Heiliges Kardinalskollegium
Als "cardinales" wurden seit dem 5. Jahrhundert zunächst die Diakone, Presbyter und Bischöfe bezeichnet, die an einer der römischen Titelkirchen (cardo genannt) oder in den der Diözese Rom unterstehenden suburbikarischen Bistümern liturgische und pastorale Aufgaben versahen. An Macht und Einfluss gewannen die Kardinäle im Zuge der Reformen des Gregorianischen Papsttums im 11. und 12. Jahrhundert. Auf dem III. Laterankonzil wurde die Papstwahl durch die Kardinäle von Alexander III. in der Konstitution "Licet de vitanda" von 1179 als kirchliche Lehre festgeschrieben. Außerdem wurde die Zwei-Drittel-Mehrheit als nötiges Kriterium der erfolgreichen Wahl definiert. Die Kardinäle, deren Kreis nun auch auf Kleriker außerhalb Roms und Italiens ausgeweitet wurde, erhielten in der Folgezeit mehr und mehr Leitungs- und Verwaltungsaufgaben der Gesamtkirche und wurden so zu einem mächtigen Kollektiv innerhalb der kirchlichen Hierarchie.
Die Bestimmungen der Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts, die das Kardinalskollegium als Kontrollinstanz auf gleicher Ebene mit dem Papst einsetzen wollten, wurden nicht rezipiert. Im Zuge der katholischen Reform nach dem Konzil von Trient (1545-1563) regelte Sixtus V. das Kardinalskollegium und die römische Kurie neu. Die Kardinäle sollten in strikter Unterordnung unter den Papst ihren Dienst in der Kirchenleitung nicht mehr als eigene Berechtigung, sondern als Beauftragung durch den Papst verstehen. Dazu wurden die Kardinalskongregationen gegründet, die konkrete Zuständigkeitsbereiche erhielten. Darüber hinaus setzte Sixtus die Zahl der Kardinäle auf 70 fest, um den einzelnen Kardinälen nicht zu große Einflussmöglichkeiten zu lassen. Dabei sollten alle Nationen die nötige Berücksichtigung finden, was allerdings de facto bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht befolgt wurde, da die überwiegende Mehrheit des Kardinalskollegiums aus Italienern bestand.
Die kirchenrechtlichen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici von 1917 brachten keine Neuerungen im Verständnis des Kardinalskollegiums, spiegelten aber die Praxis der vorangegangenen Jahrhunderte wider. Die Kardinäle wurden als höchste Würdenträger der Kirche nach dem Papst charakterisiert (can. 230 CIC/1917), deren Zahl auf 70 beschränkt war und die sich in drei Rangklassen (6 Kardinalbischöfe, 50 Kardinalpriester, 14 Kardinaldiakone) aufteilten (can. 231 CIC/1917). Gemäß Canon 237 stand an der Spitze des Kardinalskollegiums als Dienstältester der Kardinaldekan den anderen Mitgliedern als Primus inter pares vor. Ihm folgten der Subdekan, der Kämmerer (Camerlengo) und der Sekretär. Bei der Ernennung von Kardinälen (cann. 232-235 CIC/1917) war der Papst völlig frei, wobei die internationale Situation der Weltkirche bei der Auswahl berücksichtigt werden sollte. Außerdem sollte dem Gewohnheitsrecht, dass bestimmte Bischofsstühle mit der Kardinalswürde versehen werden, nachgegangen werden. Als geeignet galten Kandidaten, die zumindest die Priesterweihe empfangen hatten, sowie sich durch Gelehrsamkeit, Frömmigkeit und Verwaltungstalent auszeichneten. Die Ernennung wurde in einem geheimen Konsistorium vollzogen, wobei die entsprechenden Kandidaten vorab bekannt gegeben wurden. Die Kardinäle wurden vom Papst beauftragt, an der Gesamtleitung der Kirche mitzuwirken. Dies geschah im Konklave, im Konsistorium, als Organe der Römischen Kurie, als Teilnehmer am Allgemeinen Konzil und bei der Entsendung als Sondervertreter des Papstes (legatus a latere). Aufgrund ihrer hohen Position in der kirchlichen Hierarchie genossen die Kardinäle eine Reihe von Vorrechten (can. 239 CIC/1917): Allgemeiner Ehrenvorrang, Auszeichnung mit sämtlichen Pontifikalien, Weihe- und Konsekrationsvollmachten, weltweite Erlaubnis zur Feier der Messe, Erlaubnis zur Gewährung päpstlicher Ablässe, Sonderstellung im kirchlichen Prozessrecht und bei der Strafverfolgung.
Sources
1917 Codex Iuris Canonicis, cann. 230-241, in: www.jgray.org (Last access: 14.06.2016).
Codex Iuris Senior, cann. 230-241, in: www.catho.org (Last access: 14.06.2016).
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