Dokument-Nr. 16342

[Middendorf, Arnold]: Bericht über die Verhandlungen des Domkapitels mit der Regierung in Berlin am 3. und 4. April 1924.. [Köln], 04. April 1924

Abschrift. Anlage 3.
Vertraulich!
Am 26. 3. wurden dem Kultusministerium die beiden Eingaben vom selben Datum übersandt u. gleichzeitig der Besuch des H. Dompropstes für den 3.4. angezeigt. Abschriften mit Begleitschreiben des Syndikus wurden gleich-zeitig gesandt an den Justizminister u. den Finanzminister. Durch persönliches Schreiben des H. Dompropstes wurden ferner noch die für die Verhandlungen in Frage kommenden Ministerialräte, u. a. Ministerialrat Dumenil vom Finanzministerium von dem für den 3.4. angesagten Besuch in Kenntnis gesetzt.
Am 3.4. suchten H. Dompropst u. der Domsyndikus nach vorheriger kurzer belangloser Rücksprache mit Min.-Rat Schlüter den Justizminister auf. Dieser ist mit der Sache direkt zurzeit noch nicht befasst, vielmehr werden die einschlägigen, juristischen Fragen von den Juristen beim Finanzministerium behandelt. Der Justizminister teilt den Rechtsstandpunkt des Kapitels, dass der Staat nach dem nun einmal rechtskräftigen oberlandesgerichtlichen Urteil von 1879, das allerdings als Fehlspruch anzusehen sei, als Eigentümer der in Frage stehenden Häuser zu gelten habe, dass der Staat aber andererseits, wenn man sich auf den Standpunkt des Urteils stelle, zweifellos verpflichtet sei, gerade die bestimmten Häuser, die seinerzeit dem Erzbischof bzw. dem Kapitel übergeben worden seien, diesen beiden Stellen dauernd zur Verfügung zu halten, u. dass er die gesamten laufenden u. außerordentlichen Reparaturen zu tragen habe.
Der Absicht des Kapitels, die Verhandlungen, ausgehend von der durch das Urteil nun einmal geschaffenen Rechtslage von rein geschäftlichem Gesichtspunkte aus zu führen, stimmte der Justizminister zu. Er teilte mit, dass er mit dem für die Sache zuständigen Min.-Direktor Fleischer vom Kultusministerium bereits in dem Sinne Rücksprache genommen habe, dass die Häuser bei der gegenwärtigen Rechtslage für den Staat keinen Wert hätten, u. dass daher das
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Angebot des Kapitels in der Eingabe vom 26.3. für den Staat vorteilhaft u. annehmbar sei. Er riet ferner die sich dem Dom-kapitel bietende günstige Gelegenheit zum Erwerb des Ernst Michels'schen Grundbesitzes an der Rechtschule mit in den Vordergrund zu stellen u. zu betonen, dass dem Kapitel, dem andere Mittel nicht zur Verfügung ständen, durch die Uebereignung u. daran anschliessende teilweise Veräusserung der fiskalischen Häuser diese Mittel beschafft werden könnten.
An der nun folgenden Konferenz im Kultusministerium nahmen teil: Für den Erzbischof u. das Domkapitel: Dompropst Dr. Middendorf und der Domsyndikus Custodis; für den Kultusminister: Min.-Direktor Fleischer u. Min.-Rat Schlüter; für den Finanzminister: Assessor Dr. Müller. Die Nichtteilnahme des zuständigen Min.-Rats Dumenil vom Finanzministerium entschuldigte Dr. Müller mit einer gleichzeitig stattfindenden anderweitigen Konferenz. Die von ihm im weitern Verlauf der Verhandlungen beobachtete äußerste Zurückhaltung u. der Umstand, dass er mehrfach hervorhob, dass er keinerlei sachliche Stellung nehmen könne, sondern lediglich zum Zweck der Berichterstattung den Verhandlungen beizuwohnen befugt sei, musste unwillkürlich den Eindruck erwecken, dass dem Fernbleiben des Min.-Rats Dumenil eine bestimmte Absicht zugrunde liege. – Min.-Direktor Fleischer hielt zunächst den gegenwärtigen Zeitpunkt als für die Verhandlungen ungünstig gewählt u. zwar hauptsächlich aus dem Grund weil seitens der evang. Kirche nunmehr ebenfalls Ansprüche auf Uebereignung von Wohnungen für die Geistlichkeit u. die Kirchendienier [sic] gestellt seien u. die Regierung sich durch ein Eingehen auf die Vorschläge des Kapitels zurzeit präjudizieren würde. Allerdings musste er anerkennen, dass für die Ansprüche des Kapitels die Bulle "De salute animarum" einen Rechtsgrund bilde, dessen die Ansprüche von evang. Seite entbehrten. Ohne den Vorschlägen des Kapitels sich direkt ablehnend gegenüber zu verhalten, regte Fleischer eine ziffernmässige Begründung des Angebots des Kapitels an. Ohne Erfolg wurde ihm entgegengehalten, dass es einer solchen nicht mehr bedürfe, weil der finanzielle Wert der Häuser, wenn diese vom Staat doch
