Dokument-Nr. 13081
Gehrmann SVD, Eduard an Pacelli, Eugenio
St. Gabriel, 28. Februar 1925

Hochwürdigster Herr!
Ew. Exzellenz!

Ew. Exzellenz zur Nachricht, daß ich in St. Gabriel gut angekommen bin.
Gestern war ich in Eichgraben / Westbahn N. G., im Kloster der Franziskanerinnen – Missionärinnen [sic] Mariens, deren Oberin früher in Petersburg war. Ich kannte sie von Rußland und Rom her, und da unsere Patres von Österreich die Hausseelsorge der Schwestern haben, ging es sehr einfach. Sie steht mit Rußland und Polen in Beziehung, hat in den letzten Tagen manches erfahren, was ich Ew. Exzellenz zur Information mitteilen möchte.
1. Priesterverfolgung. Die indirekte Verfolgung gegen die Priester dauert an.
a. In Witebskist der Pfarrer verhaftet worden. Ich kenne ihn gut. Er ist ein frommer Mann,
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voll von Seeleneifer, nach dem Urteil von Monsgr. Szièplak einer seiner besten Priester. Vielleicht hatte er zu großen Einfluß, vielleicht liebte ihn das Volk zu viel. Sicher ist, daß er polnisch orientiert ist, aber auch ganz gewiß, daß er klug und sehr zurückhaltend war. Seine Gefangensetzung, die eine kürzlich aus Petersburg zurückgekehrte Schwester berichtet hat, ist ein schwerer Schlag für die Gemeinde, da der zweite Priester in Witebsk nicht zu den Musterpriestern gehört.
b. In Odessa sind auch Priesterverhaftungen vorgekommen. Odessa hat zwei Kirchen, eine alte und eine neue Kirche. (Das Volk nennt die Kirchen so.) An der alten Kirche waren 3 Priester angestellt, die Seelsorge der neuen Kirche versah ein Priester. Im Frieden hatte Odessa ca 45.000 Katholiken, Deutsche, Polen & Litauer, jetzt sind vielleicht noch ca 20.000 vorhanden.
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3. Franziskanerinnen – Missionärinnen [sic] Mariens.
Exzellenz können sich wohl noch erinnern der beiden Missionsschwestern, die im Frühjahr 1924 in Moskau verhaftet wurden. Eine der obigen Schwestern ist freigelassen und über die Grenze nach Polen abgeschoben worden. Die ganze Zeit hat Schwester Rosa in Rußland im Gefängnis verbracht, hat jedoch regelmäßig die Unterstützung erhalten, die die Mission für die Verhafteten ausgesetzt hatte. Die andere Schwester, Salomè befindet sich noch in Sibirien im Kerker; es ist jedoch bereits sicher, daß auch diese Schwester bald nach Polen ausgewiesen wird.
4. Katholiken des orientalischen Ritus.
Gegen die Katholiken des orientalischen Ritus gehen die Sovjeten mit furchtbarer Strenge vor. Sie verhaften jeden, der nur irgendwelche
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Beziehungen zu ihnen hatte. Die Katholiken des lateinischen Ritus verfolgen die Russen auf indirekte Weise, den slawischen Katholizismus suchen sie mit allen Mitteln auf direktem Wege zu vernichten.
5. Priester Chrzczonowicz. Dieser Priester gehörte, wie mir scheint, der Diözese Mohilew an, und ist vor einiger Zeit von der Kirche abgefallen. Er hat offen erklärt, daß er nicht an Christus und an Gott glaube, daß er in der kommunistischen, sovjetischen Gesellschaftsordnung das Heil für die Menschheit erblicke. Er soll in den Städten, die eine größere Katholikenzahl haben, Vorträge halten und Propaganda treiben. Schwester Hedwig, eine Franziskaner Missionsschwester ist vor 14 Tagen aus Petersburg heimgekehrt und erzählt, daß obiger Priester von den Katholiken als geistesgestört angesehen wird. Eine Gefahr besteht somit nicht.
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Monsgr. Keßler sagte mir vor meiner Abreise von Berlin, daß Monsgr. Zerr, früherer Bischof von Tiraspol, von den Bolschewisten wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Er wurde im vergangenen Herbst (Sept. 1924) verhaftet, nach 2 monatlicher Haft aber freigelassen. Den Grund der Verhaftung konnte ich nicht erfahren.
Dies ist alles, was ich in der letzten Zeit über kirchliche Zustände in Rußland erfahren habe.
Ich küsse voll Ehrfurcht Ew. Erzbischöflichen Gnaden Hand und Ring und verbleibe Ew Exzellenz
gehorsamster Diener
P. Md. Gehrmann S.V.D.
Empfohlene Zitierweise
Gehrmann SVD, Eduard an Pacelli, Eugenio vom 28. Februar 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13081, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13081. Letzter Zugriff am: 03.05.2024.
Online seit 24.06.2016, letzte Änderung am 01.09.2016.