Dokument-Nr. 18840

Berg, Ludwig: [Kein Betreff]. Berlin, 30. März 1925

In dem Flüchtlingslager der Russen zu Zossen b/Berlin (etwa eine Stunde Bahnfahrt) ist ein russisches Pensionat eingerichtet, das einem kleinen Komitee untersteht, an deren Spitze die für ihre russischen Landsleute sehr besorgte Frau Baronin Lydia von der Pahlen (Potsdam b/Berlin, Mangerstr. 39) steht. In dem Pensionat sind zur Zeit neun Kinder im Alter von 4 - 14 Jahren untergebracht, 20 Kinder könnten noch untergebracht werden. Eine russische ältere Dame, Witwe, ein russischer dipl. Lehrer mit seiner Frau, die in Danzig geboren ist, widmen sich der Leitung des Hauses und der Erziehung der Kinder. Die Kinder besuchen zum Teil die Schulen in Zossen, das 14jährige Mädchen die dortige höhere Töchterschule. Das Haus, in dem das Pensionat untergebracht ist, ist von Stein gebaut, macht einen soliden Eindruck und liegt mit den anderen Gebäudigkeiten mitten im Walde.
Die Vorsitzende des Komitees, othodoxer [sic] Religion wie alle Kinder und die Erwachsenen in dem genannten Pensionat, hat dem Unterzeichneten des Öfteren ihre Sorge vorgetragen betreffend Pflege echt religiöser Gesinnung und russischer Kultur bei den Kindern. Die materielle Not war öfters gross und legt zur Zeit wiederum der Leitung grosse Opfer auf. Die Baronin möchte in Übereinstimmung mit Ihrem Vorstand das ganze Haus mit Leitung und Erziehung der Kinder auf eine festgegründetere Basis stellen. Sie hat in vertraulicher Weise bei den Unterzeichneten angefragt, ob vielleicht die kath. Genossenschaft der Gräfin Ledochowska (wahrscheinlich eine Schwester der verstorbenen Gräfin Ledochowska, der Gründerin der Petrus-Clawer-Sodalität2) dieses Haus mit allen Rechten übernehmen würde. Schwestern dieser genannten Genossenschaft hatten bereits in Petersburg und später in Schweden und Norwegen russische
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Pensionate eingerichtet, und würden also auch im vorliegenden Fall in glücklicher Weise dieses Pensionat übernehmen können, trotz der Verschiedenheiten der religiösen Bekenntnisse zwischen Schwestern und Kindern. Unterzeichneter beehrt sich diese Anregung der hohen kirchlichen Behörde in Rom zu unterbreiten mit der ergebensten Bitte um gütige Entscheidung. Vielleicht legt die hohe Behörde grundsätzlich Wert darauf, in Deutschland, ähnlich wie in Belgien und Frankreich, solche geschlossenen eng russischen Pensionate zu haben. Darum war eine Entscheidung dieser Angelegenheit in Berlin nicht gut angängig.
Mit Frau Baronin von Oettingen und Herrn Pater Rauterkus S.J. hat Unterzeichneter die Angelegenheit vertraulich besprochen. Das Resultat der Besprechung war folgende:
Wenn die hohe kirchliche Behörde in Rom grundsätzlich gerne ein geschlossenes russischen [sic] Pensionat unter kath. Leitung haben möchte, so bietet sich hier eine günstige Gelegenheit; es werden aber die Bedenken geäussert, dass die Finanzierung ausserordentlich schwer ist, ferner, dass die Ausbildungsmöglichkeiten durch Unterricht einer höheren Schule nicht so günstig sind, wie in einer Grossstadt. Kapital ist hier nicht vorhanden, und es wird auch sehr schwer sein, Gelder für diesen Zweck flüssig zu machen. Es lässt sich zwar Raum finden für Unterbringung von nützlichen Haustieren, die Verwaltung des Lagers hat auch in diesem Jahre die Kartoffeln kostenlos überlassen. Aber die Hauptfinanzierung würde etwa von den Schwestern selbst oder von einer anderen Auswärtigen Stelle zu tragen sein. Zudem haben wir hier in Berlin angefangen die Fürsorge für russische Kinder in einer anderen glücklichen, kostenlosen Form zu lösen: Das Kapuzinerseminar in Regensburg hat bereits sieben russische Knaben aufgenommen, die bei den Patres zusammen mit den anderen Klosterschülern wohnen und das Gymnasium in Regensburg besuchen. Das Missionshaus Sittard bei Aachen übernimmt am 23. April drei Knaben aus den deutschen Kolonisten-Stationen Südrusslands <, zurzeit in Berlin,>3 damit diese dort ihre Gymnasiastenstudien erledigen. Mehrere russische Kinder aus einfachen Kreisen sind in Kinderheimen Berlins kostenlos untergebracht. Vielleicht, dass sich in ähnlicher Weise noch andere kath. Institute bereit erklären zur Aufnahme von russischen Kinder.
Der hohen kirchlichen Behörde wird diese Angelegenheit zu wohlwollenden Prüfung und gütigen Entscheidung ehrerbietigst überreicht.
Berg
1Die Dokumente dieses Faszikels sind nicht paginiert. Stattdessen wird hier ihre Nummerierung übernommen.
2Gemeint ist die Petrus Claver Sodalität.
3Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
Empfohlene Zitierweise
Berg, Ludwig, [Kein Betreff], Berlin vom 30. März 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18840, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18840. Letzter Zugriff am: 06.05.2024.
Online seit 24.06.2016.