlicher Körperschaften vom Gesamtministerium verliehen werden. Ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl kam nicht zustande.
Quellen
Übergangsgesetz für das Volksschulwesen vom 22. Juli 1919, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Sachsen 1919, Stück 15, Nr. 90, S. 171-185, in: digital.slub-dresden.de (Letzter Zugriff am: 20.11.2012).
Verfassung des Freistaates Sachsen vom 4. November 1920, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Sachsen 1920, Stück 26, Nr. 37, S. 445-456, in: digital.slub-dresden.de (Letzter Zugriff am: 20.11.2012).
Verfassung des Freistaates Sachsen vom 4. November 1920, in: WITTRECK, Fabian (Hg.), Weimarer Landesverfassungen. Die Verfassungsurkunden der deutschen Freistaaten 1918-1933, Tübingen 2004, S. 513-523.
Literatur
GROSS, Reiner, Geschichte Sachsens, Leipzig 2001, S. 263 f.
MITZSCHERLICH, Birgit, Einführung in die Quellentexte, in: GRANDE, Dieter / FICKENSCHER, Daniel (Hg.), Eine Kirche – zwei Völker. Deutsche, sorbische und lateinische Quellentexte und Beiträge zur Geschichte des Bistums Dresden-Meißen, Bd. 1: Von der Wiedererrichtung 1921 bis 1929, Bautzen / Leipzig 2003, S. 11-31.
SCHWARZBACH, Franz, Sachsen, in: Lexikon für Theologie und Kirche 9 (1937), Sp. 62-66, hier 63-65.
SEIFERT, Siegfried, Sachsen, Land, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 8 (1999), Sp. 1415-1417, hier 1416 f.
Empfohlene Zitierweise
Verhältnis von Kirche und Staat in Sachsen, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 5048, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/5048. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 25.03.2013.
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