Dokument-Nr. 7532

Berg, Ludwig: Zweiter Bericht über
die Russensselsorge in Berlin.
(15. II.-15. VIII. 25). Berlin, vor dem 31. August 1925

I.
Allgemeine religiöse Fürsorge.
1) Der Schwerpunkt wurde auf Privatbesuche gelegt. Es waren meist Besuche in der Wohnung des Unterzeichneten. Die Kartothek zählt über 500 Angaben.
Die katholischen Besucher - die Zahl der russischen Katholiken in Berlin ist sehr gering - wurden insbesondere auf den katholischen Gottesdienst in den einzelnen Pfarreien, auf katholische Veranstaltungen und auf katholische Organisationen und Wohlfahrtseinrichtungen aufmerksam gemacht.
In der Unterhaltung mit den Orthodoxen waren meist zahlreiche und hartnäckige Vorurteile zu überwinden. Der Verkehr mit diesen Russen wurde erleichtert, da fast alle mit höchst seltenen Ausnahmen entweder deutsch oder französisch sprechen.
2) Seit Monaten finden Freitag nachmittag und abend und Samstag nachmittag regelmässig Zusammenkünfte, meist derselben Personen in der Wohnung des Unterzeichneten statt. Die bisherigen Konvertiten erhalten besondere Einladungen dazu. An dem Zirkel Freitag abend nehmen zur Zeit teil: 1 Katholik, 4 Konvertiten (davon drei vorher protestantisch, 1 orthodox), 2 Orthodoxe, 1 Protestant - alle mit akademischer Bildung.
3)  Katholische Lektüre wird zahlreich versandt, bzw. abgegeben. Regelmässig geschieht die Versendung des Katholischen Kirchenblattes für Berlin sowohl an Berliner Adressen, als auch an die Flüchtlingslager zu Wünsdorf und Celle.
Gelegentlich werden abgegeben die Drucksachen aus dem Orientalischen Seminar zu Rom, russische Gebetbücher, apologetische Schriften in russischer Sprache (z. B. "Die Orthodoxie und der Katholizismus", die Heftchen aus dem Verlage "Foi et Eglise" in Konstantinopel, die Heftchen der russischen katholischen Monatsschrift "Foi et patrie"). Gute Dienste leisten das "Moderne ABC" von P. Brors S. J. und die einzelnen Heftchen aus der Apologetischen Volksbibliothek des Volksvereinsverlags, München-Gladbach.
4)  Kirchliche Veranstaltungen: Am 2., 3. und 4. April d. J. fanden Versammlungen in der Kapelle des Waisenhauses Maria-Schutz, Pfalzburgerstr. 18, statt. Prälat Okolo-Kulak aus Warschau hielt russische Vorträge über folgende Themata: 1) Das Dasein Gottes, 2) Die Unsterblichkeit der Seele, 3) Die Nachfolge Christi. Am Sonntag, d. 5. April war Hl. Messe mit russischer Predigt über den Eucharistischen Christus.
Am 16. Juli d. J. fand in derselben Kapelle eine kirchliche Andacht statt und anschliessend im Vereinssaal der Pfarrei St. Ludwig eine weltliche Versammlung, in der der hochwürdigste Herr Bischof von
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Danzig, Graf O'Rourke, einen Vortrag über das Caritaswerk der katholischen Kirche, insbesondere des Heiligen Vaters, zu Gunsten der russischen Emigranten, in russischer Sprache hielt.
Alle diese Veranstaltungen wurden verschönert durch Vorträge des russischen katholischen Kirchenchores. Durchgängig waren zwischen 60 bis 100 Zuhörer anwesend, fast nur Orthodoxe, meist Herren und Damen mit akademischer Bildung. Die Einzel-Berichte sind bereits überreicht worden.
Es zeigt sich, dass regelmässige, öftere Abhaltungen solcher Gottesdienste für die Russen Berlins aus finanziellen Gründen zur Zeit unzweckmässig sind, denn vielen ist selbst das Zahlen der Strassenbahnfahrt nicht gut möglich. Beispielsweise kann der Kirchenchor nur dadurch seine regelmässigen Proben abhalten, dass ihm das Fahrgeld bezahlt wird.
5) Die Jugenderziehung, die aus naheliegenden Gründen nachhaltigste Unterstützung verdient, ist in folgender Weise organisiert:
a) Russische Knaben und Mädchen vom 1. bis zum 14. Lebensjahr erhalten Unterkunft in den katholischen Waisenhäusern Berlins. Insgesamt sind untergebracht: 6 russische Kinder im Waisenhaus Maria-Schutz, Pfalzburgerstr. 18, 5 russische Kinder im Katharinenstift, Greifswalderstr. 18. 5 russische Kinder bei den Franziskanerbrüdern Turmstr. 44, 2 russische Knaben bei den Franziskanerbrüdern in Schöneiche bei Berlin, 1 russisches Mädchen im St. Josephsheim, Lützowerstr. 1a
Die russischen Kinder lernen in den einzelnen Anstalten auch russische Gebete und erhalten regelmässigen Unterricht in der russischen Sprache und im Schreiben durch Frl. Katharina von Gilinsky (früher orthodox, jetzt kathol.)
Da unter den Ordensschwestern des St. Josephs-Heims auf der Pappelallee 61, sich auch eine russische Schwester aus Odessa befindet, so ist geplant, nach und nach die russischen Kinder in diesem Heim unterzubringen, damit diese von der russischen Schwester russischen Unterricht erhalten und russische Gebete lernen. Die Oberin des Heimes ist mit diesem Plane einverstanden. Bis jetzt konnte dieser Plan noch nicht durchgeführt werden, da die Geldmittel fehlten und andererseits mehrere Male die nahe Wohnung der russischen Eltern für die Aufnahme in dem betreffenden Waisenhaus berücksichtigt wurde.
b) Russische Knaben und Mädchen, die vielleicht schon eine höhere Schule besuchen, erhalten die Möglichkei [sic] zu weiteren Studien falls sie dazu befähigt sind.
