Erstes Vatikanisches Konzil

Das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) widmete sich den aus kirchlicher Sicht im Laufe des 19. Jahrhunderts immer drängender gewordenen Fragen. Die Marschrichtung gab der 1864 veröffentlichte Syllabus errorum vor, der eine Abgrenzung der Kirche vom neuzeitlich-aufklärerischen Denken und liberalen Freiheitsideen vorsah.
Das Konzil wurde 1868 offiziell einberufen, wobei gleichzeitig sechs Vorbereitungskommissionen ihren Dienst antraten. Diese Kommissionen erarbeiteten eine Geschäftsordnung und insgesamt 65 Dekretentwürfe zu den Bereichen Dogmatik, kirchliche Disziplin, Kirchenpolitik, Orden, katholische Ostkirchen und Mission. Bereits im Vorfeld der Kirchenversammlung wurde deutlich, dass vor allem der Bereich der christlichen Offenbarung und die Formulierung der Unfehlbarkeit des Papstes die Hauptthemen des Konzils bilden würden, wobei letzteres in Kirche und Öffentlichkeit zu Irritationen führte.
Zum Konzil waren alle Bischöfe sowie Titularbischöfe, Ordensgeneräle und Generaläbte klösterlicher Kongregationen zugelassen, die an der Generalkongregation, der Hauptversammlung der Konzilsväter, und den Deputationen, den thematisch aufgeteilten Arbeitsgruppen, teilnehmen konnten. Das Konzil zählte schließlich 791 Teilnehmer, wobei die Europäer mit 72 % die überragende Mehrheit stellten, während deren größter Anteil wiederum, nämlich 64 %, aus den romanischen Ländern kamen.
Das Konzil wurde am 8. Dezember 1869 im Petersdom eröffnet, in dessen rechtem Querschiff die Versammlung tagte. Die entscheidende Frage wurde sehr bald die Stellung der Konzilsväter zum geplanten Unfehlbarkeitsdogma. Die Konzilsväter zerfielen daher bald nach Beginn des Konzils in zwei Lager: die ultramontan-infallibilistische Mehrheit unter Führung der Erzbischöfe Manning (Westminster) und von Senestrey (Regensburg), die für die Formulierung der päpstlichen Unfehlbarkeit eintrat, und eine Minderheit von etwa 20 %, die gegen diese Festschreibung kämpfte. Der Minderheit gehörten vor allem deutsche, österreichische, französische und US-amerikanische Bischöfe an, darunter von Ketteler (Mainz), Hefele (Rottenburg), Rauscher (Wien) und Darboy (Paris). Zu einem ohnehin gespannten Klima trugen außerdem die mehrheitsbegünstigende Geschäftsordnung, die mangelnde Struktur der Debatten sowie die Geheimhaltung der vorbereiteten Schemata bei. Von den 65 Entwürfen gelangten schließlich nur zwei zur feierlichen Verabschiedung: die beiden dogmatischen Konstitutionen "Dei Filius" und "Pastor aeternus". Die Offenbarungskonstitution "Dei Filius" befasste sich mit der christlichen Offenbarung, wobei die Themen Schöpfung (DH 3001-3003, 3021-3025), christliche Offenbarung (DH 3004-3007, 3026-3029), Glaube (DH 3008-3014, 3031-3036) und das Verhältnis von Glaube und Vernunft (DH 3015-3020, 3041-3045) behandelt wurden. Grundtenor der Konstitution, die am 24. April 1870 verabschiedet wurde, war ein kirchlicher Mittelweg zwischen einem reinen, materialistischen Rationalismus und einem irrationalen Fideismus.
Die umstrittenere Konstitution stellte "Pastor aeternus" dar, in der in vier Kapiteln die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen und dessen Jurisdiktionsprimat festgeschrieben wurde. Sie widmete sich den Bereichen Einsetzung des päpstlichen Primats durch Christus selbst (DH 3050-3055), dem Primat der römischen Bischöfe (DH 3056-3058), dem Jurisdiktionsprimat (DH 3059-3064) und der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes (DH 3065-3075). Die Debatte zu dieser Konstitution zog sich von Mai bis Juli 1870 hin und erbrachte keine Annäherung zwischen den Parteien des Konzils, da sich weder Papst und Vertreter der Mehrheit, noch Vertreter der Minderheit kompromissbereit zeigten. Als die Konstitution am 18. Juli 1870 zur Abstimmung anstand, reisten die Vertreter der Minorität aus Protest ab, wodurch die Konstitution von den verbleibenden Konzilsvätern nahezu einstimmig angenommen wurde. Damit war allerdings der ideale Grundsatz der sogenannten moralischen Einstimmigkeit verletzt, der seit den antiken Konzilien den Konzilsvätern als Richtschnur dienen sollte – auf dem Ersten Vatikanischen Konzil wurde die Meinung der Minderheit im Fortgang der parteilichen Grabenkämpfe übergangen.
Das Konzil wurde nach dieser Abstimmung zunächst auf November, später auf unbestimmte Zeit vertagt, da Rom und der Kirchenstaat durch die italienischen Truppen belagert und im September 1870 eingenommen wurden. Die Papstdogmen wurden allerdings im Laufe der Jahre 1870 und 1871 auch von allen Bischöfen der Minorität rückwirkend angenommen.
Quellen
DENZINGER, Heinrich / HÜNERMANN, Peter (Hg.), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 402005, S. 3000-3075.
Literatur
SCHATZ, Klaus, Erstes Vatikanisches Konzil, in: Lexikon der Kirchengeschichte 2 (2001), Sp. 1701-1711.
SCHATZ, Klaus, Allgemeine Konzilien. Brennpunkte der Kirchengeschichte, Paderborn 22008, S. 215-262.
WOLF, Hubert, Zwischen Wahrheit und Gehorsam. Carl Joseph von Hefele (1809-1893), Ostfildern 1994.
Empfohlene Zitierweise
Erstes Vatikanisches Konzil, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 8046, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/8046. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 14.05.2013, letzte Änderung am 24.10.2013.
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