Deutsche Zentrumspartei in Württemberg

Nachdem die württembergische Zentrumspartei bereits an der letzten Regierung des Königreiches Württemberg unter Theodor Liesching beteiligt gewesen war, trat sie auch in alle folgenden Regierungen während der Weimarer Republik ein. Sie übte dabei einen starken, aber auch ausgleichenden Einfluss auf die Landespolitik aus. So übernahm Johann Baptist Kiene das Justizressort, als sich die von Mehrheits- und Unabhängigen Sozialdemokraten gebildete provisorische Regierung unter Wilhelm Blos entschied, ihre Basis um die bürgerlichen Parteien zu erweitern.
Das Zentrum nahm zur gleichen Zeit den Zusatz "Christliche Volkspartei" an, behielt jedoch grundsätzlich ihr Programm bei und vertrat wie bisher vor allem den katholischen Teil der Bevölkerung, der im Königreich politisch benachteiligt und auch nach der Novemberrevolution in den Spitzenstellungen des öffentlichen Dienstes unterrepräsentiert war.
Bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 12. Januar 1919 entfielen 20,8 Prozent der abgegebenen Stimmen auf das Zentrum, das damit die drittstärkste Partei nach den Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) wurde. Die Landesversammlung bestätigte die bisherige Regierung. Im Herbst 1919 war Blos gezwungen, die Regierung umzubilden, da nach dem Ausscheiden mehrerer Minister die bürgerlichen Parteien mehr Ministerposten verlangten. Die Zentrumspolitiker Eugen Bolz und Eugen Graf wurden daraufhin Justiz- bzw. Ernährungsminister.
Als am 6. Juni 1920 die ersten regulären Landtagswahlen durchgeführt wurden, erhielt das Zentrum als stärkste Partei 22,5 Prozent der Stimmen. Die MSPD entschied sich nach starken Verlusten, in die Opposition zu gehen. DDP und Zentrum bildeten daraufhin ein Minderheitenkabinett unter dem Demokraten Johannes von Hieber und verabschiedeten unter anderem das bedeutende "Gesetz über die Kirchen" vom 3. März 1924.
Eugen Bolz trieb 1923/24 als Innenminister maßgeblich eine Verwaltungsreform in Württemberg voran. Als diese auf Widerstand im Land stieß, fiel die Zentrumsfraktion der Regierung in den Rücken und bewirkte die Verschiebung der endgültigen Abstimmung über diese Reform auf einen Zeitpunkt nach den Landtagswahlen vom 4. Mai 1924. Die Regierung Hieber trat daraufhin am 5. April 1924 zurück. Ein Interimskabinett unter dem parteilosen Ministerialbeamten Edmund Rau unter Beteiligung der Zentrumspolitiker Bolz und Josef Beyerle regierte Württemberg bis zur Wahl.
Bei den anschließenden Wahlen vom 4. Mai 1924, bei denen es zu einem starken Rechtsruck kam, wurde das Zentrum mit 20,9 Prozent der Stimmen erneut Wahlsieger. Es ging eine Koalition mit der deutschnationalen Bürgerpartei sowie dem Bauern- und Weingärtnerbund unter dem Staatspräsidenten Wilhelm Bazille ein. Bolz und Beyerle wurden wieder Innen- bzw. Justizminister. Anders als die deutschnationale Beteiligung erwarten ließ, widmete sich die Regierung mehr der Verwaltung des Bestehenden als neuen politischen Projekten.
Bei den Landtagswahlen vom 20. Mai 1928 wurde das Zentrum mit 19,6 Prozent nur noch zweitstärkste Partei hinter der wiedererstarkten SPD. Da das Zentrum jedoch keine Koalition mit den Sozialdemokraten eingehen wollte, bildete es mit der Bürgerpartei eine Minderheitsregierung unter Bolz, der es aber schwer fiel, sich gegen die starke Opposition durchzusetzen. 1930 traten die Deutsche Volkspartei (DVP) und die DDP in die Regierung ein. Diese blieb in dieser Form bis zum 11. März 1933 im Amt, als die Nationalsozialisten die Macht in Württemberg übernahmen.
Beteiligung an der Landesregierung
Kabinett Ministerposten
Kabinett Blos I (11. November 1918 bis 7. März 1919) Justiz (Johann Baptist Kiene)
Kabinett Blos II (8. März 1919 bis 22. Juni 1920) Justiz (Johann Baptist Kiene, bis 24. Juli 1919; Eugen Bolz), Ernährung (Eugen Graf, ab 1. November 1919)
Kabinett Hieber (23. Juni 1920 bis 8. April 1924) Inneres (Eugen Graf, bis 2. Mai 1923; Eugen Bolz), Justiz (Eugen Bolz, bis 2. Juni 1923; Josef Beyerle)
Kabinett Rau (8. April bis 2. Juni 1924) Inneres sowie Finanzen (Eugen Bolz), Justiz (Josef Beyerle)
Kabinett Bazille (3. Juni 1924 bis 4. Juni 1928) Inneres (Eugen Bolz), Justiz (Josef Bayerle)
Kabinett Bolz (8. Juni 1928 bis 11. März 1933) Staatspräsident sowie Inneres (Eugen Bolz), Justiz (Josef Beyerle), Wirtschaft (Josef Beyerle, bis 19. Januar 1930)
Bibliography
FALTER, Jürgen / LINDENBERGER, Thomas / SCHUMANN, Siegfried, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten. 1919-1933, München 1986, S. 113.
MORSEY Rudolf, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 32), Düsseldorf 1966.
RUPPERT, Karsten, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923-1930 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 96), Düsseldorf 1992.
SAUER, Paul, Württemberg in der Weimarer Republik, in: SCHWARZMAIER, Hansmartin / SCHAAB, Meinrad (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 4: Die Länder seit 1918 (Veröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg), Stuttgart 2003, S. 73-150, passim.
Recommended quotation
Deutsche Zentrumspartei in Württemberg, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', keyword no. 28026, URL: www.pacelli-edition.de/en/Keyword/28026. Last access: 21-12-2024.
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