Bis jetzt ist folgende Anordnung getroffen:
7 Knaben besuchen das Kapuziner-Seminar in Regensburg und gleichzeitig das dortige Gymnasium.
3 Knaben besuchen die Missions- und Klosterschule der Kapuziner in Bocholt in Westfalen.
3 Knaben besuchen die Missionsschule im Missionshaus Sittard bei Aachen.
3 Mädchen besuchen das Pensionat und Lyzeum bezw. Oberlyzeum der Ursulinnen [sic] in Haselünne bei Hannover.
Während der Herbstferien erhalten mehrere der genannten Schüler während ihres Aufenthaltes in Berlin, Religionsunterricht, und durch den Unterprimaner Eugen Bergmann (Berlin S. O. Grefestr. 9.) und den Oberprimaner Paul Nietert, (Berlin-Wilmersdorf, Gieselerstr. 24) Unterricht im [sic] Latein und Griechisch.
Herr Butschinsky, ehem. Oberst, langjähriger Erzie-
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her an der Kaiserlichen Russischen Kadettenanstalt in Petersburg (Berlin-Charlottenburg, Brauhofstr. 14) gibt den russischen Schülern Unterricht in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern.
Mit dem Direktor des russischen Realgymnasiums, Nachodstr. 10, W.  Wachsmuth, früher beim Gymnasium in Petersburg tätig, hat Unterzeichneter den Plan besprochen, die an den höheren deutschen Lehranstalten Berlins studierenden Knaben und Mädchen zu sammeln, um in besonderen Abendkursen diesen den für die russische Psyche wünschenswerten Kulturunterricht zu geben.
c) Den Universitätsstudenten wird eine intensive Betreuung zuteil, sowohl für die Zeit ihres Studiums in Berlin und an den anderen Hochschulen Deutschlands, als auch zum Zwecke des Theologiestudiums.
Ein Memorandum über die russischen Studenten in Deutschland mit genauer Angabe der Frequenz an den einzelnen Hochschulen wurde bereits überreicht. Die Studenten in Hannover werden in besonderer Weise betreut durch den dortigen Studenten-Seelsorger. Einem Studenten in Dresden wurde durch Gewährung von Geldmitteln das Studium des letzten Semesters und das Abschlussexamen ermöglicht.
Durch Rücksprache mit den Sekretariaten der Berliner Handels-Hochschule und der Universität konnte in einzelnen Fällen die Erlassung der Immatrikulationsgebühr und der Studiengelder erreicht werden.
Mit den Professoren und dem Rektor des hiesigen Russischen Wissenschaftlichen Institutes steht Unterzeichneter in ständiger freundschaftlicher Fühlung, ebenso mit dem Direktor und dem Lehrerkollegium des Russischen Realgymnasium [sic] auf der Nachodstr. 10, die ihn zum Mitgliede des Schulkörpers gewählt haben, da er den katholischen Schülern und Schülerinnen Religionsunterricht erteilt. (z. Zt. 1).
Ein orthodoxer Student der Theologie, Alexander Schokotoff, der Sekretär des orthodoxen Bischofs Tychon, wird Mitte August seine theologischen Studien im Missionshaus St. Ottilien fortsetzen.
Ein anderer Student der hiesigen Handelshochschule, Elias Gudzewatyj, wird am 20. Oktober seine theologischen Studien im griechischen Kolleg zu Rom beginnen.
Mehrere andere ukrainische Studenten (katholisch) sind in Verhandlungen, um ebenfalls ihre theologischen Studien in Rom beginnen zu können. In einem Schreiben vom 3. August 1925 (Protokoll-Nr. 16503/25) wünscht der Sekretär der russischen Kommission bei der Kongregation für die orientalische Kirche Msgr.  Papadopulos [sic] die Empfehlungsschreiben der einzelnen bischöflichen Behörden.
II.
Unionsbestrebungen.
1) Die Bemühungen der Anglikaner und der Alt-Katholiken um den Zusammenschluss mit den Orthodoxen, haben auch in Berliner russischen Kreisen rege Anteilnahme gefunden.
Es fand bereits ein orthodoxer Gottesdienst in deutscher Sprache in der orthodoxen Hauskapelle auf der Nachodstr. 10 statt, zu dem die Protestanten und anderee Kreise Berlins eigens eingeladen waren. Im Neudrucke erschien "Die göttliche Liturgie unseres heiligen Vaters Johannes Chrysostomus. Berlin 1925" da die 1890 ff. gedruckten umfang-
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reichen liturgischen Bücher des Alexius von Maltzew (in slavischer und deutscher Sprache) vergriffen waren. Letzterer war bis zu seinem Tode - 1914 - Probst an den Kirchen der Kaiserlichen russischen Botschaft zu Berlin und der russischen Kolonie Alexandrowka bei Potsdam.
Grossen Eindruck machte auf die hiesigen orthodoxen Emigranten die Gedächtnisfeier des Konzils von Nicäa, die seitens der englischen Hochkirche in London am 29. Juni 1925 stattfand und an der ausser den 21 protestantischen Bischöfen auch 9 orthodoxe Bischöfe und viele höhere orthodoxe Geistliche teilnahmen.
Hohe Erwartungen setzen angesehene orthodoxe Berliner Kreise auch auf das kirchliche Weltkonzil zu Stockholm, das vom 19.-31. August 1925 stattfinden soll. Man betont mit Vorliebe den "katholischen" Charakter dieser Veranstaltung, da zu dieser Weltkirchenversammlung über 600 Delegierte sämtlicher protestantischer Kirchen der Erde, sowie der orthodoxen Kirche des Orients gesandt werden sollen.
Viel besprochen wird auch die zwischen dem 12. und 16. Juli 1925 in Ljublana (Serbien) stattgefundene Versammlung der katholischen Geistlichkeit zum Zwecke des Studiums der orientalischen Theologie und zum Ziele der Union. Ein besonderer Freund der protestantischen Einigungsbestrebungen in Berlin ist der orthodoxe Bischof Tychon, der selbst nicht geistig führend ist. Der Rektor des hiesigen Russischen wissenschaftlichen Institutes, Professor Dr. ing.  Jassinsky aus Petersburg scheint ein Atheist zu sein und steht dem religiösen Leben gleichgültig bzw. ablehnend gegenüber.
