Dokument-Nr. 6682
Schulte, Karl Joseph an Dubois, Louis-Ernest
Köln, 05. Juni 1921

[Abschrift]
Eminenz!
Den Empfang Ihres geschätzten Briefes vom 24. v. M. bestätige ich dankbar.
Würde die Havasagentur nicht den Brief Eurer Eminenz vom 17. April d. J. veröffentlicht haben, so hätte ich in meiner Antwort über dasjenige hinwegsehen können, was mich in Ihrem Appell schmerzlich berühren musste. Die Oeffentlichkeit, und zwar nicht nur die deutsche, hat Ihren Appell als einen verletzenden Angriff gegen mich aufgefasst. Gern nehme ich davon Kenntnis, dass Euere Eminenz in Ihrem neuen Briefe nicht gezögert haben, diese Auffassung als irrig zu erklären. Meinerseits möchte ich das Missverständnis beseitigen, als ob ich den französischen Episkopat hätte kritisieren wollen. Es ist mir nicht unbekannt geblieben, dass in manchen Gefangenenlagern Frankreichs französische Geistliche Hervorragendes für die deutschen Kriegsgefangenen durch ihren priesterlichen Beistand geleistet haben. Wegen meiner genauen Kenntnis der Zustände in den verschiedenen Gefangenenlagern Frankreichs konnte ich sogar per-
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sönlich diesem und jenem verdienten französischen Geistlichen durch einen anerkennenden Brief danken oder durch Mittelspersonen diesen Dank aussprechen lassen. Und wo die Seelsorge seitens der französischen Geistlichen versagte, habe ich stets den bedauerlich grossen Priestermangel Frankreichs zur Entschuldigung in Anrechnung gebracht. Mein begreiflicher Wunsch wäre es nur gewesen, dass der französische Episkopat über die selbstverständliche Pflicht der Entsendung von katholischen Geistlichen zu den katholischen Gefangenen hinaus sich in Analogie des von den deutschen Bischöfen zu Gunsten Frankreichs eingerichteten Liebeswerkes um die Gefangenen und deren Angehörige gesorgt hätte. Dass ich hiervon in meiner Antwort Euerer Eminenz gegenüber gesprochen habe, erklärt sich lediglich aus dem Schmerze, den die gebieterische, öffentliche Aufforderung des Briefes vom 17. April d. J., die mich so ausserordentlich befremdete, bei mir verursacht hatte.
Freudig stimme ich Euerer Eminenz edlem Gedanken zu, dass wir, die wir beide in so naher Beziehung zu unserem hl. Vater Papst Benedikt XV stehen, allen anderen voran an der christlichen Versöhnung der aufeinander so vielfach angewiesenen Nachbarländer Frankreich und Deutschland gemeinsam und vertrauensvoll arbeiten wollen. Freilich wird man nach meiner Ueberzeugung bei solcher Versöhnungsarbeit die Vergangenheit auf sich beruhen lassen müssen. Die Forderung der einen Seite, dass ihr eigener national-politischer Standpunkt als der einzig objektive und folglich einzig gerechte zunächst anerkannt werden müsse,
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wird auf der Gegenseite, die den Verlauf der Dinge mit ganz anderen Augen angeschaut hat, immer auf Widerspruch stossen. Man wird es der Weltgeschichte und schliesslich dem allwissenden Gott überlassen müssen, über die Schuld am Weltkriege, auch über die Schuld am Kriege zwischen Frankreich und Deutschland das gerechte Endurteil zu sprechen. Solche politische Erörterungen können in unserem Falle um so eher entbehrt werden, als Deutschland sich trotz schwerster Bedenken ehrlich bereit erklärt hat, die Forderungen der Entente-Mächte bedingungslos zu erfüllen. Und auch deshalb brauchen wir mit der Arbeit für eine christliche Völkerversöhnung nicht zu warten, bis die von Tag zu Tag wandelbare und in ihrem Urteil keineswegs unfehlbare Politik ihre Auffassung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Weltkriege durchgesetzt hat, weil die christliche Liebe, die der Heiland will und auf deren Pflege es Euerer Eminenz und mir ankommen muss, höher steht als alles andere, und weil das Gebot der Nächstenliebe, ja sogar der Feindesliebe Geltung hat zu allen Zeiten und unter allen Verhältnissen und Umständen.
Seien Sie, Eminenz, erneut versichert, dass ich, von jeder politischen Voreingenommenheit mich frei wissend, keine Gelegenheit vorübergehen lassen werde, um zu meinem bescheidenen Anteil die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, speziell zwischen den französischen und deutschen Katholiken zu fördern. Als in dieser Hinsicht besonders wirksam erscheinen mir möglichst häufige persönliche Begegnungen von französischen und deutschen Katholiken zur Besprechung gemeinsamer religiöser Interessen und
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Aufgaben. Hat man erst diese persönlichen Beziehungen wiederhergestellt, dann werden, glaube ich, ganz von selbst die Hindernisse, die der christlichen Liebe und katholischen Eintracht während des furchtbaren Weltkrieges sich entgegengestellt haben, mehr und mehr in Wegfall kommen, und es werden sich neue bessere, glücklichere Zeiten zur Ehre unserer heiligen Kirche und zum Troste des hl. Vaters für die französischen und deutschen Söhne derselben geistigen Mutter, unserer heiligen katholischen Kirche, anbahnen. Damit wäre aber für die endgültige Aussöhnung von Frankreich und Deutschland eigentlich alles gewonnen.
Indem ich mit Euerer Eminenz Gott inniglich bitte, dieses unser gemeinsames Ziel uns erreichen zu helfen, bin ich in besonderer Hochschätzung und vor dem hl. Purpur Euerer Eminenz mich verehrungsvoll verneigend
Euerer Eminenz
ergebenster Diener in Christo
gez. Carl Joseph Card. Schulte,
Erzbischof von Köln.
Empfohlene Zitierweise
Schulte, Karl Joseph an Dubois, Louis-Ernest vom 05. Juni 1921, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 6682, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/6682. Letzter Zugriff am: 02.05.2024.
Online seit 14.05.2013, letzte Änderung am 25.06.2013.