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andauernd nur in der Weise benutzt werden dürften, dass sie dem Erzbischof bzw. dem Kapitel als Wohnungen zu prästieren seien, gleich null sei, u. dass die vom Kapitel angebotenen Gegenleistungen, nämlich Verzicht auf die Instandhaltungskosten, auf die Gestellung eines Geschäftshauses für das Kapitel u. außerdem noch auf die Beschaffung einer 12. Domherrnkurie ziffernmäßig schwer zu bewerten seien, unter allen Umständen aber einen solchen finanziellen Vorteil für den Staat bedeuteten, dass der Versuch einer notwendigerweise mehr oder weniger willkürlich ziffernmässigen Darstellung sich durchaus erübrige, dass aber schliesslich der Staat auch in der Lage sei, sich selbst eine derartige Berechnung zu machen, weil er am besten in der Lage sei, die ihm obliegenden Leistungen, auf die das Kapitel zu verzichten bereit sei, zu schätzen. Dies gab dann Anlass zu einer grundsätzlichen Erörterung dieser Leistungen, wobei sich herausstellte, dass der Staat das Urteil v. J. 1879 nur bezüglich der Eigentumsfrage als massgebend anerkenne, während er dem sich aus dem von dem Urteil konstruierten Rechtsverhältnis für ihn ergebenden Pflichten in Ansehung der fraglichen Häuser ablehnend gegenübersteht. Fleischer verschanzte sich schliesslich immer mehr hinter dem Finanzminister, u. dessen Vertreter verhielt sich ängstlich passiv. Die Verhandlungen verliefen somit schliesslich ergebnislos. Nur erklärte der Vertreter des Finanzministers nach Möglichkeit den Vertretern des Kapitels eine Unterredung mit Dumenil vermitteln zu wollen. –
Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung der ganzen Angelegenheit letzten Endes beim Finanzministerium liegt, dieses aber nach dem bisher gewonnenen Eindruck einer sachlichen Stellungnahme ausweichen zu wollen scheint, versuchten die Vertreter des Kapitels nunmehr Fühlung mit dem Finanzminister direkt zu erhalten. Es gelang das durch Vermittlung des früheren Kölner Oberbürgermeisters Wallraf im Abgeordnetenhaus. Vor dieser Konferenz wurde telefonisch festgestellt, dass Min.-Rat Dumenil zu einer persönl. Rücksprache am folgenden Tage 1 Uhr bereit sei. Die Vertreter des Kapitels trugen dem Finanzminister die Sache vor, beschwerten sich aber auch über die ihnen bisher seitens des Finanzministeriums zuteil gewordene
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Behandlung. Der Fin.-Min. war über die Sache selbst nicht unterrichtet, zeigte sich aber sehr entgegenkommend u. bestellte die zuständigen Min.-Räte zum Vortrag auf den folgenden Tag 12 Uhr. Auch erklärte er, nach Möglichkeit persönlich der in Aussicht genommenen Besprechung mit Dumenil beiwohnen zu wollen; wenn ihm das nicht möglich sein sollte, würde er diesen aber über seine eigene Ansicht von der Sache unterrichten. Bei der Besprechung wurde seitens der Vertreter des Kapitels besonders auch darauf hingewiesen, dass das Kapitel durch Zeichnung von Kriegsanleihe fast sein ganzes Kapitalvermögen von 2.800.000 M verloren habe, u. dass es wohl doch nahe liege, diesem Umstand Rechnung zu tragen, zumal dies in einer Weise geschehen könne, die letztenendes auch dem Fiskus nur Vorteile brächte. Seitens des H. Dompropsts wurde ferner darauf hingewiesen, dass Misserfolg der Separatistenbewegung im Rheinland entscheidend auf die vaterlandstreue Haltung der kath. Geistlichkeit zurückgeführt werden müsse, u. dass es für den Staat naheliege, auch dem Umstand bei der Lösung der gegenwärtigen Frage Rechnung zu tragen. –
Die durch diese Rücksprache erweckten Hoffnungen mussten jedoch einer Enttäuschung weichen bei der am 4.4. stattgehabten Konferenz mit Min.-Rat Dumenil. Es war diesem offenbar gelungen, den Fin.-Min. ganz auf seine Seite zu bringen; denn von einem Abweichen von der früheren Stellungnahme des Fin.-Min. in der Wohnungsfrage zeigte sich keine Spur. Auch Dumenil hielt den gegenwärtigen Zeitpunkt aus denselben Gründen, die von Min.-Dir. Fleischer vorgebracht waren, als ungünstig gewählt u. wollte sich vom Gegenteil nicht überzeugen lassen. Ein sachl. Eingehen lehnte er ab. Er bezeichnete wiederholt die Besprechung als eine mehr oder weniger harmlose Plauderei. Trotzdem seitens der Vertreter des Kapitels betont wurde, dass sie zu diesem Zweck nicht nach Berlin gekommen seien, blieb Dumenil zwar äusserst höflich in der Form, aber in der Sache bei seinem passiven Widerstand. Der völlige Mangel an tatsächl. gutem Willen trat besonders darin zu Tage, dass sich herausstellte, dass D. die bereits seit 8 Tagen vorliegenden Eingaben des Kapitels vom 26.3. noch nicht gelesen hatte. Die allgemeine Zusicherung wohlwollender Behandlung der Frage, sobald sie dem Fin.-Min. vom Kultusminister vorgelegt werde, konnte den Eindruck völligen Misserfolges, den die Vertreter des Kapitels immer mehr gewinnen mussten, nicht abschwächen. Stuhle und dem Domkapitel überbürdet.
Empfohlene Zitierweise
[Middendorf, Arnold], Bericht über die Verhandlungen des Domkapitels mit der Regierung in Berlin am 3.und 4.April 1924., [Köln] vom 04. April 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16342, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16342. Letzter Zugriff am: 02.05.2024.
Online seit 18.09.2015.