Man spricht auch von einer Art Union mit den Sowiets, veranlasst durch die Tätigkeit des kürzlich in Moskau verstorbenen, glaubenseifrigen und ascetischen Patriarchen Tychon. Man bezeichnet [s]eine Arbeiten direkt als eine "Kompromiss-Handlung". Während der Berliner "RUL" und die Pariser "Poslednia Novosti" das viel umstrittene Testament des Patriarchen Tychon als eine Schöpfung der Tscheka bezeichnen, hält Professor Karsawin in Berlin ebenso wie das offiziöse Blatt der Sowiet-Regierung "Iswestia" das Testament für echt, da es mit der ganzen vorherigen Tätigkeit des Patriarchen übereinstimmt. Konsequent verlangt Professor Karsawin in scharfem Gegensatz zu den meisten [ein Wort unlesbar] hiesigen Emigranten, dass die orthodoxen Gläubigen dem letzten Willen des Patriarchen folgen. Ein bekannter russischer emigrierter Bischof freilich, der auch das Testament für echt hält, verlangt umgekehrt, dass die Emigration sich vollkommen von Russland trenne und in kirchlicher Beziehung einen eigenen Patriarchen wählen muss, nach dem Beispiel der amerikanischen russischen Kirche, die sich im vorigen Jahre von der Jurisdiktion des allrussischen Patriarchen trennte und den Metropolitsen1 Platon zum Oberhaupt gewählt hat.
Professor Karsawin, mit dem Unterzeichneter am 14. August in seiner Wohnung 2 Stunden fast nur über religiöse Themata gesprochen hatte - arbeitet in obigem Sowiet-freundlichen Sinne des Patriarchen Tychon weiter. Von dem bevorstehenden Weltkonzil in Stockholm erwartet Professor Karsawin für die orthodoxe Kirche wenig, hält andererseits aber einen Anschluss an Rom für ausgeschlossen, da die römisch-katholische Kirche stets stark "provinzialisch" gearbeitet hatte und daher für Romanen und zum Teil auch für Germanen die geeignete Kirche ist, aber für die russische nationale Seele den Tod bedeutet. Eine Union mit Rom nimmt Professor Karsawin nur im Sinne einer religiösen Kulturgemeinschaft
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an, bei aller Selbstständigkeit der bestehenden kirchlichen Formen des Katholizismus und Orthodoxismus. Die von dem Unterzeichneten unter anderem Material dem Prof. Karsawin geschenkten 2 Broschuren des P. Anton Huonder S. J.: "Der Europaismus im Missionsbetrieb" und "Der chinesische Ritenstreit["] (Aachen 1921) werden wohl auch in dieser Frage etwas wünschenswerte Aufklärung bringen.
Professor Karsawin ist wohl der talentvollste unter den hiesigen russischen Professoren und auf theologischem und philosophischem Gebiete wohl auch der fruchtbarste. Die gegenseitigen Besuche des Unterzeichneten mit dem Prof. Karsawin werden fortgesetzt.
Zum Schluss der Besprechung (14. August) bat Prof. Karsawin den Unterzeichneten, seinem 14-jährigen Neffen, der z. Zt. noch in Petersburg die Schule besucht, Wohnung und Studium in einem katholischen Kloster Deutschlands zu besorgen, in ähnlicher Weise wir für die in Regensburg, Bocholt und Sittard untergebrachten russischen Knaben. Auf die Bemerkung des Unterzeichneten, die Teilnahme am katholischen Gottesdienst und am katholischen Religionsunterricht könnte aber diesen Knaben der orthodoxen Kirche entfremden, sagte Prof. Karsawin: "Wenn er katholisch wird, dann ist er eben von Natur aus kein Russe."
2. Nach Kräften sucht Unterzeichneter diesen Bestrebungen gegenüber Orientierung zu geben durch Wort und Zeitungsartikel z. B. durch Hinweis auf die Mechelner Konferenz im Mai 1925, auf die am 9. Juli abgehaltene Jahresversammlung des Anglo–katholischen Kongresses in der Londoner Albert-Hall, ferner durch Hinweis auf die Kirchenunion in Polen, wo mehrere Millionen orthdoxe Christen mit 2 Millionen unierter Ruthenen wohnen und zum Teil in entscheidenden Verhandlungen mit Rom stehen.
a/. Der katholische Priester Dr. phil. Theodor Passitschinsky, diplomatischer Rat des ehemaligen Ukrainischen Staatsdirektoriums, ehem. Feldkurat, russischer Emigrant aus Przemysl, weilte mehrere Monate in Berlin, um im Auftrage des alten Direktoriums die in Berlin wohnenden 1.000 Ukrainer (darunter 500 Katholiken) politisch zu organisieren gegen den Bolschewismus. Diese Ukrainer stehen in scharfem politischem Gegensatz zu den hiesigen Russen, wollen an keiner kirchlichen Veranstaltung für Russen teilnehmen und bevorzugen ihren eigenen Ritus, in dem Dr. Passitschinsky den Gottesdienst abhält. Die Orientierung des Herrn Dr. Passitschinsky über die hiesigen Ukrainer, wie über die starken Unionsbestrebungen in seiner Heimat, ist in den Briefen niedergelegt, die der kirchlichen Behörde übermittelt wurden. Der letzte Brief des Dr. Passitschinsky ist datiert aus Prag vom 2. August 1925. Erkundigungen über H. H. Dr. Passitschinsky wurden bei der bischöflichen Behörde in Prag eingezogen.
b/. Vor ca 1 1/2 Jahren versuchten einige orthodoxe führende Kreise Berlins, eine besondere Vereinigung zu gründen: "Förderer der Annäherung der Kirchen". Diese stellte sich zur Aufgabe: "die gegenseitige Kenntnis und Annäherung der beiden Confessionen, nämlich der orthodoxen (griechisch-katholischen) und römisch-katholischen Confessionen, mit dem Ziel die gegenseitigen Vorurteile zu beseitigen und neue Gründe der Liebe und Mitarbeit zu finden". (Eine Abschrift dieser Statuten ist der kirchlichen Behörde bereits überreicht worden.)
