Dokument-Nr. 15967
Lamboy, JohannesFeisst, S.Ullmann, Raymund an Pius XI.
Berlin, 23. Mai 1924

Heiligster Vater!
Am 7. Januar d. J. wandten wir uns in kindlicher Ehrfurcht an Eure Heiligkeit mit einem Gesuche und der ergebensten Bitte um Überweisung an unsere Organisation, die "Katholische Fürsorge für Russland, Diözese Tiraspol beim Deutschen Caritasverband", einer genügenden Summe, welche wir, wenn auch nur zur teilweisen Abwehr der herrschenden grossen Not bei den deutschen Katholiken in Russland, im Wolga- und im Schwarzmeergebiete, und in den Flüchtlingslagern Deutschlands zweckmässig verwenden wollten.
Der unglückliche Ausgang des Weltkrieges für Russland, der darauffolgende Sturz des Kaisertums, die Revolution, der Bürgerkrieg, die ausgebrochenen epidemischen Krankheiten, Missernten und die darauffolgende Hungersnot stürzten unsere treuen Katholiken an der Wolga und im Schwarzmeergebiete in unsagbares Elend... Ein grosser Prozentsatz der Bevölkerung starb an Typhus, an der Cholera und an anderen ansteckenden Krankheiten und die Überlebenden entgingen nicht der weiteren Not und der totalen Verarmung. Eine Mittelernte gab dem grössten Teil unserer Katholiken in genannten Gebieten wenigstens soviel Brot, dass sie nicht direkt dem Hungertode verfielen, aber der kulturelle und wirtschaftliche Ruin der Kolonien war besiegelt und die meisten Katholiken obenangeführter
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Gebiete waren, kurz gesagt, Bettler geworden und das im vollsten Sinne des Wortes! Es fehlte und fehlt noch bis jetzt den meisten Leuten nicht nur an Ackergerätschaften, Pferden, Kühen u.s.w. sondern ganz besonders mangelt es ihnen an Kleidung und gehen viele unserer armen Landesbrüder- und Schwestern [sic], wir möchten sagen, beinahe ganz entblösst herum, denn die Teuerung für Kleidung ist so bedeutend, dass die armen Menschen dieselbe käuflich nicht erwerben können. Die Nachrichten, die wir aus diesen Gegenden tagtäglich bekommen, mit der dringenden und flehentlichen Bitte um Hilfe und Unterstützung seitens unserer Katholischen Fürsorge, sind mehr denn untröstlich und ein Geistlicher schreibt uns sogar aus diesem Gebiete: "Wenn Sie hier wären und das Elend sehen könnten - würden Sie bitterlich weinen!" Bisher hat die Katholische Fürsorge für Russland grössere Beträge aus Amerika bekommen, mit denen sie die Not der Katholiken in Russland nach Möglichkeit zu lindern suchte. Nun ist leider diese Hilfsquelle versiegt und die Spenden aus Amerika gehen mehr denn spärlich ein, während die Wogen der Not bei unseren deutschen Glaubensbrüdern in Russland und in den hiesigen Flüchtlingslagern zusehends grössere Kreise ziehen. Ein Hilferuf nach dem anderen dringt zu uns und an uns, - wir aber müssen mit schwerem und blutendem Herzen dem Elende zuschauen ohne helfen und Linderung in der Not bringen zu können.
Ganz besonders krass ist die Lage unserer deutschen Flüchtlinge in den sogenannten Heimkehrlagern Deutschlands, die seitens der deutschen Regierung, ihrer schweren finanziellen Lage wegen, aufgelöst werden sollen oder, richtiger gesagt, nominell bereits aufgelöst sind. Frauen und Witwen, Kinder, Greise und Greisinen [sic] selbst Kranke müssen nun heraus aus den armseligen primitiven Lagerräumen, die ihnen aber als Ruheplatz Palästen gleich kamen und
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werden nun diese Heimatlosen irgend einer Gemeinde in Deutschland zur Last überwiesen. Fern der Heimat, in Not und Elend, werden diese bedauernswerten Flüchtlinge kaum eine weitere gastliche Aufnahme finden und wenn sie auch Unterkunft bei irgend einem Bauern bekommen, wird derselbe diese Leute wahrlich nicht mit offenem Herzen und offenen Armen empfangen, da für ihn diese Aufnahme eine gezwungene ist! Dieses ganze Elend auch nur annähernd zu beschreiben finden wir keine Worte und muss man das Bild an Ort und Stelle sehen.