Der z. Zt. in Berlin weilende katholische H. H.  Bischof Kessler von Tiraspol hatte den Statuten-Entwurf gutgeheissen und gesegnet; aber der hiesige orthodoxe Bischof
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Tychon verweigerte nachdrücklich seine Billigung und Mitarbeit und veranlasste die Verfasser von ihrem Plane zurückzutreten. Als Hauptgrund, der auch von den Herren gebilligt wurde, galt der nationale Moment: "Die Orthodoxie ist zur Zeit das einzige Band, das die in zahlreiche Parteien zerklüfteten Emigranten zusammenhält und dieses letzte Einigungsmittel darf nicht gefährdet werden."
Mit dem Universitätsprofessor Pusino, einem der Hauptvertreter des Unionsgedankens, unterhält Unterzeichneter gute Beziehungen. Öftere und längere Besprechungen haben den Erfolg gehabt, dass man zwar den alten Plan einer Vereinigung im obigen Sinne, mit Rücksicht auf den Widerstand des Bischofs Tychon aufgegeben hat, dass man aber in kleinerem Privatkreise diesen [sic] Ziel weiter verfolgen will. An diesen Besprechungen beteiligen sich u. a.:
Universitätsprofessor Pusino (orthodox),
Universitätsprofessor Baron von Taube (orthodox),
Schriftsteller Reinhardt von Walter (Konvertit, früher Protestant, aus Petersburg. Vater war Leiter der Petersburger protestantischem [sic] Gemeinde, sein Bruder, protestantisch ist zur Zeit Rektor der Universität zu Rostock.)
Zur Zeit weilt Prof.  Pusino (vom 22. Juli bis 31. August) im Benediktinerkloster zu Beuron. Die dortigen Herren Patres sind über die genannten Einzelheiten orientiert.
c/. Nach längeren Verhandlungen hatte sich das Benediktiner Kloster St. Ottilien einverstanden erklärt den obengenannten orthodoxen Herren Schokotoff, Sekretär des orthodoxen Bischofs Tychon, als Gast aufzunehmen, damit er unter Leitung der Patres seine theologischen Studien fortsetzen könne. Herr Schokotoff hatte bereits in Russland seine theologischen Studien bis zum Empfange der hl. Priesterweihe beendet und möchte jetzt nach seiner Konversion katholischer Priester des orientalischen Ritus werden, um dann als "Missionar" unter den Landsleuten in Russland zu wirken. Am 12. Februar d. J. schrieb P. d'Herbigny S. J. Präsident des Pontificium Institutum Oriental[e] zu Rom u. a.: "Das Zusammenleben [mit] der Frau und [dem] Kind ist für den Priester des slavischen Ritus zulässig. Eine praktische Verwendung nach der Weihe und somit auch der Weihetitel kann wohl jetzt schon als sichergestellt betrachtet werden; freilich muss die Angelegenheit gegen Ende der Studien mit der Orientalischen Kongregation besprochen werden." Die Frau des Herrn Schokotoff, eine Protestantin aus Berlin, will mit ihrem 1 1/2-jährigem [sic] Kinde katholisch werden. Sie wird während der Studienzeit ihres Mannes mit ihrem Kinde in einem katholischen Institut zu München weilen.
d/. Der obengenannte Studiosus der hiesigen Handelshochschule Elias Gudzewatyj tritt am 20. Oktober d. J. in das griechische Kolleg zu Rom ein. Auch er will später als katholischer Priester Missionsarbeit unter den Russen leisten. Die betreffenden Briefe und Zeugnisse sind der römischen Behörde bereits eingesandt.
e/. Missionsarbeit im Sinne der Union wollen auch die obengenannten Ukrainischen katholischen Studenten leisten, falls sie mit Gottes Gnade ihr Ziel - Eintritt ins Priestertum - erreichen.
g/. Es bestand vor dem Kriege in Deutschland ein orthodoxer Wohltätigkeits-Verein "Wladimir Bratstwo", der Eigen-
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tümer war von 10 Grundstücken in Berlin, Hamburg, Kissingen, Bad Homburg, Bad Nauheim und Bad Görbersdorf. Während des Krieges konnte der Verein nicht mehr wirksam sein; nach dem Kriege haben sich zwei Parteien gebildet, die Anspruch machen auf die rechtmässige Nachfolge des alten Vereins. Der erstgebildete Verein unter dem Vorsitz des Amtsrichters, Grossgutsbesitzers, Adelsmarschalls Dr. iur. Nikolaus von Gilinsky steht im Prozess mit dem nachträglich gebildeten Verein und hat nach dem Urteil des Berliner Rechtsanwalts Dr.  Johanny (Potsdamerstr. 107) gute Aussichten als rechtmässiger Eigentümer anerkannt zu werden. Der Vorstand dieses Vereins, dem die Mitglieder volles Vertrauen schenken, ist für eine Union mit Rom. Der Vorsitzende und die Sekretärin haben bereits seit Februar mit dem Unterzeichneten die ganzen Pläne und die Einzelverhandlungen besprochen. (Siehe unter f/ Abs. 3)
f) Wertvoll scheinen für die Unionsbestrebungen die Beziehungen mit den literarisch tätigen Russen zu sein (Orthodoxen, Protestanten und Katholiken). Unterzeichneter hat öfters Besprechungen mit solchen Persönlichkeiten, gibt nach Kräften katholische Literatur ab, die auch an andere russische Kreise weiter gegeben wird. So wurden u. a. geschenkt: sämtliche Hefte, die im Pontificium Institutum Orientalum Studiorum (Roma, Piazza della Pilotta) erschienen sind. Durch gütige Vermittlung von Herrn Pater d'Herbigny konnte eine Reihe von Heften in grösserer Anzahl geliefert werden. Andere Literatur ist bereits oben im Abschnitt I Nr. 3 genannt.
Literarisches Material wurde besonders gewünscht von: Universitätsprofessor Pusino (orthodox, aus Petersburg) Universitätsprofessor Owtschinnikoff (orthodox, aus Kasan) Schriftsteller von Walter (Konvertit, aus Petersburg), Schriftstellerin Sokoloff-Petrowsky (Konvertitin, vorher orthodox, aus Moskau) Schriftstellerin auch bereits vor dem Kriege, Verfasserin von Romanen und von Jugendschriften (die z. Zt. erscheinen im russischen Sowiet-Verlag in Moskau, der eine Vertretung in Berlin hat), ferner Übersetzerin aus dem Französischen und Italienischen ins Russische. Grundsätzlich vermeidet die Verfasserin jedes Material literarische Material, das gegen Religion und Sittlichkeit verstösst. Frau Maria Gumitsch, Protestantin aus dem Balticum, machte ihre höheren Studien in Moskau und Petersburg, beschäftigt sich zur Zeit mit Übersetzungen aus dem Italienischen ins Russische, arbeitet mit einem russischen Schriftsteller zusammen an der Abfassung eines grösseren Werkes über die alt-russischen Sekten. Sie besucht zur Zeit bei dem Unterzeichneten den Konvertitenunterricht. Nikolaus von Gilinsky (Dr. iur. Amtsrichter, Grossgutsbesitzer und Adelsmarschall) orthodox, ist wie früher, so auch jetzt noch literarisch tätig in der Berliner Zeitung "Rul", besonders aber in der russischen katholischen Monatsschrift "Foi et Patrie". (Über die Unionsgesinnung des Herrn von Gilinsky siehe unter g/.)
Unterzeichneter ist auch bemüht, neue literarische Kräfte aus russischen Kreisen zu gewinnen. Zum Teil druckreife Sachen liegen bereits vor von:
Frau E.  Belensson (früher israelitisch, jetzt römisch katholisch) Sie gibt z. Zt. Tanzunterricht, war früher selbst an der Bühne tätig. Die für den Druck bestimmte Arbeit lautet: "Aus dunklen Grüften zum wahren Licht."
Rostislaw Dolinsky, Sohn eines russischen Generals, der zur Zeit als Fabrikarbeiter in Paris wohnt, seine Mutter und sein Bruder arbeiten auf einer Fabrik in Berlin. Studiert Astronomie und Mathematik an der Universität zu Berlin, beherrscht, bezw. studiert [7]2  Sprachen, stark mystische Seele, die besonders in den vorliegenden
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Arbeiten über Seelenwanderung und Kriegspsyche zum Ausdruck kommt.
Frau Harriet von Rathlef-Keilmann, aus dem Balticum, früher protestantisch, vor kurzem in Berlin konvertiert, Künstlerin in expressionistisch-russischem Stile (religiöse Werke - Kirchenfenster z. Zt. auf der Jahrtausend-Ausstellung im Rheinlande. Arbeitet für das Berliner katholische Kirchenblatt u. a.)
Frl Maria-Angelika Schirokoff, aus Brest-Litovsk, früher orthodox; seit kurzem katholisch, 3 Jahre als Krankenschwester bei den Bolschewiken, in Berlin Examen als Röntgenschwester bei der Universität abgelegt. Wissenschaftlicher Verkehr mit den hiesigen russischen Professoren, wie auch mit dem orthodoxen Bischof Benjamin, der z. Zt. Leiter des neugegründeten russischen Priesterseminars in Paris ist. Ihre vorliegende Arbeit behandelt das Thema: "Orthodoxismus und Katholizismus."
Frau Tatjana Kritschagina, früher orthodox, jetzt katholisch, bis vor kurzem in Petersburg gewesen und wegen ihrer religiösen Beeinflussung der Jugend ausgewiesen. Spricht russisch, französisch, italienisch, spanisch. Der Artikel über ihre Erfahrungen an der Sowiet-Schule in Russland wird in der nächsten Zeit in der russischen Zeitung "Rul" in Berlin erscheinen.
Frau Agnes Stchenstnowitsch, orthodox, die 5 Jahre lang als "Lehre<r>in3 und Erzieherin" in einem bolschewistischen Internate zu Petersburg tätig war, schliesslich aus Gewissensgründen flüchtete, besucht zur Zeit bei dem Unterzeichneten den Konvertiten-Unterricht und ist nicht abgeneigt, ihre Erfahrungen literarisch zu verwerten.
Der russische Professor Stroeff, Professor der russischen Geschichte und Soziologie, ist stark interessiert für den Anschluss an Rom und literarisch sehr tätig. Er selbst hatte die Ehre, während des Krieges Seiner Heiligkeit, dem Papst, dem damaligen päpstlichen Delegaten in Warschau vorgestellt zu werden und will bei gegebener Gelegenheit ein Huldigungsschreiben dem Heiligen Vater überreichen lassen. Herr Professor Stroeff macht zur Zeit in russischer Sprache einen Auszug aus dem dreibändigen Werke des Unterzeichneten: "Die katholische Heidenmission als Kulturträger" und will den kulturellen Leistungen der orthodoxen Kirche hinzufügen, um so die Sympathien russischer Kreise für gemeinsame Arbeit mit Rom zu fördern.
III.
Caritas
Die im ersten Bericht über die Zeit vom 15. November 1924 bis zum 15. Februar 1925 angegebene Caritasarbeit wurde auch in den folgenden Monaten fortgesetzt. Hier verdient unter anderem dankbare Anerkennung das sehr verdienstvolle Wirken der Frau Baronin von Oettingen.
Monatlich wechseln die Empfänger der 100  freien Mittagessen, die von katholischen Krankenhäusern Berlins zur Verfügung gestellt worden sind.
Die Schwestern vom Kloster zum Guten Hirten in Mariendorf bei Berlin überwiesen den russischen Emigrantenbaracken auf der General-Papestrasse zu Berlin-Schöneberg 5 Zentner Sauerkraut und 5 Zentner Kartoffeln.
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Die Firma Peek & Cloppenburg schenkte für die im Pensionat der Ursulinnen [sic] zu Haselünne bei Hannover untergebrachten russischen Mädchen, die im Pensionate gebräuchlichen Uniformkleider.
Monatlich erhalten, wie im ersten Bericht bereits mitgeteilt, [eine Ziffer unlesbar]0 bis 85 russische Kinder und ferner 16 in den Baracken auf der General Papestrasse wohnende russische Studenten Lebensmittel. Diese Wohltaten werden durch das huldvolle Entgegenkommen seiner Excellenz, des [A]postolischen Nuntius Pacelli ermöglicht.