Wohl hatte die katholische Fürsorge für Russland einen Ausweg den Flüchtlingen zu helfen, wenn sie von der deutschen Regierung die Baraken [sic], die Heimstätte der Armen, pachten, die Vertriebenen in ihren alten Wohnsitzen somit belassen, ihnen dann eine teilweise Unterstützung und Verköstigung gewähren würde, - dann hätten die Flüchtlinge in diesen Lagern weiter arbeiten und beihelfen können ihr Stück Brot, wenn es auch zu Teil, zu verdienen, um unsere Organisation nicht zu stark zu belasten. Aber auch hier, wo die Not und das Elend ihre grausigen Stätten errichtet haben, kann die Katholische Fürsorge für Russland nicht helfen, da es ihr gänzlich an Mitteln fehlt. Sie, die alle Katholiken der Diözese Tiraspol bedient und den Banner für die katholische Kultur und unseren hl. Glauben hochhält und bisher in diesem Sinne ihren Glaubensbrüdern helfend zur Seite stand, solange eben noch milde Gaben aus Amerika an uns gelangten, ist nun leider nicht imstande helfend einzugreifen! Ein trostloses Bewusstsein, ein schwerer Kampf für uns: von der einen Seite die grosse Not unserer treu an ihrem hl. Glauben festhaltenden Brüder und Schwestern und auf der anderen Seite unsere volle Macht- und Hilflosigkeit!
Heiligster Vater! In dieser unserer verzweifelten Lage wenden wir uns an Eure Heiligkeit mit der inständigen kindlichen Bitte,
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um Ueberweisung an unsere "Katholische Fürsorge für Russland, Diözese Tiraspol beim Deutschen Caritasverband" einer entsprechenden Summe, damit wir in erster Linie die in ganz Deutschland in den verschiedensten Lagern zerstreut lebenden und in den Gemeinden notdürftig untergebrachten deutschen Katholiken aus Russland helfen, sie stützen, ihre Not lindern, ihre Tränen trocknen könnten.
Heiligster Vater! Viele, viele Tausende unserer katholischen Brüder und Schwestern in Russland und in den Flüchtlingslagern Deutschlands schauen erwartend in aller Ehrfurcht zu Eurer Heiligkeit, dem gütigen Vater der Christenheit, der Hilfe harrend empor und sehen ihre Rettung in der Not in der weiteren Tätigkeit unserer "Katholischen Fürsorge für Russland".
Möge Eure Heiligkeit unsere kindliche demütige Bitte um Hilfe für unsere armen, notleidenden Brüder und Schwestern erhören, damit wir auch weiterhin fest und unentwegt unserem hohen Ziele zustreben könnten: die Not zu lindern, das wirtschaftliche Leben in unseren deutschen Kolonien zu heben und dort unseren hl. katholischen Glauben und die katholische Kultur zu erhalten und zu festigen!
In aller Demut zeichnen wir
Eurer Heiligkeit gehorsamste und treueste Kinder
Katholische Fürsorge für Rußland
Diözese Tiraspol, E.V.
beim Deutschen Caritasverband
Praeses
[Lamboy]
Der Vorstand
[Ein Name unlesbar] Ray. Ullmann
Empfohlene Zitierweise
Lamboy, Johannes an PiusXI. vom 23. Mai 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15967, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15967. Letzter Zugriff am: 27.04.2024.
Online seit 18.09.2015.