19 Anmeldungen zur Versorgung von russischen Knaben und Mädchen liegen noch vor. Die Verhandlungen mit den einzelnen Instituten sind noch nicht abgeschlossen.
Eine hochherzige Spende Seiner Heiligkeit, des Heiligen Vaters Pius XI. von 8.000 Lire zugunsten eines Erholungsaufenthaltes russischer bedürftiger Kinder ist vor kurzem eingetroffen, nachdem kurz vorher für die russische Emigrantenseelsorge in väterlich huldvollster Weise 50.000 Lire gespendet worden waren. Da die Versorgung der Ferienkinder noch nicht abgeschlossen ist, wird Frau Baronin von Öttingen in ihrem nächsten Bericht hierüber nähere Angaben machen.
Die russische Heimarbeit findet nach wie vor nachhaltige, erfolgreiche Pflege.
Im hiesigen St. Marien-Krankenhaus konnten mehrere russische Kranke in besonderer Weise liebevolle Aufnahme und Pflege finden soweit als erforderlich kostenlos.
In sehr vielen Fällen wurden Pässe nach Beldien [sic], Frankreich, Italien und einmal nach Peru vermittelt. Die einzelnen Konsulate zeigten in allen Fällen nach vorhergehenden Schwierigkeiten, zuletzt grosses Entgegenkommen, zum Teil durch telegraphische Anfragen in Paris und Brüssel. Wertvolle Unterstützumg in der Besorgung von Pässen und durch Bewilligung von längerem Aufenthalt in Berlin fand Unterzeichneter stets bei der russischen Delegation (Berlin, In den Zelten 16 Excellenz von Botkin), ferner bei der "Katholische Fürsorge für Russland, Diözese Tiraspol", beim Fremdenamte auf dem hiesigen Polizeipräsidium und auch bei den deutschen Generalkonsulaten in Riga und Danzig.
Die Flüchtlinge in den Lagern Scheuen bei Celle und im Schloss Remplin bei Malchin (Mecklenburg) sowie das russische Rote Kreuz in Dresden wurden besucht, regelmäßig das Flüchtlingslager Wünsdorf b/Zossen. Mehrere Kinder aus dem Flüchtlingslager Scheuen und Wünsdorf fanden auf Wunsch Aufnahme in katholischen Waisenhäusern Berlins.
In jüngster Zeit haben sich mehrere jüdische Ärzte zusammengetan (gemäss Mitteilung in der Zeitung "Rul") um grundsätzlich nur der kranken jüdischen Jugend kostenlos ärztliche Behandlung zuteil werden zu lassen und ebenfalls Heilmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Vor einigen Tagen hatte ein erkranktes Mitglied unseres katholischen Kirchenchores dort Hilfe gesucht, wurde aber erst aus grundsätzlichen Bedenken abgewiesen, weil er nicht israelitisch war. Man prüfte aber seine gesanglichen Leistungen (er besucht das hiesige Konservatorium) und gewährte daraufhin ausnahmsweise eingehende ärztliche Behandlung und kostenlose Verabreichung teuerer Medikamente. Die Unterhaltung bei der Gelegenheit war bolschewistisch eingestellt.
Bei allen caritativen Unterstützungen wird kritiklose Barmherzigkeit nach besten Kräften vermieden. Es wird besonders bei Umterbringung von Kindern in katholischen Waisenhäusern, Pensionaten, Klöstern und Schulen stets
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darauf gedrungen, dass die Beteiligten, bezw. Eltern und Verwandten eine[n] wenn auch nur kleinen Teil der Unkosten tragen.
Zu besonderer pastoral-klugen Ausübung der Caritas unter den Orthodoxen zwingt unter anderem die wenig wohlwollende Gesinnung gewisser orthodoxer Kreise, deren scharfe Urteile öfters sogar von ausserhalb der orthodoxen Kirche stehenden Kreisen kommen.
Beispielsweise seien genannt vor allem der hiesige orthodoxe Bischof Tychon und seine, freilich wenigen Freunde in Berlin. Ferner der russischen Journalist Dimitri Ischewski (Berlin W. 50 Pragerstrasse 13), der russische Zeitungen in Berlin, Paris und Belgrad mit Artikeln versieht, und der Journalist Alexander Jablo[n]owsky in Paris.
Mit Herrn Ischewsky hatte Unterzeichneter schon öfter [s]achliche Auseinandersetzungen,. [sic] Bezeichnend für die ganze innere Einstellung dieses Herrn ist z. B. folgender Auszug aus seinem Briefe vom [1]6. April d. J.:
"Es tut mir leid, Sie zu betrüben. Ich war gekommen zu den Vorträgen des Herrn Prälaten Okolo-Kulak nicht um diese in meinen Zeitungen zu veröffentlichen, sondern vielmehr aus einem ganz besonderen Grunde. Von unserem orthodoxen Standpunkte aus ist diese 'Fürsorge für russische Emigranten' eine sehr schädliche und wenig ehrbare Handlungsweise, denn sie führt zur Beförderung (zum 'Blühen') des Proselytismus mit allen seinen traurigen Begleiterscheinungen. Ich muss hinzufügen, dass diese Politik Roms dem Päpstlichen Stuhle keinesfalls zur Ehre gereicht ... Der Wert meiner Zeitungsartikel wird Ihnen besonders durch die beigefügte Zeitungsnotiz verständlich, die ein Segensschreiben Sein[er] Heiligkeit, des vor drei Wochen verstorbenen Moskauer Patriarchen Tychon enthält, mit dem er mich Unwürdigen, ausgezeichnet hat. Wenn man bedenkt, dass dieses Glück und diese hohe Auszeichnung nur mir zuteil geworden ist, so wird Ihnen verständlich werden, mit welch' unermüdlichem Eifer und mit welchem Nachdruck ich mich der Verteidigung unserer Orthodoxen Kirche widme gegenüber allen Anfeindungen, auch seiten[s] der römischen Kirche ..." Die Beziehungen zum Herrn Ischewsky werden weiter unterhalten.
Der obengenannte Schriftsteller Alexander Jablonowsky beschreibt in einer soeben erschienenen Nummer der Pariser Zeitung "Wosroschdenije" (3. August) in einem spaltenlangen Artikel unter der Überschrift "Das Herz Jesu", in sarkastisch-ironischer Weise das caritative Wirken der katholischen Kirche, trotzdem er selbst in einem früheren Zeitungsartikel erklärt hatte, er könne sich zu der christliche[n] Glaubensanschauung nicht bekennen.
IV.
Organisation und Zentralisation
Die im vorigen Berichte als wünschenswert dargestellte Zentralisation der Bestrebungen zu Gunsten der russischen Emigranten wurde soweit als dienlich erreicht; eine straff bürokratische Zusammenfassung ist bei der Eigenart der Verhältnisse nicht wünschenswert.
Der Allgemeine Caritasverband (Direktor Curatus Wienken) und der Berliner Caritasverband (Direktor Pater Wolf S. D. S.), die Organisation "Katholische Fürsorge für Russland, Diözese Tiraspol" arbeiten in schöner Harmonie. Unterzeichneter wird eingehend orientiert und gibt Orientierungen weiter;; [sic] dadurch werden vor allem mehrfache
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[U]nterstützungen derselben Personen geregelt, Unehrlichkeiten verhütet und die Wohlfahrtseinrichtungen jeder Abteilung sofort in richtiger Weise angewandt.
Mit dem hiesigen Polizei-Präsidium und dem Chef der Fremdenabteilung, Herrn Reg.-Rat Goehrke, mit den obengenannten Konsulaten (franz. belg. ital.), besonders mit dem Spezialreferenten für russische Studenten im Kultusministerium, Direktor Dr.  Remme, werden gute, [e]rfolgreiche Beziehungen unterhalten. Herr Geh.-Rat Dr.  Bourwig, im [R]eichsministerium des Innern, dem als Referenten alle hiesige russische [O]rganisationen unterstehen, unterstützt den Unterzeichneten, mit dem er schon während des Krieges im Grossen Hauptquartier freundschaft[l]iche Beziehungen unterhalten hatte, in jeder nur wünschenswerten Weise, [e]benfalls bringt Herr Geh-Rat Schlüter im Kultusministerium [g]rösstes Wohlwollen entgegen.
Das russische Rote Kreuz, leider fast stets [o]hne Geldmittel, hält öfters Besprechungen zu Gunsten der Kranken. [R]ussische Institutionen (u. a. die russischen Pensionate in Zossen, [K]inderschule in Wünsdorf, das wissenschaftliche russische In[s]titut am Schinkelplatz 6) wurden in Begleitung von Vorstandspersonen [b]esucht. Mehrere Male wohnte Unterzeichneter mit Herrn Direktor Wachsmut [i]n dem Russischen Realgymnasium dem Unterrichte der verschiedensten [F]ächer auf mehreren Schulklassen bei.
Besprechungen fanden statt mit dem Vorsitzenden bezw. deren Stellvertretern der Komitees der Kinderhilfe (Excellenz von Davidoff, Baronin [v]on der Palen, Zentralkomitee)
Die Sekretariate der Handelshochschule und der Universität wur[d]en öfters besucht, um Fürsprache einzulegen für bedürftige und würdige [r]ussische Studenten; die Immatrikulationsgebühr und ein großer Teil [d]er Vorlesungsgebühren wurden erlassen; in Personalsachen wird jedes[m]al bereitwilligst Auskunft erteilt.
Mit dem "französichen Hilfskomitee für die Russen" (Msgr.  Chap[ein Buchstabe unlesbar]al, Paris, Rue de Sèvres 35), ferner mit dem belgischen Komitee in [N]amur (Msgr.  Sipiagine, Direktor des russischen Kollegs) [u]nd in Mecheln (Sekretär seiner Eminenz des Kardinal Mer[c]ier,) sind wohlwollende freundliche Beziehungen angeknüpft, Aus[k]ünfte werden bereitwilligst erteilt, Abreisen russischer Emigranten [w]erden nach Kräften mitgeteilt. Durch gegenseitige Mitteilungen (Paris-[B]erlin) konnten unehrliche Manipulationen seitens einzelner russischer [E]migranten, deren Pässe zwar in Ordnung waren (Sokoloff, Advokat Dr. [v]on Eisenstein, Oberst von Ditmar) verhütet werden.
Neuerdings ist auch nach vorhergegangenem persönlichem Besuch [e]in offizieller Verkehr mit den Flüchtlingslagern in Scheuen [b]ei Celle (Lagervorsteher Pfeiffer) und mit dem russischen [R]oten Kreuz in Dresden (Oberst von Plato[)] möglich. Un[e]hrliche Vorgänge des orthodoxen Sokoloff, der in Berlin und in Dres[d]en bei katholischen Geistlichen Gelder zu Gunsten katholisierender [R]ussen erhalten wollte, wurden zeitig unmöglich gemacht.
Von Rom aus wurden dankbarst Mitteilungen empfangen vom H. H. Pater d'Herbigny S. J. Präsidenten des Päpstlichen Orientalischen Institutes, ferner von seiner Eminenz Kardinal Tacci, dem Vorsitzenden, Msgn.  Papadopulos, dem Sekretär und Msgr.  Margotti, dem Minutanten der neu-eingerichteten "Kommission für Russland bei der Kongregation für Orientalische Kirchen."
19r
Mehrere Briefe wurden im Interesse der russischen Emigranten mit dem Archimandriten Msgr.  Sergius Dabitch z. Zt. in Rom, gewechselt.
Im Verkehr mit der römischen Behörde erwiesen, wie auch in allen anderen Anliegen, stets grösstes Entgegenkommen und wertvollste Unterstützung Seine Eminenz, Kardinal Bertram und Seine Excellenz, der Apostolische Nuntius Pacelli.
V.
Finanzierung.
Seine Heiligkeit, Papst Pius XI. hat dem russischen Hilfswerke in Deutschland 50.000 Lire vor kurzem gespendet, und nachträglich noch 8.000 Lire für erholungsbedürftige russische Kinder (Ferienaufenthaltsgelegenheit) väterlich huldvollst zukommen zuwenden lassen.
Genaue Rechenschaft über die Verwendung dieser überaus wertvollen Zuwendungen erfolgt im nächsten Bericht.
Vor Überweisung dieser Hilfsmittel konnten ca. 3.000 Mark aus Privatquellen gesammelt werden.
Eine Finanzierung der russischen Organisationen und ihrer verzweigten Caritas-Arbeit durch regelmässige, jährliche Einnahmen wird angestrebt mit dem herzlichen Wunsch dass wohlwollende Spenden auch fernerhin die feste materielle Basis sichern helfen, auf die dieses höchst zeitgemässe und aussichtsreiche Missionswerk unserer Heiligen Kirche in gewissem Sinne angewiesen bleib[t.]
VI.
Einzelheiten.
1) Die Beziehungen zu den hiesigen russischen Zeitungen sind trotz deren katholisch-feindlichen Haltungen gut.
Als die Redaktion des "Rul" einen Hinweis auf die Vorträge des Hochwürdigsten Herrn Prälat Okolo-Kulak verweigerte mit der Begründung, dass diese Art von Vorträgen eine Provokation der orthodoxen hiesigen Kreise bilden würde, nahm Unterzeichneter Rücksprache mit dem Redakteur Dr.  Tatarinoff, daraufhin nahm die Redaktion sogar einen mehrmaligen Hinweis auf, zum Teil kostenlos.
Die demokratische Zeitung "Dni" (Russischer "Vorwärts[")] hatte eine Rechnung von 195.- M eingereicht. Nach Rücksprache wurde diese Summe auf 65.- M ermässigt. Man versprach dem Unterzeichneten sogar bei späteren Gelegenheiten sogar stets grosses Entgegenkommen betreffe[nde] Annoncen zu zeigen.
2) Am 10. Mai des Jahres fand in den Räumen des Flugverba[n]des [ein Wort unlesbar] (Schöneberger Ufer 40) eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu Gunsten der russischen Studenten statt. Das Fürsorge-Komitee hatte den Unterzeichneten zu den Vorarbeiten und zum Feste eingeladen. (Katholische Caritasarbeit zu Gunsten der Studenten s. o. I,5 III. u. IV.)
3) Am 28. Juli machte der katholische Russische Kirchenchor einen Ausflug zu den Hiltruper Missionsschwestern, die bei Haus Conradshöhe bei Berlin-Tegel eine Erziehungsanstalt leiten. 24 Personen nahmen teil. Die meisten orthodox bezw. protestantisch.
4) Am 17. Mai starb herr [sic] Schirokoff (Neuebayreutherstrasse) orthodoxer Konfession. Die Angehörigen baten den Un-
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terzeichneten, im Kreise der Familie an der Leiche zu beten und auch das Begräbnis abzuhalten. Letzteres lehnte Unterzeichneter ab und bespsprach die Angelegenheit mit dem orthodoxen Priester Diodor Kolpinsky. (Dieser war in der Jugend orthodox, konvertierte und wurd[e] nach seinem Studium in Rom katholischer Priester. Seit etwa vier Jahre[n] ist er in der orthodoxen Kirche als Priester tätig.) [sic] Vor einigen Wochen ist er mit der Seelsorge der Orthodoxen in Wien betraut worden.) Die Witwe des Herrn Schirokoff wünscht zu konvertieren und hat für das Studium eines russischen Knaben jährlich 360 Mark versprochen.
4. [sic] Im Juni Einsegnen der neubezogenen Wohnung des russischen Advokaten Iwanoff aus Petersburg, auf der Courbières[.] Er selbst, seine Frau und der Sohn, Primaner eines Berliner Realgymnasiums sind orthodox.
5. Frau Dr.  Glück, im Alexanderheim zu Berlin-Tegel, die als Rote Kreuz-Schwester bereits im japanischen und türkischen Kriege täti[g] war, bringt aus ihrem sehr kärglichen Verdienst 3.- M damit in Lourdes für die Heilung ihres augenkranken Mannes gebetet werde und wünscht auch Zusendung von Lourdes-Wasser.
6) Am 2. 6. Besuch der russischen Flüchtlinge auf Schloss Remplin bei Malchin, Mecklenburg; am 30. 6. des russischen Flüchtlingslagers Scheuen b/Celle; am 6. 7. Besuch der russischen Emigranten in Dresden.
7) Sergius von Borissowsky (ehemaliger Attaché der kaiserl. russischen Botschaft zu Bern, früher otthodox, jetzt katholisch) vermittelte am 10. Juli die Beziehungen zu mehreren der Sowiet-Regieru[ng] befreundeten bezw. im Dienste der Sowiet stehenden Russen. Längere wertvolle Besprechung in der Wohnung des Unterzeichneten.
8) Charakteristische [B]riefe des orthodoxen Bischofs Benjamin z. Zt. Leiter des neugegründeten russischen Priester-Seminars zu Paris an eine hiesige othodoxe russische Dame wurden als Orientierungsmaterial eingereicht; diese Russin ist trotzdem zur katholisch[en] Kirche übergetreten.
9) Am 5. Juli Taufe des russischen Kindes Nikolai Sta[n]kewitsch im Flüchtlingslager zu Wünsdorf.
10)  Kirchliche Versammlungen und russische Vorträge durch seine Gnaden Herrn Prälat Okolo-Kulak aus Warschau vom 2.-5. April 1925. (Bericht ist eingereicht).
11)  Kirchliche und weltliche Versammlungen mit russischem Vortrag durch seine bischöfliche Gnaden den hochwürdigsten Herrn Administrator von Danzig Bischof Eduard Graf O'Rourke am 16. Juli des Jahres. (Bericht ebenfalls eingereicht.[)]
O. A. M. D. G.
8r: hds. notiert, vermutlich von einem Mitarbeiter des Staatssekretariats: "trasmesso da Mgr. Pacelli. =".
1Hds. gestrichen, vermutlich vom Verfasser.
2Ziffer schlecht lesbar.
3Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
Empfohlene Zitierweise
Berg, Ludwig, Zweiter Bericht überdie Russensselsorge in Berlin.(15.II.-15.VIII.25), Berlin vom vor dem 31. August 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 7532, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/7532. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 24.06.2016.